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Das Heilige Reich [German]
001.1 Der Verluchte (Teil 1)

001.1 Der Verluchte (Teil 1)

Es war ein kühler Morgen. Über Nacht hatte es draußen geregnet, aber nun schien schon wieder die Sonne beim Spalt des Vorhangs herein. Draußen begann der Hahn zu krähen.

Dieser Lärm weckte Wenzel. Er hatte ohnehin immer einen sehr leichten Schlaf, wenn er überhaupt einschlief. Ja, leider gab es bei ihm oft ganze Nächte, in denen er kein Auge zutat. Für ihn war das normal. Somit raffte sich Wenzel auf, öffnete den Vorhang und ebenso das Fenster, um kurz durchzulüften. Er lehnte sich ein Stück aus dem Fenster, um ein wenig frische Luft zu schnappen und blickte dabei auf den, mehrere Stockwerke darunter liegenden, Vorplatz hinunter. Gleichzeitig stand auch Aurel auf.

„Guten Morgen!“, sagte Wenzel seinem Bruder. „Morgen!“, kam es zurück. Die beiden begannen sich gleich ihre Schuluniformen anzuziehen und würden sich sehr bald zum Frühstück im Speisesaal begeben. Dieser war einige hundert Meter weg, in einem anderen Gebäude. Als sie gerade bei der Tür hinausgingen, hielt Aurel kurz inne. „Warte.“ Er tastete seine Taschen ab, dann ging er kurz zurück zu seinem Nachtkästchen und griff nach einem in einem kleinen Tuch eingewickeltem Gegenstand. „Hätte ich schon fast vergessen“, vermerkte Aurel kurz. Wenzel schaute ihn nur gefühlsentleert an oder, um genau zu sein, schaute auf den Gegenstand, den er einsteckte. Aurel schaute ihn böse an und klatschte Wenzel mit seiner Handfläche auf die Stirn. „Komm! Gehen wir!“, fauchte er und drängte bei der Tür hinaus.

Zum Frühstück gab es, wie immer, Haferbrei. Generell gab es fast immer Haferbrei, außer es war mal ein Feiertag oder irgendein Fest. Nun, ja. Wenzel nahm sich seine Schüssel, setzte sich ans Ende des langen Tisches und begann zu essen. Wie üblich sprach er mit niemandem und aß ohne Ablenkung seinen Brei. Nicht, dass er mit irgendjemandem reden hätte können. Keiner saß neben ihm und selbst, wenn er sich zu anderen dazugesetzt hätte….. ,nein, an sowas wollte Wenzel gar nicht denken. Alle mieden ihn. Niemand mochte ihn. Also, warum sollte er es überhaupt probieren sich bei einer fremden Freundesgruppe einfach dazuzusetzen? Das war Wenzels Gedankengang.

Im restlichen Speisesaal war es, im Gegensatz dazu, relativ laut. Alle Schüller plauderten miteinander, manche scherzten und lachten. Wenzel ließ ihnen nur gelegentlich einen Blick zufallen, um vielleicht irgendwie ausmachen zu können was so lustig war. In seinen Hinterkopf schwebte stets der Gedanke, dass sie vielleicht über ihn lachten, obwohl er genau wusste, dass das nicht der Fall war. Niemand fand ihn „lustig“. Die Schüler mieden ihn, weil sie ihn nicht leiden konnten. Warum das? Weil, Wenzel angeblich verflucht ist, oder so ähnlich hieß es laut den Gerüchten. Wenn die nur wüssten…..

Abseits von Wenzel saß Aurel. Sein Bruder leistete Wenzel auch keine Gesellschaft. Er konnte ihn ebenso wenig…., eigentlich sogar noch weniger leiden als die anderen Schüler. Aber Aurel war trotzdem sein großer Bruder. Er war sein Beschützer auf den er hören musste. Er war für „das Wichtigste“ zuständig. Als Aurel fertig gegessen hatte stand er auf, kam herüber zu seinem Bruder und zog ihn am Arm. „Zeit zu gehen, Winzel!“ Wenzel verabscheute den dummen Spitznamen, den er ihm gegeben hatte, folgte aber ohne widerrede.

This book was originally published on Royal Road. Check it out there for the real experience.

Nach dem Frühstück ging’s in den Unterricht. Das Hauptgebäude der Schule lag am selben Gelände wie die Unterkünfte der Schüler. Alle Gebäude hatten aber gemein, dass sie alt und ehrwürdig waren. Entlang der sorgfältig angelegten und gut gepflegten Wege des Parks wanderten die Schüler, darunter auch Wenzel, in einem langen Strom in Richtung Schulgebäude. Die Gänge darin waren lang und weit. Ebenso waren die Klassenzimmer groß und mit sehr hohen Decken. Auf diesen waren, wenn man den Kopf senkrecht nach oben streckte, viele filigrane Stukkaturen und oft auch Bilder von Malern zu sehen. Kurz gesagt: Es war ein sehr elitäres Internat der Oberschicht. Dies kam auch in der Kleidung der Schüler zum Ausdruck. Es gab eine Schuluniform und die war Vorschrift. Für Burschen war es ein weißes Hemd, ein dunkelblaues Sakko, eine ebenso dunkelblaue Krawatte und eine lange Hose. Für Mädchen war es dasselbe, nur hatten sie einen Blazer, der leicht anders aussah und einen Rock zu tragen. Alles recht edel.

Heute war ein langer Schultag. Die erste Stunde war Schreibunterricht, dann Mathematik und in der dritten Stunde hatten sie Geschichte. Hier musste Wenzel nun besonders aufpassen. Wenzel mochte Geschichte nicht, aber als er das letzte Mal vom Lehrer aufgeklopft wurde und dieser herausfand, dass er oft nichts im Unterricht mitgeschrieben hatte, musste er den ganzen Schmarren nachschreiben! Drum schrieb er hier jetzt immer genau mit. Der Lehrer begann damit das Datum auf die Tafel zu schreiben.

12.4.461 Es war das Jahr 461 der „Kür des Herrn“.

Eilig begann Wenzel mit Feder und Tinte abzuschreiben. Seine Hand war zwar schon müde, weil er heute bereits im Schreibunterricht sehr viel zu schreiben hatte. Aber es half nichts. Heute krachten die Finger.

Das heutige Thema war der Sturz der Melgarionen vor 80 Jahren und die Machtübernahme des jetzigen Herrscherhauses. Die Melgarionen waren die Nachfahren Melgars des Großen, welcher das Ordanische Reich gründete. Mit seiner Machtergreifung begann die heutige Zeitrechnung, so wichtig war er! Heute hieß unser Land der „Ordanische Bund“. Der Lehrer erklärte weiters, dass der Untergang der Melgarionen „das Ende der Tyrannei“ bedeutete und die jetzigen Herrscher Ordaniens nicht mehr mit „teuflischer Hexerei“ das Volk unterdrückten.

Der Lehrer ging durch, um sicherzustellen, dass auch alle das mitschrieben. Er ging bis in die hinterste Reihe, wo Wenzel allein auf einem eigenen Tisch saß, um auch bei ihm einen Kontrollblick zu machen. Dies gab Wenzel zumindest einen kurzen Moment Zeit, um seine vom Schreiben geplagten Finger zu entlasten. Die Schreiberei ging die ganze Stunde aber so weiter. Wenzel hasste das!

Endlich endete die Stunde und Wenzel durfte gehen.

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