Ein neuer Morgen graute. Die Straßen der Reichshauptstadt waren immer noch feucht von den fast schon Sintflutartigen Regenfällen der vorangegangenen Nacht. Die großen Tore der Stadtgarnison schwangen offen und ein ganzes Regiment marschierte imposant daraus hervor. Die Stadt wurde abgeriegelt. Es war vermutlich schon ein wenig zu spät dafür, aber dennoch würde man sich nicht nachsagen lassen wollen, dass man nicht einmal den Versuch unternommen hätte sie zu finden.
„Habt Acht!“, gab der Kommandant den Befehl und alle Mann blieben sogleich in Formation stehen. „Ich habe hier eine einfache Skizze der Person, die wir suchen. Sie soll LEBEND, wenn es auch nur irgendwie möglich ist, festgenommen werden! Stellt euch an und schaut euch alle das Gesicht genau an. Ich will, dass ihr es euch einprägt. Danach werden Vierermannschaften geformt, die die Stadt durchkämmen. Wir werden absolut alles durchsuchen, jedes Haus, jeden Keller, jeden Raum, jeden Kasten, lasst nicht eine einzige Sache aus! Wir werden jeden Hebel in Bewegung setzen, um diese Missetäterin dingfest zu machen. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ – „Jawohl, Vizemarschall!“, gaben die Soldaten zurück. Darauf korrigierte sie Ulrich sogleich: „Von jetzt an heißt das Oberster Marschall für euch. Also, dann, auf geht’s. Salutiert!“
Die Männer folgten dem Befehl und stellten sich dann an, um einen Blick auf das Fahndungsplakat werfen zu können. Es war eine Dame, mit kürzeren, schwarzen Haaren und einem eher schmalen, ovalen Gesicht, die auf diesem abgebildet war. Auch wenn sie in dieser Darstellung noch wesentlich weniger Falten hatte, als es tatsächlich schon der Fall war, so konnte man sehr klar erkennen, dass dies Petra Vogt sein sollte. Ja, die Dame würde nun in der ganzen Stadt und demnächst schon im ganzen Reich gesucht werden. Der Kaiser hatte dies befohlen, da sie ihm zufolge hinter den Ereignissen der letzten Nacht stand. Viele Bewohner Meglarsbrucks waren noch nicht einmal aus den Betten und hatten von den dramatischen Geschehnissen der letzten Stunden noch nichts erfahren.
Es war ein für Viele erschütterndes Ereignis. Der Melgarionenpalast, der selbst die Heilige Revolution unbeschadet überstanden hatte, lag nun zu großen Teilen in Schutt und Asche. Laut den Worten seiner Majestät, waren Saboteure in den Komplex eingedrungen und hatten darin Feuer gelegt. „Es waren ganz sicher wieder die Alethischen daran schuld!“, war, was sich die meisten im Militär dachten. Deren Bitterkeit über ihren Machtverlust als Folge der Revolution hatten sie niemals abgelegt. Das Heer war rund um die Uhr damit beschäftigt, diesen „ihren Platz“ zu zeigen, doch dieser jüngste Akt der politischen Gewalt, würde nur zu noch mehr Unterdrückung führen. „Wir werden diese widerwärtigen Ketzer zerstören! Sie haben es ja anscheinend auch nicht anders gewollt!“, sagte Ulrich, nachdem er sich in den Sattel seines Rosses geschwungen hatte. Sein Befehl hatte zwar gelautet, alle Häuser ohne Diskriminierung zu durchsuchen, doch ihm selbst war einhundertprozentig bewusst, dass die Soldaten hier mit zweierlei Maß messen würden.
Zack! Die Tür wurde gewaltsam aufgerissen, nachdem die Hausbewohner sie einen Spalt geöffnet hatten, um nachzusehen, wer da zu solch früher Stunde angeklopft hatte. Gleich darauf stürmte der Trupp hinein. Generalmajor Alexander Kuhn blieb nahe der Eingangspforte stehen und musste sich als Befehlshaber hier mit den Fragen und Beschwerden der überrumpelten Einwohner herumschlagen. „Wir haben nichts zu verbergen. Es war völlig unangebracht von Ihnen, meinen Sohn einfach so niederzustoßen! Es gibt rein gar nichts, was wir uns zu Schulden haben kommen lassen.“ – „Das sagen sie alle, bis wir finden, was für 'Leichen' sie tatsächlich im Keller haben“, erwiderte der junge Mann unverblümt und mit Unnachgiebigkeit in seiner Stimme, während er dazu auch noch die Augen verdrehte. Er hatte keinerlei Verständnis oder gar Mitleid für diese Alethischen. Sie hatten seinen Vater auf dem Gewissen! Das würde er ihnen nie verzeihen! Das war auch der Grund, weswegen er sich sofort freiwillig gemeldet hatte, um mit der Suchaktion zu helfen.
In der Zwischenzeit durchsuchten die Soldaten das ganze Haus. Sie gingen in alle Winkel, durchstöberten den Dachboden und Keller, ja sie durchwühlten sogar alle Schränke und Laden. Die Dame des Hauses wollte da schon zu ihnen hingehen und ihnen etwas sagen, doch ihr Ehemann nahm sie am Arm und hielt sie davon ab einen solch törichten Fehler zu begehen. Als sie auf ihn zurückblickte, war ein Kopfschütteln und ein ernster Blick alles, was er ihr gab. Sie verstand ihn schon. Hier gegen Unrecht aufzustehen, war die Sicherheit ihrer Familie zu riskieren nicht wert. Im Endeffekt konnte man nichts finden. Ein einziges „verdächtiges“ Buch, konnte man unter der Stiege ausfindig machen. Dieses wurde natürlich beschlagnahmt. Das war’s. Die Männer zogen wieder ab, ohne auch nur ein Mindestmaß an Anstand zu zeigen, da sie sich nicht einmal verabschiedeten. Es ging augenblicklich weiter zum nächsten Haus.
So zog sich der Tag nun elendslang hin. Ein paar Frauen, die dem hastig gezeichneten Fahndungsbild ähnlich sahen, waren verhaftet worden, doch jede einzelne dieser Festgenommenen musste man als Zu-Unrecht-Beschuldigte wieder auf freien Fuß setzen. Eine gefühlte Ewigkeit später kam Alexander wieder zu seinem Mentor, zurück, um ihm Bericht über den Mangel an Erfolg in ihrem Auftrag zu erteilen. Als er an ihn herannahte, sah er aber, wie sich Ulrich mit einem Mann, den er vom Aussehen her zwar kannte, welchen er aber so auf die Schnelle nicht wirklich zuteilen konnte, unterhielt. Er hatte kurze, gut gekämmte, schwarze Haare und trug eine Brille. Seine Gewänder waren sehr erhaben, was darauf hindeutete, dass er eine Person sehr großer Autorität war. Kleider machen Leute. In seiner Unerfahrenheit hatte Alexander jedoch noch nicht einmal den Reichskanzler an seiner doch so hervorstechenden Aufmache erkennen können.
„Die Bestattungsfeier wird selbstverständlich in gebührendem Umfang stattfinden. Man hat mich bereits über die Veranlassung der entsprechenden Vorbereitungen unterrichtet“, kam es in gewähltester Ausdrucksform von seiner Exzellenz. Auch in Hochsprache, aber ein bisschen weniger hochgestochen sagte dann Ulrich darauf: „Mir ist es nur leid um die Witwe, die er zurücklässt. Sie war nicht einmal mehr ansprechbar.“ Mit leichtem Kopfnicken und einer kühlen Miene signalisierte ihm Peter sein Verständnis, woraufhin der Militär fortfuhr. „Ich habe hier leider keine Zeit mich mit solcherlei Gefühlsduseleien herumzuschlagen. Meine Aufgabe ist klar: Die Stabilität des Landes gewährleisten und Verräter und Attentäter ausfindig machen und ausmerzen! Im Grunde, alles wie gehabt.“
Dem hatte nun der Regierungschef etwas beizufügen. Er rückte seinem Gesprächspartner ein wenig mehr auf die Pelle und begann in leisem Ton zu sprechen: „Sie haben die Position des Obersten Marschalls interimistisch inne. In der aktuellen Situation sind ihre Fähigkeiten dem Reich von Nutzen. Glauben Sie aber ja nicht, dass dies bedeutet, sie könnten den angemessenen Prozeduren entgehen! Es gibt eine vorgeschriebene Nachrückordnung im Heer, aber ebenso gibt es Gesetze. Und das Gesetz besagt, dass der Oberste Marschall vom Souverän abgesegnet werden muss.“ Der Ton in seiner Stimme war hart und feinselig.
Mit gleichfalls animosem Tonfall antwortete ihm Ulrich: „Ich bin im Moment der Einzige hier, der in die Fußstapfen des Helden der Revolution treten kann! Ihre politischen Spielereien interessieren mich in keiner Weise. Und ebenso werden sie das Heer nicht interessieren!“ Der Mann war durchaus selbstbewusst, dies war kein Bluff. Eines war ihm aber trotzdem klar: Es war in den Gründungdokumenten des Reiches festgelegt worden, dass der Armeechef vom Kaiser berufen wurde. Selbst die Mitglieder des Reichstags würden sich nicht erdreisten gegen jene Dokumente zu verstoßen, die sie damals selbst einvernehmlich unterschrieben hatten. Der zwischenzeitliche Oberste Marschall legte es mit seinem Verhalten hier lediglich darauf an, dass er den Rückhalt des Heeres bis zur Rückkunft seiner Hoheit eindeutig zur Schau stellen konnte, um Wenzel damit scheinbar vor vollendete Tatsachen zu stellen, die diesem das Gefühl gaben, dass er dem nur zustimmen konnte, wenn er nicht noch mehr Unruhe im Land haben wollte. Natürlich war dies alles nur Spekulation vonseiten Ulrichs. Er wusste nicht, wie genau die Dinge sich ergeben würden oder wann seine Majestät tatsächlich in die Hauptstadt zurückkehren würde.
Peter hatte eine sehr üble Reaktion darauf. „So viel mir zu Ohren gekommen ist, sind Sie damals der Revolution auch nur sehr spät beigetreten, zu einer Zeit als sich das Blatt schon sichtlich zu wenden schien. Opportunisten sind nicht diejenigen, die eine blühende Zukunft für ein Land garantieren können.“ Es waren harte Worte, die dem Veteranen da an den Kopf geworfen wurden. Der Zorn, den diese wachriefen, war ihm offenkundig anzuerkennen. In dem Moment kam plötzlich der Sohn des Mannes, der heute Nacht zum Märtyrer geworden war, herangeschneit. Augenblicklich entfernte sich der Reichskanzler wieder etwas von seinem Gegenüber und äußerte nun wieder in normaler Lautstärke: „Der Umzug des Hofes läuft einwandfrei ab. Seien sie versichert, dass die Reichsgarde diese Angelegenheit im Griff hat. Nun denn, ich muss wieder von dannen ziehen. Auf ein baldiges Wiedersehen, Herr Marschall!“ Er machte die entsprechende Abschiedsgeste und spazierte davon. Dann erst trat der ahnungslose Alexander heran, um seinen Rapport abzuliefern.
Amoroso von Alduino holte sich ein längliches Objekt in der Größe eines Fingers aus seiner Brusttasche, steckte es sich in den Mund und zündete es am vorderen Ende an. Er sog den Rauch dessen ein und paffte diesen dann gekonnt wieder heraus. So griesgrämig wie er es fast immer war, stand Lucius neben diesem und starrte ihn missfällig an. „Verpeste mir nicht die Luft mit deinem stinkenden Zeugs hier!“, fauchte er den Lockenkopf ungehobelt an. Der Cousin Fulcos reagierte nur mit einem leichten Schulterzucken. Die Meinung dieses Giftzwergs scherte ihn nicht allzu sehr. Er vermutete, dass der Komplize Petras nur eifersüchtig war, da er sich nicht solche Luxusgüter leisten konnte, die sündteurer von jenseits des Südmeeres herbeigeschifft werden mussten. Mit dieser Annahme lag er falsch, aber es spielte ohnehin keine Rolle. So oder so hätte Lucius sicher einen Grund gefunden, um seine typischerweise mürrische Laune zum Besten zu geben.
Dann erschien plötzlich eine verhüllte Dame, die über die Hügelkuppe herabkam. „Na, endlich! Ich dachte schon, dass ich euch gar nicht finden würde!“, verlautete diese. Auf dem Rücken ihres abgemagerten Kleppers von einem Pferd kletterte sie geschwind den steilen Hang im Zick-Zack zu diesen hinab. Die beiden Herren wussten natürlich, dass es sich bei dieser um Petra handelte. Von Alduino antwortete ihr: „Meine Verzeihung, aber es war nicht anders möglich. Die Stadt war bis heute abgeriegelt und ich habe erfahren, dass man Sie für vogelfrei erklärt hat. Es wäre lebensmüde für Sie, unter den aktuellen Umständen die Hauptstadt zu betreten.“ Darauf entgegnete die Frau sogleich: „Was? Vogelfrei? Wirklich? Was glauben die denn, dass ich getan habe?“ Sie blickte nun auf den Cornel und adressierte ihn unmittelbar: „In deinem Brief hast du mir geschrieben, dass irgendetwas im Kaiserpalast passiert ist. Wieso kommt denn das Regime darauf, dass ich was damit zu tun habe? Ach, vergiss es. Sag mir lieber zuerst, was jetzt wirklich passiert ist!“
„Als ich die Nachricht verfasst habe, wusste ich noch nicht genau, was sich ereignet hatte. Darum konnte ich dir nur Gerüchte, die ich gehört habe, weitergeben. Die Soldaten haben kurz darauf die Stadt abgeriegelt und intensiv nach dir, ja dir, gefahndet. Sie haben auch mir und dem, ähhm…“, er zögerte kurz, da er sich nicht mehr seines Vornamens entsinnen konnte, „dem Herrn von Alduino hier, einen Besuch abgestattet. Logischerweise war bei uns nichts zu finden. Später, als es mir wieder möglich war, das Haus zu verlassen, konnte ich mir mit eigenen Augen ein Bild davon machen, was passiert war. Der Melgarionenpalast ist abgebrannt. Offenbar hat unsere Strippenzieherei bei der Prinzessin Früchte getragen. Ich weiß, dass sie diejenige ist, die dies verursacht hat.“
Als Petra dies vernahm, brach sie in geradezu extatische Freude aus. Ihr resultierendes Gelächter war schrill und für die beiden, die diesem beiwohnten, befremdlich. Sie sagten aber nichts dazu. In ihrer überschwänglich guten Laune ging jeglich kritische Betrachtung der fragwürdigen Geschichte, die ihr Mitverschwörer ihr aufgetischt hatte, unter. Wie hatte er den Brief an sie schicken können, BEVOR ein Verlassen der Stadt verunmöglicht wurde? Wieso wusste Lucius während des Zu-Papier-Bringens dessen noch nicht, dass der Palast zerstört worden war, obwohl ihm gleichzeitig die Tatsache, dass Viktoria die Täterin gewesen war, augenblicklich einleuchtete? Solcherlei Diskrepanzen schwappte nun der Rausch, den das Entzücken der Dame über dieses Ereignis erzeugt hatte, hinfort.
Schließlich kam ihr aber ein einziger nüchterner Gedanke: „Wo ist Achaz?“ Unverzüglich erwiderte ihr angeblicher Verbündeter darauf: „Er ist mit mir in die Metropole gekommen, weil wir die junge Hexerin überzeugen konnten, gegen ihren Vater vorzugehen. Aber es hat sich ein großer Auflauf an Menschen gebildet und unter all dem Bohei und Tumult, habe ich ihn leider verloren. Ich bin mir sicher, dass er irgendwo bei seiner, ähem, Freundin ist. Wir werden ihn schon finden.“ Unglaublicherweise kaufte ihm Petra diese Erklärung ohne Weiteres ab.
Einstweilen stand Amoroso nur daneben und lauschte den Zweien kommentarlos. Er hatte den Burschen, von dem sie redeten, niemals zu Gesicht bekommen, hatte aber offenbar nicht genug Interesse an dieser Angelegenheit, um etwas diesbezüglich zu kommentieren. Innerlich lachte der hinterlistige Mann, der als Einziger wusste, was tatsächlich mit Achaz geschehen war, sich darüber kaputt. „Die machen es mir zu einfach!“, dachte er sich. „Wohl denn, was sollten wir denn als Nächstes machen?“, fragte er dann. Petra sagte dazu: „Der Plan muss fortgesetzt werden, genauso wie wir es vorbereitet haben. Der nächste Schritt ist es unsere Truppen in Camenia zu sammeln und nach Ordanien zu führen.“
Dies veranlasste schließlich doch eine Frage des Herrn von Alduino: „Ich vermute, dass der Kaiser noch am Leben ist. Spielt dessen Zustand denn gar keine Rolle für eure Pläne?“ Dem entgegnete Lucius: „Ja und nein. Wir können diesen nicht ausschalten, nur seine adoptierte Tochter kann das. Und ich gehe davon aus, dass sie das auch tun wird. Wir konzentrieren uns unterdessen darauf, wozu wir fähig sind, nämlich der Einführung einer neuen, alethischen Kampftruppe, die unsere Interessen in Ordanien durchsetzen wird.“ – „Das war ohnehin der Plan.“, warf Petra nun ein und fuhr fort, „Achaz ist auch in diesen eingeweiht. Er weiß, wo das Lager der Lanzknechte ist. Wenn wir dort hingehen, wird er uns schon finden.“
Diese Gedankenfolge passte Cornel sehr in den Kram. Daher pflichtete er ihr bei und fügte noch hinzu: „Der Junge ist gut, was die Orientierung angeht. Ich bin überzeugt davon, dass er uns ausfindig machen wird. Vorausgesetzt, er ist bei dem Mädchen, gibt es sogar noch weniger Grund zur Sorge. Auch wenn er nicht gleich bei uns erscheint, so weiß er zumindest, wo er uns finden kann.“
Petra war sich der Niedertracht in diesen Worten nicht bewusst. Dennoch war ihre scheinbar vollkommene Sorglosigkeit um ihr eigen Fleisch und Blut doch ein wenig überraschend für Lucius. Sie pflichtete ihm bei all dem einfach bei und drängte sogar selbst darauf, so schnell wie möglich mit Etzel zu kongregieren und ohne Aufschub mit ihren Vorhaben fortzufahren. „Macht Sinn“, vermerkte der Mann da und tischte ihr dann das Argument auf, mit dem er eigentlich beabsichtig hätte, sie zum Abzug Richtung Süden zu bewegen. „Da sehr bald schon Steckbriefe von dir hier überall zu finden sein werden, ist es wohl sowieso eher ratsam, uns außer Landes zu begeben.“
Somit war es einstimmig beschlossen. Sie zogen nach Camenia und von dort aus würden sie dann das Reich noch weiter zu destabilisieren beginnen. Chaos war bereits gesät. Offensichtlich war Lucius seine diabolische List geglückt, ohne dass er davon Schaden genommen hatte. Es war ein Meisterstreich, von dem nie jemand erfahren würde oder durfte.
Der kaiserliche Tross schob sich vorwärts, vorbei an weiten Feldern auf sanften Hügeln. Der Wind trug den Ruf des Mäusebussards heran. Gemächlich trabten die Pferde voran, während die Männer, die auf diesen saßen, geradezu Sturzbäche aufgrund der hochsommerlichen Hitze und ihrer dicken Rüstungen und Wämser hinausschwitzten. „Wo ist denn Paul?“, erkundigte sich einer der Gardisten da bei seinem Kollegen. Dieser antwortete: „Der ist in der Vorhut eingeteilt. Seine Hoheit hat sie vorausgeschickt, um Greifenburg schon mal vorab abzuschotten und abzusichern.“ – „Ah, verstehe“, gab der Typ, welcher offenbar nicht gut bei dem, was passiert war, aufgepasst hatte, zurück.
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Der Kerl, der neben ihm ritt, sagte dann noch: „Was ich mitbekommen habe, sind Botenvögel ins ganze Reich ausgeschickt worden, um überall Razzien zu beginnen. Anscheinend geht es hier primär um eine einzige Person.“ – „Kling ziemlich überzogen, wenn du mich fragst“, erwiderte sein Gegenüber darauf. Dem konterte aber der andere sofort: „Aber überhaupt nicht! Hast du gesehen, was mit dem Kaiserpalast passiert ist, Junge! Seine Majestät hat hier auf jeden Fall recht!“ Der Adressierte konnte hier nur zustimmen. In ihrer Vorstellung war es gar nicht möglich, dass der Erkorene Unrecht haben konnte. Aufgrund dieser „falschen“ Gedanken, die ihm soeben gekommen waren, würde der Mann sich nun noch eine Zeit lang fertig machen. Zweifel an seiner Heiligkeit war eine Sünde!
Derweilen befand sich das Kaiserpaar in seinem Wagen, umringt von einer größeren Anzahl an Wachen, als es sonst der Fall war. Amalie blickte schon seit einiger Zeit aus dem Fenster, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Still betrachtete sie nur die langsam an ihr vorbeiziehende Landschaft. Ihre Tochter war alles, woran sie im Moment denken konnte. Besorgt, warf ihr Gemahl einen genauen Blick herüber auf ihr entkräftet aussehendes Gesicht. Sie machte keine schöne Visage, war jedoch angesichts der Umstände noch relativ gefasst. Auch Wenzel war nervös, aber nicht annähernd so erschüttert wie es sein Schatz war. Im Krieg hatte er schon weit schlimmere Sachen gesehen und miterlebt. Wenn er sich an den Anblick der unzähligen leblosen Körper, die über das Schlachtfeld vor Greifenburg verstreut gelegen waren, zurückerinnerte, wurde ihm nur wieder der Grund für seine Abstumpfung bewusst. Dennoch war er innerlich überaus besorgt um Viktoria, daran war kein Zweifel. Schreckliche Dinge, die jemand Fremdem geschahen, mitzubekommen, war eine Sache, die eigene Familie war jedoch eine ganz andere. Immer wieder begannen seine Hände unaufgefordert zu zittern. „Hmm. Vielleicht ist da noch viel mehr an Emotionalität in mir übrig als ich mir selbst glauben machen will“, ging es ihm da durch den Kopf. „Nein. Ich kann hier nicht schwächeln! Ich bin derjenige der hier stark und fokussiert bleiben muss!“
Schließlich sprach er seine Frau wieder an: „Ich habe bereits meine Anweisungen ausgegeben, dass im Falle meines Ablebens du Regentin werden würdest und die Rolle einen neuen Kaiser zu finden an die Reichsgarde fallen würde.“ Amalie antwortete ihm nur mit einem leisen: „Mhm.“ Sie verstand sehr wohl, dass dies Zeugnis seines großen Misstrauens gegenüber dem Heer und dem Reichsrat war. Nur seinen treuesten Untergebenen vertraute er tatsächlich einen würdigen Nachfolger, sprich eine Person mit magischen Kräften, zu finden. Dies insinuierte natürlich, dass Viktoria nicht mehr als Nachfolgerin gesehen wurde, was noch niemand entschieden hatte, selbst Wenzel nicht. Dennoch fraß sich dieser schreckliche Gedanke nun in Amalies Bewusstsein hinein. Ihr Mann fuhr einstweilen fort:
„So viel ist schief gegangen. Ich glaube, dass es eines neuen Systems bedarf, um Magier künftig in das Gesellschafts- und Machtsystem zu integrieren. Ich weiß aber wirklich nicht wie. Das Land und die Denkweise seiner Einwohner sind so widersprüchlich. Einerseits wird der Herrscher verehrt, ja von einigen schon fast vergöttlicht, andererseits sieht man Kinder, die anders als der Rest sind als vom Teufel besessen an und lässt diese verschwinden. Wie kann ich das nur hinkriegen?“ Er seufzte kurz und blickte hinüber auf seine Liebste, die ihm nun aufmerksam zuhörte. Dann sprach er: „Wie nur kann ich Viktoria helfen? Was genau habe ich falsch gemacht? War ich zu streng?“
Jetzt begann eine einzelne Träne die Wange seiner Ehefrau hinunterzulaufen und er nahm sie zu sich. „Es ist ganz sicher nicht deine Schuld, glaub es mir“, gab sie weinerlich heraus. „Sie hat sich nur von diesen Schurken hinters Licht führen lassen. Je früher wir sie finden, desto besser. Ich will, dass du die Verräterin und ihren Sohn vernichtest! Damals ist sie entkommen und sieh was für einen Schaden das angerichtet hat!“ Es waren außergewöhnlich ruchlose Worte, die seine Gemahlin da von sich gab, aber der Kaiser wusste, dass sie die mit diesen recht hatte. Der Junge und seine Mutter, also die Verräterin und ihr Nachwuchs, steckten hinter Viktorias unfassbaren Taten. Sie hatten ihre Tochter manipuliert und er würde dafür sorgen müssen, dass sie den ultimativen Preis dafür zahlten!
„Ich verspreche es“, erwiderte Wenzel ihr. „Dieses Miststück und ihren Abkömmling werde ich finden und beseitigen!“ Für beide Eheleute war klar, dass ihre Kleine nur bei diesen beiden sein konnte. Wenn sie die Vogts fänden, fänden sie auch Viktoria. Beide lehnten sich danach wieder schweigsam zurück und ließen ein wenig die Zeit dahinfließen, während der Wagen weiterzuckelte.
Amalie entsinnte sich ihrer Freundin Flora, die nicht Teil des Hofstaats war und sie deshalb nicht beim Umzug begleitete. Ebenso schweiften ihre Gedanken hinüber zu Irnfrid. Diese war auch zurückgeblieben, erstens um der Bestattung ihres Mannes beizuwohnen, aber zweitens auch weil sie wirklich momentan nicht imstande war, eine Reise anzutreten. Die Kaisergattin hatte die Dame immer als recht hart im Nehmen betrachtet, doch der Zustand, in dem sie sie nach dem Vorfall gesehen hatte, hatte auch bei Amalie große Sorge um sie hervorgerufen. Sie würde schon darüber hinwegkommen, da war sie sich sicher. Immerhin hatte Irnfrid ja noch ihre restliche Familie. Nichtsdestotrotz würde sie mit ihr in absehbarer Zeit über die Ereignisse ein intimes Gespräch führen müssen. Das alles war nur ein furchtbarer Unfall gewesen, so hatte es ihr Ehemann ihr jedenfalls erzählt. Und das hatte er sich garantiert nicht ausgedacht.
Unterdessen brütete Wenzel neben seiner Liebsten über etwas anderes. Als ihn Viktoria wahnwitzigerweise attackiert hatte, hatte sie etwas gemacht, das er noch nie zuvor gesehen oder gar gehört hatte. Sie hatte einen Blitz erzeugt. Er wurde dadurch nur wieder daran erinnert, wie wenig er eigentlich über Magie wusste. Der Verlust seiner vieljährigen Arbeit schmerzte ihn sehr, aber er würde darüber hinwegkommen. Viktoria war nun die Priorität für ihn. Dennoch, die Stellung ihrer Finger ging ihm nicht mehr so schnell aus dem Kopf. Es war sicher wieder ein weiterer Aspekt der Kunst der Zauberei, den er einfach noch nicht begriff. Das Mädchen hatte von selbst eine neue Anwendung von Magie entdeckt. Diese hatte nicht einzig die riesigen Manareserven, welche die Zaubrerin besaß, zur Ursache. Nein, die Fingerstellung, möglicherweise sogar die Körperhaltung spielten garantiert auch eine Rolle dabei. Außerdem hatte er in seinem gefühlt letzten Moment auf Erden auch ein Abbild Melgars vor sich gesehen. Was es wohl damit auf sich hatte?
Ihre Brust war schwer wie ein Mühlstein. Immer wieder krampfte sie sich zusammen, so lange bis ihre Glieder aus Erschöpfung nachgaben. Von einem tränendurchnässten Kopfpolster schaute sie ein wenig auf. Neben ihr sah sie da ihre von Staub bedeckte, alte Kommode an. Der restliche Raum war auch schmutzig und ein Mief hing in der Luft. Wie lange hatte sie nun schon in ihr Kissen geweint? Sie wusste es nicht. Vermutlich Stunden. Irgendwie wurde der Schmerz nicht besser. Draußen herrschte Regenwetter. Das war auch ihre Schuld, denn sie konnte sich nicht beherrschen. Sie konnte ihre Emotionen nicht in Zaum halten, so wie es ihr Adoptivvater ihr immer und immer wieder versucht hatte einzuhämmern.
Ein klein wenig wurden ihre Gedanken nun wieder klarer. Dadurch erinnerte sie sich aber nur wieder zurück an das Geschehene. Es war so schrecklich! Wie hatte Wenzel das nur tun können! Augenblicklich begannen ihr wieder Tränen herunterzulaufen. Sie begrub ihr Gesicht erneut in ihrem Polster und fing an bitterlich zu weinen und zu schluchzen. So viel hatte sie schon geweint, dass sie eigentlich gar kein Wasser mehr zu entbehren haben sollte, und doch heulte sie weiter und weiter. Es war ihr in diesem Zustand unmöglich auch nur einen einzigen vernünftigen Gedanken zu fassen. Alles schwamm für sie nur so dahin.
Schließlich klopfte es aber an der Tür. „Geht es dir schon etwas besser?“, erkundigte sich ihre leibliche Mutter in besorgtem Ton. Wie früher auch immer trug sie ein Kopftuch und sehr bescheidene Kleidung, auf der Blumen aufgestickt waren. „Nein. Geh wieder weg!“, murmelte sie gerade noch hörbar aus ihrem Kissen hervor. Gertrudes Mundwinkel senkten sich da nach unten. Sie erwiderte: „Ich weiß auch nicht was mit dir los ist. Irgendetwas Schlimmes muss aber passiert sein, sonst wärst du nicht hier. Wenn du nicht mit mir redest, kann ich dir auch nicht helfen.“ Es kam nichts von der Betrübten zurück. Die Dame machte sich nun wirklich Sorgen deswegen. In all den Jahren hatte sie sie nur ein einziges Mal besucht. Jetzt war sie wie aus dem Nichts dahergekommen und verkroch sich nur flennend in ihrem ehemaligen Zimmer.
„Na dann, heul halt weiter“, kommentierte sie schließlich schroff und verschwand wieder. Nachdem sie die Tür ins Schloss fallen gehört hatte, schaute Viktoria kurz zu dieser hinüber. Auf dem kleinen Kästchen neben dem Eingang waren frische Klamotten für sie hingelegt worden. Sie wusste momentan nicht genau, wie sie mit dem umgehen sollte. Offenbar liebten ihre Eltern sie immer noch. „So sehr man es halt als Liebe bezeichnen kann, wenn man sein eigenes Kind im Austausch für die Entlassung aus der Leibeigenschaft verkauft!“, dachte sich das Mädchen da zynisch. Sie legte sich wieder hin.
Nichts als Verzweiflung war in ihr. Was sollte sie jetzt tun. Sie konnte nicht mehr zurück in den Palast. Aber bei ihren echten Eltern konnte und wollte sie auch nicht bleiben. Ihr Adoptivvater würde sie sicher bald suchen. Sie musste es tunlichst vermeiden gefunden zu werden. Wohin also? Sie hatte keine Ahnung. Die Dinge, die geschehen waren, spielten sich in ihrem Kopf wieder und wieder, wie in einer Endlosschleife ab. „Ein paar Tage hierzubleiben wird schon gehen“, meinte sie schließlich. Nur für ein paar wenige Tage. Ich brauche Zeit, um mir zu überlegen, was ich mache. Starr blickte sie nun auf die Decke hinauf. Ihre ganze Welt war jetzt zusammengebrochen. Sie stand vor dem Nichts, und das jagte ihr große Angst ein.
Etwas später ließ sich die Zaubrerin dann doch endlich wieder blicken. Beim Herabstieg über die knarzende Holztreppe, sah sie Hans und Gertrude beim Essen sitzen. Die zwei schauten nur kurz auf, als sie die Schritte des Mädchens hörten. Sofort fiel auf, dass Viktoria das Kleid angezogen hatte, das ihr ihre Mutter vorhin gebracht hatte. Die Dame stand kurz auf, um der Jugendlichen auch ein wenig von dem Gericht, welches offenbar irgendeine Art Bohneneintopf war, in einen Teller zu geben. Dann stellte sie ihr diesen hin. In minimaler Lautstärke brachte ihre Tochter ein „Danke“ hervor. Sie starrte das Essen nur an und aß nichts davon. Dann ließ sie ihren Blick zu ihren leiblichen Eltern wandern. Beide waren sie merklich älter geworden. Sie waren noch nicht wirklich alt, in Viktorias Augen jedoch schon.
Nach einiger Zeit der Stille fragte sie ihr Vater schließlich: „Und hast du dich jetzt beruhigt? Geht es jetzt schon?“ Seiner barschen Äußerung entgegnete die Teenagerin nur mit einem Kopfschütteln. Letztlich machte sie dann aber doch den Mund auf: „Ich will nicht darüber reden, was passiert ist. Keine Angst, ich werde euch nicht lange behelligen. Spätestens in ein paar Tagen bin ich schon wieder weg von hier.“ Die Ehepartner schauten sich daraufhin beide an. Ihre Mutter setzte gerade dazu an etwas zu sagen, da unterbrach sie das Mädchen. „Danke für die frische Kleidung. Das war sehr aufmerksam von dir.“ Daraufhin stutzte Gertrude. Solche Demut und Höflichkeit war sie von ihrer Kleinen nicht gewohnt. „Deine Zeit im Kaiserpalast hat dich sehr verändert“, musste sie somit vermerken. Viktoria antwortete mit einem schmerzgeplagten Gesichtsausdruck. Was war nur los mit der Kleinen?
„Wenn sie dir erlaubt haben einige Tage hier zu bleiben, kannst du vielleicht mal bei Isolde vorbeischauen. Sie freut sich sicher, dich nach all der langen Zeit mal wieder zu sehen“, gab der Mann am Tisch da zum Besten. Fast schon schamhaft presste die Prinzessin da ihre Lippen zusammen. „Nein! Ich will niemanden sehen!“, bellte sie ihn dann an. Dem folgte wieder Schweigen. Ein Anflug von Ungemach war in Hans Gesicht zu erkennen und er sagte: „Wie du willst. Die Nachbarn haben auf jeden Fall mitbekommen, dass du auf Besuch bist.“
Nachdem das Pärchen aufgegessen hatte, sah es, dass Viktoria ihr Essen noch nicht einmal angerührt hatte. „Willst du denn gar nichts essen?“, erkundigte sich der Vater da. „Ich hab keinen Hunger“, kam es kurz und knapp zurück. Dann wollte sie aber noch etwas in Erfahrung bringen. „Wie geht es euch denn so? Was hat sich in den letzten Jahren so getan?“ Es war die erste Frage, die Gertrude zu erfreuen schien. „Uns geht es gut, so im Großen und Ganzen.“ Mit heiterer Stimmung erzählte sie ihr folglich, was im Dorf so alles passiert war und was sie am Hof gemacht und umgebaut hatten. Noch nie hatte sich das Mädchen für die beiden interessiert oder ihnen so lange zugehört. Von sich selbst erzählte sie zwar immer noch nichts, aber es war klar für die Zwei, dass sie auf irgendeine Weise ihre Nähe suchte. Danach verkroch sie sich aber wieder in ihre „Höhle“ und legte sich schlafen. Langsam begann der Regen abzunehmen.
Es war ein lauer Morgen und die ganze Reisegesellschaft war schon seit kurz vor Sonnenaufgang wieder unterwegs. Sie hatten schon Freistadt passiert und näherten sich langsam dem Kascharenland an. In der Ferne konnte man bereits die berühmten Finger der „Hand des Riesen“ erspähen. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würden sie in ihrer alten Heimat sein. Schon jetzt bildeten sich manche ein, dass ihnen der Geruch vom Salz der Geächtetenpfann in die Nase stieg.
Inmitten seiner Sippe ritt einer ihrer wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste ihrer Vertreter: Ferenc. In einer einfachen Lederrüstung ohne viel Trara, sprich ohne die Aufmache der Reichsgarde, die er all die Jahre immer am Leib getragen hatte, saß er zu Pferde und trabte mit den Seinen voran und seiner Heimat entgegen. Für ihn waren die Jahre der wilden Abenteuer und der großen Ereignisse nun vorbei. Er würde sich dort, wo er herstammte, in den Ruhestand begeben und sich nur noch dem Privaten widmen. …..Zumindest dachte er sich das!
In Windeseile und mit einer Hast, als ob ihn der Tod höchstpersönlich verfolgen würde, brauste auf einmal ein Bote daher. Es war ein dürrer, hochgewachsener Jungspund mit brünettem Haar. „Der Befehlshaber der Reichsgarde! Ich suche den Befehlshaber der Reichsgarde!“, verlautbarte er. Der langbärtige Kaschare in Frage wandte sich um und kam an diesen heran. „Du meinst den Ehemaligen. Und dieser steht vor dir. Was gibt es, Bursche?“, äußerte er in etwas fadem Ton. Was er nun hören würde, weckte ihn aber sogleich aus seinem Stupor und brachte ihn dazu sofort die Ohren zu spitzen.
„Es hat einen Überfall auf den Melgarionenpalast gegeben! Der größere Teil dessen ist abgebrannt. Es herrscht großer Aufruhr in der Hauptstadt und der Hofstaat ist einstweilen sicherheitshalber nach Greifenburg umgezogen.“ Ein lähmender Schock ging durch die Menge der Anwesenden. Viele der ebenso bärtigen Sippschaft Ferencs blieb augenblicklich die Luft weg. Der alte Gefährte des Erkorenen reagierte aber sogleich und erkundigte sich: „Sind alle Mitglieder des kaiserlichen Haushalts sicher?“ Einen kurzen Moment schien der Überbringer dieser schlechten Kunde überfordert mit der Frage zu sein. Schließlich gab er aber zurück: „Laut meinen Informationen ist das Kaiserhaus unversehrt und in Sicherheit. Allerdings kann ich das nicht für alle wichtigen Männer im Reich ebenso sagen. Der Oberste Marschall ist bei dem Angriff zum Märtyrer geworden.“
Als er dies vernahm riss Ferenc seine Augen weit auf. Es dauerte ein paar Minuten, bis man solch üble Kunde verdaut hatte. Während der junge Mann nebenbei stand und wartete besprachen sich der Veteran und seine Verwandten und Familienmitglieder. Es dauerte nicht lange, dann adressierte er ihn auch schon wieder: „Du kannst gleich umkehren und nach Meglarsbruck zurückreiten, Bursche. Sieh zu, dass du dich beeilst, sonst hol ich dich noch auf dem Weg dorthin ein! Kurzerhand hatte er einfach beschlossen, dass er wohl noch nicht ruhigen Herzens in Ruhestand gehen konnte. Das Heilige Reich benötigte seine Dienste noch. Die Gruppe machte kehrt und begab sich wieder zurück in die Hauptstadt.
Hin und her wälzte er sich. Es war ein ungewohntes Bett, dessen Matratze und Kopfpolster anders waren und sich auch anders anfühlten. Mit aller Macht versuchte er die Augen geschlossen zu halten, und das, obwohl er überhaupt nicht einschlafen konnte. Die unvertraute Umgebung des Greifenburger Palastes, ebenso wie seine nicht aufhören wollenden Sorgen um Viktoria verunmöglichten ihm das Einschlafen. Wieder und wieder rollte er sich von rechts nach links, von links nach rechts. Fast schon glaubte er, dass er bis zum Anbruch des neuen Tages nicht einmal das kleinste bisschen Schlaf bekommen würde. Irgendwann entschwand er aber dann doch endlich in die Welt der Träume.
Entlang eines schmalen Pfades unter offenem Himmel spazierte ein einzelner Mann. Es schien sich um eine sehr skurrile Type zu handeln. Sein Körper hatte eine fast schon groteske, runde, plumpe Gestalt, welche an die Form eines Apfels erinnerte. Er hatte mittellange, blonde Haare und ein pralles, vor Freude strahlendes Gesicht, mit roten Wangen. Seine Kleidung war ein Fleckenteppich aus unterschiedlichsten Stoffresten mit verschiedensten Mustern zu sein, die er offenbar einfach irgendwie provisorisch zusammengenäht hatte. Wer in aller Welt war dieser seltsame Zeigenosse? In seiner rechten Hand hielt er die Zügel eines Esels, der neben ihm stand. Die Decke, die auf dem Rücken des Tieres aufgelegt war, ließ darauf schließen, dass es sein Reittier war. Momentan ritt er aber nicht, sondern unterhielt sich mit einem Mann, der kurze, braune Haare hatte und einen langen Mantel trug. Sein Gesicht konnte Wenzel, als äußerer Beobachter, nicht sehen, da ihm nur sein Rücken zugekehrt war. Was die beiden besprachen, konnte er auch kaum vernehmen.
„….besonders. Wir alle sind das auf die eine oder andere Weise“, war der kleine Ausschnitt, den er hören konnte, bevor der Wind wieder zu stark wurde und dessen Worte übertönte. Nachdem er noch ein paar weitere Dinge gesagt hatte, gab er ein herzerwärmendes Lachen von sich. Fröhlich deutete er ihm mit einer Geste Lebwohl. Damit endete die seltsame Vision. Es war wieder einmal eine jener, die besonders bizarr und kaum interpretierbar waren.