Nach der langen Durchquerung der vegetationslosen Salzpfannen folgte ein steiler Anstieg über ebenso karge Berge, deren Dach allerdings riesige Gletscher bildeten. Es war eine beschwerliche Route über unwegsame Hochgebirgspässe. Danach ging es hinab in ein Hochtal, das zum südlichen Medje –in Ordanien würde man es als Bezirk bezeichnen - von Kascharvarosch zählte. Hier oben in dieser unwirtlichen Gegend war ihr Treffpunkt mit den Horden. Auf dem langen Marsch hierher, den Viktoria teils zu Pferd und teils zu Fuß zurücklegte, hatte sie öfters Gespräche mit Bertram geführt. Er schien ihr in Ordnung zu sein, strahlte aber ein gewisses Ausmaß an Nervosität in ihrer Gegenwart aus. Sie konnte das verstehen, war doch ihre Magie etwas Furchteinflößendes für andere, besonders wenn man, wie er, Alethiker war und Zauberei als etwas Unheilvolles betrachtete.
Schon als sie sich einem der größeren Gehöfte hier annäherten, konnte man die zahllosen Wollpferde der kascharischen Horden auf den weiten Hochlandweiden hier oben grasen sehen. Erst weiter unten im Tal war Wald auszumachen. Hier befanden sie sich noch oberhalb der Baumgrenze. Über steinige Trampelpfade, und vorbei an allerlei schönen Almblumen in rosa, gelb und auch in blauer Farbe, stiegen die alethischen Widerständler nun langsam, aber stetig zu ihrem Zielort hinab. Das große Wohngebäude des Bergbauernhofs machte einen unscheinbaren Eindruck, vor allem, da es an einem dem Anschein nach so malerischen Ort lag. Die riesengroße Hütte, deren Untergeschoß gemauert, das Obergeschoß hingegen aus Holz gebaut war, hatte ein Schrägdach, auf dem, warum auch immer, eine größere Anzahl an Steinen in regelmäßigen Abständen aufgelegt waren.
Lucius kam gemeinsam mit Viktoria als erster an und blieb vor einem Zaun aus Lärchenholz, der das relativ große Areal unmittelbar vor dem Gehöft abgrenzte, zum Stillstand. Trotz der zusätzlichen Schichten an Kleidung, die er sich angezogen hatte, bibberte er. Was für ein Kontrast dies zu der drückenden Hitze der Geächtetenpfann war, welche sie noch vor nicht allzu langer Zeit durchschritten hatten! Der Zaubrerin schien hingegen nicht zu frösteln. Immer wieder konnte man sehen, wie sie sich über ihre Hände beugte, aus denen, wie aus dem Nichts, auf einmal kleine Flammen emporzüngelten. Derweil sich die Übrigen ihrer gar nicht so zahlenschwachen Truppe gemächlich den Berg herunterschoben, gab ihr Anführer schon mal Anweisung die Reittiere auf dem Weidezaun etwas abseits von dem Bauernhof anzubinden, um keine Probleme mit den Einheimischen anzuzetteln. Ihm war scheinbar noch nicht bewusst, dass eine riesige Anzahl der Wollpferde auf den Weiden hier eben jene der heidnischen Rebellen waren, mit denen sie sich hier verabredet hatten.
Noch bevor sie die Wiese vor dem großen Einhof überhaupt betreten hatten, kamen ihnen schon aus diesem ein paar augenscheinlich raue Zeitgenossen entgegen. Sie trugen für die Temperaturen sehr leichte Kleidung, zumindest aus Sicht der Besucher. Diese waren aber auch nicht das klar andere Klima des Kascharenlandes gewohnt. Was sich für die Fremdlinge wie spätherbstliche Wärmegrade anfühlte, war für dieses Gebirgsvolk normales Sommerwetter. Ein Mann mit langen braunen Haaren – Naja, diese Beschreibung traf eigentlich auf mindestens die Hälfte von den Kascharen hier zu – trat an Lucius heran und reichte ihm die Hand. Nach einer schnellen Begrüßung begaben sie sich auch schon ins Innere des Hauses. Es würde Einiges zu besprechen geben.
Das Innenleben des mehrstöckigen Gebäudes war definitiv unerwartet und faszinierend für die Gäste. Es war hier keinerlei Muff, der in der Luft hing, aber die Düfte von geräucherten Würsten und Holz waren nichtsdestotrotz allgegenwärtig. Schon beim Eintritt fiel sofort auf, wie hier drin, wie in einer Schuhschachtel, irre Vieles auf engstem Raum zusammengepfercht war. Alle Wände waren auf irgendeine Art und Weise für einen Zweck adaptiert worden, sei es als Wandkasten, für Kleiderablage, zur Fixierung von Werkzeugen oder nur um Etwaiges daran anzulehnen oder aufzuschlichten. Folglich war der Platz, den man in den Gängen hier hatte, nur äußerst bemessen, sodass sie alle im Gänsemarsch, einer hinter dem anderen, durch das Haus gingen. Dem Gastgeber folgend, passierten sie ein paar Türdurchgänge und kehrten dann schließlich in ein Zimmer zu ihren Linken ein.
Nur Lucius, Viktoria und ein weiterer Mann von den Lanzknechten würden sich hier zu den Verhandlungen begeben. Alle anderen würden draußen warten müssen. Der Letzte schloss die Türe hinter sich, dann nahmen alle Eingeladenen auf den einfachen Holzstühlen Platz, die hier, etwas unvorbereitet wirkend, umherstanden. In einer der hinteren Ecken hatte man einen winzigen Hausaltar eingerichtet. Dieser bestand im Wesentlichen nur aus zwei Kerzen, ein paar grünen Zweigen von draußen und einem bunt bemalten Schädel. Es war davon auszugehen, dass dies die Überreste des Ahnen vom Hausherren waren.
Auf dem Weg herein hatte die Prinzessin bereits ihre Kopfbedeckung abgenommen, da die Temperaturen hier drin ausreichend warm waren. Doch erst jetzt fiel demjenigen, der die Drei hereingeführt hatte auf, welch stechendes Rot ihre Mähne vorzuweisen hatte. In Reaktion darauf erschrak er momentan und für alle klar ersichtlich. „Beruhigen Sie sich. Dies ist keine Falle. Wir haben Sie nicht hintergangen. Erlauben Sie mir die Umstände zu erklären, weswegen diese junge Dame hier ist“, versuchte Lucius auf der Stelle die Situation zu beruhigen und das Aufkommen jedweder Animosität einzudämmen. Das war das Erste, was er gesagt hatte. Erst danach stellte er sich unter seinem falschen Namen, Bertram, vor und behauptete der neue Anführer des alethischen Widerstandes zu sein. Ganz falsch lag er damit zwar nicht, da Etzel, Von Alduino und Petra nun in den Händen des Regimes waren, aber dennoch hatte er sich einfach so selbst dazu ernannt. Sein Gastgeber entgegnete ihm: „Lajosch. Ist mir eine Ehre!“ Er schien sich sehr rasch wieder von seinem Schock durch die Anwesenheit der Magierin erholt zu haben.
Selbst Herrn Cornel war dieser Name bekannt. Der Oberste Anführer der Horden traf sich hier höchstpersönlich mit ihnen. Somit war die Ehre tatsächlich ihrerseits und nicht umgekehrt. Um seinen Hals hing ein völkischer Talisman, dessen prägnantes Lapislazuliblau einem besonders in Auge sprang. Der Mann starrte sie mit durchdringendem Blick an, während sein Gast dazu überging, ihm darzulegen, wie es dazu kam, dass sie eine Hexe bei sich hatten. So schwer es auch zu glauben war, dass das Mädchen ihm einfach zugeflogen war, so war zur selben Zeit jedoch das Finden einer anderweitigen Erklärung beinah unmöglich. Der ungepflegt wirkende Alethiker versuchte ihm die Sache aber auf andere Weise schmackhaft zu machen:
„Führen Sie sich doch einfach vor Augen welch ein Glückstreffer dies für uns ist! Was wir nicht alles mit einer solchen Verbündeten erreichen könnten!“ Lajosch lenkte da blitzschnell ein und vermerkte: „Deine Argumente leuchten mir ein, Ordanier. Mich wundert viel mehr, dass du dies so offen vor dem Kind zur Aussprache bringst.“ Es schien nun so, dass der Kaschare keine inhärente Ablehung gebenüber Hexerei hatte. Im Widerspruch zu ihrer althergebrachten, Ahnenverehrung stand diese immerhin nicht, selbstverständlich war diese Sachlage dadurch aber auch nicht. Den anwesenden Ordaniern hier war sie zumindest nicht bekannt gewesen.
Bezüglich der Dinge, die der Oberste Anführer der Horden soeben in puncto Viktoria gesagt hatte, hatte der sogenannte Bertram sich ohnehin schon sehr viele Gedanken gemacht. Infolge ging er sogleich dazu über das Mädchen direkt dazu anzusprechen. „Wir haben in letzter Zeit einige Unterhaltungen geführt. Ich weiß, dass ein tiefer Schmerz in dir sitzt, Viktoria. In uns allen, die wir hier unser altes Leben hinter uns gelassen haben und zu den Waffen gegriffen haben, steck ein solcher Schmerz. Wir teilen deine Bürde. Für uns gibt es nur eine Möglichkeit die Pein loszuwerden, und diese ist, das Übel an der Wurzel anzupacken. In unserem konkreten Fall hier, ist die Wurzel des Übels das Regime in Meglarsbruck. Wenn wir uns mit den Kascharen hier zusammentun und gemeinsam auf die Kaiserstadt losmarschieren, haben wir wahrscheinlich immer noch recht schlechte Erfolgschancen. DU aber kannst hier den entscheidenden Unterschied machen! Hilf uns! Zerstöre die Stadt, dann können wir siegreich sein!“
Viktoria wirkte skeptisch, äußerte aber kein einziges Wort. Somit drängte sie der Mann weiter: „Wäre es nicht die ultimative Rache an demjenigen, der die Quelle deines Unglücks ist, Zerstörung und Chaos zu stiften, wo er doch, wie weithin bekannt ist, Ordnung und Wiederaufbau so liebt. Damit würdest du ihm wirklich eins auswischen.“ Still dasitzend, brütete die Teenagerin etwas über die Sache. Als Lucius sich dann schon abwenden wollte, gab sie aber schließlich eine Antwort: „Also gut. Ich werde euch helfen. Aber nicht euretwegen. Das hat nichts mit euch oder euren Überzeugungen zu tun.“ Als er dies hörte, wollte Bertram schon fast in gehässiges Lachen ausbrechen, konnte sich aber gerade noch so beherrschen. „Das ist es! Ich habe gewonnen! Hahaha!“, ging es ihm durch den Kopf. Es war wirklich lächerlich einfach ein Kind zu etwas zu überreden.
Danach adressierte er Lajosch wie folgt: „Sehen Sie, unser Ziel ist erreichbar. Bündeln wir unsere Kräfte und lassen Sie uns zum Schlag gegen Meglarsbruck ausholen!“ Der Angesprochene erwiderte vorerst nur einen strengen Blick. Seine großen, kräftigen Hände, ballte er zu Fäusten, während er in eine der Ecken des Raumes starrte. Ab und an, wenn auch nur flüchtig, schweifte sein Blick herüber zu der Zaubrerin. Er sagte nichts. Was war hier los? Hatte Lucius etwas Falsches geäußert? Aber was denn?
„Mir wäre es lieber, wenn wir zuerst unser Nargyosch befreien. Unser innigstes Verlangen, also von uns Kascharen, ist es das Ordanische Joch abzuwerfen und unsere Heimat wieder unabhängig zu machen. Somit geht unsere eigene Hauptstadt vor.“ Etwas durcheinander setzte Herr Cornel nun seine Bemühungen daran den Obersten Anführer hier umzustimmen: „Bedenken Sie doch, dass eine solche Aktion wohl kaum von langer Dauer sein kann. Das Reich würde sehr schnell eine große Truppe beisammen haben und zur Rückeroberung ansetzen. Dies würde nur sinnlos Ressourcen aufbrauchen. Besser wäre es, wenn wir den Kopf der Schlange abschlagen!“
In seinen traditionellen Fellschuhen im Raum herumwandernd, gab ihm Lajosch nur erneut dieselbe ablehnende Antwort. Wieder und wieder versuchte der Mann zu diesem durchzudringen, doch es half nichts. Der einst so junge, ungestüme Emporkömmling, der die Tiboren abgelöst hatte, war über die Jahre weiser geworden. Nur zu gut erinnerte er sich noch an die vernichtende Niederlage, die sie durch ihre Invasion Ordaniens während der Revolution damals erlitten hatten. Er war kein Narr. Bevor er etwas so Tollkühnes tun würde, mussten ihm diese Monotheisten erst einmal etwas dafür geben. Nargyosch schien ihm da ein gutes Pfand zu sein. Somit blieb er beharrlich auf seiner Position. Am Ende der heutigen Verhandlungen verabschiedete er die drei geladenen Gäste höflich und ließ sie auf ihre Zimmer geleiten. Es war noch nicht das letzte Wort gesprochen, auch wenn er sich wünschte, dass dies der Fall gewesen wäre.
In dieser Nacht träumte Viktoria von gar nichts, denn sie konnte kein Auge zubekommen. Dies war wohl kaum ein Unterschied zu dem, wie es die letzten Wochen bei ihr gewesen war. Dennoch war da ein gewaltiges Unbehagen, das an ihr nagte. „Will ich diesen Heiden denn wirklich zur Seite stehen? Die Umstürzler glauben zumindest an Gott, aber die anderen sind echt fragwürdig. Deren barbarische Weltsicht stößt mich einfach nur ab!“
Als die Sonne die Bergspitzen aufblitzen ließ, schob Lajosch die Vorhänge seines Zimmers im zweiten Stock beiseite, um den stets so berauschend schönen Ausblick über die Bergkulisse zu genießen. Auf den Almwiesen darunter lagerte eine Schar an Ausländern. Diese waren natürlich die ordanischen Dissidenten. Bei deren Anblick realisierte der langjährige Widerstandskämpfer nun, wie viel schwächer die Truppenstärke dieser Möchtegernrevoluzzer im Vergleich zu seinen Männern tatsächlich war. Keine dreitausend Mann hatten sie hier herankarren können! Folglich schlussfolgerte er, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, auf dem Vorrang der Eroberung Nargyoschs gegenüber deren Zielen zu beharren. Möge es sein, dass dies nicht alle von deren Kräften waren, dennoch fühlte er sich in seiner Position bestätigt.
Etwa zur selben Zeit lugte Lucius auch aus seinem Fenster. Was ihm ins Auge fiel, war aber etwas ganz anderes als es beim Obersten Anführer der Horden der Fall war. Im frühmorgendlichen Treiben der jungen Krieger sah man eine Person den steilen Steig hinab vom Berg herannahen. In dem Moment, als er sie erkannte, blieb ihm wahrhaftig die Spucke weg. Es war Petra Vogt, welche in Begleitung von ein paar Nachzüglern der Lanzknechte hier auftauchte! Gleich einem Wirbelwind stürmte er bei seiner Tür hinaus, ins Erdgeschoß hinunter und in deutlich zu leichter Kleidung hinaus ins Freie. Wie getrieben eilte er der Frau entgegen, die er bereits abgeschrieben hatte.
Bei ihrem Abstieg erspähte die Dame schon von Weitem, wie ihr „Verbündeter“ ihr entgegenhetzte. Sie hielt an und wartete, bis dieser zu ihr kam. Außer Atem kam der Typ vor ihr zum Stehen. Dennoch sprach er sie sogleich keuchend an: „Du ….und deine Gefährten….nennt mich künftig nur noch Bertram. Das ist mein Name, verstehst du?“ – „Dir auch einen schönen, guten Tag!“, erwiderte sie ihm zynisch. „Weshalb die Eile?“ Gleich infolge musste der Mann ihr natürlich darlegen, weswegen er so überhastet mit der Tür ins Haus fiel. „Es hat sich etwas ergeben, wovon du nichts weißt. Das Mädchen, ich meine die Hexe, die Prinzessin, ist bei uns. Und ich konnte sie einwickeln. Aber sie glaubt, dass ich Achaz Onkel namens Bertram bin. Also rede mich von nun an mit diesem Namen an, oder wir alle könnten echte Probleme bekommen.“
Petras Ankunft barg das große Risiko ihn und seine Lügenkonstrukte vor Viktoria auffliegen zu lassen. Darum musste er diese Gefahr schnellstmöglich eliminieren. Er elaborierte: „Bisher hatte sie mich noch nicht persönlich zu Gesicht bekommen, weswegen sie nicht weiß, dass ich Lucius bin. Es würde sie nur verwirren, wenn sie jetzt erfahren würde, dass ich mich als jemand anderer ausgegeben habe.“ – „Ich verstehe schon“, gab die Dame da kurzerhand zurück. „Ich werde versuchen deine Täuschungen nicht zu enthüllen.“ Das erzeugte sogleich deutliche Entspannung bei dem Mann. Dann sagte er zu ihr: „Den Rest besprechen wir später. Ich sollte besser wieder hineingehen.“ Die Morgenluft war für sein dünnes Schlafgewand eindeutig zu frisch.
Während der Kleingewachsene, Frau Vogt und ihre Handvoll Begleiter dann miteinander zum Hof hinunterschritten, unterhielt sie sich noch ein wenig mit einem von den Kämpfern. Es war derjenige, der ihr die Flucht vor Alexander in den Duhnmarschen ermöglicht hatte. Sie hatte damals schon eine ganze Weile bemerkt, dass ihr jemand nachgestellt hatte, aber sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte, da dieser immer außer ihrer Reich- und besonders Sichtweite geblieben war. Als sie dann aber zufällig einem Ihrer Rebellen über den Weg lief, kam sie auf die Idee, einer bereits vorhandenen Spur am Boden zu folgen, bis die Straße abzweigte, woraufhin sie dann auf dem Rücken des Pferdes eben dieses Lanzknechts mitritt. Der junge Kuhn war dann einfach weiterhin der anderen Spur gefolgt, da er nicht davon ausging, dass Petras Spur plötzlich zu Hufabdrücken werden konnte. Es war ein Trick von passabler Gewieftheit. Auf jeden Fall war er erfolgreich darin gewesen, den Verfolger abzuschütteln.
Den ausgemachten Treffpunkt mit den Kascharen hatte sie ja bereits gewusst. Da sie zu dem Zeitpunkt nur zu zweit waren, konnten sie dann Lucius Kolonne einholen. Oder, naja, fast hatten sie diese eingeholt. Sie kamen nur einen Tag später als dieser an. Nun aber musste Petra einen wahrhaftigen Eiertanz aufführen. Sie durfte Lucius nicht vor Viktoria auffliegen lassen, würde aber natürlich auch ihre eigene Manipulation an dem Mädchen versuchen. Dieser Verräter würde seine wohlverdiente Strafe bekommen, dafür würde sie sorgen. Vielleicht konnte sie hierfür sogar die Teufelin einspannen. All das gärte weiter in ihren Gedanken, während sie bereits das Gehöft betraten. Die gesamte Angelegenheit hier war ein riesiges Pokerspiel geworden und sie musste ihre Karten RICHTIG spielen, dann konnte sie gewinnen.
„Sollte ich wirklich bei dieser Sache mitgehen? Bin ich tatsächlich bereit dazu, etwas so Widersprüchliches zu tun? Keiner dieser Leute, weder die Alethischen noch die Kascharen, halten etwas von Zauberern wie mir. Vor diesen habe ich keine Angst, nein, das sicher nicht. Und der Akt der Rebellion gegen mein Heimatland, stört er mich? Nein, auch das nicht. Mir sind all diese Tussen, Schnösel und Hochwohlgeborenen dort schnurzegal. Von mir aus können in sie im Höllenfeuer schmoren! Also warum bin ich so zaghaft? Was hält mich zurück?“
Auf einer ungemütlichen Strohmatratze liegend, starrte Viktoria an die Decke und sinnierte über die Zweifel, die sie nun plagten. Sehr schnell aber erschienen ihr wieder die Bilder ihrer ermordeten Eltern in Gedanken. Schwer ergriffen musste sie, wie aus dem Nichts, zu weinen beginnen. Wie oft war ihr das jetzt schon passiert? Sie hatte nie auch nur angefangen zu zählen. Klar war, dass sie jeden Tag Tränen für diese vergoss. Und in diese tiefe Melancholie mischte sich auch noch der Verlust von Achaz und ihrer Beziehung zu ihren Adoptiveltern. Ihr Leben war ein einziger Scherbenhaufen!
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Als ihr dies durch den Sinn ging, erinnerte sie sich dann auch wieder an Wenzel. Es ließ den Zorn in ihr aufsteigen. „Er hat das alles zu verschulden! Er wollte mich nicht zusammen mit Achaz sehen und hat folglich das Unvorstellbare getan. Wenn das nicht passiert wäre, hätten sich die Ereignisse mit meinen Eltern auch nicht zugetragen!“ Sie übersah hier natürlich, dass die Konsequenzen ihrer Taten während ihrer nächtlichen Schlafwandlerei nicht Wenzels Schuld sein konnten, und ihm dies zuzuschreiben wohl doch ein wenig zu weit ging. Ihr war das aber egal. Der Anfang und die Wurzel all ihrer Betrübnis war in ihren Augen einzig und allein Wenzel!
„Nein, ich werde ihm den größtmöglichen Schmerz zufügen, indem ich die Stabilität und den Wohlstand in Ordanien zerstöre! Diesen Aufrührern zu helfen ist also sehr wohl der richtige Weg dahin“, war die Schlussfolgerung, die sie jetzt aus dem zog. Blinde Emotionalität, verursacht durch Trauma. Das Mädchen war eine höchst gefährliche Zeitbombe. Das zeigte sich auch augenblicklich wieder. Als Manifestation ihres inneren Furors fing ihre Matratze urplötzlich Feuer!
Just sprang sie auf, ließ das Ding in die Höhe schweben, öffnete ihr Fenster mit Telekinese und beförderte ihre Schlafunterlage dort hinaus. Sie sah nicht, wie sie auf die Wiese darunter fiel, konnte aber deren Aufklatschen sehr wohl hören. Die Rauchentwicklung rief recht rasch die Hausbewohner auf den Plan, welche besorgt bei ihrer Türe hereinstürmten. „Alles ist gut. Habe das Problem schon gelöst“, teilte sie diesen schlicht mit, ohne irgendwie ins Detail zu gehen. Was darauf folgte war allerdings sehr befremdlich für die Eindringlinge ihres Zimmers. Die Magierin brach spontan und ohne ersichtliche Ursache in Gelächter aus. Diese Episode dauerte nicht lang und sie hatte sich schnell wieder gefangen. Nichtsdestotrotz war es eine seltsame Begebenheit für die unfreiwilligen Zeugen dessen.
Bald schon beruhigte sich die Situation wieder. Zwar brannte die Matratze unten ab, ging aber auch schnell wieder aus. Die Flammen griffen nicht auf das umliegende Gras über, da geschwind ein paar Knechte mit Wassereimern herbeieilten und den Brandherd unterdrückten. Zum Glück war, außer dem Schock, den die Anwohner hier kurz bekommen hatten, nicht viel passiert. Entschuldigung gab ihnen Viktoria aber keine. Sie war viel zu sauer auf sich selbst, da sie ihre Kraft nicht in Zaum halten konnte. Diese Sache, genauso wie alles andere, was sich in letzter Zeit zugetragen hatte, zehrten an ihr, ja raubten ihr buchstäblich den Verstand.
Später kreuzten sich ihre Wege dann mit Bertram. Irgendwo in einem der engen Gänge des großen Hauses traf sie auf den Mann, den sie gesucht hatte. Sie sprach ihn unmittelbar an: „Hey, ich habe mir die Sache mit den Horden nochmal durch den Kopf gehen lassen. Ich glaube, wir sollten ihnen dabei helfen, ihr Ziel zuerst zu erreichen. Danach könnten wir machen, was du dir vorstellst, und sie hätten keine Ausrede mehr uns nicht dabei zu unterstützen. Eine Hand wäscht ja bekanntlich die andere.“ Daraufhin stand der Angesprochene einen Moment lang nur verdutzt da und wusste nicht, was er sagen sollte. Die Kleine hatte sich das offenbar vorher gut überlegt.
Schließlich entgegnete er aber: „Du willst ihnen tatsächlich beiseite stehen? Ich denke nicht, dass wir diesen,“ er zögerte mal eben, fuhr dann jedoch in leiserem Ton fort, „Barbaren wirklich trauen können. Sie wollen uns, und vor allem dich, wahrscheinlich nur ausnutzen!“ Mit ernster Stimme gab ihm das Mädchen jedoch zur Gegenrede: „Sie werden es nicht riskieren mich zu hintergehen. Wer mich wütend macht, wird es bitterböse bereuen! Sag das, bitte, auch dem Anführer von ihnen.“ Selbst Lucius fing sich da schon beinah zu fürchten an. Dies war eine gerissene Herangehensweise, die die Hexe da hatte. Sie war seiner eigenen gar nicht so unähnlich. Gefürchtet zu sein, bedeutete aber auch unberechenbar zu sein. Und für den angeblichen Bertram war sie berechenbar. Zumindest glaubte er das.
Nach dieser kurzen Unterhaltung verließ der Mann das Gebäude und machte einen kleinen Spaziergang. Er musste nun über alles, was sich allein in den letzten 24 Stunden ergeben hatte, nachgrübeln. Vorhin hatte er noch ein weiteres Gespräch mit Petra abgehalten. Es hatte einiges gegeben, was er von dieser wissen wollte. Ihre Erklärungen dazu, vor allem jene bezüglich des Umstands, dass der Dämonenkaiser sie einfach so freigelassen hatte, verwunderten ihn doch sehr. „Ich glaube ihr kein bisschen! Da gibt es etwas, das sie mir enthält, und ich weiß nicht, was es ist“, überlegte er, während er einen ausgetrampelten Pfad, der vom Einhof wegführte, entlangspazierte.
In seiner Nähe war erheblich mehr los, als man sich an einem solchen Ort jemals vorstellen würde. Zahllose Kascharenkrieger, die treuen Männer Lajoschs, die sich für die Dauer ihres Aufenthalts hier als Helfer für die Bergbauern betätigten, rannten überall umher und verrichteten allerlei Arbeiten. Den Blick etwas weiter hoch ins Tal werfend, präsentierte sich einem der Lagerplatz, den die Lanzknechte sich eingerichtet hatten, oder, nun ja, diejenigen, die nicht davongelaufen waren. Eine große Zahl von ihnen, die im jüngsten Schlag der Melgaristischen Streitkräfte in Camenia davongekommen waren, hatten nämlich den Schwanz eingezogen und hatten sich nicht zum befohlenen Zielort, also dem Standort genau hier, aufgemacht. Der Teufel Wenzel hatte, wahrscheinlich ohne es zu wissen, dem Widerstand einen schweren Dämpfer verpasst.
Als er so am Weidezaun lehnte, kam von hinten der Rangnächste ihrer Organisation zu ihm. Sein Name war Randolf, und er war derjenige, der auch bei ihrem Treffen mit dem Obersten Anführer der Kascharenhorden anwesend gewesen war. „Was macht Ihr hier draußen?“, wollte er von ihm wissen. Die Antwort folgte ohne Verzug: „Unsere Strategie ersinnen, Pläne mit mir selbst entwerfen.“ Sogleich war der Typ ganz Ohr. „Es sieht so aus, als würden wir keine andere Wahl haben, den Horden vorerst einmal dabei behilflich zu sein, ihre Anliegen umzusetzen, bevor wir in unserer Heimat die Gegenrevolution starten können. Vielleicht hatte Etzel einen solchen Ausgang sogar vorhergesehen. Das könnte auch der Grund sein, warum er die Reste der Alethischen Kommune hierzu nicht eingeladen, ja diese noch nicht mal kontaktiert hat. Naja, das und vermutlich deren aktuelle innere Fragmentierung im Allgemeinen.“
Der Kommandant nickte nur und horchte ihm weiter zu. „Was er natürlich nicht vorhersehen hätte können, war, dass die ‚Unheilige Armee‘ uns finden würde, und dass die Teufelin zu uns kommen würde und sich zu unserem willigen Instrument machen lässt. Ein Unglück und ein Glücksfall dicht nacheinander. Sei’s drum. Wir müssen nun mit dem arbeiten, was wir haben.“ Somit wandte er sich dann endlich direkt an seinen Zuhörer: „Geh zu Lajosch und teile ihm mit, dass wir damit übereinstimmen, seinem Plan zu folgen. Außer natürlich du bist der Meinung, wir könnten das anders angehen?“ – „Nein, es ist so, wie Ihr gesagt habt. Wir haben hier wohl kaum gute Optionen.“ Infolge trat der Kämpfer ab und machte sich auf zum Obersten Anführer.
Die Nacht war am Hereinbrechen. In dem von Wurstgerüchen und anderen Dämpfen durchzogenen Wohnbereich des Gebäudes war eine gefühlt viel zu große Menge an Menschen, die hier nächtigte, dicht gedrängt. Viktoria, die den Großteil des Tages in ihrem Schlafkämmerchen verbracht hatte, folgte nun Lucius, welcher sie in ein privates Zimmer führte, wo sie alleine sein konnten. Höchstwahrscheinlich ging es darum, wie ihre Gruppe nun fortfahren würde. In einem kleinen Raum angekommen, erblickte sie aber eine schwarzhaarige Dame, die dort bereits auf sie gewartet hatte.
„Viktoria, darf ich dir Petra vorstellen“, machte er die zwei einander bekannt. Frau Vogt stand sogleich auf und hielt ihr die Hand zur Begrüßung hin, zauderte aber kurzfristig, als ihr die mit roten Äderchen unterlegten Augen der Prinzessin auffielen. Sie riss sich zusammen und stellte sich freundlich bei der Jugendlichen vor. Allein ihr Vorname hatte der Teenagerin aber unmittelbar verständlich gemacht, wer die Person vor ihr war. Folglich krampfte sie sich zusammen. Gleich darauf wandte sie sich Lucius zu und fragte ihn: „Weiß sie schon über…..du weißt schon?“ – „Nein. Ich habe ihr noch nichts gesagt. Jedoch glaube ich, wir sollten vorsichtig an die Sache herangehen“, gab der Mann zurück. Er hatte zwar mit so einer Frage von ihr gerechnet, jedoch nicht, dass sie sie geradeheraus vor Frau Vogt äußern würde. Das war durchaus ein Problem!
Petra verstand sehr wohl, worum es hier ging, stellte sich aber dumm, indem sie die beiden, die ihr gegenüber waren, nur fragend anschaute. Bertram machte eine abweisende Handbewegung und sagte: „Vergessen wir das erst mal. Was viel wichtiger ist, sind die Dinge, die ich euch mitzuteilen habe.“ Er holte kurz Luft und fuhr dann fort: „Ich habe Lajosch darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir zuerst Nargyosch… ähem… ‚befreien‘ werden. Dies sollte unserem Bündnis eine Vertrauensgrundlage geben, auf Basis derer wir dann auch gegen das Kernland des Reiches zum Schlag ausholen können. So viel ich mitbekommen habe, hat der Oberste Anführer der Kascharenhorden bereits den Befehl dazu ausgegeben, dass alle verfügbaren Kräfte von ihrer Seite sich versammeln sollen. Mit der Magierin hier an unserer Seite, können wir diese Schlacht nicht verlieren. Der im Anschluss angedachte Feldzug gegen Ordanien, wird da wohl viel schwieriger werden. Aber ich hege diesbezüglich große Hoffnungen.“
Infolge ließ ihm die ältere Frau hier wissen, dass sie überaus unzufrieden damit war, bei dieser Entscheidung übergangen worden zu sein. Der hinterlistige Bertram entschuldigte sich bei ihr nur lapidar dafür, was diejenige, die sich beschwert hatte, beleidigte. Sie versuchte es nur nicht zu zeigen. Danach übernahmen die beiden Frauen die Unterhaltung, wobei sie Bertram kaum mehr zu Wort ließen.
„Ich habe von dir ein-, zweimal gehört. Mein Sohn kennt dich. Im Moment ist er nicht hier, sondern vermutlich noch in Ordanien bei Fabio, meinem Partner.“ Gezielt versuchte sie hier möglichst ahnungslos herüberzukommen. Sie musste schließlich auch die Hexe UND Lucius hinters Licht führen, welche beide keinen Wind davon bekommen durften, dass sie um Achaz Ableben Bescheid wusste. Es schien zu klappen, denn Viktoria sprach ihr gegenüber nur recht zurückhaltend, leise und über Themen die eher noch angenehmerer Natur waren. Immer wieder schaute sie der Mutter ins Gesicht, nur um dann gleich wieder ihren Blick abzuwenden, sobald sich ihre Blicke trafen.
Sehr bald schon schien das alles der Jugendlichen aber schon zu viel zu werden. Nicht einmal eine Stunde später, stand sie vom Tisch, an dem sie gesessen waren, auf, verabschiedete sich und kehrte für die Nacht ein. Damit machten auch Petra und Lucius Schluss für heute. Die Dame hatte nur mäßigen Erfolg mit ihren Annäherungsversuchen an die Prinzessin gehabt. Sie würde noch eine Weile benötigen, um ein Vertrauen zu sich bei dieser aufbauen zu können. Und Lucius? Er war in ihren Augen ein Schwachkopf! Er hatte noch nicht einmal eins und eins zusammenzählen können, dass sie Wenzel über das informiert hatte, was an jenem Entscheidungstag tatsächlich im Palast vorgefallen war! Eigentlich hätte es in seinem eigenen Interesse sein müssen, sie möglichst von der Zaubrerin fernzuhalten. Aber selbst dafür war er zu naiv. Dies spendete ihr Zuversicht, dass sie ihn an der Nase herumführen können würde. Ihre Rache würde noch kommen, und zwar dann, wann er es am wenigsten erwartete!
Behutsam und auf Zehenspitzen tapste eine Person durch die Gänge. Es war bereits stockefinster und man musste sich fast schon mit dem Tastsinn orientieren, um voranzukommen. Außer dem gelegentlichen Quietschen der Bodendielen, wenn man auf diese trat, oder dem fallweisen lauteren Schnarchen, das aus einem der Gemächer anbei ertönte, war es komplett still. Die Gestalt schlich eilig weiter, bis sie vor der Tür eines bestimmten Zimmers ankam. Sie drückte die Türklinke ganz vorsichtig nach unten, um möglichst kein Geräusch zu erzeugen, trat dann langsam ein und schloss diese auch wieder ebenso vorsichtig hinter sich. Durch das Fenster fiel der Mondschein auf die heimliche Einbrecherin. Es war Viktoria. Vor ihr im Bett lag, in eine dicke Decke eingehüllt, die Frau Vogt. Argwöhnisch blickte sie auf diese hinab.
„Hier kann ich der Sache nun ungestört auf den Grund gehen. Vor Bertram hätte ich vorhin nicht in ihre Gedanken und Erinnerungen blicken können, ohne dadurch massive Querelen mit diesem hervorzurufen. Das will ich auch nicht unbedingt.“ Die junge Dame hatte im verbalen Austausch mit Petra schnell ein mulmiges Gefühl bekommen. Nicht nur das Schicksal deren Sohnes, welches die Rothaarige schwer belastete, war hieran schuld. Nein, alle Signale, die ihr Frau Vogts Manieren, ihre Mimik und Gestik, sandten, waren ihr verdächtig gewesen. Sie spürte, dass diese Frau etwas vor ihr verbarg. Und sie glaubte nicht, dass es sich dabei schlicht um die Tatsache handelte, dass Achaz Mutter ihren Sohn bewusst dazu gedrängt hatte, eine Beziehung mit Viktoria einzugehen, um sie ausnutzen zu können. Dies hatte Petra zwar auch vor ihr verheimlicht, doch war die Magierin überzeugt davon, dass da noch mehr sein musste.
In aller Seelenruhe würde sie hier und jetzt das Geheimnis lüften. Zwar wäre es ihr jederzeit möglich in deren Bewusstsein einzudringen, denn im Gegensatz zu ihrem Vater war sie dazu in der Lage auch die Gedanken von anderen zu lesen, ohne dass diese ihr das gewährten, doch hätte es ihr in der Gegenwart von anderen zu viele Umstände bereitet und Konsequenzen nach sich gezogen. Diese nächtliche Aktion war da doch wesentlich reibungsloser und unproblematischer. Außerdem würde sie in dieser Situation keinen geistigen Widerstand gegen ihr Eindringen leisten, was es dem Mädchen natürlich erheblich leichter machte, in deren tiefstes Innerstes einzutauchen.
Bis knapp neben ihre Bettkante trat sie an die Schlummernde heran. Dann langte sie hinunter und versuchte diese so sachte wie nur irgend möglich zu berühren. Dies gelang ihr. Petra wachte nicht auf. Nächster Halt: Deren Erinnerungen.
……
Aus der gähnenden Leere ertönte eine beklemmende Stimme: „Lucius, wach auf!“
„Ha? Was?“ Er erkannte die Stimme. Wieso störte sie ihn um so eine Zeit? Es war noch nicht einmal hell draußen.
„Zeit für dich aufzuwachen, Lucius.“ – „Kann das nicht warten? Es ist……“ Schlagartig unterband er die Absonderung eines jeglichen weiteren Wortes. Ihm war aufgefallen, mit welchem Namen er adressiert worden war. Von Grauen erfüllt, sprang er auf, nur um sich unverhofft direkt in ihr Antlitz schauend wiederzufinden. Zwei leuchtende Sphären, in denen Flammen wild wie das Fegefeuer selbst loderten, erhellten den Raum und starrten ihm unheilvoll entgegen.
„Woher hast du…..“ – „Schweig, du *****sohn!“, donnerte es zurück. „Ich werde dich weder darum fragen noch bitten!“ Dann las sie auch seine Gedanken.
Eiseskalte Luft zischte ihm um die Ohren. In schwindelerregender Höhe flog der Erkorene dem Horizont entgegen, welcher ihm graduell die fernen Bergspitzen der kascharischen Gebirge enthüllte. „Dieser Alexander ist echt zu nichts zu gebrauchen!“ ärgerte er sich. Wenige Wochen nach dem Beginn seiner Mission zur Verfolgung Petras, war der Kerl wehmütig zu ihm zurückgekrochen, nur um ihn darüber in Kenntnis zu setzen, dass er ihre Fährte verloren hatte. Seine Majestät war selbstverständlich nicht erfreut über solche Nachrichten gewesen, zur selben Zeit jedoch war er deswegen nicht wirklich aus der Fassung geraten. „Was auch immer passiert, sie kann mir nicht entwischen,“ wiederholte er seine eigene frühere Aussage, während er auf das azurblaue Funkeln des Steins schaute. Das Szepter, wovon dieser Teil war, leuchtete ihm den Weg zu der Frau.
Eine karge Wüstenlandschaft zog unter ihm hinweg und er überquerte den ersten Berg. Da rührte sich auch schon sein Wegeführer und deutete ihm in Richtung eines der Täler, gleich hier in der näheren Umgebung. Trotz seiner vorsichtshalber dickeren Kleidung, die er trug, schüttelte es Wenzel von den frostigen Temperaturen. Er sank hinunter und kam seinem Ziel immer näher. Letztlich geleitete ihm sein Szepter vor die große Ruine eines Bauernhofs, der offenbar abgebrannt war. Schwarz und verkohlt präsentierte dieser sich vor ihm, der Brandgeruch immer noch in der Luft. Es war offensichtlich, dass dieser erst vor Kurzem in Flammen aufgegangen war.
Ringsum verstreut lagen überall unzählige, scheinbar leblose Leiber. Als der Kaiser dies bemerkte, ließ er, auf der Suche nach dem Urheber dieses Gemetzels, seinen Blick umherschweifen. Nichts. Weiter weg sah er ein paar wenige Hanseln, die die Verstorbenen auf einem Haufen zusammenwarfen, höchstwahrscheinlich nachdem sie diese ihrer noch brauchbaren Gegenstände entledigt hatten. Aus irgendeinem Grund hatten sie die Ankunft des Zauberers nicht mitbekommen, wodurch sie wohl nicht gleich vor ihm davonliefen. Wenzel würde dieses Pack gewiss bezüglich der Vorkommnisse hier befragen. Doch zuerst musste er noch Petra finden. Die Szenerie, die sich ihm hier bot, ließ ihm allerdings nun Übles erahnen.
Das Imperiale Szepter wies in Richtung des zerstörten Almgehöfts. Schritt um Schritt kam er heran und räumte den Schutt, der ihm im Weg war, mit seiner Telekinese beiseite. Letzten Endes wurde er zu einer pechschwarz verkohlten Leiche gelotst. Davon lagen hier darunter einige. Im Wesentlichen war sie nur noch ein Skelett, wodurch es ausgeschlossen war, zweifelsfrei verifizieren zu können, ob es sich hierbei um Petra Vogt handelte. Sein magisches Artefakt meinte aber, dass es so wäre, weshalb seine Hoheit davon ausging, dass dies der Fall war. „Wurde sie etwa von den Kascharen, bei denen sie Zuflucht gefunden hat, umgebracht? Das wäre schon ziemlich absurd!“, stellte er in süffisantem Ton fest und lachte darauffolgend. Ihr Verderben kümmerte ihn nicht. Es bedeutete lediglich, dass er nun kein Instrument mehr hatte, um Viktoria vielleicht finden zu können.
Jetzt nahm er sich der, wie er vermutete, Plünderer an. Rapide schwebe er hinüber zu diesen, welche erst jetzt realisierten, wer er war. Die Gruppe versuchte das Weite zu suchen, doch er hielt sogleich einen von ihnen fest. Der arme Kerl wurde zu Boden geworfen, und als er sich wieder aufrappeln wollte, packte der Über-Ihm-Stehende ihn am Kragen. „Sag mir, was hier passiert ist!“, befahl er ihm. Etwas zögerlich und offenkundig verwirrt kam es dann von dem Mann, der einfache Kleidung trug, jedoch gute Fellschuhe zu haben schien, zurück: „Die Hexe hat das angestellt! Sie hat sie alle getötet!“ Erstaunt, ließ der Magier kurz von ihm ab. Viktorias Verwicklung in die Dinge hier erwischte ihn kalt. Er fasste sich aber schnell wieder, und stellte als weiterführende Frage: „Wen? Wen hat sie getötet? Petra Vogt?“ – „Alle! Den Obersten Anführer, Bertram, Gandolf, die Frau, die noch dazugekommen war, und danach alle, die sie von unseren Kämpfern hier erwischen konnte“, gab der Verhörte Hals über Kopf zur Antwort. Ihm war Petra anscheinend unbekannt.
Anstatt das Pokerspiel mit diesen Leuten mitzuspielen, hatte die Prinzessin einfach den ganzen Tisch mitsamt aller Karten darauf umgeschmissen. Somit hatte sich Kaiserin Elisabeths Fluch, mit dem sie vor so langer Zeit die Cornels verwunschen hatte, schlussendlich doch bewahrheitet.„Und wo ist das Mädchen jetzt?“, war er nun begierig zu erfahren. Der Typ erwiderte ihm einfach, indem er mit dem Finger in die Ferne zeigte. Westwärts deutete er. „In diese Himmelsrichtung hat sie sich davongemacht. Von dem, was ich so mitgekriegt habe, hat unser Anführer auch über die Möglichkeit Meglarsbruck anzugreifen diskutiert. Vielleicht…“ Sein Satz blieb unvollendet. Wenzel ließ ihn los und stapfte weg von ihm. Dann blieb er aber wieder stehen und dachte darüber nach. Er war überzeugt davon, dass der Mann hier richtig geschlussfolgert hatte. In der Hauptstadt des Reiches würde er sie finden. Da schwante ihm Übles.