Von einer großen Rebellion hatten sie geträumt. Viele von ihnen hatten sich der Illusion hingegeben, obwohl sie wussten, wie beschränkt ihre Kräfte tatsächlich waren. Diese Nacht hatte es dann aber ein böses Erwachen gegeben. Nun war Eile das Gebot der Stunde. Lucius und ein paar der Männer, die den Angriff des Dämonenkaisers überlebt hatten, sputeten sich jetzt nicht nur, nein, sie jagten sich buchstäblich ab, um so schnell wie möglich zum Lager zurückzukommen. Die Hufe ihrer Pferde donnerten wild über die unwegsamen Trampelpfade, die durch diese bewaldete Gegend führten. Der kalte Wind einer wolkenlosen Nacht schlug ihnen entgegen. Lucius hatte heute Glück gehabt, unglaubliches Glück. Durch reinen Zufall war er draußen vor dem Gasthaus gestanden, als der Teufel Wenzel sich darin zu erkennen gegeben hatte. Daraufhin hatte er sich in der Nähe versteckt, sammelte unauffällig einige der Entkommenen zusammen und machte sich mit diesen auf den Rückweg zu ihrer Haupttruppe.
Die Erde hatte die Sonne bereits geboren und allerhand Aktivität war im gesamten Camp zu beobachten. Da kam plötzlich eine kleine Gruppe von ihren Männern aus dem Forst angaloppiert. Unter ihnen war einer, den die Krieger in letzter Zeit immer neben ihrem Anführer gesehen hatten. Lucius sah allerdings gebeutelt und gestresst aus. Der Schweiß tropfte von ihm herab und er rang nach Luft. Schließlich konnte er aber einen Atemzug machen, der tief genug war, um alle herbeizurufen. Die anderen Soldaten hetzten unmittelbar und wie getriebene Tiere durch die Leute und zwischen den Zeltern hindurch, um alle Männer zusammenzurufen. Was würde es sein? Würden sie nun endlich, nach all der langen Zeit des Trainings nach Ordanien vordringen?
„Ruhe! Ruhe!“, plärrte der kleine Mann mit durcheinandergewirbelten Haaren. Es dauerte ein wenig, aber relativ rasch hatte man die Versammelten mucksmäuschenstill gemacht. Danach kam die Verkündigung: „Lanzknechte! Die Kräfte des Heiligen Reiches haben uns ausfindig gemacht! Vermutlich werden sie schon bald hierherkommen.“ Infolge ging ein lautes Ächzen durch die Menge und Rufe von, „Großer Gott!“, waren zu hören. „Aber es gibt keinen Grund zur Panik. In diesem unwegsamen Land werden sie wohl noch ein wenig brauchen, um exakt hierherzukommen. Also verlieren wir keine Zeit. Wir haben einen langen Marsch vor uns. Unser Ziel ist Kascharovar. Dort bündeln wir uns mit dem kascharischen Widerstand, um gemeinsam das Regime herauszufordern. Packt euch schleunigst zusammen! Wir ziehen ab!“
Bei vielen der Zuhörer hatten sich große Zweifel aufgetan, als sie erfuhren, dass sie zu denen, die eigentlich auch ihre Feinde waren, fahren würden. Dennoch gehorchten sie und begannen nun hastig die Zelte abzubauen, die Wagen zu beladen und alles für den Abzug vorzubereiten. Die Überlebenden der letzten Nacht machten ihnen hier massiven Druck. „Lasst alles zurück, was nicht zwingend notwendig ist! Kommt schon, beeilt euch!“, schallten da die Befehle. Es dauerte trotzdem eine Weile. Als sie dann schon Großteils fertig waren, geschah es allerdings.
Aus der Entfernung drang an ominöses Dröhnen an sie heran, welches stetig lauter zu werden schien. Viele der Schwerstbeschäftigten überkam nun die Furcht, unter anderem auch Lucius höchstpersönlich. Dann, gleich einem Blitzschlag, waren sie auf einmal da! Wie eine tosende Sturzflut brach das vierte Regiment der Heiligen Ordanischen Armee aus dem Dickicht des Waldes hervor, als ob sie dieses gar nicht störte, und stürmte die Aufständischen. Überrumpelt, begannen viele dieser die Flucht zu ergreifen, andere wiederum hielten die Stellung und zogen ihre Waffen. Es strömte aber leider eine immer größer werdende Anzahl an Großteils jungen Soldaten herbei, die scheinbar kein Ende zu haben schien. Voll Tatendrang ließen diese ihre Kampfesschreie von sich und attackierten die alethischen Kräfte hier hoch zu Pferden und mit Speeren. Zu allen Seiten fielen die Männer. Einige der Angreifer wurden natürlich auch erwischt, doch für die Rebellen sah es wirklich nicht rosig aus. Die Ihrigen starben wie die Fliegen.
Einstweilen war vom vorübergehenden Befehlshaber, Lucius, keine Spur. Es war fast schon so, als wäre er vom Erdboden verschluckt worden. Die Menge der gegnerischen Kräfte erreichte bald kritische Ausmaße. Diejenigen, die noch zurückgeblieben waren, um den Angreifern die Stirn zu bieten, hatten nun keine Chance mehr und wurden niedergestreckt, während die übrigen Männer von ihrer Seite das Weite suchten. Doch Alexanders Kräfte ließen ihnen keine Verschnaufpause. Sie waren ihnen sofort hart auf den Fersen und würden nicht von ihnen ablassen, bis sie die Verfolgten entweder gefangen oder anderweitig besiegt hatten. Zweifelsohne war es ein fulminanter Sieg für dieses Regiment der Heiligen Armee, doch gab es auch beachtlich viele, die ihnen entkamen. In den wilden, unerforschten Pinienwäldern Translimesiens zerstreuten sich diese, wo sie auf Nimmerwiedersehen entschwanden.
Ein Mann namens Lucius Cornel war allerdings weder unter den Gefangenen, noch konnte man ihn unter den Gefallenen vorfinden. Diese Tatsache würde nach all dem Chaos allerdings etwas benötigen, um dem Kommandanten, Generalmajor Kuhn, bekannt zu werden. Dieser ritt unterdessen selbstgefällig heran, stapfte über das Schlachtfeld und prahlte bei seinen Gefährten, wie sehr dieser Erfolg seiner guten Führung zu verdanken war. Der Freiherr, der in dem Moment nebenan stand, zog es vor hierzu besser nichts zu sagen, verdrehte aber die Augen.
Der Einfall, der seinen eigenen Überlegungen entsprang, hinterließ einen bitteren Nachgeschmack in seinem Mund. Im Selbstzweifel saß Wenzel immer noch auf einem der „Herzchensessel“ und grübelte. „Nein, ich werde das so machen!“, fällte er letztlich die Entscheidung. Anbei befand sich immer noch Frau Vogt, bewacht von ein paar Reichsgardisten, welche die Truppen auf ihrer Mission hierher begleitet hatten, um seiner Majestät beiseite sein zu können. Der gefangene Etzel hingegen war bereits unterwegs in die Hauptstadt. Die Unsicherheit darüber, was sie nun erwartete, brachte Petra um, und sie saß gespannt wie ein Flitzebogen, ab und an zitternd, und mit gefalteten Händen da. Was würde Wenzel jetzt mit ihr machen? War dies tatsächlich schon ihr Untergang? Einleuchten würde es, wenn dies so wäre.
Somit rang sie sich durch ihn anzusprechen: „Kann ich dich fragen, was du jetzt mit mir vorhast?“ Der Erkorene stutzte etwas, da sie ihn wieder nicht in der verlangten Höflichkeitsform adressierte. Dann gab er ihr aber doch eine Antwort: „Ich empfinde nicht das geringste bisschen Sympathie für dich. Das gesagt habend, gibt es kein Verbrechen, das ich dir nachweisen kann, und ehrlich gesagt, glaube ich, dass du in dieser Sache unschuldig bist.“ Als sie das vernahm, musste sich die Dame irrsinnig anstrengen, um nicht ihr hämisches Amüsement über die Schlussfolgerungen des Kaisers zu enthüllen.
„Folglich habe ich entschieden, dich gehen zu lassen.“ Das kam als eine große Überraschung für sie, und obgleich es kontraproduktiv sein durfte, MUSSTE sie nun eine Nachfrage stellen. „Hegst du…. Hegt Ihr denn gar keinen Hass gegen mich? Immerhin habt ihr damals August etwas angehängt, um ihn loszuwerden!“ – „Das ist wohl eher deine persönliche Sache. Für mich ist etwas, das im Jahre Schnee passiert ist, gegessen“, erklärte ihr Gesprächspartner ihr da. Seine zugespitzte Aussage hatte einen überaus provozierenden Effekt auf Petra, tat er doch ihre Gefühle so geringschätzig damit ab. Sie schluckte ihre Wut darüber hinunter, da sie ihre Position hier nicht gefährden wollte und vorerst ihre Schäfchen lieber ins trockene brachte. „Ruhig Blut! Ich kann es mir nicht erlauben hier jetzt auszurasten“, sprach sie sich in Gedanken selbst zu.
Anschließend ergab sich aber auch schon etwas Neues. Eine der Wachen kam herein und informierte sie: „Erwählter Gottes, Generalmajor Kuhn ist zurückgekehrt!“ – „So schick er ihn her!“ Schnellen Schrittes stampfte dann der Jungspund in die Stube und trat vor seine Heiligkeit. Einen Augenblick schien er abgelenkt von der Verwüstung und den garstigen Spuren des Kampfes, die man hier noch sehen konnte, zu sein. Dann wandte er sich aber gleich wieder Wenzel zu. Dieser blickte ihn relativ emotionslos an und bat ihn gleich darum, Bericht über ihre Operation gegen die Rebellen zu erstatten. Alexander sammelte sich kurz, und legte dann Folgendes dar:
„Wir haben die Aufrührer absolut zerschmettert. Die meisten von ihnen zogen den Schwanz ein und versuchten das Weite zu suchen, als sie sahen, wie meine Männer, von mir persönlich an der Spitze angeführt, auf sie losstürmten! Ein paar Wenige sind uns entronnen, aber alles in allem war es ein vernichtender Schlag gegen die Alethiker.“ Hierauf fuhr sich der Kaiser mal wieder mit den Fingern durch den Bart. Er wog die Worte des Jungen ab. Auch seine Hoheit verstand rasch, dass dies wohl ein Haufen Eigenlob war. Aber hatte es zumindest irgendeine Basis? „Komm mal kurz her!“, befahl er dem Kuhn Sprössling somit. Dem wurde Folge geleistet und der Magier warf einen schnellen Blick in dessen Erinnerungen. „Lass mich, bitte, hinein“, ersuchte Wenzel ihn und der Bursche gehorchte. Was sich ihm hier offenbarte, war, dass Alexander seine Rolle im Kampf zwar übertrieben hatte – er hatte die Truppe nicht vorne angeführt – doch war die Behauptung der Zerschlagung dieses Widerstandsnestes definitiv korrekt. Es waren ihnen jedoch auch Unzählige entkommen.
Ein wenig beschämt, da er sich beim Flunkern erwischt fühlte, drehte sich der Jugendliche weg. Dann wollte der Erkorene aber noch etwas Wichtiges in Erfahrung bringen: „Und was ist jetzt mit Lucius Cornel?“ – „Wir haben alle Leichen besichtigen lassen. Keiner hat ihn gesehen oder identifizieren können“, gab der Bursche ratzfatz zur Antwort. Seine Majestät war, wie es zu erwarten war, nicht sonderlich erfreut über eine solche Nachricht. Während all dem saß Petra immer noch anbei und lauschte allem, was die zwei so besprachen. Schließlich kehrte sich Wenzel ihr aber zu und sagte: „Bist du noch immer hier? Hast du nicht gehört, was ich dir vorhin gesagt habe? Du bist entlassen. Geh!“
Die Dame war einen Moment wie betäubt, erhob sich dann aber und schritt beim Eingang hinaus. Ungläubig gaffte der junge Generalmajor dieser nach, dann wieder zurück zu seinem Herrscher. „Wie? Ihr wollt die Kriminelle einfach ziehen lassen? Wieso?“ Wenzel wirkte genervt von dessen Frage und erwiderte diesem barsch: „Weil ich es so entschieden habe. Und jetzt sei still! Ich werde die Angelegenheit sicher nicht mit Kindern diskutieren!“ Daraufhin traute sich Alexander keine Gegenrede zu geben. Der Zauberer beorderte ihn dann die Soldaten schleunigst wieder startklar für die Rückreise nach Ordanien zu machen. Er sprach: „Das Camenische Königreich wird keine Freude haben, wenn wir hier, ohne vorher gefragt zu haben, einfach auf seinem Territorium verweilen. Und die Bevölkerung hier würde es sicher auch nicht gutheißen. Also haltet euch ran! Macht, dass ihr wieder nach Hause kommt!“
Als der junge Militär schon wieder aufbrechen wollte, trug er allerdings dann doch noch ein Anliegen an seine Hoheit heran: „Sind wir damit wirklich schon wieder mit unsrer Unternehmung am Ende, Eure Majestät? Die Ketzer sind sicher noch an vielen Orten versteckt. Wenn ich nach Meglarsbruck heimkehre, wird Ulrich meine Ausbildung fortsetzen, statt mich in den Kampf ziehen zu lassen. Bitte, lasst mich weiterkämpfen!“ Wenzel verstand diesen Gedankengang seines Bittstellers. „Eigentlich brauche ich ihn hier nicht mehr, aber….naja, was soll’s! Wenn er nach einem Zweck im Leben sucht, kann ich ihm einen solchen anbieten.“ Folglich entgegnete er ihm: „Eine Sache hätte ich noch, die du für mich erledigen könntest.“ Als er das hörte, hellte sich die Laune des Jungen schlagartig auf.
Anfangs war sie noch langsam davonspaziert, aber als sie außer Sichtweite war, nahm sie dann ordentlich an Geschwindigkeit auf. Zwar wäre es wohl lächerlich anzunehmen, dass Wenzel es sich auf einmal anders überlegen würde und ihr nachjagte, um sie erneut gefangen zu nehmen, doch in ihrem Geist hielt sich immer noch hartnäckig ein kleines Restchen der Furcht, die sich dort eingenistet hatte. Minute um Minute verging und sie entfernte sich immer weiter von der Alten Teichstube. Dann erreichte sie schon die Einstundenmarke. Immer noch hatte sie niemand versucht zu holen. Dem Anschein nach hatte der Kaiser es mit ihrer Freilassung wahrhaftig ernst gemeint.
„Was für ein Idiot!“, begann sich Petra nun im Selbstgespräch über diesen auszulassen. „Ich konnte ihn tatsächlich reinlegen. Puh! Was habe ich Schwein gehabt! Hätten sie Lucius dann noch erwischt, wäre ich dran gewesen. Glücklicherweise waren Etzel und Fulco di Alduinos Bruder klug genug, dem Hexer nur minimalste Informationen preiszugeben, was bezüglich der Sachlage mit Lucius ein Lebensretter für mich war. Es hat nicht Etzels Leben gerettet, aber zumindest meines.“ Dann juckte es sie auf der Nase und sie kratzte sich dort. Irgendetwas schien ihr noch Ungemach zu bereiten. Was war es nur?
„Wenn der Dämonenkaiser mir meine Lügen abgekauft hat, wonach es im Moment aussieht, wird er vielleicht sogar eine Weile hierbleiben, um denjenigen, der die Situation mit dessen Tochter zu verschulden hat, abzupassen. Ha, da kann er aber lange warten! Genau das war mit meiner Mogelei auch beabsichtigt.“ Es war eine weise Entscheidung von ihr gewesen, sich dem Erkorenen zu fügen und ihn nicht feindselig zu behandeln. Ihre Freude über den positiven Ausgang dieser dramatischen Notlage für sie, wurde aber wiederum durch einen großen Faktor gedämpft: Die Angelegenheit mit Achaz. Jetzt da sie wusste, dass ihr vermeintlicher Komplize sie hinters Licht geführt hatte, war sie scharf darauf ihm seine Hinterlist zu vergelten. Er hatte ihr ihren einzigen Sohn genommen. Oder sagen wir mal so, die Wahrscheinlichkeit, dass dies so der Fall gewesen ist, war ziemlich hoch.
Sie hatte ihren Achaz geliebt…..irgendwie zumindest. Ihre Reaktion auf Wenzels Schlussfolgerungen, die diesen anlangten, waren vielleicht ein wenig gekünstelt gewesen, doch war sie in der Tat schockiert über die Offenbarungen gewesen, auf die der Herrscher da mit seinem Intellekt gestoßen war. Herr Cornel hingegen hatte ihr Vertrauen missbraucht und dafür würde er bezahlen! Ihre Reise würde ins Kascharenland führen. Wenn sie Lucius wo finden konnte, dann würde es dort sein. Somit schritt sie weiter voran. Ihr Pferd war in all dem Durcheinander verschwunden und es war wohl sinnlos die Suche nach diesem zu beginnen. Per pedes ging’s Richtung Nordosten. Es lag ein weiter Weg vor ihr.
Eine Stunde später war hier die Ruhe eingekehrt. Nur noch der Kaiser und seine Garde waren in dem verwüsteten Gasthof vorzufinden. Stillschweigend und in Gedanken versunken, trudelte Wenzel hinüber zum Tresen, schenkte sich ein Glas Wasser ein, da er üblicherweise keinen Alkohol trank, und sinnierte weiter. „Ich vermute, dass sie den Köder geschluckt hat“, ging es ihm durch den Kopf. Weiterhin starrte er auf den hölzernen Wandverbau, auf dessen Regalen unzählige Flaschen verschiedenster Spirituosen zur Schau gestellt waren. Die Reichsgardisten standen nur untätig daneben und wussten nicht recht, was los war. Sie trauten sich aber auch nicht bei ihrem Herrn nachzufragen.
„Haben es diese Halunken doch tatsächlich geschafft ein ganzes Heer an Freischärlern direkt unter unserer Nase aufzubauen, ohne dass auch nur irgendwer etwas davon geahnt hatte. Sie waren einfach auf die andere Seite der Grenze gewandert, um sich dem starken Arm des Reiches zu entziehen. Könnte womöglich der König Camenias dies erlaubt haben oder zumindest diesbezüglich ein Auge zugedrückt haben? Nein, wohl eher nicht. Es ist anzunehmen, dass das weitgehend autonome Camenia dem Herzland des Heiligen Reiches nicht sonderlich rachsüchtig gegenübersteht, und wohl eher friedsame Koexistenz mit seinem übermächtigen Nachbarn bevorzugt. Dieses Projekt ist wohl eher den reaktionären Überresten des kurzen Alethischen Interregnums zuzuschreiben.
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Es ist wohl besser einzeln und auf gewitzte Weise mit dessen Rädelsführern umzugehen. Etzel von Gellingen, der Feldmarschall des alten Regimes, wird die Todestrafe bekommen. Was den Herrn Von Alduino angeht, ist es sicher ratsamer mit diesem gnädig zu sein, da eine Fehde mit einem großen camenischen Adelshaus auf jeden Fall einen destablisierenden Effekt haben würde.“
Weisheit vor Emotionalität, das war hier das Credo. Und der Magier meinte es damit todernst. In Bezug auf die Vogt war er mit derselben Einstellung vorgegangen. Er hasste sie so sehr, oh, wie entsetzlich doch sein Hass für diese Frau war! Und doch hatte er sich beherrscht und im Gespräch mit ihr all seine emporsteigenden Gefühle unterdrückt.
„All das habe ich getan, um sie dorthin zu lenken, wo ich sie haben will, um mein Ziel zu erreichen. Anhänger der alethischen Tyrannei sind nämlich sicher nicht nur hier rekrutiert und ausgebildet worden, da bin ich mir einhundertprozentig sicher. Es ist davon auszugehen, dass sie in anderen Ländern außerhalb Ordaniens noch weitere Kräfte sammeln. Und Petra weiß ganz sicher davon. In dem Glauben mir Sand in die Augen gestreut zu haben, wird sie sich nun zu ihren Alliierten begeben. Und ich werde sie finden. Es ist unmöglich, dass ich sie nicht finde, was auch immer sich hier ergibt.“ Als ihm dies durch den Sinn ging, klopfte er zufrieden auf den Rucksack, in dem er alle seine Heiligen Artefakte verstaut hatte.
„Ich habe sie nicht entkommen lassen, denn sie kann mir gar nicht entkommen. Ausnutzen werde ich sie, damit sie mich unwissentlich zu weiteren Verrätern und vielleicht sogar zu Lucius, oder gar zu meiner kleinen Viktoria führt. Dann, wenn sie keinen Nutzen mehr für mich hat, wird sie sterben!“
Seine Hoheit saß mit einem leichten Schmunzeln immer noch allein an dem Tresen. Dieses war aber nur flüchtiger Natur, da er sich sogleich wieder entsinnte, dass er nicht das hatte, was wirklich für ihn zählte: seine Tochter. Erst danach instruierte er seine Wachen, mindestens einige Tage lang mit ihm an diesem Ort zu verweilen. Laut seiner Majestät warteten sie, ob nicht vielleicht ein Mann namens Lucius Cornel hier aufkreuzte. Dieser war angeblich ein kleinerer Mann, mit ungepflegtem, schwarzem Haar. Es war eine überaus nichtssagende Personenbeschreibung. Nun, ja, was half es ihnen? Seine Heiligkeit hatte etwas entschieden und dieser war über jeden Zweifel erhaben. Somit ließen sie sich hier vorerst nieder. Doch begannen sie sehr bald schon aus eigenen Stücken die Räumlichkeiten hier zu putzen, da deren Abscheu hervorrufender Zustand unerträglich war.
Eine riesige, flache Einöde, deren teils schneeweißen, dann wieder schmutzigen, gräulichen Ebenen sich bis zum Horizont erstreckten. Es war ein Flecken Erde, auf dem nichts gedieh, und der unglaublich trocken und hoffnungslos war: Die Geächtetenpfann. Benannt nach denjenigen, über die die Reichsacht verhängt worden war, und welche den Erzählungen nach oft hierher vertrieben oder hier ausgesetzt worden waren, um ihr Ende zu finden. Über die Geister jener, die in dieser unwirtlichen Salzwüste verendet waren, und welche aber immer noch alle, die sie durchquerten, heimsuchten, gab es unzählige Volkssagen und Gruselgeschichten. Vermutlich war dies alles nur Humbug…..so ist es! Fast schon ironischerweise war dieses Ödland direkt am Südmeer gelegen, wodurch es an und für sich ja genug Feuchtigkeit dort geben musste. Dennoch verdunstete hier jeglicher Niederschlag recht bald in den endlosen Salzpfannen dieser Landschaft.
Zur Zeit der Schneeschmelze, also im Frühling, speisten ein paar Siegeflüsse und -bäche die Pfanne mit Schmelzwasser, welche dann, wie ihr Name impliziert, im restlichen Jahr kein Wasser mehr führten. Deren Ursprung waren natürlich die kolossalen Gletscher der kascharischen Hochgebirge, die diesen Landstrich vom Nordosten her eingrenzten. Von einzelnen Abenteuerlustigen oder Nomaden mal abgesehen, lebte hier niemand. Die Reichstraße, welche das Gebiet in Ost-West Richtung durchzog, um letztlich nach Nargyosch, der Hauptstadt Kascharovars zu führen, war die einzige Verkehrsader hier und der einzige Ort, an dem man regelmäßig Menschen antraf. Selbst auf dieser war es aber ein beschwerlicher Trip durch diese Wüste.
Auf eben jene Einöde blickte eine Gruppe an Männern nun in düsterer Ehrfurcht hinunter. Soeben hatten sie eine kleine Anhöhe überwunden, auf der ein allseits bekanntes Denkmal der Gegend stand. Es war die „Hand des Riesen“, die sich nicht allzu weit von Freiburg befand, und in deren Schatten sich nun eine Anzahl an Reisenden langsam zur Geächtetenpfann voranschob. Sie war eine Gesteinsformation aus fünf Basaltsäulen, die einsam aus der Gegend herausragten, und die der Form einer überdimensionalen Hand glichen. So einige Mythen über deren vermeintliche Entstehung existierten, unter anderem eine, die erzählte, dass einst ein Steinriese aus den Bergen nach Ordanien vordringen wollte, aber es nicht ganz durch die Geächtetenpfann schaffte, wodurch er schließlich hier an ihrem Rand seinen Geist aushauchte. Traditionell markierte seine Hand somit den Anfang der Salzwüste.
Lucius und die Überlebenden, die nach dem Überfall auf ihr Lager nicht aufgegeben hatten, hatten unabgesprochen und mehr durch Zufall zusammengefunden, und schritten jetzt gemeinsam ihrem Ziel entgegen: Dem geheimen Quartier der Kascharischen Horden jenseits dieses Ödlands. Sie waren ein armselig winziges Grüppchen. Der trockene, befremdliche Geruch des Salzes stieg ihnen in die Nasen. Lucius hoffte nur, dass das Wasser, welches sie zuvor in größtmöglicher Menge auf ihre Packtiere geladen hatten, bis zum Ende für sie ausreichen würde. Das, was in der Luft lag, reizte seinen Riechkolben und er musste schon bald kräftig niesen. Als er sich dann seinen Zinken mit einem Taschentuch abwischte, bemerkte er, wie die Sonnenstrahlen, die er im Rücken hatte, einen Schatten vor ihm auf den Boden warfen. Es war jedoch nicht jener von der Hand des Riesen, denn dieser bewegte sich!
Bange drehte er sich unmittelbar um und blickte hinauf, um zu sehen, womit er es hier zu tun hatte. Das Gestirn ließ ihn aber schon beinah erblinden und er wandte sich benommen ab. Außer irgendwelchen schwarzen Umrissen hatte er nichts ausmachen können. Als sich Lucius optische Wahrnehmung so halbwegs wieder erholt hatte, schaute er nochmals hin. Das Ding war deutlich größer geworden, denn es war nähergekommen, und nun konnte man erkennen, dass es sich um eine Person handelte. Ihr Abstand zu ihnen verringerte sich noch mehr und schließlich war sie schon ganz nah bei ihnen. Erst jetzt sah der Strubbelkopf, um wen es sich handelte. Es war das Mädchen mit karmesinroten Haaren. Den Herrn Cornel durchfuhr da der blanke Horror! Alle anderen von diesem Überbleibsel der Lanzknechte blieben auch sofort stehen und erstarrten, passend zu ihrer Umgebung, zu Salzsäulen.
Aus irgendeinem unerfindlichen Grund trug Viktoria ein Kleid, das mit traditionell bäuerlichen Mustern bestickt war. Des Mädchens Augenschein war direkt auf Lucius gerichtet. Er rührte sich nicht, hatte aber eine üble Vorahnung. „Ist sie wegen mir hier? Nein, das gibt’s nicht. Sie kennt meine äußere Erscheinung gar nicht. …..Oder etwa doch?“ Nicht weniger beunruhigend war die Visage, die sie machte. Mit roten Äderchen im Weiß ihrer Augen, wirkte sie ermattet und reizbar. Die junge Dame sank herab und landete auf dem Boden vor demjenigen, der Achaz auf dem Gewissen hatte. Sie betrachtete den Mann kurz, wandte sich dann aber um, und warf einen Blick auf die Hand des Riesen. Danach sprach sie:
„Ich habe diesen Ort hier und genau diesen Moment jetzt in einem Traum gesehen. Darum bin ich hergekommen, um zu sehen, was es damit auf sich hat.“ Dies ließ das Hirn von Lucius sogleich auf Hochtouren laufen. „Also weiß sie nicht, wer ich bin! Gott sei Dank!“, ging es dem Herrn da gleich durch den Sinn. Auf der Stelle versuchte er mit einem neuen Trug aufzuwarten, um die Situation für sich ausnutzen zu können. Somit entgegnete er ihr nach einer kurzen Pause: „Es ist wohl göttliche Vorsehung, dass wir uns hier treffen, junge Dame. Dürfte ich deinen Namen wissen?“ Der Rotschopf drehte sich zu ihm hin. Ihr Gesichtsausdruck ließ einem das Blut in den Adern gefrieren. „Sieh mich einfach an. Allein schon meine Haarfarbe sollte dir klarmachen, wer ich bin“, äußerte sie einfach. Der Adressierte tat so, als ob er dies erst jetzt bemerkte und gab ihr zur Antwort: „Oh, eine Magierin! Moment, dann bist du, bist du etwa die Prinzessin?“ – „Wenn man es so sehen will, ja.“
Es fügte sich nun so, dass der Sohn Gabrielas augenblicklich das Richtige aus der soeben gefallenen Aussage herauslas. Er erwiderte ihr das Folgende: „Das wird dich jetzt ganz sicher überraschen, aber ich habe schon mehr über dich gehört.“ Neugierig starrte ihn Viktoria daraufhin mit einem Gesicht, das immer noch ein emotionales Wrack war, an. Er führte aus: „Mein Neffe hat dich mir gegenüber ein paar Mal erwähnt. Achaz ist sein Name. Er hat viel Nettes über dich zu sagen. Ich heiße Bertram. Schön dich kennenzulernen!“ Ihre Reaktion auf seine ausgestreckte Hand ließ etwas auf sich warten, da sie offenkundig von seinen Behauptungen betroffen war. Letztlich gab sie ihm aber doch ein Händeschütteln und stellte sich nur mit ihrem Vornamen vor.
„Ich will dir etwas sagen, weiß aber noch nicht, wie ich es tun soll. Gib mir, bitte, etwas Zeit“, stieß sie nun melancholisch und fast schon im Flüsterton hervor. Ihr Gegenüber kam ihr da sofort entgegen und sagte: „Sicher doch. Aber wir müssen jetzt schon weiter, da wir wohin müssen. Du kannst uns einfach durch die Salzwüste begleiten, wenn du willst.“ Somit schloss sie sich der Bande hier vorübergehend an. Während das Mädchen neben Lucius herging, war ein riesiges Ungemach und eine Furcht in den Reihen der Männer hier zu verspüren. Diese Jugendliche machte ihnen Angst.
Es war ein heißer Tag und die Reisegruppe kam nur recht schleichend voran. Sie mussten ja auch die zusätzliche Strapaze auf sich nehmen, die zermürbenden Trampelpfade durch die Geächtetenpfann zu beschreiten, da sie als regimefeindliche Kräfte logischerweise nicht einfach die Hauptstraße nehmen konnten. Auch das kleine Teufelskind schleppte sich scheinbar langsamer werdend vorwärts. Sie war die ganze Zeit über still, doch von einem Moment auf den anderen brach plötzlich etwas aus ihr hervor, das sie offenbar zuvor nicht auszudrücken vermocht hatte: „Dein Neffe ist tot. Mein Vater hat ihn getötet. Tut mir wirklich leid.“
Fassungslos erwiderte „Bertram“ da: „Was? Achaz ist…tot? Ist das wahr?“ Zur Antwort gab das Mädchen nur ein fast unmerkliches Kopfnicken. „Oh, weh mir! Er war doch noch so jung!“, äußerte der Betrüger da viel zu theatralisch. Das Ausbleiben einer relevanten Reaktion Viktorias ließ ihn allerdings darauf schließen, dass sie ihm seine vorgegaukelte Bestürzung abkaufte. Ansonsten hätte sie ihn wohl eher feindselig behandelt. Nichtsdestotrotz war der Mann sehr beunruhigt. Er musste bei jeder Aussage, jeder Mimik und Gestik äußerste Vorsicht walten lassen, wenn er das Geschehen hier zu seinen Gunsten manipulieren wollte. „Auf dem Spiel steht hier nichts Geringeres als mein Leben!“ Warum glaubte er so etwas? Der Eindruck, den die Prinzessin bei ihm machte, war jener größter Angespanntheit, und zwar in solchem Ausmaß, dass man meinen könnte, ihre Nerven würden jeden Moment mit ihr durchgehen.
Dennoch sprach er nun weiterhin mit ihr, nur eben in einem explizit sanfteren, niederschwelligen Ton. Sein Ziel würde es nun sein, die Teenagerin auf seine Seite zu ziehen, um sie für sich ausnutzen zu können! Dies war ein kühnes Vorhaben, wenn man bedachte, dass er sich selbst damit mit einem Fuß im Abgrund platzierte. Das wusste Lucius allerdings sehr genau. In seinen Vorstellungen war seine ganze Existenz sowieso schon lange nur noch ein Tanz auf dem Eis.
Er wusste, wie er das Kind rumkriegen konnte. Das Einzige, dem es bedurfte, war es die schwer beschädigte Beziehung Viktorias mit ihrem Vater auszunutzen, um sie dazu zu bringen, die Dinge zu tun, die er wollte. Auf ihrer Reise durch die Einöde hatte er nun Zeit mit dieser zu sprechen und langsam etwas Vertrauen zu ihm bei ihr aufzubauen. Und dann, wenn der richtige Moment gekommen sein würde, würde er zuschlagen. „Bist du deshalb hier draußen im Niemandsland anstatt einem Palast?“, fragte die Person, welche vorgab Bertram zu heißen dann. Dem fügte er nach einer kurzen Sprechpause hinzu: „Ich kann es verstehen, wenn man Diskrepanzen mit der eigenen Familie hat, das kann ich wirklich. Aber dein Fall wirkt mir doch ein wenig…..ausufernd.“ Viktorias Lippen blieben hierzu versiegelt. Dies hätte der Herr Cornel eigentlich wissen müssen.
Folglich schwenkte er lieber auf ein anderes Thema um und erzählte ihr eine Weile von schöneren Dingen, wie etwa ein paar netten Ereignissen aus seiner Kindheit. Natürlich waren diese alle erfunden und nicht tatsächlich passiert. Langsam wurde es dann Abend und sie schlugen ihr Lager für die Nacht auf. Es zeigte sich hier schon der erste kleinere Erfolg seiner vehementen Arbeit an dem Mädchen, da sie ihm im Schein des Lagerfeuers darüber erzählte, wie sie immer gern die Enten am Teich füttern ging. Erst am nächsten Tag wagte er dann den Schritt sie über die Natur ihre „Reisegemeinschaft“ hier aufzuklären. „Auf die Gefahr hin hier mich selbst zum Untergang zu verdammen, muss ich dir noch etwas über uns sagen. Wir sind antimelgaristische Kämpfer. Wir sind also Feinde des Regimes, dessen Gallionsfigur dein Vater ist.“ Als die Jugendliche daraufhin, „Es ist in Ordnung. Ich werde euch nichts tun“, entgegnete, war der Mann überglücklich. Das erste große Hindernis hatte er bei ihr nun überwunden.
Der faule Geruch des Morasts waberte durch die Luft. Es war bereits dunkel geworden und der junge Krieger musste sehr genau aufpassen. Die Feuchtigkeit und der Moder drangen in Alexanders Nasenhöhlen, während er sein Reittier kurz zum Stillstand brachte, um eine Fackel anzuzünden. Es war vielleicht nicht die cleverste Idee, da man seine Präsenz auf diese Weise schon vom Weitem sehen konnte, doch was sollte er sonst machen? Er konnte, nein, er durfte sie nicht verlieren. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund hatte sie es nicht, wie sonst auch immer, für heute Schluss sein lassen und sich zur Nachtruhe begeben. Sie wanderte einfach weiter und weiter.
War sie denn gar nicht müde? Welchen Zweck verfolgte sie mit so etwas Sinnlosem? War ihr womöglich aufgefallen, dass ihr jemand nachstellte? Das könnte eine Veränderung in ihrem Verhalten zwar erklären, aber dieses dennoch nicht logisch nachvollziehbar machen. Die ganze Nacht durchzumachen, würde ihr nicht helfen ihn abzuschütteln, das war mal klar. Noch dazu hatte sie ja gar kein Pferd, so wie er. Also was war hier jetzt los? Der Kuhn Sprössling konnte sich keinen Reim darauf machen.
Im Licht seiner Fackel trabte er dann weiter. Seine Hoheit hatte Alexander mit der Mission beauftragt, Petra Vogt zu verfolgen, selbstverständlich ohne dabei aufzufliegen. Sie würde ihn zu einem weiteren Ketzernest führen, welches die Heilige Armee dann auch ausräuchern können würde. Es war eine gute Idee. Doch war der junge Mann nicht recht erfahren in der Beschattung anderer. Es war ihm bisher überaus schwergefallen, die Fährte der Frau nicht zu verlieren. Doch er war ihr immer noch auf den Fersen. Die Abdrücke im Schlamm waren unverkennbar, und ihnen zu folgen, war ein Leichtes. Hier, wo die abzweigenden Duhnarme, die weiter östlich dessen Delta bildeten, ein Marschland erschufen, war es leicht jemandes Spur zu folgen.
Gleich den sich auffächernden Armen des großen Stroms verfloss die Zeit hier an diesem einsamen Flecken unmerklich, aber unaufhörlich. Außerhalb der Sphäre, die der Lichtkegel der Flamme erzeugte, schien nichts zu existieren, fast schon so, als ob dies hier sein eigenes Universum war. Ganz aus der Nähe drang lautes Froschquaken zu ihm heran. Alexander merkte, dass er in dieser Monotonie langsamer wurde und drängte dann wieder etwas mehr vorwärts. Einen unbestimmten Zeitraum später erschrak er allerdings. Viel zu knapp vor ihm erkannte er plötzlich eine menschliche Gestalt vorne zu seiner Linken. „Oh, nein! Hab ich’s etwa schon versaut, weil ich nicht genau genug aufgepasst habe? Bin ich Frau Vogt über den Weg gelaufen, weil sie sich jetzt doch irgendwann für eine Pause entschieden hatte?“, schoss es ihm ein.
Dem war nicht so. Das Bisschen an Beleuchtung, welches die Figur im Schatten der Nacht erreichte, enthüllte einen mittelalten Herrn, mit einem Schirmhut auf dem Kopf. Es war aber klar, dass die Spuren, denen der Bursche gefolgt war von dieser Person stammten, da die Fußabdrücke hier bei diesem Herrn endeten. Jetzt schwante ihm Übles, und Alexander ritt sogleich an den Wanderer heran. „Guten Abend! Wer sind Sie denn und was machen sie hier?“
Ein von Alter gezeichnete Gesicht wandte sich ihm daraufhin zu. Nun konnte man auch ein paar Fischerhaken erkennen, die in dem Hut, den der Mann trug, steckten. Scheinbar angefressen erwiderte ihm dieser: „Ich hab mich hier gar nicht zu rechtfertigen, Jüngchen! Ich wohne hier! Hast wohl noch nie vom Nachtfischen gehört, was? Brassen und sogar Karpfen beißen besser, wenn’s finster ist.“ Der junge Militär biss sich infolge auf die Zähne. Ohne sich zu entschuldigen, ritt er zuerst vor. Als er dann sah, dass in diese Richtung keinerlei Fußtritte zu sehen waren, kehrte er um und ritt, wie gehetzt, denselben Weg zurück. Es war eine Katastrophe! Er hatte Petras Fährte verloren. Jetzt musste er sich sputen, denn je länger er brauchte, um ihre Spur wiederaufzunehmen, desto geringer wurden seine Chancen diese wiederzufinden.
Doch das war leider vergebens. Die ganze restliche Nacht und den kommenden Tag versuchte er sein Ziel ausfindig zu machen, aber sie hatte sich offenbar in Luft aufgelöst. Alexander war am Boden zerstört. Er war überzeugt, dass seine Majestät ihm sein Scheitern übelnehmen würde. Am allermeisten aber, traf ihn die Sache selbst. Wieder einmal hatte er versagt. Er hatte nicht nur andere, sondern auch sich selbst enttäuscht. Warum? Warum nur war er so nutzlos!