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Das Heilige Reich [German]
001.2 Der Verfluchte (Teil 2)

001.2 Der Verfluchte (Teil 2)

Seine Müdigkeit begann jetzt schon durchzuschlagen und das, obwohl Camenisch und Etiquettestunden und Turnunterricht heute noch auf ihn warteten. Ebenso fing leichtes Kopfweh an ihn zu plagen. Naja, es half ohnehin nichts. Wenzel packte seine Sachen und folgte dem Rest der Klasse, die sich zur nächsten Stunde aufmachten.

Im Camenischunterricht schlug er sich eigentlich immer gut. Viele der Wörter waren auch nicht allzu anders als im Ordanischen. Nur die Art sich auszudrücken war anders, aber selbst das war mehr Gefühlssache, als Logik. Andere stimmten ihm da wahrscheinlich nicht zu. Heute übten sie Grammatik. Zuerst wiederholten alle zusammen die Vergangenheitsformen, dann sollten sie diese richtig in die Lücken eines Arbeitsblatts einfüllen. Entmutigtes Stöhnen war von irgendwo zu hören. Niemand mochte Grammatik. Wenzel war nicht unbedingt ein Fan davon, aber er störte sich nicht daran ein paar einfache Lückenfüllaufgaben zu erledigen.

Während er den Arbeitsauftrag erfüllte, spürte Wenzel plötzlich etwas an die Seite seines Kopfes klatschen. Er griff hin und es fühlte sich feucht an. Von nebenan war Gekicher zu hören. Er drehte den Kopf hinüber, um auszumachen wer ihn mit Papierkügelchen bespuckt hatte, und fand auch gleich heraus wer es war: Bert und sein dämlicher Sitznachbar! Er blickte kurz nochmal herüber und lachte wieder, hielt sich aber die Hand vor, damit die Lehrerin ihn nicht gleich hörte.

Wenzel ignorierte ihn und wandte sich wieder seinem Zettel zu. Keine zwei Minuten später kriegte er den nächsten Papierball ab. Er versuchte leise zu Bert hinüberzureden, um ihm zu sagen, dass er aufhören soll, doch die Lehrerin ermahnte ihn nur, dass er arbeiten solle. Die restliche Stunde würde das noch ein paar Mal passieren. Einige andere Schüler sahen was passierte und lachten auch darüber. Aber keiner half Wenzel! Das machte ihn voll wütend, aber er schluckte es alles hinunter. Einen Kampf mit ihnen zu beginnen, würde nur noch mehr Probleme verursachen.

Dann war es Zeit für die Mittagspause. Zu essen gab es Heringsfilet mit Reis. Für Wenzel möge es vielleicht ein normales Mahl sein, doch es war etwas, was für die Oberschicht vorbehalten war, insbesondere der Reis, welcher aus Camenia importiert werden musste, weil er in diesen Breiten nicht wuchs. Wie immer aß Wenzel alleine.

Während er am Tisch saß, blickte er allerdings zur Mädchenclique seiner Parallelklasse hinüber. Sie saßen heute woanders als sonst. Sein Blick blieb an Amalie hängen. Normalerweise versuchte Wenzel immer Augenkontakt mit anderen zu vermeiden, da sie ihn nur noch mehr verurteilen würden, als sie es eh schon taten. Diesmal konnte er aber seinen Blick nicht abwenden. Ihr schönes Gesicht bannte ihn. Als sie ihren Kopf hob, während sie offenbar mit den anderen plauderte, traf ihr Blick den Seinen. Kurz darauf senkte sie ihn wieder, Wenzel jedoch starrte noch einen Moment länger, bevor er sich wieder seinem Essen zuwandte. Was für ein seltsames Gefühl. Wenzel wüsste aber genau was es war. Er war sich sicher, dass er sich in Amalie verliebt hatte.

Sei es wie es ist, die Mittagspause dauerte nicht lang und alle machten sich wieder auf den Weg zurück ins Schulgebäude. Auf dem Weg dorthin, der durch den Park führte, blinzelte die Sonne zwischen den Wolken wieder durch. Wenzel hielt kurz inne. Die Hand auf die Stirn haltend, blickte er in Richtung des Lichts und in die Natur, die sich vor ihm präsentierte. Einen kurzen Moment blieb die Zeit stehen. Der nächtliche Regen hatte die letzten Reste an Schnee endgültig weggeschwemmt und die ersten Blumen begannen zu sprießen. Auch der erste Vogelgesang des Jahres war zu vernehmen. In weiter Ferne war die hohe Mauer, die das Schulgelände begrenzte zu sehen.

Bald schon merkte Wenzel, dass er ganz alleine hier stand. „Verdammt!“, rutschte es ihm heraus. Er musste schnellstmöglich in den Unterricht. Er kam nur eine Minute zu spät. Dennoch bekam er Schimpfen vom Lehrer. Der Rest der Stunde war langweilig. Sie lernte darüber, wie man sich in Gesellschaft zu verhalten hat. Die halbe Zeit hörte Wenzel gar nicht zu. Das war nicht, weil es ihn nicht interessierte, sondern weil seine Kopfschmerzen nun drastisch zugenommen hatten. Und im Laufe der Stunde würde sie auch stetig mehr werden. Wenzel war übel und schwindelig. Ihm ging es wirklich schlecht, so schlecht, dass es ihm relative gleichgültig war, als die Stunde endete. So konnte er nicht weitermachen.

Als die Klasse das Zimmer verlies, informierte er den Lehrer über seinen Zustand. Dieser sandte ihn zu Frau Adele. Natürlich tat er das. Frau Adele war keine Krankenschwester, doch immer wenn so etwas wie heute passierte, würde sie ihm helfen. Wie tat sie das? Die Antwort ist, sie machte gar nichts. ES war die Antwort.

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Als Wenzel ihr Arbeitszimmer betrat, musste er sich hinsetzen und warten. Frau Adele, eine große Dame mit langen, schwarzen Haaren, einer kleinen runden Brille und strengem Blick, ließ um Aurel rufen. Bald darauf latschte dieser mit laxem Gang bei der Türe herein.

„Willst du dich schon wieder aus dem Unterricht schummeln, Winzling? Hah?“

Wenzel antwortete mit leise: „Nein, ich halt's einfach nicht mehr aus. Ich…“ – „Dumme Ausrede, wie immer!“ Aurel fischte etwas aus seiner Tasche und händigte es Frau Adele aus. Es war das Tuch von heute Morgen.

„Junger Mann, das ist mal überhaupt kein Umgangston!“, ermahnte ihn Frau Adele. „Außerdem, wie oft habe ich dir gesagt, dass wir hier die Füße ordentlich heben, wenn wir gehen! – „‘Tschuldigung“, erwiderte Aurel halbherzig.

Sie deutete ihm mit einer Handbewegung an, dass er gehen soll. Er verließ den Raum. „Na gut!“, sagte die Dame. „Ich gebe dir eine Stunde Zeit, wie sonst auch. Sag mir danach wie es dir geht.“ Wenzel nickte und antwortete mit einem kurzen „Ja“.

Aus dem Tuch heraus nahm Frau Adele ein Amulett mit einem funkelnden roten Stein darin eingebettet. Sie legte großen Wert darauf es nicht direkt mit ihren Fingern, sondern nur durch das Tuch zu berühren. Wenzel nahm es entgegen, ohne Tuch. Er setzte sich auf einen Sessel und blickte beim Fenster hinaus. Währenddessen „beaufsichtigte“ ihn Frau Adele, wobei sie Papierkram,…also Büroarbeiten auf ihrem Schreibtisch erledigte.

Wenzel begann sich sofort besser zu fühlen. Viel, viel besser. Seine Kopfschmerzen waren wie weggefegt und sehr schnell setzte eine tiefe Entspannung ein. Draußen sah er die Äste der Bäume, deren allererste Knospen schon sichtbar waren, im Wind wippen. Weiter hinten sah er wieder die Begrenzungsmauer. Wie sehr wünschte er sich darüber hinaus zu fliegen und die Welt dahinter zu sehen. Weg aus diesem bedrängendem …..Gefängnis. Ja, für ihn war das Internat wie ein Gefängnis. Einfach weg wollte er, das war sein innerster Wunsch. Hinaus in die Wolken, die Felder, Wälder und Städte der Welt sehen.

Wenzel sah seinen Bruder am Gang neben sich gehen. „Wenn wir zurück ins Zimmer kommen, fängst du sofort mit deiner Hausübung an. Ist das klar? „Kein Sich-Drücken vom Unterricht! Deine Noten sind ohnehin nicht gut!“, sagte dieser mit strenger Stimme. Dann hörte Wenzel eine leise Stimme seinen Namen rufen. „Wenzel!“ Sie wurde immer lauter. Es war die Stimme von Frau Adele. Plötzlich riss sich Wenzel wieder ins Bewusstsein zurück. Er war offenbar weggedöst. Als er die Augen aufmachte, konnte er Frau Adel von oben sehen. Sie hatte den Kopf zu ihm nach oben gerichtet. Wenzel schwebte an der Decke! „Verdammt!“, dachte er sich, „Schon wieder habe ich versagt!“

„Wie oft habe ich dir gesagt, dass wir sowas verhindern wollen, Wenzel! Wenn du runterfällst, könnte ich nichts machen!“, schimpfte ihn seine Aufseherin. Sogleich senkte sich Wenzel wieder langsam von der Decke herab. Er hatte genug Gefühl dafür, dass bei der Landung nichts schiefgehen konnte. Aber leider verstand Frau Adele das nicht. Er entschuldigte sich und setzte sich wieder hin. Er hatte zwar keine Ahnung wie viel Zeit vergangen war, aber offensichtlich war die Stunde noch nicht um. Den Stein hatte er die ganze Zeit fest in seiner Hand gehalten. Er öffnete sie und betrachtete das rot funkelnde Objekt. An seiner Fassung waren die Buchstaben M.R. zu lesen.

Ohne diesen Stein würde er es nicht aushalten. Dies war völlig logisch. Seine Seele befand sich darin! Wenzel war ein Magier, ein Hexer, wie viele dazu sagen würden. Das bedeutet, er hatte magische Kräfte, welche als gefährlich und „teuflisch“ angesehen wurden. Um zu verhindern, dass er auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, wurde Wenzels Seele von seinem Körper getrennt. Die Magie, die er innehatte, war an seine Seele gebunden. Daher würde Wenzel keine Gefahr darstellen, solange er das Amulett nicht hatte, da seine Seele und damit seine magischen Kräfte von ihm getrennt waren. Das einzige Problem war nur, dass sein Körper seine Seele brauchte und ohne dieser begann zu leiden. Dies war die Ursache seiner häufigen Kopfschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit und Schlafstörungen. Aber das musste sein, denn Wenzel war eben nicht wie die anderen. Er war verflucht, verflucht durch die Magie, die er hatte! Ganz ohne seine Seele konnte er aber nicht sein, daher bekam er, wenn es ihm zu schlecht zu gehen begann, eine Stunde seine Seele zurück, um sich wieder zu erholen. Das Resultat war, was soeben passiert ist. Totale Entspannung.

Als die Stunde verstrichen war, kehrte Aurel zurück und bekam das Amulett ausgehändigt. Die beiden verließen verabschiedeten sich und verließen den Raum von Frau Adele. Aurel, als der ältere Bruder war im Wesentlichen der Vormund Wenzels und hatte somit auch die Verantwortung über das Amulett. So hatten es ihre Eltern festgelegt.

„Wenn wir zurück ins Zimmer kommen, fängst du sofort mit deiner Hausübung an. Ist das klar?“, beorderte ihn Aurel sogleich. „Kein Sich-Drücken vom Unterricht! Deine Noten sind ohnehin nicht gut!“ Wenzel zögerte einen Moment. Er hatte diese Szene vorausgesehen. Déjà-vu. Dann antwortete er: „Aber ich hab nur den Turnunterricht verpasst. Das war nichts Wichtiges.“- „Halt den Mund! Aus dir wird sowieso nichts werden! Aber versuch’s zumindest dich zu bemühen. Wenn deine Noten schlecht sind, dann krieg ich wieder von Frau Mutter auf den Deckel!“-

„Ja. Mach ich“, antwortete Wenzel nur. Er hasste seinen Bruder, aber er traute sich nicht sich ihm zu widersetzen.