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Das Heilige Reich [German]
1. 08 Die Heilige Stadt

1. 08 Die Heilige Stadt

Über unendlich weite Ebenen flog der Erkorene. Er hatte bereits die Wetterscheide der Limesischen Berge hinter sich gelassen. Obwohl es hier in Camenia eigentlich erheblich wärmer als in seiner Heimat sein musste, spürte er hier oben in den höheren Schichten der Atmosphäre nichts davon. Ein bitterkalter Wind sauste ihm um die Ohren und die Glieder schmerzten ihn von der Kälte, aber das Szepter zeigte weiterhin gen Süden. „Wo wirst du mich nur hinführen?“, fragte sich Wenzel, während er die hügeligen, ausgetrockneten Landschaften des Camenischen Königreiches überflog. Kleinere und größere Siedlungen zogen unter ihm hinweg. Ab und an kreuzte er sogar den Pfad mit einem Vogelschwarm. In der weitesten Ferne konnte er nun sogar schon das endlose Blau der Südsee erkennen. Wo war der Reichsapfel?

Er überquerte Galadea. Dann ging das Licht im blauen Stein des Szepters, das er nach vorne gestreckt hatte, um ihm den Weg zu weisen, aus. „Endlich tut sich was!“, verlautete der Magier da. Er drehte sich um und stellte fest, dass das Heilige Artefakt ihn zur Heiligen Stadt Galadea wies. Wenigstens war es hier und nicht am anderen Ende der Welt oder gar in den Tiefen des Ozeans. Das wäre durchaus ein Problem gewesen! Als der vom Licht des Steins Geleitete auf die Hauptstadt Camenias Kurs nahm, begann er auch immer mehr an Höhe einzubüßen. Er reduzierte seine Geschwindigkeit und begann Schritt für Schritt immer mehr Details der ersten Hauptstadt des Reiches erkennen zu können.

Eine antike Stadt, auf sechs Hügeln erbaut. Wenzel kam ihr immer näher und fing an, die heruntergekommen wirkenden Dächer vieler der alten Gebäude zu erkennen. Vieles hier schien aus eher grauem Stein gehauen zu sein und nahm natürlichere Farbtöne als die oft schneeweiß oder sogar bunt bemalten Kirchen in Ordanien an. Schließlich kam er dann schon weit genug herab, um die Blütendüfte dieses ihm fremden Klimats, gemischt mit dem Salz der vom Wind herbeigetragenen Meerluft riechen zu können. Es gab ihm ein ganz eigenes Gefühl und versetzte ihn gleich in eine ganz andere Welt hinein als die, die er sonst kannte. Dann begannen aber gleich ein paar Denkprozesse in seinem Oberstübchen abzulaufen. „Ich will nicht als der Souverän erkannt werden, ansonsten mobben mich gleich hunderte von Schaulustigen“, prognostizierte seine Hoheit.

Folglich landete Wenzel am Rande der Stadt an einer Stelle, wo er möglichst unentdeckt blieb, und ging zu Fuß hinein. Er hatte ohnehin einen dicken, grauen Mantel an, damit er beim Flug nicht allzu frieren musste. Jetzt würde dieser auch gleichzeitig als seine unauffällige Tarnung dienen. Obwohl er natürlich seine Identität mit dem Kleidungsstück gut verbergen konnte, war es darin irre heiß. Es war fast schon Sommer und die Sonne in diesem subtropischen Breitengrat brutzelte einen während der Tageszeit förmlich. Der verhüllte Mann machte sich auf in die Metropole. Auf der einen Wegseite waren ein paar schäbige Gehölfte, auf der anderen säumten unglaublich hoch gewachsene Zypressen die Straße. Je näher er der eigentlichen Stadt kam, desto mehr wurden erwartungsgemäß die Menschen. Von einer Seitenstraße bog er schließlich auf die „Via Sacra“, die Hauptpilgerstraße, die vom Norden in die Stadt führte. Es war sehr viel Verkehr und Wenzel hing sich einfach an eine Gruppe an, die ebenso ins Stadtzentrum unterwegs zu sein schien. Es waren fast nur Männer und sie alle trugen traditionell weiße Kleidung auf ihrer Wallfahrt in die Heilige Stadt.

Eine kurze Überprüfung der in seinem Ärmel verborgenen „Wünschelrute“ bestätigte ihm, dass er weiter ins Stadtzentrum voranrücken musste. Der Weg führte ihn vorbei an einer Unmenge an Heiligenstatuen. Schließlich passierte er die Stadtmauer, welche den Stadtteil umgab, der heute als Altstadt bekannt war, der aber auch zumeist gemeint war, wenn man von Galadea im historischen oder sakralen Kontext sprach. Auch diese Mauer wirkte schon uralt und fast schon so, als hätte man sie jahrhundertelang nicht in Stand gehalten. Das stimmte womöglich sogar. Das historische Zentrum der Heiligen Stadt zu betreten, war etwas Atemberaubendes, zumindest für die Gläubigen. Jedoch war es das auch für den Kaiser, wenn auch aus einem anderen Grund. Die Pilger bestaunten die zahllosen Tempel, Kapellen und heiligen Stätten, die hier alle auf engem Raum beieinanderlagen. Wenzel hingegen streckte den Kopf nach den Ruinen der alten Aquädukte aus, die mehrere Stockwerke hoch waren.

Er trennte sich von der Reisegruppe, die ohnehin mittlerweile in den eng gedrängten Menschenmassen hier unterging, und ging näher an die baulichen Überreste des großen Aquädukts heran, das die Stadt von Westen her durchzog. Es war eindeutig aus viel größeren und anders geschliffenen Steinen gebaut als die Häuser, die zwischen dessen Stehern aufgezogen worden waren. Aus all den Ritzen und Rinnen des uralten Konstrukts wuchsen allerlei Gräser und anderes Unkraut, das sich mit der Zeit darin angesiedelt hatte. Es war eindeutig nicht mehr in Benützung. Der mittlerweile zum Hobbyhistoriker gewordene Herrscher beäugte die zyklopisch großen Steine vor sich ganz genau. Er war überzeugt davon, dass sie mehrere Jahrhunderte VOR die Zeit Melgars datierten. „Klar ein anderes Stratum“, murmelte Wenzel in seinen Bart hinein.

Dann ging er weiter, dem Strom an Leuten folgend. Die engen Gassen entlang passierte er unzählige Gebäude und kleinere Monumente, die sich anzusehen ihn fasziniert hätte. Jedoch verhinderten die großen Menschenmassen, dass er innehielt. Es war viel Geplapper derer, die ihn umgaben, zu vernehmen. Nicht nur, war da der relativ bekannte galadeische Dialekt zu hören, sondern auch andere Dialekte des Camenischen, ebenso wie viele andere Sprachen. Die Pilger kamen von überall hierher. Der Zug an Menschen bewegte sich langsam voran und mit ihm auch unser Zauberer. Vorbei ging es da an zahllosen Ständen von Händlern, die allerlei Krimskrams, aber natürlich auch warmes Essen und Kleidung anboten. Alles, was man sich vorstellen konnte, war hier zu kaufen. So passierte er etwa Friseure, Fleischhauer, Drogerien und viele, wirklich viele Kirchen.

Schließlich erreichte er einen kleinen Platz, in dessen Mitte ein Obelisk stand. Interessiert steuerte er in dessen Richtung und konnte sich schließlich bis zu dessen Sockel durch die Flut an Leuten durchkämpfen. Hier blieb er nun stehen und blickte senkrecht an dem Monument nach oben. Einst waren hier Inschriften zu lesen, doch hatte man diese offensichtlich bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffen. Ganz unten am Fuße des Obelisken konnte man aber noch eine Zeile, die wie Ostrisulisch aussah, ausmachen. Wenzel kniete sich hin und schaute genau hin. Es war in der Tat Ostrisulisch. Er stand auf und blickte von seiner leicht erhöhten Position nun über den Platz. Alle Häuser hier sahen definitiv alt aus, aber das war nicht, was ihm ins Auge stach. Nein, was ihm auffiel, war, dass die Fundamente aller dieser Gebäude aus einem anderen Material waren als deren Wände. Jedes dieser Häuser hier war auf etwas aufgebaut worden, dass schon vorher hier war. Es war eine Bausubstanz, die ihrem Aussehen nach aus denselben Steinen, also der Logik nach auch in einem ähnlichen Zeitraum gebaut wurden, wie es die Aquädukte waren.

Dies ließ nur einen Schluss zu: Die Kultur, der das Stratum vor der Melgarischen Ära zuzuordnen war, hatte die Aquädukte und auch viele andere der großen Bauwerke hier errichtet. Der Kaiser hatte hier seinen gegenständlichen Beweis, dass man die Errungenschaften und die Bedeutung der vorteleiotischen Kultur hier in der Geschichtsschreibung ausradiert hatte! Natürlich wusste er dies schon, aber er suchte immer nach Beweisen. Er durfte nicht in die Falle tappen, alles zu glauben, was er lediglich gelesen und nicht selbst überprüft hatte. Dann rief er sich aber seine eigentliche Mission hier wieder in die Geistesgegenwärtigkeit. „Ich sollte mich nicht von solcherlei Dingen ablenken lassen!“, tadelte er sich selbst.

Er überprüfte nochmal die Richtung, in die sein Heiliges Artefakt zeigte, dann schloss er sich wieder den zäh dahinziehenden Massen hier an. Hinfort waren nun die süßen Blütendüfte, ersetzt durch die Dämpfe der unzähligen Speisen, die die vielen Essensstände hier anboten. Immer wieder konnte er kleine Jungen sehen, die am Straßenrand den Passanten eine Schuhpolitur um einen einzigen lächerlichen Sesterz anboten. Wenzel ging hin und gab einem Kind, das zerrissene Fetzen trug, einen Sesterz, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Er musste aber aufpassen, um nicht allzu aufzufallen. Im Fluss dieser Menschenmenge sah er dann auch langsam, wie er sich dem Hügel im Herz der Stadt näherte, auf dem das Hauptheiligtum stand. Der Weg führte ihn anscheinend dorthin.

Mit lauten Stimmen versuchten Wanderprediger auf der Seite die Aufmerksamkeit der Besucher zu erwecken. Auch standen da in Nonnengewändern gekleidete Frauen, welche um Spenden baten. Auf ihrem Schild war „Die Barmherzigen Schwestern der Heiligen Elisabeth“ zu lesen. Es war eine große Wohltätigkeitsorganisation, die auch unserem Herrscher bekannt war. Sie operierte überall im Reich, musste also auch hier ein Quartier haben, auch wenn er es nicht kannte. „Es ist ja auch Gutes an der Religion“, ging es dem Kaiser da durch die Gedanken. Trotz all seiner Diskrepanzen mit der Kommune, hatte er nichts gegen den Glauben. Er leugnete ja auch nicht die Existenz Gottes oder stritt das Positive an der Botschaft der Nächstenliebe ab. Nur die Rechtfertigung von Grausamkeit und Ungerechtigkeit im Namen der Religion missfiel ihm in erheblichem Ausmaß. Er spendete auch hier etwas, und verbarg dabei, wie bei dem kleinen Jungen zuvor, dass er eine Goldmünze anstatt eines einfachen Sesterzes hergegeben hatte.

Die Straße machte hier eine Biegung und der Mann folgte ihr. Nach dieser ging der Weg nur noch schnurstracks zum Serapinal hinauf, also dem Hügel, auf dem der Grabestempel stand. Er war das spirituelle Zentrum nicht nur Galadeas, sondern von ganz Kaphkos! An dessen Spitze stand ein Gotteshaus, das als einziges Gebäude der Stadt ein goldenes Dach hatte. Mühselig schleppte sich Wenzel mit den unzähligen Pilgern hier den Anstieg hoch. Links und rechts zogen sich die schönen, aber alten und grauen Bauten an ihnen vorbei, die einen ganz anderen Baustil hatten als alles, was er je in Meglarsbruck gesehen hatte. Der Hügel selbst war umgeben von einer Mauer, die nur vier Tore, in jede Himmelsrichtung eines, hatte. Als sie die Pforte zum wichtigsten Heiligtum des Teleiotismus durchschritten, und ihnen die Reflexion der Sonnenstrahlen vom goldenen Dach herab entgegengeworfen wurde, begannen die Wallfahrer zunehmend religiöse Parolen zu rufen. Auch Wenzel konnte nicht einher, davon im Inneren etwas bewegt zu werden. An einem säuberlich angelegten Park vorbei strömten die Massen hinauf zum höchsten Punkt.

Auf dem Weg dorthin, machte der Magier kurz halt an einem Trinkbrunnen, da er ansonsten noch von der sengenden Hitze kollabiert wäre. Dann ging’s weiter. Schließlich oben angekommen, war er aber ein wenig überrascht. So ansehnlich der Grabestempel gewesen sein mochte, war er doch unerwartet klein. Wenzel betrachtete ihn von oben bis unten, doch er konnte das Bauwerk nicht genau einteilen. Es schien verschiedene architektonische Aspekte aus unterschiedlichen Zeiten und Stilen miteinander zu verbinden. Er war wesentlich weniger davon beeindruckt, als er es vermutet hatte. Auf dem kleinen Plateau, das um diesen herum war, tummelten sich viele Menschen. Der Kaiser wartete noch kurz und wandte sich zuerst lieber dem Ausblick über die Stadt zu. Es war ein großartiges Gefühl alles von hier oben überblicken zu können. Seine Augen schweiften fasziniert über die unzähligen Türme und Bauten aus vergangenen Zeitaltern. Ein großes Stück der Weltgeschichte präsentierte sich hier im Bezirk Saeptasolio in einer Melange unterschiedlicher Ären und Strata, die alle nebeneinander und übereinander zu existieren schienen.

Hier war er nun im Zentrum, an dem Ort, wo der Teleiotismus seinen Anfang genommen hatte und sich über den ganzen Kontinent verbreitet hatte. Die Abermillionen, wahrscheinlich eher Abermilliarden dessen Anhänger, die sich endlos vermehrten und überall hin verbreiteten, sahen in diesem Ort den Nabel der Welt, den Ort ihres Ursprungs. Nachdem er so ein wenig herumgegangen war und sich die Zeit mit der Aussicht verschlagen hatte, machte er sich schließlich dazu auf, das zu tun, weswegen er hier war. Er stellte sich an, um auch hineinzukommen. Am Eingang standen Wachen, die ein ganz eigenes Wappen trugen. Es war ganz anders als die Sonnenfahne des Reiches und jene Triquetrafahne der Teleiotischen Kommune. Das Wappen bildete im Grunde den Grabestempel auf einem dunkelblauen Hintergrund ab. Langsam schob sich die Menge weiter und Wenzel betrat das Gebäude.

Im Inneren war es ungewöhnlich dunkel. Im Kreis waren eine Reihe an Kapellen um eine zentrale Rotunde angeordnet. Inmitten dieser stand ein einziges, kleines Bauwerk, eine Art Minitempel im größeren Tempel. Diese sogenannte Ädikula war umringt von einem Meer an Kerzen, die das sonst finstere Gebäude erhellten. Es herrschte Totenstille. Alle bewegten sich bedächtig und ehrfürchtig durch die Räumlichkeiten. Das Gewölbe über ihnen war mit einem Sternenhimmel bemalt, einer der Wenzel in beängstigender Weise an die Augen Elisabeths erinnerte, damals als er sie in ihren letzten Minuten in seinen Armen gehalten hatte. Ebenso waren natürlich die Ikonen Melgars allgegenwärtig. Der Kaiser schritt unerkannt in die Ädikula hinein, die einem über eine Treppe noch etwas tiefer hinabführte. Hier war nichts außer einem winzigen, engen Raum, an dessen Wänden in Mulden Kerzen brannten. Vor ihm befand sich eine einfache Steinplatte, in die die Umrisse eines Mannes eingearbeitet waren. Keine Inschrift, kein Firlefanz, war auf diesem Grab. Es war so wie Er es gewollt hätte. Keine Erklärung war notwendig. Es war das Grab Melgars, des Erkorenen.

Eine Zeit lang ließ Wenzel den Moment verweilen. „Deinen Titel und dein Erbe habe ich übernommen. Gerecht werde ich dem nie werden“, sprach er zu dem Toten. Er klopfte sich dreimal auf die Brust. Erst danach holte er sein Szepter heraus und aktivierte es. Das Licht leuchtete nur leicht, als er es abwärts auf Melgars Grab richtete. Weiter rechts, aber immer noch nach unten zeigend, wurde das Leuchten wieder etwas stärker. „Er ist nicht hier. Noch weiter unterhalb von hier ist er!“, stellte er fest. „Warum?“, fragte er sich enttäuscht. Die anderen Gläubigen, die nun nach ihm herunterkamen, wunderten sich, was er hier machte, und befragten ihn darüber. Er ignorierte sie, doch bemerkte recht bald, wie das Geflüster der Leute zunahm und dann den Gang hinauf von einer Person zur anderen wanderte. Sie vermuteten wohl richtig, wer er war.

An gaffenden Besuchern vorbei drängte er sich wieder nach oben. Danach ging er zu einem der in Priesterroben gekleideten Männer, der sich gerade an einer der großen Säulen der Rotunde lehnte. Der neue Erkorene streifte seinen Mantel ab und enthüllte seine kaiserliche Uniform, die er darunter trug. Gleichzeitig enthüllte er nun seine magische Aura, um keinen Zweifel an seiner Identität zu lassen. „Gott zum Gruße! Ich bin hierhergekommen, um etwas Wichtiges zu erledigen. Ich vermute, dass dies die vorübergehende Schließung des Heiligtums verlangen wird.“ Der Geistliche war einen Augenblick lang gebeutelt und brauchte ein bisschen, um zu reagieren. Schließlich erhob er dann aber die Stimme und rief einen seiner Brüder herbei: „Die Hüter sollen den Tempel für den Rest des Tages schließen! Seine Heiligkeit ist hier!“ So geschah es dann auch.

„Wir sind geehrt Sie hier im Allerheiligsten des Teleiotismus begrüßen zu dürfen, Eure Heiligkeit!“, ließ der Kommandant des sogenannten Ordens der Hüter des Heiligen Grabes verlauten. Er sprach in einem fast gestelzt klingenden Hochcamenisch, da er womöglich vermutete, dass Wenzel seinen starken Dialekt sonst nicht verstehen würde. Dem konterte der Adressierte sogleich: „Sparen Sie sich die Formalitäten! Ich habe ja mein Kommen nicht angekündigt, daher ist dies ein zufälliger, also inoffizieller Besuch.“ Weiters erklärte er ihnen dann: „Mein Szepter hier kann mir die Richtung anzeigen, in die sich der Reichsapfel befindet. Dieser ist mir abhandengekommen. Meine Suche nach diesem hat mich hierhergeführt, aber es scheint nun so, dass er sich nicht im Grab Melgars oder in diesem Gebäude per se befindet. Offenbar ist er irgendwo UNTER diesem Tempel.“ Die Ordensritter und Priester hörten ihm aufmerksam zu. Ihm fiel auf, dass, während er mit ihnen sprach, ihre Blicke an seinen Augen hängen blieben. Das Funkeln des kleinen Sterns in den Pupillen des Erkorenen schien sie auf magische Weise anzuziehen.

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Als er mit seinen Ausführungen fertig war, schauten sich seine Zuhörer etwas verdattert an. Ein paar von ihnen nuschelten etwas untereinander. Schließlich entgegnete ihm einer der obersten Priester des Tempels: „Unter dem Tempel?....Hmmm. Es gab da immer schon einige Gerüchte, aber ob diese etwaige Substanz haben, bezweifle ich wohl sehr. Mir sind die antiken Zisternen des Serapinal bekannt. Wenn Eure Heiligkeit so wollen, dann kann ich Sie zu diesen führen.“ – „Tun Sie das, bitte“, beorderte Wenzel, ohne ein zweites Mal nachzudenken. Durch die kürzlich von Menschen entleerten Hallen schritt das Gefolge hinaus und die breite Außentreppe gen Osten hinunter. Niemand außer ihnen war mehr hier, was dem Ort hier unverzüglich eine angenehme Idylle verschaffte. Als sie so hinabstiegen, konnte Wenzel vernehmen, wie die Geistlichen hinter ihm leise miteinander sprachen. „….dumme Volkssagen….nicht glauben sollten…..onster“. Anscheinend gab es ein paar Gerüchte über irgendetwas, das sich unter dem Berg befinden sollte.

Der Hügel hatte mehrere „Stufen“, und sie gingen nur eine einzige hinunter. Dann bogen sie gleich wieder links ab und schritten hinüber zu einem kleinen gepflasterten Platz mit Bänken. An dessen Rand, war ein größerer Stein im Boden zu erkennen. Der, der ihn hierhergeführt hatte, sagte nun zu seiner Majestät: „Unter diesem Steindeckel befindet sich die große Zisterne, die vor vielen Jahrhunderten einmal als Wasserspeicher für das Heiligtum diente. Sie ist schon lange nicht mehr in Benützung und es hat schon ewig niemand mehr hineingeschaut. Es gibt keine Pläne davon und ich habe mir sagen lassen, dass sie womöglich bis tief in den Berg hineinführt. Oder das ist alles nur Humbug und die Höhle ist nur ein paar Meter tief. Ich kann es nicht genau sagen.“

„Trotzdem danke!“, kam es von Wenzel. Dann trat er an das große Ding heran und hob es mit seiner Telekinese aus dem Boden heraus. Unter den staunenden Blicken der Anwesenden legte er den Stein möglichst sanft nebenbei ab. Er beugte sich vor und schaute den stockfinsteren Schacht hinunter, den er soeben freigelegt hatte. Der Magier atmete tief aus. „Es hilf nichts. Was sein muss, muss sein!“, ging es ihm durch die Gedanken. „Meine Herren, ich werde bald wieder da sein!“, verkündete er den Rittern und Geistlichen. Dann ließ er sich langsam mit den Beinen voran in das Loch hineinschweben. Sofort danach erzeugte er eine kleine Flamme in seiner Hand, um weiterhin etwas sehen zu können. Der Schacht ging ein paar Meter nach unten, dann öffnete er sich in einen größeren Hohlraum.

Er war so groß, dass man nur eine pechschwarze, gähnende Leere ausmachen konnte. Der Mann flog in eine Richtung und war sogleich an einer dunklen Wand angekommen. Er ließ sich weiter nach unten sinken, bewegte sich gleichzeitig aber in die andere Richtung, um zu ergründen, wo denn hier die nächste Wand war. Nichts, nichts und weiterhin nichts. Er bewegte sich für eine beängstigend lange Zeit nach unten und zur Seite, ohne irgendetwas erkennen zu können. Letztlich erreichte er aber dann doch den Grund. Er landete in einer kleinen Pfütze, die ihm allerhöchstens die Sohlen etwas befeuchtete. „Das Fassungsvermögen dieser Zisterne muss ja unglaublich gewesen sein“, dachte sich der Zum-Höhlenforscher-Gewordene da. Um sich sah er aber immer noch keine Seitenwände. Daher schoss er nun einen Feuerstoß nach vorne. Dieser erweiterte sein Sichtfeld gerade noch weit genug, um etwas in der Ferne erspähen zu können.

Wenzel ging in eben diese Richtung und traf auf eine aus dem Fels gehauene Wand. An dieser entlang ging er nun, bis er schließlich einen Einlass fand. Es war ein Tunnel, der weiter in den Berg führte. „Die Gerüchte stimmen also!“, stellte er erfreut fest. Eine kurze Überprüfung seines Heiligen Artefakts bestätigte ihm zudem, dass er hier lang musste. Auf ging’s. „Moment mal!“, dachte er sich da und überlegte kurz. Er erwog, ob es nicht Dinge geben könnte, die er nicht bedacht hatte, die er vielleicht noch brauchen würde oder beachten musste, bevor er nun voranschritt. Nichts kam ihm in den Sinn. Infolge drang er nun in das Innere des Berges vor. So weit konnte es ja nicht sein….

Es war kühl und feucht hier unten. Vor ihm streckte sich nur der lange, ovale Gang entlang, der einmal mehr nach rechts, einmal mehr nach links eine Biegung machte. Die Echos von herabfallenden Wassertropfen waren zu hören. Ansonsten herrschte hier eher Stille. Stille und Einsamkeit. Was war dieser Ort hier? Und warum hatte man den Reichsapfel hier versteckt? Alles berechtigte Fragen. Schließlich konnte er dann etwas Faszinierendes beobachten. Der Tunnel, der zuvor eher einem Maulwurftunnel als einem anthropogenen Konstrukt geähnelt hatte, ging nun in einen viereckigen Gang mit rechten Winkeln über. Einige Meter weiter begannen dann winzige Mosaikfließen den Boden zu zieren. Sie bildeten abstrakte, eckige Muster ab. Entlang einer Bodenzeile, waren allerdings Inschriften zu sehen. Sie waren im unverkennbaren Schriftsystem des antiken Ostrisul geschrieben.

Wenzel hielt daraufhin kurz inne betrachtete diesen Fund. „Wohl eine antike Stätte aus vorteleiotischer Zeit“, hielt er kurz für sich selbst fest. Er ging weiter. Bald schon fing er aber an einen seltsamen Geruch in der Luft zu vernehmen. Er war nur ganz leicht zu riechen. „Sind das faule Eier?“, fragte er sich. Während er nun immer weiter in die Katakombe vorstieß, wurde der Geruch immer stärker und seine Flamme begann immer unruhiger zu werden, sodass er ihren „Saft“ reduzieren musste. Er kam zu einer Wegzweigung in drei unterschiedliche Richtungen. Der Mann entschied sich geradeaus weiterzugehen. Gefühlte hundert Meter später endete er dadurch aber in einer Sackgasse. Verärgert machte er kehrt, und als er zurück bei der Kreuzung war, nahm er dann die rechte Abzweigung. Bald schon war da eine weitere Wegzweigung, diesmal in zwei Richtungen. Er wählte diesmal die Linke. Dies ging nun noch einige Male so, was Wenzel langsam in Sorge versetzte, dass er sich den Weg zurück nicht mehr merken würde.

Dann wohnte er aber einer kuriosen Begebenheit bei. Ein grünlicher Rauch oder Dunst zog durch die Luft. Auch der Gestank nahm nun nochmals merklich zu. Es roch wirklich entsetzlich! Nun folgte der Zauberer diesem Rauch. Er wurde zunehmend dichter. Schließlich kam Wenzel dann eine Neunzig-Grad-Kurve. Auf deren anderen Seite war etwas, man konnte es deutlich hören. Seltsame Laute, die furchteinflößend klangen. Sie waren ganz anders als die Laute jedes Tieres, das er je gehört hatte. Eine Art Mischung aus Zischen und Kreischen vibrierte in seinen Ohren. Mittlerweile war der Mief hier unerträglich geworden. Wenzel hatte etwas Ehrfurcht und kroch langsam an die Ecke heran. Vorsichtig lugte er dann um diese herum. Etwas weiter hinten im Gang erspähte er ihn dann. Halb Schlange und halb Hahn spazierte er hier einfach so durch die Katakomben. Ein Basilisk!

Der Mann wich sogleich wieder einige Meter zurück. Er musste die Situation nun abwägen. Von solchen Kreaturen hatte er sehr wohl bereits Erzählungen gehört. Sie sollen in Brunnen oder Kellern hausen und ihr Blick soll denjenigen, der ihn erwidert versteinern! Eine gefährliche Sache, wenn sie denn stimmte. Er musst hier aber davon ausgehen, dass sie dies tat. „Womöglich hat das Gas hier auch seinen Ursprung mit diesem. Wer weiß, wie es reagiert, wenn ich mit meiner Flamme in meiner Hand nicht aufpasse“, behandelte er das Thema im Selbstgespräch. Aber, oho! Das war’s doch! Er wusste, was er nun tun würde.

Der Kaiser schlicht wieder behutsam bis zur Ecke vor. Dann versicherte er sich nochmals schnell, mit einem geschwinden Blick. Der Basilisk war weg. „Verdammt!“, rief er. Daraufhin war dann aber das Kreischen des Tieres wieder zu vernehmen. Es folgte der Quelle, des soeben ertönten Lärms. Wenzel zog seinen Kopf wieder hinter die Ecke. Die weitere Annäherung des Monsters war klar akustisch zu vernehmen. Ein wenig nervös wurde er jetzt schon, doch blieb er felsenfest stehen. Als es so klang, als würde das Geschöpf jeden Moment zur Ecke kommen, streckte er dann seine Hand um diese herum. Er entzündete ein Feuer, das größte, das er schaffte. Dann geschah es, wie er vermutet hatte. Das Gas war brennbar. Von einem Moment auf den anderen ereignete sich plötzlich eine ohrenbetäubende Explosion! Sie zog sich den ganzen Gang entlang. Kurz darauf riss sich der Erkorene sofort aus seiner Schockstarre. Er klopfte auf seiner Kleidung herum, um die darauf befindlichen Gluten auszumachen.

Erst dann schaute er auf seine Hand. Sie war definitiv von den Flammen erwischt worden und hatte schlimme Verbrennungen! Die erste Priorität aber war es nun erst einmal, die Neutralisierung des Basilisken zu überprüfen. Um die Ecke herum war nun……nichts. Dies war überaus verwunderlich. In höchste Alarmstufe versetzt ging der Mann auf Zehenspitzen weiter. Deutlich weiter hinten fand er dann die Erklärung für all das. Auf dem Boden leuchtete ein Zauberkreis. In dessen Mitte war ein kleiner Bergkristall gelegt. Nun begriff Wenzel was hier vor sich ging. Der Basilisk war eine Illusion, erzeugt von diesem Kreis. Der Magier entfernte den Kristall und steckte ihn ein. Erst jetzt kümmerte er sich um seine verwundete Hand. Er zeichnete gleich ein paar Meter weiter den Zauberkreis, den er auswendig gelernt hatte. Es dauerte nur wenige Minuten, dann war der Schmerz in seiner Hand verschwunden und alle Wunden geheilt. Weiter ging’s.

Würden hier noch weitere Fallen auf ihn lauern? Die Antwort darauf würde er sehr bald schon bekommen, denn kurz danach kam er an einem größeren steinernen Tor an. Auf diesem waren Ostrisulische Buchstaben zu erkennen, obgleich diese sichtlich abgeschliffen waren. Wenzel wappnete sich seelisch und stieß das Tor auf. Auf der anderen Seite war dann ein etwas größerer Raum. Er hatte ein hohes Gewölbe und war von ein paar Säulen getragen. Außer einem einzigen Ding in dessen Mitte, war er vollkommen leer. Es war ein steinerner Sarg, sonst nichts. Mit größter Vorsicht näherte sich der Erkunder diesem an. Einen halben Meter davor blieb er stehen. Eingraviert auf einer Steintafel davor war Folgendes zu lesen:

HINC UNA FIDES MUNDO REFULGET HINC SACERDOTII UNITAS EXORITUR

Der Satz war in Altcamenischer Sprache und auch war er in Camenischer Schrift geschrieben. Wenzel verstand ihn nicht ganz. Irgendetwas über die Welt und Priester sagte er aus. Via Telekinese hob Wenzel nun zögerlich den Deckel des Sargs nach oben. Er war unsicher, ob er wirklich hinschauen sollte, tat es dann aber. Alt und staubig lag da ein Skelett. Es trug eine Krone und hatte zudem ein Szepter, ein Amulett, ein Schwert und einen Reichsapfel. Der Letztere war das einzige dieser Objekte, das einen Edelstein eingesetzt hatte! Seine Hoheit streckte die von seinem Heilungsritual geheilte Hand danach aus. Als er ihn anfasste und Magie einleitete, konnte er dessen Stein aufleuchten sehen. Es war das Original!

Nun begann die Sache langsam Sinn für ihn zu ergeben, zumindest zum Teil. Diese Katakomben, Ruinen einer Kultstätte, die der Melgarischen Ära und seiner Religion vorangingen, waren vom ersten Erkorenen adaptiert worden. Wenzel warf einen Blick auf die Decke. An der Stelle direkt über dem Sarg war die Abbildung einer Sonne, die aussah, als wäre sie immer schon hier gewesen. „Eine Neuinterpretation des Alten“, vermerkte der Mann. Nun begutachtete er die menschlichen Überreste in dem Steinsarkophag genauer. Nachdem er darüber etwas sinniert hatte, machte es Sinn, dass Melgar lieber im Geheimen beerdigt werden wollte. Laut dem, was er im Testament über den Erkorenen Gottes gelesen hatte, hasste er alles, was über die Verehrung des einen Gottes hinausging, und bezeichnete es als Aberglauben. Der Personenkult um ihn, war nicht mehr auszuradieren, daher hatte er seine tatsächlichen Überreste verborgen und durch einen Zauberkreis, der Grabräuber abschrecken sollte, geschützt. Dies war scheinbar effektiv gewesen.

Der Kaiser überlegte nun einen Moment, was er mit den Reliquien des Messias tun sollte. „Ich könnte den Zauberkreis wieder aktivieren. Den Stein dafür habe ich ja noch. Aber warum? Was soll dies nützen? Melgarus Rex wird ja ohnehin verehrt, echtes Grab oder nicht! Menschen werden etwas zur Verehrung finden, man müsste sie schon mit aller Macht davon abhalten, um dies zu verhindern. Ich werde das nicht tun. Ich werde die menschliche Natur weder leugnen noch ihr entgegenarbeiten!“ Dies waren Wenzels Überlegungen. Er entschied sich folglich, den ganzen Sarg mitzunehmen.

Letztlich kam er zurück an die Oberfläche. Eine mittlerweile besorgt aussehende Runde an Männern, begrüßte ihn bei seinem Erscheinen erleichtert. Sie waren allerdings geschockt, als er den Sarkophag aus dem Loch emporhob. „Ich bitte euch, seine Heiligkeit gebührend zu bestatten“, äußerte er nur. Mehr an Information gab er ihnen nicht. Er würde ihnen nicht sagen, was er im Berg gesehen hatte. Die Herrschaften reagierten, wie könnte es anders sein, mit überschwänglicher Bereitwilligkeit und Unterwürfigkeit. Der Herrscher entfernte sich sogleich von diesen, da ihn dies nervte. Kurz ließ er jetzt seine Gedanken in Tagträumerei abschweifen. Über ein paar der Baumwipfel hier hinweg blickte er Richtung Osten über die Stadt. Weiter unten fiel ihm jetzt das große Tor ins Auge. Es war zugemauert. Eine Zeit lang betrachtete er es still und ignorierte das Treiben der Pfaffen und Ordensritter um sich herum. Schließlich adressierte er aber einen von ihnen:

„Warum ist das Osttor auf diese Weise verschlossen?“ Der Geistliche musste nicht überlegen und antwortete sogleich: „Dies war einst das Tor der Prophezeiung, jenes Tor, durch das der von Gott Auserwählte schreiten würde, um das Haus Gottes zu betreten und einen Heiligen Krieg zu beginnen, der die ganze Welt verändern würde. Da es aber nur EINEN jemals geben durfte, hat man dieses Tor nach seinem Ableben für immer zugemauert.“ Wenzel nickte ihm zu, dass er verstanden hatte. Ihm war die Vorhersage aus der Heiligen Schrift bekannt. Sie war eingetreten, nachdem Melgars Truppen im Jahr 30 das Heer des Königreichs Galadea in der legendären Seranzoschlacht geschlagen hatten.

Dass man sie nach vollendeter Tatsache so weiterspinnen würde, hätte er aber nicht vermutet. Es gab nur einen einzigen Messias, auch wenn Wenzel dessen Titel übernommen hatte, war dies wohl mehr aus Tradition als aus irgendeinem anderen Grund. Der Heilige Krieg hatte den Teleiotismus in ganz Kaphkos verbreitet. Die Prophezeiung war erfüllt. Warum man daher Angst hatte, dass wieder ein neuer oder ein falscher Erkorener kommen konnte, begriff der Kaiser nicht ganz. Ebenso aber ließ ihn dieses Wissen nun seine Krönung zum Kaiser und den anfänglichen Widerstand des Königreichs Camenia gegen das neu gegründete Heilige Reich in einem neuen Licht sehen.

Ein immer noch heißer Wind wehte ihm durch die Haare und das, obwohl die Sonne schon im Untergang begriffen war. „Meine Herren, ich muss sie informieren, dass ich für die Aufbahrung und Beisetzung der Reliquien Melgars nicht zugegen sein werde. Ich habe gefunden, weswegen ich hergekommen bin.“ Infolge hielt er ihnen den Reichsapfel hin, um ihn kurz zur Schau zu stellen. „Dies ist bedauerlich, mein Herr!“, kam es vom Kommandanten der Hüter des Grabes.

Diese Nacht verbrachte er in einem der Räume des Tempels. Er schlief hier überaus schlecht. Es war kühl im Gebäude und ein konstanter Luftzug kam aus irgendeiner unergründlichen Richtung. Am Morgen hatte er gleich vor, sich wieder auf die Rückreise zu machen. Dieser Morgen begann für ihn, als ihn die Fanfare der Posaunen, die überall in der Altstadt circa zur selben Zeit ertönte, aus seinem Halbschlaf riss. Eigentlich waren es mehrere unterschiedliche Fanfaren, die von den zahllosen Kirchentürmen hier geblasen wurden, und die sich gegenseitig überlagerten, um eine befremdliche und gleichzeitig berauschende Kakophonie zu bilden. Ganz anders war dies als in der Reichshauptstadt Meglarsbruck, wo man nur die eine Morgenfanfare von der Hauptkathedrale erlaubte. Ohnehin gingen dort die Leute in ihre jeweils nächstgelegen Kirchen und nicht in nur die eine. Jemand brachte ihm einen Tee, Brot und ein paar Feigen, als er aufstand. Bald darauf ging er schon hinaus in die Morgensonne, die sich waagerecht an den Hügel schmiegte. Unten in Saeptasolio konnte man bereits reges Treiben vernehmen.

„Möge Gott Euch schützen!“, verabschiedete sich Jacobo, der Kommandant der Hüter des Heiligen Grabes, der an ihn herangetreten war. Der Kaiser zollte dem Respekt und gab ihm auch einen höflichen Abschied. Er wollte schon beinah davonfliegen, als ihm da noch etwas einfiel. „Behaltet, bitte, für euch, dass ich hier gewesen bin. Es war nicht vorausgeplant und ich möchte nicht, dass euer König den Eindruck bekommt, dass ich ihn düpiert habe.“ Die Herren versicherten ihm, kein Wort über das Geschehene zu verlieren. Somit bedankte er sich nochmals und war wieder seines Weges. Die Priester winkten ihm noch nach, während die Figur des Zauberers am Himmel immer kleiner wurde. Was er nie erfahren würde, war, dass sie die Reliquien des Erkorenen nur in einer geheimen Zeremonie in das Grab in der Ädikula, das bisher lediglich ein Kenotaph gewesen war, überstellen würden. Keiner würde je darüber in Kenntnis gesetzt werden. Offiziell war Melgar immer schon hier begraben. Der Mythos zählte mehr als die Wahrheit, so war es schon immer gewesen.

Auf seinem Heimflug hatte Wenzel viel Zeit, die er nutzte, um über alles Mögliche nachzudenken. Jetzt da er alle fünf Heiligen Artefakte wieder hatte, könnte er da nicht etwas Nützliches mit diesen anstellen? Vielleicht könnte er sie seinen treuesten Untergebenen geben, da diese Objekte ja auch von Nicht-Magiern benutzt werden konnten? Er ließ es sich eine schöne Weile durch den Kopf gehen. „Besser nicht“, war dann seine schlussendliche Entscheidung. „Ich sollte meine Macht nicht noch mehr untergraben. Ohnehin habe ich im aktuellen Zustand schon unzureichende Autorität!“ Während er so in Gedanken versunken war, zog die Landschaft unter ihm hinweg. Bis zu den „goldenen Meeren“ Ordaniens, deren Wogen aus endlosen Getreidefeldern bestanden, würde es noch eine lange Reise sein.