Ein kühler, feuchter Mief lag in der Luft. Auf einem einfachen Holzstuhl sitzend, starrte ihre Hoheit eine Zeit lang gedankenlos eine lange Reihe an eichenen Weinfässern an, die hier unten gelagert wurden. „Tropf, tropf“, erschallte ein unaufhörliches, leises Echo. Aus irgendeiner unergründlichen Ritze oder Spalte drang Wasser in das alte Gemäuer herab. Das Klimpern des etwas verdrückten und folglich nicht mehr richtig klingelnden Glöckchens an Wanjas Halsband riss sie dann wieder aus ihrem kurzfristigen Tagtraum. Der kleine Kläffer sprang sie schwanzwedelnd an, woraufhin die Dame ihn hochhob und auf ihren Schoß setzte, um ihn zu streicheln. Dann blickte sie hinüber zu Ylva und dem Abt, der ihnen hier zeitweilig Unterkunft gewährte.
Es war der tiefe Keller einer ehemaligen Untergrundkirche, weit außerhalb von Greifenburg gelegen, in der sie sich befanden. Warum waren sie hier? Nun, es war ein Botenvogel aus der Hauptstadt eingelangt, der von dramatischen Ereignissen in der Metropole berichtete. Und selbst diese Umschreibung war wohl noch sehr euphemistisch. Was allerdings Amalie hauptsächlich erschüttert hatte, war die Kunde, dass ihre Tochter die Täterin war. Es war kaum zu fassen! Deshalb waren sie und die wichtigsten Vertreter des Hofes aus Sicherheitsgründen aus der Großstadt heraus und an verschiedene geheime Orte evakuiert worden.
„Warum macht Viktoria so etwas? Warum nur?“, fragte sie sich. Die Kaisergattin versuchte sich ein wenig durch das Kuscheln mit ihrem Hund von dieser furchtbaren Realität, die auf sie hereingebrochen war, abzulenken. Es half kaum etwas. Ylva, welche auch von all dem betroffen war, hielt ein sanftes Gespräch in leisem Tonfall mit ihrer Herrin. Sie redete ihr gut zu und machte ihr Hoffnung, dass die Dinge besser werden würden. Das half ihrer Majestät noch eher, selbst wenn es auch nur bedingt war.
Aus dem Nichts heraus überkam den Abt jedoch auf einmal ein merkwürdiges Gefühl des Unwohlseins, unmittelbar gefolgt von den beiden Damen. Alle verspürten etwas Eigentümliches, dass sich schwer in Worte fassen ließ. Dann schien sich die Atmosphäre in dem alten Weinkeller irgendwie zu ändern. Es war, als ob jemand hier einen tiefen Atemzug tätigte, der einem so vorkam, als würde er dem Umfeld die Luft entziehen. Befremdet schauten sich die Anwesenden um, konnten aber nichts und niemanden hier wahrnehmen. Darauffolgend wurde der imaginäre Sog noch stärker, nur um sogleich aufzuhören. Von einem Moment auf den anderen war alles wieder normal. Oder, war es das wirklich? „Oha! Seht doch!“, ertönte da Ylvas Ausruf. Die anderen Zwei drehten sich um und erblickten eine Person, die direkt neben den Fässern am Boden gelandet und offenbar ohnmächtig war. Diese war, ohne ein Geräusch zu machen, wie aus heiterem Himmel hier erschienen. Ihr Mantel offenbarte sofort, um wen es sich handelte: Wenzel!
Eine bedrückende Stille dominierte die Szene. Immer noch unsicher von den jüngsten Entwicklungen, standen die Wachen mit sichtlicher Zaghaftigkeit nebeneinander aufgereiht. „Unsere Aufgabe ist folgende: Wir haben den Patriarchen zu finden. Wie wir von Diakon Porphyros erfahren haben, ist der Zustand seiner Exzellenz der Kommune aktuell nicht bekannt. Also, wir marschieren zur Verkündigungskathedrale und suchen nach Elias II. Verstanden?“ – „Jawohl, Kommandant!“, gaben die Männer unisono zurück. Dann stampften die Soldaten der Stadtgarnison los. Viele von ihnen hatten sich bisher als Feuerwehr betätigt. Jetzt, da der Großteil der Brände erloschen war und sie die Straßen wieder (etwas) freier passieren konnten, machten sie sich auf, um das Kirchenoberhaupt ausfindig zu machen. Über den Reichstag hatten sie bereits erfahren, dass fast alle von dessen Vertretern ungeschoren davongekommen waren und selbst deren Versammlungsgebäude von den Zerstörungen verschont geblieben war.
Der Dämon, welcher die Stadt heimgesucht hatte, war jetzt verschwunden und es war wieder Ruhe eingekehrt. Leider war es eine sehr deprimierende Ruhe. Die Luft war schwer und vorhin hatte es ein klein bisschen genieselt. Die Männer unter Ferencs Kommando schritten nun in die Innenstadt. Vorbei an haufenweise ausgebrannten Häuserruinen und einer gigantischen Verwüstung ziehend, zeigten viele von ihnen sich erschüttert über die Ausmaße der Zerstörung. Sie umrundeten oder überwanden einige Schuttberge, sahen hie und da Leute, die verzweifelt versuchten Überlebende aus den Trümmern zu bergen. Die Krieger, welche bei den Löscharbeiten zuvor selbst einige Leute aus Ruinen geborgen hatten, wussten, dass die Chancen um diese nicht gut standen. Dennoch war es notwendig, wenigstens einen Versuch zu unternehmen. Hier in diesem Fall, durften sie aber nichts tun. So sehr die Männer auch helfen wollten, sie hatten einen Auftrag erhalten und nun bei Bergearbeiten zu helfen, würde ihre Mission kompromittieren. Das Ausmaß der Katastrophe war schlicht zu groß für sie, um bei allem helfen zu können. Sie marschierten weiter.
Schließlich kamen sie am Hauptplatz an. Hier war alles kurz und klein gehauen. Die Lagesituation, die sich ihnen hier nun bot, schien übel. Es gab nur eine einzige Sache, die immer noch unversehrt an diesem Ort dastand: Die Statue Seiner Heiligkeit Melgars des Großen. Augenblicklich begannen sie die eingefallenen Bauten hier zu durchkämmen. „Hallo! Ist da jemand? Wir sind hier, um euch zu helfen!“, wurde immer und immer wieder von den jungen Männern gerufen. Es schien beinah hoffnungslos. Nach einer Stunde schafften sie es allerdings den Posaunisten der Kirche aus einem Berg von Schutt und Trümmern herauszuziehen. Er sah niedergeschmettert aus und sein Bein, das eingeklemmt gewesen war, würde wohl nicht mehr werden, doch er war am Leben. Nach diesem kleinen Mutmacher ging es dann ungebrochen weiter.
Stunden vergingen. Ein junger Gefreiter, legte seine abgenutzte Schaufel beiseite und trat kurz ab, um Wasser trinken zu gehen. Seine über und über mit Schutz zugekleisterten Hände wischten über dessen feuchte Stirn. Er schmierte sich dadurch nur noch mehr Dreck ins Gesicht. Dann lehnte er sich einen Moment am Brunnen an, von dem er Wasser geschöpft hatte und blickte sich hier am Ort der großen Begegnis um. Sie alle hatten es gesehen, wie seine Majestät der Erkorene gekommen war, um dem Unheil Einhalt zu gebieten. Er hatte gegen den Dämon gekämpft, der das pulsierende Herz des Heiligen Reiches in Schutt und Asche legte. Während sie versucht hatten die Brände einzudämmen, hatte sich der Kaiser persönlich in den Kampf begeben, um Meglarsbruck zu retten. Es war wie alle es ihm immer erzählt hatten. Seine Hoheit war einer von ihnen, einer der auch höchstpersönlich auf den Plan trat und mitanpackte, einer der selbst für Ordanien stritt und rang.
Nachdem er auf diese Weise ein wenig sinniert hatte, stand der Soldat wieder auf, klopfte schnell mal etwas von den Schmutzkrusten auf seiner Kleidung ab, und machte sich auf, seine Arbeit fortzusetzen. Da spürte er etwas. Auf der Stelle blieb der Kerl stehen und warf einen Blick hinüber auf die eingefallenen Überreste der Gildenhalle. Es war schwierig zu erklären, aber irgendetwas schien ihn anzuziehen, ja beinah schon nach ihm zu rufen. Der Mann zögerte zuerst, ließ sich dann aber dazu hinreißen seine Neugierde zu befriedigen. Über den verheerten Platz ging er, Schritt für Schritt sich dem annähernd, was ihn zu sich lockte. Je näher er kam, desto deutlicher nahm er die Präsenz von etwas Berauschendem wahr. Er kletterte bei einem der zerstörten Fenster des instabil wirkenden Rests des Gebäudes, welcher immer noch dastand, aber jederzeit einstürzen konnte, hinein. Der Gefreite tapste schlenkernd und unbeholfen durch einen Raum, der mit ruiniertem Mobiliar zugemüllt war. Dann sah er es.
Direkt neben einem umgefallenen Kasten und einer zersprungenen Vase erspähte er ein ganz spezifisches Utensil am Boden. Er ging sogleich hin und hob es vorsichtig auf. In Händen hielt er nun ein Schwert, an dessen Knauf ein roter Edelstein funkelte. Dieser Stein schien ihn geradezu magisch anzuziehen. In diesem bildete er sich ein, ein Schimmern zu sehen, obwohl da gar kein Schimmern war. Faszinierend. Der Gegenstand hielt ihn noch ein, zwei Minuten in seinem Bann, bis ihn dann schließlich sein Vorgesetzter rief. Der Soldat erschrak und kehrte dann wieder zu seiner Truppe zurück. Er übergab das Fundstück dem Kommandanten, bevor er wieder seine Schaufel nahm und die Bergungsarbeit fortsetzte. Auch der Kommandant war sich nicht bewusst, was er da ausgehändigt bekommen hatte, doch er wusste, dass es etwas Besonderes war. Die Obrigkeiten würden es schon wissen.
Nicht so lang darauf schafften sie es den hinteren Teil des rechten Seitenschiffes des Gotteshauses freizulegen, dessen Decke vom herabfallenden Hauptturm zum Einsturz gebracht worden war. Als laute Schreie aus mehreren Kehlen umherzuschallen begannen, hatten alle anderen Mitglieder der Mannschaft schon eine gute Vorstellung davon, was denn passiert sein konnte. Unter dem eingefallenen Kreuzrippengewölbe, ganz in der Nähe vom Prinz-Alster-Altar fand man die sterblichen Überreste des Patriarchen. Wie es von Vielen vermutet worden war, hatte er die apokalyptischen Geschehnisse nicht überlebt. Außer ihn unter den Trümmern hervorzuholen und ihn der Kommune zu überreichen, blieb ihnen nicht sonderlich etwas zu tun übrig. Die Männer machten alle das Signum und bargen ihn. Keine Zeit zu beten, das würde später kommen.
Als die noch am Leben befindlichen Kirchenvertreter noch am selben Tag von dessen Ableben erfuhren, waren sie relativ gelassen. Sie schienen schon mit einem solchen Ausgang gerechnet zu haben. Ferenc war persönlich zu diesen gekommen, um ihnen die schlechte Botschaft mitsamt der Leiche zu überbringen. Das war nicht wirklich eine erwähnenswerte Besonderheit, jedoch die Tatsache, dass sich der Diakon und die Pfarrer kleinerer Kirchen hier gleichsam über die Tatenlosigkeit der politischen Autoritäten des Reiches ausließen, überraschte den Obersten Marschall sehr. Dies war nicht nur eine Seltenheit, es war präzedenzlos. Zumindest Ferenc konnte sich nicht entsinnen jemals Kritik von diesen gehört zu haben.
„Geschätzter Oberster Marschall, wir danken Euch für Eure Arbeit und Hilfe. Sie kam zwar letztlich zu spät, doch immerhin haben wir welche von Ihnen erhalten. Dasselbe kann schwerlich über die Durchlauchtesten Herren im Reichstag gesagt werden!“ – „Warum denn das?“, war der Militär da erpicht in Erfahrung zu bringen. Folgendes kam zur Antwort: „Unaufhörlich und mit äußerster Vehemenz haben wir die Vertreter des Reichsrats angesucht, ja alsbald förmlich angefleht, doch einen kleinen Teil ihrer Wache zu entbehren, um seine Exzellenz Elias II. zu Hilfe zu kommen. All unsere Bitten fielen auf taube Ohren! Die hohen Herren schienen mehr um sich selbst besorgt gewesen zu sein. Der Klerus, der Überbringer der himmlischen Botschaft, ist ihnen offenbar keinen Pfifferling wert!“
Der Oberste Marschall wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte. Er hielt sich besser zurück, um den offensichtlichen Zorn der Kommune nicht noch mehr anzuheizen. „Nochmals mein herzlichstes Beileid!“, sagte er ihnen und zog dann von dannen. Es gab noch allerhand, was er zu erledigen hatte. Porphyros wandte sich dann den anderen Priestern neben sich zu und hielt fest: „Es soll ein baldiges Konzil zur Ernennung eines Nachfolgers für das Oberhaupt des ordanischen Teleiotismus angesetzt werden.“ Die Adressierten erwiderten ihm mit willfährigen Bestätigungsgesten. Ein solches Konzil wäre ohnehin in nicht allzu ferner Zukunft einmal angefallen, wenn man doch das hohe Alter des Oberhaupts der Teleiotischen Kommune bedachte. Die Empörung der Kirchenvertreter minderte diese Tatsache allerdings nicht. Sie fühlten sich Übergangen und betrogen.
„Da ist nichts. Ich kann keinerlei Verletzung finden“, kam es von der Leibwächterin. Amalie atmete erleichtert auf. Sie schaute hinunter auf den halb ausgezogenen Leib ihres Ehemannes, den Ylva jetzt mit den rotverfärbten Gewändern dessen wieder einkleidete. Dann schob die Gattin die Dame beiseite, um diese Tätigkeit selbst zu verrichten. Die Zeemarkerin wich sogleich. Sie verstand wie besitzergreifend ihre Majestät zu sein pflegte. Nachdem sie damit fertig war, setze sie sich wieder auf ihren Stuhl nebst der Pritsche, auf der man den Kaiser vorübergehend gebettet hatte. Genauso wie der Abt und die andere Frau, die anwesend war, wunderte sie sich, was passiert war. Von einem Augenblick auf den anderen war Wenzel plötzlich dagewesen. Wie aus dem Nichts war er hier unten erschienen. Es war Zauberei. Einzig und allein Zauberei konnte die Erklärung dafür sein. Deren Funktionsweise verstand sowieso niemand von ihnen. Nur Wenzel, Viktoria und Silke hatten Ahnung davon, wie Magie wirkte und welchen Regeln sie unterworfen war, selbst wenn dies auch für diese Drei nur in beschränktem Umfang der Fall war.
Die Dame starrte wie gebannt ihren Liebsten an, beobachtete wie sich sein Brustkorb vom Einatmen hob und anschließend wieder senkte. Einige Zeit verging. Schließlich öffneten sich seine Augenlider. Seine Hoheit erwachte und setzte sich sichtlich desorientiert auf. Er schaute sich im Raum um, bis dann sein Blick auf seine Ehefrau fiel. Kräftig und durchdringend strahlten ihr zwei gelbe, fünfzackige Sterne aus diesen entgegen. Keiner der beiden sprach ein Wort. Das war auch nicht notwendig. Ehe noch irgendwer etwas äußerte, spürte Amalie sofort, dass etwas gänzlich anders an ihrem Geliebten war. Und, ja, da waren auch die zwei Sterne, aber diese waren ihr schon lange bekannt, selbst wenn sie andere nur selten bemerkt hatten, weil sie nie so intensiv hervorgestochen hatten, wie jetzt. Nein, irgendetwas, das er ausstrahlte, fühlte sich so vollkommen anders an, als sie es von ihm gewohnt war.
„Wenzel? Was ist passiert? Sag es mir“, sprach sie ihn an. Infolge zeigte sich ein geplagter Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes. Er stand auf, ging nur ein paar Fuß weg und ließ sich dann mit dem Rücken angelehnt an die Weinfässer, auf den Boden sinken. „Gibt mir, bitte, ein wenig Zeit. Ich……muss nachdenken“, erwiderte der Zauberer, während er sich mit der linken Hand die Augen verdeckte, so als ob er nicht gesehen werden wollte. Ylva und der Abt standen nur still, wie begossene Pudel herum, ahnungslos bezüglich dem, was sie hier tun konnten. Auch Amalie wirkte ratlos und selbst Wanja hatte den Schwanz eingezogen, obwohl sie gewöhnlich immer ihr Herrchen freudig begrüßte.
Die Kaisergattin verblieb nun so eine Weile und ließ die Stille Einzug halten. Der Erkorene saß einstweilen nur lautlos da, bis sich letztlich die Dame zu ihm gesellte. Direkt neben ihm ließ sie sich nieder und legte sanft ihre Hand in die seine. Müde, aber gleichzeitig tiefgründige Augen fielen auf sie herüber. Erneut starrte sie gefesselt in diese hinein. Sie spürte ihn, doch kannte sie ihn nicht. Nicht mehr. Wer war dieser Mann, der ihr nun so anders vorkam als ihr Teuerster? „Was ist passiert?“, stellte sie ihm nochmals die Frage. Er presste seine Lippen aufeinander. Dann antwortete er: „Vieles.“ Nach einer kurzen, fast schon dramatischen Pause setzte er fort: „Ich habe versagt. Ich konnte Viktoria nicht zurückgewinnen. Und aufhalten konnte ich sie letzten Endes auch nicht. Obwohl ich alles gegeben habe, es war immer noch nicht genug. Ich habe meine Tochter im Stich gelassen und auch habe ich das Reich im Stich gelassen.“
Seine Frau umarmte ihn, während er weitersprach: „Nur ich habe die Fähigkeiten dieses Problem zu lösen, aber ich bin gescheitert. Mein Versagen könnte uns alles kosten. Vor allem aber könnte es dem Volk alles kosten!“ Aus seiner schwermütigen Stimme klang die Bestürzung und Erschütterung des Magiers heraus. „Wenn du getan hast, was du konntest, dann hast du dir selbst nichts vorzuhalten“, versuchte ihn seine ebenso aufgewühlte, angsterfüllte Frau ihn da zu trösten. Es hatte keinen Effekt. Weiters sprach sie: „Und rede dir nicht immer ein, dass nur du alles lösen kannst. Du musst lernen, dich auch mal auf andere zu verlassen, an andere glauben zu können. Dass es sonst niemanden gibt, der Viktorias Zauberkräften gewachsen ist, heißt nicht, dass das die einzige Methode ist, diese zu besänftigen. Wer weiß, vielleicht könnte ich einmal etwas probieren.“
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Darauf reagierte der Mann sogleich mit wildem Kopfschütteln. Es war eine Reaktion aus seinem Bauchgefühl heraus. „Du verstehst nicht. Mit dem Kind kann man nicht mehr……Ich möchte dir die Konfrontation mit ihr ersparen.“ Die Dame glaubte ihm das nicht. Sie würde ihn diesbezüglich schon noch überreden können, dachte sie sich. Was dann folgte war allerdings ein unerwarteter Gefühlsausbruch der Kaiserin, welche sich noch fester an ihren Ehemann klammerte. Er saß nur nebenbei, seine Emotionen weiterhin unterdrückend, wohingegen die beiden anderen Personen im Raum, in traditioneller Manier und Höflichkeit, sich von ihren Majestäten abwandten. Es war so tradiert, dass Weinen ein Zeichen der Schwäche war, weswegen Herrscher über so etwas stehen sollten. Wenn man solcherlei Gefühle preisgab, dann nur privat, wo niemand sie sehen konnte und durfte. Ylva und der Pfaffe nahmen an, dass es sich nicht geziemte, ja, dass es gar verboten war, Zeugen eines solches Verhaltens von ihren Hoheiten zu sein. Mit Handgesten signalisierten sie dem Souverän, dass sie sich vorläufig von hier zurückziehen würden, und entfernten sich dann leise. Sie würden sich derweil zu Brahm und Co. begeben, welche oben die Kirche bewachten.
Der Erkorene ließ einstweilen seine Gedanken weiter kreisen und brütete still vor sich hin, immer wieder die Hand seiner Geliebten haltend und diese an sich drückend. Als Amalie sich wieder ein wenig beruhigt hatte, schnitt er dann eine Unterhaltung über ein anderweitiges Thema an. „Könnte die Usurpatorin vielleicht doch recht gehabt haben?“, gab er mit gedämpfter Stimme von sich. Seine Partnerin erkundigte sich da natürlich: „Wer?“ – „Du weißt schon, Gabriela Cornel, die Putschistin, welche dich damals als Geisel gehalten hat.“ – „Ach so, die!“, entgegnete Amalie daraufhin immer noch etwas verwirrt. „Womit sollte dieses Monster denn recht gehabt haben?“ – „Dass Magier tatsächlich ein Problem für die Gesellschaft sind, dass sie eine Gefahr womöglich sogar für die gesamte Menschheit sind. Unsere Macht ist einfach zu groß.“ Dieser Gedankengang schien seine Gattin zu erzürnen und sie gab ihm Kontra:
„Sicher nicht! Es kommt immer darauf an, wie man seine Macht benutzt, nicht darauf, ob es überhaupt Mächtige geben darf. Ansonsten müssten wir alle verfolgen, die anderen auf irgendeine Weise überlegen sind: die besonders Starken, die besonders Klugen und die besonders Einfallsreichen. Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre. Wir würden damit der Gesellschaft diejenigen enthalten, die auch am meisten zu dieser beitragen können, wenn man sie richtig behandelt. Man darf sie aber nicht ausschließen. Du selbst hast mir vor nicht allzu langer Zeit gesagt, dass wir eine neue Art und Weise finden müssen, um Zauberer in der Gesellschaft zu integrieren. Ich glaube, dass dies jetzt nur noch mehr ein Anstoß ist, um eine solche Vorgehensweise voranzutreiben.“ Wenzel gab ihr nichts zur Antwort. Stimmte er ihr insgeheim zu? Wer konnte es schon sagen.
Nach einem Moment der Ruhe schaute ihn Amalie erneut an, eine Handlung, die selbst ihm nun schon auffiel. Er kommentierte sie aber nicht. Sie jedoch entschloss sich das jetzt sehr wohl zu tun. „Du bist so anders, Schatz. Deine ganzen Manierismen, deine Art zu sprechen weichen auf eine befremdliche Weise von dem ab, wie sie normalerweise sind. Haben dich die Ereignisse mit Viktoria so arg gebeutelt?“ Wenzels Gesichtsausdruck wurde infolge ernster und er gab zurück: „Wenn man auch allen anderen etwas vormachen kann, bei dir wird es wohl nicht klappen. Schon der kleinste Hauch an Abweichung würde meiner Gemahlin wohl auffallen, nicht wahr? Hmm.“ Somit ging er jetzt dazu über ihr darzulegen, was geschehen war. „Weißt du, etwas ist passiert, oder vielmehr habe ich etwas getan, das etwas Unerwartetes ausgelöst hat………“
Am Ende seiner Ausführungen waren die Wirren im Kopf seiner Ehefrau nur noch erheblich größer geworden. „Ich werde noch entscheiden, wie ich mit meinen neuen Realitäten verfahren werde. Ob das Land bereit ist es zu erfahren, hängt davon ab, wie sehr sie an Melgar und an Gottes Plan glauben wollen.“ Völlig verwirrt blickte sie Melgar an. Dann starrte sie gleich wieder auf kalten Steinboden und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Auch den Magier überraschte dies, da sie doch sonst so großen Wert auf ihre Frisur und generell ihr Äußeres legte.
Schließlich erkundigte sie sich bei ihm: „Wie bist du überhaupt hierhergekommen?“ – „Magie. Ich habe mich herteleportiert.“ Amalie schien seine so nüchtern als Fakt dargebrachte Feststellung dessen, dass er nun eine neue Fähigkeit hatte, einfach zu akzeptieren. Sie glaubte ihm, aber wie das Ganze funktioniert hatte, bereitete ihrem Verstand Sorge. „Nur meine Garde und Balduin wussten, wo ich mich aufhalte. Wie ist es möglich, dass du dich einfach an genau den richtigen Ort teleportiert hast, wenn du diesen gar nicht kanntest?“ Der Erkorene stutzte kurz. Ein paar Schritte ging er die riesigen Weinfässer entlang, auf und ab. Nach kurzer Überlegung gab er zur Antwort: „Gottes Wege sind unergründlich. In meiner Not habe ich ihn angerufen und er hat mein Gebet erhört. So wie es schon einmal der Fall gewesen ist, hat er das Geflecht der Realität für mich zerrissen, und das Unmögliche wahr gemacht, um mich zu retten. Es macht keinen Sinn. Es kann keinen Sinn machen. Man muss daran glauben.“
Dies verschlug seiner Gattin die Sprache. Folglich setzte er sich wieder neben sie und nahm ihre Hand, um sie zu versichern. Ein wenig saßen sie noch nebeneinander. Keiner weiß wie viel Zeit genau verstrich. Ganz dumpf war wiederholtes Donnergrollen aus der Ferne zu vernehmen. selbst hier unten konnte man es hören. Der Kaiser wusste, was dies bedeutete, blieb derweil aber entschieden an der Seite seiner Ehefrau. Seine Aura war vollständig unterdrückt. Er war unauffindbar. „Eventuell sollten wir die anderen beiden wieder zu uns herab bitten, was meinst du?“, fragt sie der Mann da. Sie schaute ihn daraufhin entfremdet und kühl an, und sprach dann: „Wer bist du?“
„Das habe ich dir bereits gesagt.“
Während sie mit rasender Geschwindigkeit vorwärtsflog, konnte sie sehen, wie sich die grauen Wolken in der Entfernung vor ihr zu ganz schwarzen wandelten. Das Unwetter zog gemeinsam mit ihr weiter. Es war ihr Unwetter. Über die weiten Felder, das goldene Meer Ordaniens, segelnd, hätte sie die vom Schatten ihrer Wolken verdunkelten Äcker betrachten können, wäre denn ihre Aufmerksamkeit auf diese gefallen. Doch das tat sie nicht. Viktorias Blick war unverwandt gen Horizont gerichtet, welcher in Bälde schon die ersten Türme und Dächer Greifenburgs enthüllen würde. Es war die zweitgrößte Stadt Ordaniens, die „Ausweichhauptstadt“. Auch sie würde bald in Flammen aufgehen! Die Gedankenwelt der Zaubrerin war momentan nur hiervon dominiert. Wenn ihre Rache Melgar nicht vernichten konnte, dann würde sie zumindest das, was ihm von Bedeutung war, vernichten! Und da war sie schon.
Die ersten Turmspitzen zeigten sich und das Mädchen sauste diesen entgegen. Die teils immer noch nicht wiederhergestellten Wehranlagen der Stadt präsentierten sich im Abendrot, bevor der aufziehende Sturm die Sonne verschwinden lies und sogleich den angehenden Abend in eine stockfinstre Nacht verwandelte. Die Hexe kam heran und würde dies sogleich wieder ändern. Wusch! Sie flog herbei und steckte das erste große Gebäude in Brand, das sie sehen konnte. Es handelte sich dabei um einen Teleiotischen Tempel. Dann zog die Vandalin weiter und zerschmetterte das große Südtor der Stadt, was natürlich wieder den Verkehr und damit auch den Handel blockieren würde. Sie hatte vor auch mit allen anderen Stadttoren derartig zu verfahren. Sehr schnell erschallte da schon das Leuten der Glocken, welches die Bewohner vor dem Ausbruch eines Brandes warnte.
Das amüsierte die junge Dame fast schon. „Sollen sie doch versuchen meine Feuer zu löschen. Sie werden es nicht schaffen, diese Ameisen!“ Dann stieg sie wieder empor und fuhr damit fort, ähnliche Verwüstungen, wie zuvor in Meglarsbruck, anzurichten. Auch die Auswahl ihrer Ziele entsprang derselben Logik wie beim letzten Mal. Schreie mischten sich mit dem immer stärker werdenden Tosen der Feuersbrünste hier. Bald schon war auch diese Metropole ein einziges großes Inferno, eines, das die Finsternis des Nachthimmels mit einem höllischen Rot ersetzte, während erneut endlos Blitze herniederfuhren. Viktoria tobte weiter und weiter. Sie wusste nicht, wie viel Zeit eigentlich verstrichen war, aber irgendwann wurde der Lärm und das Treiben in der Stadt weniger. Unsagbar Viele waren geflohen, unsagbar Viele waren in den Flammen oder im generellen Chaos oder unter den Trümmern eingefallener Gebäude umgekommen. Es war eine weitere Katastrophe und es war wieder eine, deren Ausmaße man nur schwer in Worte zu fassen vermochte.
Doch trotz all dieses Horrors erschien er nicht. Melgar, nicht mehr ihr ihr Vater, Wenzel, nein, MELGAR hatte sich nicht mehr gezeigt. Der Erkorene Gottes war nicht gekommen, um ihr das Handwerk zu legen. Man ließ ihr freies Geleit, auch die zweitwichtigste Stadt des Landes in Schutt und Asche zu legen. Es war einfach unglaublich! Nicht einmal ein Hauch irgendeiner anderen magischen Aura als der ihren war hier zu verspüren. Auf dem Dach des einstigen Königspalastes der Alethischen stehend, welchen sie jetzt bereits halb abgerissen hatte, blickte die Magierin über die apokalyptische Stadtkulisse hinweg. Auch sie konnte es nicht fassen. „Was ist hier los? Hält mich denn niemand auf? Lässt er mich einfach ungehindert das ganze Reich zerstören? Was zum Teufel!“, stieß sie inbrünstig hervor.
Sie schaute nochmals hinüber, auf die große Bibliothek, von der sie nicht wusste, dass deren Restauration erst vor wenigen Jahren abgeschlossen worden war. Jetzt stand das Bauwerk schon wieder in Flammen. In dem Augenblick stieg etwas in ihr hoch. Die Wut und der Hass des Mädchens, der sie so gewaltig im Griff hatte, schien kurzzeitig zu schwinden. Übertüncht von einem wahnwitzigen Amüsement begann sie auf einmal, wie irre, zu lachen. Nichts, aber auch rein gar nichts war lustig an dieser Situation, nicht einmal für sie. Doch ihre innere Pein war so groß, dass ihr Verstand sich schützen wollte, davon überwältigt zu werden. Diese Schutzreaktion ließ sie wie aus heiterem Himmel hier in schallendes Gelächter ausbrechen. Es war ein furchteinflößendes Bild, das sie hier machte.
In Kürze besann sie sich allerdings wieder. Naja, es war nicht wirklich was man als „Besinnung“ bezeichnen würde. Die Hexe setzte den begonnenen Abriss des Palastes fort, welcher bis vor wenigen Stunden noch den Kaiserhof beherbergt hatte. Nun aber war so gut wie niemand mehr hier. Im Wesentlichen demolierte sie ein leeres Gebäude. Die edlen Gemächer, weiten, prunkvollen Treppenabgänge, den eindrucksvollen Speisesalon und die große Veranda, alles ruinierte und zermalmte sie mit besessenem Eifer und größter Freude.
Nach getaner Tat setzte sich Viktoria dann inmitten des soeben zerstörten Speisesalons der ehemaligen Pfalz ab. Ringsum war ein Bild der Verwüstung: umher- und durcheinandergeworfene Möbel, Tische und Stühle, kaputte Holzböden, die wunderschöne Einlegearbeiten aufgewiesen hatten, zerdepperte Fenster und herabgestürzte Luster. Das Letztgenannte zog nun ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie kam zu einem der zu Boden gestürzten Kronleuchter heran, und betrachtete diesen genau. Sie wusste selbst nicht wieso, eigentlich gab es keinen Grund dafür. Während ihre Aura aus ihrem Körper herausdrang und dabei, wie eine Flamme nach oben züngelte und zuckte, blickte sie einen Moment lang auf das kaputte Stück Mobiliar hinab. Es war ein Kristalluster. Die Fassung aus konzentrischen, kleiner werdenden Kreisen aus Metall trug sowohl die Kerzenhalter als auch unzählige kleinere, aber auch größere, durchsichtige Schmucksteine, die davon herabhingen. Vermutlich waren es Bergkristalle.
Das Mädchen faszinierte sich für das funkelnde Objekt und streckte diesem schließlich ihre Hand entgegen. Ohne körperliche Kraft, sondern stattdessen mit Magie, riss sie einen der kleineren Ringe aus dem Gebilde heraus und nahm es in die Hände. Danach platzierte sie es probemäßig auf ihrem Kopf, um zu sehen, ob es ihr auch passte. Ihr Augenmaß hatte sie nicht betrogen, das Ding hatte die richtigen Dimensionen für sie. Folglich versuchte sie die Kristalle vom Luster irgendwie in den Gegenstand zu integrieren, sodass es auch die Funktionen des von ihr gewünschten Endprodukts, sowie dessen Aussehen hatte. Dieser Vorgang dauerte nun eine gefühlte Ewigkeit, schien aber nicht zu klappen. Die Teenagerin, die keinerlei Ahnung von Handwerk hatte, fummelte nur unbeholfen herum, wurde zornig und gab letztlich auf. Dann bog sie den Metallring einfach mit ihrer Telekinese zurecht, und zwar so, dass nach oben einige Zacken wegstanden. Mit ein wenig Fantasie konnte man erkennen, dass es sich bei ihrem Werk um eine Krone handeln sollte.
Von ihrem Standort aus konnte sie immer noch auf die brennende Stadt hinübersehen. Fast schon stolz setzte sie sich ihr „Monstrum“ von einer Krone auf und ließ den Ausblick ein wenig auf sich wirken. Dann fing sie schließlich an, erneut hysterisch zu lachen. Sie war Königin ihres eigenen Königreichs, ihres Königreichs der Ruinen.
„Ich habe geschafft, was ich wollte. Meine Vergeltung ist vollbracht. Ich habe gewonnen!“, ging es ihr durch die Gedanken, als sie weiterhin dementiert johlte. Viktoria hatte sich endgültig dem Wahn preisgegeben. Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Die Stimmung des Mädels mit karmesinrotem Haar schlug abrupt ins Gegenteil. Ein Schock durchfuhr ihren Körper. Sie ließ sich auf die Knie fallen und begann ruckartig zu zittern. „Habe ich gewonnen? Habe ich das denn wirklich? Was für ein Sieg soll das sein?“, begann es ihr nun endlich zu dämmern. „Meglarsbruck und Greifenburg habe ich verheert. Den Wohlstand und den Aufbau, den mein ‚Vater‘ doch so hoch schätzt, habe ich zunichte gemacht. Meine Rache habe ich bekommen, aber was habe ich damit im Endeffekt erreicht? Bin ich jetzt glücklicher? Nein!“ Die Zaubrerin überkam nun ein Anflug gänzlich anderer Emotionen, als sie sich die Frage stellte, die ihr unreifes Gemüt nicht im Voraus zu bedenken vermocht hatte: „Und was jetzt?“
Die Tragweite ihrer größenwahnsinnigen Handlungen wurde ihr scheinbar erst in diesem Augenblick bewusst. „Ich habe nichts mehr. Alles habe ich zerstört: Die Beziehung zu meinen Eltern, das Vertrauen der Landesbewohner, alle Optionen eines friedlichen Lebens. Niemand wird mich mehr haben wollen, wird mir mehr glauben wollen, oder überhaupt mit mir reden wollen. Niemand wird mich mehr in seiner Nähe haben wollen oder mit mir leben wollen! Was soll ich jetzt tun? Wo soll ich jetzt hin? Ans Ende der Welt? Wo ist das überhaupt? Und was würde ich dort dann machen? Ich kann nicht alleine überleben. Weder Kochen noch irgendeine andere Art von Handwerk beherrsche ich. Was soll ich jetzt machen?“
Viktoria ließ das Gesicht in ihre Hände sinken und begann bitterlich zu weinen. Die Realisation, dass sie alles, vor allem aber ihre eigene Existenz zerstört hatte, hatte bei ihr eingesetzt. Jedoch war es nun zu spät. Sie konnte das Geschehene nicht mehr ungeschehen machen. Keine Magie der Welt konnte die Toten zurückbringen und keine Magie der Welt konnte ihre ruinierten Beziehungen mehr reparieren. Auf grausame Weise lernte sie hier die Lektion, dass Magie nicht allmächtig war.
Das Donnern hörte auf und die Gewitterwolken fingen an herabzuregnen. Für die Bürger der Stadt war dies sicher ein Segen, da es half, die Brände in Schach zu halten. Der Magierin half es recht wenig, dass sie jetzt auch noch klatschnass wurde. Die Verzweiflung ergriff sie und fraß sie auf. „Ich bin ein Dämon. Melgar hatte doch recht. Wird er…. könnte ich mit ihm vielleicht reden? Nein, Wenzel wäre mir da lieber. Aber gibt es ihn überhaupt noch, oder hat ihn der sogenannte Messias vollständig ersetzt, aus seinem eigenen Verstand verdrängt? Keine Ahnung! Mit wem könnte ich sonst reden? An wen könnte ich mich denn sonst noch wenden? Da ist niemand, absolut niemand!“ Während der Niederschlag heftig daniederprasselte, flackerte ihre magische Aura wild umher. Ihr Gesicht war hochrot, die Adern in ihren Augen geröteter als je zuvor.
Viktoria war mit ihren Nerven am Ende. Eigentlich war sie das schon lange, aber ihr Begreifen der Realität, die sie sich nun selbst geschaffen hatte, brachte sie in einen ganz neuen Zustand, in dem sie sich nie zuvor wiedergefunden hatte. Die junge Dame war am Rande des Abgrunds. Sie konnte nicht mehr vor, aber einen Weg zurück gab es auch nicht mehr. Da war nur noch der der steile Sturz an einem Abhang hinab, dessen Boden sie nicht sehen konnte. Nur das reine Schwarz, die Leere tat sich dort unten vor ihr auf. Ihre Welt war zerrüttet und am Ende angelangt.