Fünf Jahre sind seitdem vergangen. Auf ihrem weichen Bett fand man nun eine sechzehnjährige Viktoria vor. Ihre überaus langen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Während sie im Schneidersitz dasaß, streichelte sie ein kleines Tier, das sie auf ihrem Schoß sitzen ließ. Der kleine Spaniel Wanja, genoss es von dem Mädchen gestreichelt zu werden und stupste sie jedes Mal mit seiner Nase an, wenn Viktoria damit aufhörte. „Ach, Wanja. Du bist wirklich meine einzige Freundin“, kam es von der Trübsal blasenden Prinzessin. „Das ist jetzt schon fast ein Grund für mich beleidigt zu sein, eure Hoheit!“, verlautbarte da Ylva, die anscheinend den Raum betreten hatte, ohne dass es Viktoria aufgefallen war.
Ihre Hündin sprang sogleich von der jungen Dame herunter und begrüßte die Leibwächterin mit überschwänglichem Schwanzwedeln. Während die braunhaarige Dame das Haustier kurz zur Begrüßung streichelte, antwortete die künftige Thronerbin auf das Vorangesagte: „Du bist natürlich auch meine Freundin. Ist doch sowieso klar!“ Der Ausdruck im Gesicht der Frau wurde aber dadurch nicht sonderlich zufriedener. Sie meinte: „Ich weiß, dass Euch etwas bedrückt, und ich bin mir auch ziemlich sicher, was dieses etwas ist.“ Ein paar kurze Sekunden vergingen, bis Viktoria Folgendes entgegnete: „Weißt du, ganz am Anfang, als wir uns kennengelernt haben, hat mich dein zeemärkischer Dialekt immer ein wenig irritiert. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt und ihn als Teil deiner Persönlichkeit gesehen. Aber am Beginn hat mich deine Art zu reden immer irritiert.“
Das Mädchen hatte sogleich das Thema gewechselt. Bevor ihre Leibwache zum ursprünglichen Gesprächsgegenstand zurückkehrte, konnte sie sich jedoch nicht davon abhalten, zuerst auf die Behauptung zu reagieren. „Dabei habe ich bei Euch immer versucht, mich so gut wie möglich in Hochsprache auszudrücken. Nur meine Aussprache von manchen Wörtern ist eben etwas anders, aber das kann ich nicht ändern.“ – „Ich finde es gut so. Ohne das wärst du nicht Ylva!“ Darauf musste die Dame zumindest ein klein wenig lächeln. Ihre Majestät mochte sie wirklich. Ylva ließ den Moment kurz verweilen, bis sie schließlich mit dem zuvor Beabsichtigten begann. „Ihr seid immer zu aufdringlich und, wie manch einer meinen würde, dominant. Marzia, aber vor allem Eleonore sind von Eurem Auftreten eingeschüchtert.“ Dass es bei der jüngeren der beiden Kuhn Schwestern sogar noch schlimmer war und diese sich wahrhaftig vor der Magierin fürchtete, ließ ihre Leibwächterin an dieser Stelle lieber aus.
„Bin ich nicht! Keine der zwei will jemals irgendwas von sich aus. Darum muss ich immer den Ton angeben!“, fauchte Viktoria in ihrer typisch beherrschenden Art. Danach presste sie allerdings ihre Lippen aneinander und drehte ihr Gesicht von ihrer Gesprächspartnerin weg, welche aber kurz einen Blick auf ihren besorgten Ausdruck erhascht hatte. „Also warum…..“, Viktoria vollendete den begonnenen Satz nicht. Ylva spürte schon, was sich anbahnte. Plötzlich begannen die ersten Tränen von den Wangen der Teenagerin zu laufen. Die andere Anwesende wusste nicht genau, wie sie damit umgehen sollte. Sie rückte etwas näher an das Mädchen heran. Es drängte sich ihr kurz der Gedanke auf, was diese Emotionen für Auswirkungen bei der Zaubrerin haben könnten. Wie ihr von seiner Majestät bekannt war, konnten starke Gefühle sich bei jenen mit magischen Kräften physisch auf zerstörerische Weise manifestieren. Aber die junge Dame war traurig, nicht wirklich wütend. Was der Effekt hierbei sein würde, wusste Ylva nicht wirklich.
Mittlerweile hatte das Mädchen zu schluchzen begonnen. „Niemand mag mich! Wieso nur mag mich niemand?“ Die Frau, die danebenstand, fühlte sich nun auch schon, als ob sie mitweinen müsste. Sie redete auf Viktoria ein: „Das ist doch gar nicht wahr. Deine Eltern lieben dich, Wanja liebt dich definitiv auch, und für mich bist du auch eine gute Freundin. Mach dich doch nicht so runter!“ Das Mädel blickte sie kurz mit geröteten Augen an, schaute dann aber wieder weg. Dann sagte diese: „Du bist zwar eine gute Freundin, aber du bist halt nicht in meinem Alter. Das zählt nicht.“ Daraufhin erwiderte Ylva: „Das ist jetzt aber schon gemein, Prinzessin! Was spielt Alter denn für eine Rolle, wenn man Freunde sein will?“ Nun fuchtelte die Angesprochene nervös und fast schon perplex herum und entgegnete ihr: „Nein, so war das jetzt nicht gemeint! Glaub mir, ich schätze dich sehr! Ich, ich…“ – „Ist schon okay, eure Hoheit. Ich schätze Euch auch!“
Nachdem sich die Gemüter wieder etwas beruhig hatten versuchte die Leibwächterin ihr die Sachlage noch besser darzulegen. „Ihr seid es gewohnt immer den Ton vorzugeben. Das schüchtert andere Leute ein. Außerdem ist da noch die Sache mit Euren Fähigkeiten.“ – „Du meinst, dass meine Magie ihnen Angst macht?“ – „Wohl eher die Dinge, die Ihr damit möglicherweise tut“, kam es zur Antwort. Während sie so auf dem Bett sitzend redeten, fiel ihnen nicht auf, dass der kurz vorher noch strahlend klare Himmel nun wolkenverhangen war.
Eine Dame mit relativ kurzen, schwarzen Haaren war wie so oft damit beschäftigt verschiedenste Materialen für ihre Experimente mit Magie vorzubereiten. Auf ihrem Arbeitstisch lag deshalb zur Orientierung ein aufgeschlagenes Buch bereit, nebst dem einige gläserne Ampullen aufgereiht waren. Diesen Behältnissen, die mit unterschiedlichsten Materialen, die dem Arkanen dienlich waren, gefüllt waren, entnahm Silke nun Teile ihrer Inhalte bei Bedarf, um sie mit anderen Materialien, die sie hier hatte, zu mischen. Dann füllte sie diese in wiederum andere Ampullen, welche mit winzigen Zauberkreisen versehen waren. Elfenbein, „Drachenschuppen“, Fledermausflügel, Weihrauch, Kardamom, verschiedenste andere Kräuter, Knochenmehl, unterschiedliche Kristalle und Edelsteine und einiges mehr hatten sie hier zur Verfügung. Auf einem kleinen Schreibpult lag schon ein Protokoll bereit, das sie ausfüllen würde, wenn seine Hoheit, der Erkorene die Experimente durchführte. Die Dame war unglaublich motiviert und man konnte das klar an ihrem fröhlichen Gesichtsausdruck erkennen. „Was werden wir wohl heute Neues über den magischen Effekt dieser Stoffe herausfinden?“, fragte sie sich voller Elan.
Der Genannte saß unterdessen in seinem Arbeitszimmer nebenan. Wenzels Aufmerksamkeit war momentan auf etwas ganz anderes gerichtet. Er war gerade in ein dickes Buch vertieft, das wahrhaft antik aussah. Das war es in der Tat auch. Es war eine uralte Aufschrift aus camenischen Archiven, welche glücklicherweise nicht von Wahnsinnigen verbrannt worden waren, so wie es hier während der Revolution passiert war. Die uralte Schrift und Sprache waren eine große Herausforderung, doch der mittlerweile wesentlich gebildetere Wenzel war dazu in der Lage sehr viel davon zu verstehen. Immerhin war das Werk ja auch in camenischer Schrift geschrieben, jene, die man aufgrund der Ausbreitung des Reiches heute in ganz Kaphkos benutzte.
Dies hier waren aber Aufzeichnungen, die noch aus der Zeit vor dem ersten Reich und damit aus der Zeit vor Melgar stammten. Das war bedeutsam, sehr sogar. Was der Kaiser nun an Informationen erhielt, notierte er sich nebenbei in Stichworten auf einem eigenen Blatt Papier. Warum war dies von solch großer Bedeutung? Nun, die Sache in Kaphkos war so, dass es beinahe keine originalen schriftlichen Überlieferungen aus dieser Zeitperiode mehr gab. Von den Zuständigen hieß es diesbezüglich, dass jene Kulturen, die dem Reich vorangegangen waren, „barbarisch“ waren und daher kaum Aufzeichnungen hinterlassen hatten. Was Wenzel nun hier las, stand in diametralem Widerspruch dazu. Was er hier aus diesen Seiten herauslesen konnte, war die Geschichte einer untergegangenen Hochkultur, jene der Ostrisulier, um genau zu sein.
Es war darin die Rede von riesigen Tempelanlagen, einem „modernen“ Straßennetz, fortgeschrittenen Technologien und Bautechniken, wie etwa Aquädukten, öffentlichen Bädern und einem komplexen politischem System. Wenn man heute einen Historiker fragte, würde er einem sagen, dass all diese Errungenschaften erst unter Melgar und seinen Nachfahren gemacht wurden. Was stimmte also? Was war die Wahrheit? Der Magier bezweifelte, dass dieses Dokument eine Fälschung war und damit lügen verbreitete. Wohl eher hatten die Eroberer diejenigen, die sie erobert hatten, als unzivilisiert dargestellt, um ihre Überlegenheit und damit ihre Herrschaft über diese, sowie die Zerstörung ihrer Kultur zu rechtfertigen. Von den Ostrisuliern in Camenia, den Gordomannen in Ordanien, bis zu den Kascharen in Kascharovar, bei denen es ja bis in die heutige Zeit angedauert hatte. Sie alle waren „unzivilisierte Barbaren“, denen man erst zeigen musste, wie man leben sollte. Es war immer dieselbe Ausrede gewesen.
Als es an der Tür klopfte, ließ sich seine Assistentin selbst herein. „Es ist alles vorbereitet, mein Herr.“ – „Verstehe“, erwiderte er schlicht und folgte ihr hinüber in die Bibliothek, die im Grunde auch zu ihrem „Labor“ geworden war. Wenzel blickte kurz hinüber auf die Behälter, deren Inhalte ihm Silke kurz zu erläutern versuchte. „Diese Ampulle beinhaltet Ibischwurz, Einhornpulver….“ Sie bemerkte, dass seine Majestät nicht so richtig zuhörte. Als sie ihm dann einen Blick zuwarf, sagte dieser plötzlich: „Du glaubst daran, dass die Wissenschaft rational und urteilsfrei Kenntnisse und Wissen niederschreiben und weitergeben sollte, oder?“ – „Selbstverständlich denke ich das!“, entgegnete ihm die Dame, die selbst Archivkunde studiert hatte. Darauf fragte ihr Chef: „Was würdest du tun, wenn sich herausstellt, dass alles, was du immer geglaubt hast, eine Lüge war?“
Diese Frage traf die Dame nun völlig unerwartet. Unklar darüber, wie sie reagieren sollte, verharrte sie erst einmal stumm vor ihm. Schließlich rang sie sich durch nachzufragen: „Was genau meint Ihr damit, mein Herr?“ Der Erkorene blickte sie kurz mit versonnenem Blick an. Dann sagte er: „Nichts. Vergiss es.“ Danach machten sie sich wieder an ihre Magieforschung. Während all dem ging Wenzel die Sache allerdings nicht aus dem Kopf. „Alle von Menschen geschaffenen Dinge sind nur Lügen! Wie soll man denn irgendwie vorwärtskommen, ohne diese Konstrukte vorher niederzureißen und alles von Grund auf neu aufzubauen? Aber das geht doch auch nicht!“, geisterte es ihm durchs Hirn. „Auch Geschichte ist nur ein Instrument, zur Kontrolle. Was einem nicht passt wird daraus getilgt.“
Es war rabenschwarze Nacht. Eine unruhige Viktoria setzte sich nun nach pausenlosem Hin-und Herwälzen von ihrem völlig zerknüllten Bettzeug auf. Sie begann sofort wieder damit, in ihrem Zimmer herumzugehen. Kurz nachdem sie mit dieser Routine begonnen hatte, hielt sie aber inne. „Nein. Das hilft mir auch nicht zu schlafen. Ich will einfach nicht schlafen. Aber hier drin halte ich es auch nicht mehr aus“, murmelte sie im leisen Selbstgespräch. Sie war sich aber auch bewusst, dass sie nicht einfach auf den Gang hinausgehen konnte oder irgendwo durch den Palast zu solch später Stunde wandeln konnte. Die Wachen, vor allem Ylva, würden ihr das nicht erlauben. „Die können mich alle mal!“, sagte die Ungestüme nun mit fast schon zu lauter Stimme. Sie trat an ihr Fenster und öffnete dieses. Während die kalte Nachtluft hereinflutete, stieg sie auf den Sims hinauf. Dann flog sie hinaus.
Sie wollte nicht von hier weglaufen oder sowas. Lediglich ein wenig den Kopf freizubekommen, indem sie sich ein wenig Abstand verschaffte, war alles, was sie im Sinn hatte. Unter ihr zogen die finsteren Straßenzüge der Kaiserstadt hinweg, welche nur stellenweise von Straßenlaternen beleuchtet waren. In das dunkle Maul, das jenseits der Stadtmauern lag, flog sie einfach blindlings hinein. Es verging einige Zeit und das Mädchen war sich sicher, dass sie bereits sehr weit weggeflogen war. Sie konnte das zwar nicht genau sagen, da sie auf den Landstrichen unter sich beinahe nichts ausmachen konnte, aber sie wusste, dass sie viel schneller als ihr Vater fliegen konnte und daher schon eine ordentliche Strecke zurückgelegt hatte. Die Kühle hier oben ließ ihr eine Gänsehaut auflaufen. Schlussendlich dauerte ihr die Reise dann schon zu lang und sie ging dazu über, sich langsam der Oberfläche anzunähern.
Vor sich sah sie dann Baumwipfel in die Höhe ragen, was sie dazu veranlasste, vollständig zum Stillstand zu kommen, und die restliche Distanz zum Boden vertikal abzusteigen. Die Landung abgeschlossen habend, fand sie sich nun in einem urigen Gehölz wieder. Es war feucht, kühl, roch nach Moder und nicht allzu weit entfernt konnte man das gespenstische „Huhu-Huhuu“ eines Waldkauzes hören. Im Schein des Feuers, das sie in ihrer Handfläche kurzerhand erzeugte, wanderte sie nun ein kleines Stück über den moosigen Waldboden, bis sie eine kleine Lichtung fand. Hier trug sie recht schnell mit ihrer Telekinese eine paar Stöcke und Äste zusammen und machte sich ein Feuer. Das Holz, das nicht recht trocken war, begann zu dampfen und knistern. Die Zaubrerin liebte das und ihr Blick verlor sich wieder für ein, zwei Minuten im Tanz der Flamme.
Dann schaute sich das Mädchen in dessen Licht etwas hier um. „Wenn ich schon hier bin, wo mich niemand stören kann, könnte ich auch gleich meine Magie üben“, stellte sie fest. Gesagt, getan. Infolge trat sie mit etwas Abstand zu einem der größeren Bäume hier heran und streckte ihre Hand nach vorne aus. Sie sammelte etwas Kraft, allerdings nicht zu viel, und ließ sie dann gleich in Form einer telekinetischen Druckwelle los. Erwartungsgemäß folge ein lauter Knall. Der mächtige Stamm vor Viktoria splitterte und barst. Unter unheilvollem Knarzen begann er zuerst langsam, dann aber recht rasch zu kippen und auf die linke Seite hin umzufallen. Seine Hohe Krone krachte herunter und riss einige andere Bäume auch gleich mit um. Als er dann auf der Erde lag, schwebe das Mädchen mehr zur Mitte des Baumstammes hinüber und versuchte ihn mit ihrer Magie anzuheben. Er war sehr schwer, doch es gelang ihr. Dann ließ sie ihn wieder zu Boden.
Auf diese Weise verbrachte die Jugendliche nun ihre Nacht im Wald. Sie hatte große Freude daran, sich nicht mit ihrer Stärke zurückhalten zu müssen und tun zu können, was sie wollte. Für Viktoria bot dies eine großartige Gelegenheit all ihren Frust einmal auszulassen. Somit war für die nächsten zwei Stunden einiges an Lärm hier draußen zu vernehmen. Die Tiere des Waldes würden es ihr nicht danken. Bald aber machte sie wieder das Lagerfeuer aus und machte sich auf den Rückweg. Sie hatte sich circa die Himmelsrichtung gemerkt, aus der sie gekommen war. Da es nun ganz, ganz leicht heller zu werden schien, konnte sie nun auch endlich ausmachen, wo sie war. Über das Blätterdach hinweg überflog sie einen gigantischen Wald. Nach diesem folgten dann die weiten Felder und Ebenen Mittelordaniens, die ihr sehr gut vertraut waren. Und schließlich zeigten sich dann am Horizont die ersten Turmspitzen der Hauptstadt. Zum Glück hatte sie sich nicht verirrt. Letztlich durchquerte sie ihr immer noch offenstehendes Fenster und schloss es so leise wie möglich.
Der Morgen hatte bereits deutlich gedämmert. Niemandem war ihr kleiner Ausflug aufgefallen, daher legte sie sich einfach in ihr Bett und tat so, als wäre sie die ganze Zeit über hier gewesen. Diese Exkursion hatte ihr aber wirklich gefallen. Sie würde dies wahrscheinlich künftig öfters machen. Hundemüde nickte sie in ihrem Bett jetzt kurz weg, wurde dann aber wenig später von einer Dienerin aufgeweckt. „Hau ab! Lass mich noch schlafen!“, vergraulte sie die Frau unhöflich. Es war kein guter Start in den Tag.
Die Kaisergattin trat beim Arbeitszimmer ihres Ehemannes herein und schloss die Türe hinter sich. „Schon mal was von Klopfen gehört?“, fragte der Mann da schnippisch. Nachdem er sich umgedreht hatte, begriff er aber gleich, dass es sein Schatz war, mit der er gerade so gesprochen hatte. „Tut mir leid! Ich wusste nicht, dass du es bist!“, kam es sogleich in flehendem Ton von diesem. Ihre zornige Grimasse besänftigte sich daraufhin gleich wieder und sie erwiderte: „Vergessen wir das einfach. Ich hab ja auch wirklich nicht geklopft und es hätte Wer-Weiß-Wer sein können.“
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Die Dame kam näher an Wenzel heran und sprach dann: „Ich mache mir Sorgen um Viktoria.“ – „Ist es wegen der Anfälle?“, erkundigte sich der Vater. „Ich meine, ja, aber nicht nur. Wir haben ihre Ausbrüche des blindwütigen Zerstörens sowieso schon öfters besprochen. Laut Ylva hat sich hierbei gar nichts verbessert.“ Der Kaiser machte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. Unterdessen erklärte seine Frau: „Die Sache hat mit ihren persönlichen Beziehungen zu tun. Sie hat zwar jetzt gewissermaßen Freunde, aber diese Mädels verbringen nur gezwungenermaßen Zeit mit ihr. Wie ich mir sagen habe lassen, fürchten sie sich vor ihr.“ – „Ich habe mir wirklich eingebildet, dass Wanja hier einen Unterschied machen würde“, hielt Wenzel da nüchtern fest.
„Oh, Wanja liebt sie. Auf jeden Fall macht der Hund einen Unterschied“, gab Amalie darauf zurück und fuhr fort, „Dennoch ist ein Haustier einfach nun mal kein Mensch.“ – „Ich weiß auch nicht, wie ich der Kleinen helfen kann. Ich hab ihr schon tausendmal gesagt, dass sie etwas Rücksicht auf andere nehmen soll. Und man kann nicht einmal sagen, dass es sich nur um eine Phase handelt. Sie war immer schon so launisch. In Kombination mit der tatsächlichen Kraft, die sie besitzt, ist das eine üble Mischung.“ Amalie konnte ihrem Gatten da nur zustimmen. Dann schlug sie zu seiner Überraschung aber einen optimistischen Ton an. „Ich glaube, dass sich das jetzt durch die Pubertät geben wird. Wenn sie bald Interesse an Burschen entwickelt, dann ist es leicht möglich, dass das Mädchen sich noch mausert.“ Der Kaiser entgegnete darauf nur: „Wollen wir’s hoffen. Bisher hatten sogar die Jungen, die in ihrem Alter waren, eher Respekt vor ihr und haben sie gemieden.“ Es gab nichts, was seine Ehefrau darauf antworten wollte.
In dem Moment kam plötzlich Silke beim Durchgang der Bibliothek herein. Als sie ihre Hoheiten erblickte, bremste sie sich sofort ein und wankte auf eine fast schon komische Weise zurück. Die Kaiserin warf einen scharfen Blick auf diese. Die Assistentin trug ihre übliche dunkelblaue Uniform mit dem Sichelwappen der Reichsgarde darauf. Ihr schön gekämmtes kurzes Haar und ihre schlanke Figur machten sie zu einer attraktiven Frau, die zudem immer noch ledig war. Dem war sich Amalie wohl bewusst. „Verflüchtigen Sie sich, bitte, werte Dame! Ich und mein Gemahl haben hier etwas Privates zu besprechen!“, fauchte sie die Frau an, welche sogleich gehorchte. Während ihr Ehemann dies als etwas überzogen und gemein gegenüber Silke empfand, verstand er natürlich den Grund für das Verhalten seiner Liebsten. Da konnte er nichts tun. Dass Frau Silke eine sehr pflichtbewusste, professionelle Angestellte war, würde seine Gattin ihm ohnehin nicht abkaufen, allein schon, um auf Nummer sicher zu gehen.
Er wechselte somit das Thema. „In ein paar Tagen ist das Bankett zum sechzehnten Jahrestag meiner Krönung. Ist da schon alles vorbereitet?“ – „So viel mich die Dienerschaft wissen hat lassen, ja“, kam es von Amalie zurück. „Ich habe auch schon Viktoria ihr Kleid dafür anprobieren lassen. Außerdem habe ich ihr SEHR EINDRINGLICH klargemacht, wie wichtig diese Veranstaltung ist, und dass sie sich auch ja gut benehmen sollte.“ – „Wenn sie es versprochen hat, dann wird sie das Versprechen auch halten“, behauptete da ihr Mann. Sie hingegen, war sich da nicht ganz so sicher….
Es war ein großes Spektakel mit viel Pomp und allem Zipp und Zapp. In feinsten Roben wurden alle geladenen Gäste ausgerufen, bevor sie beim Bankettsaal hereintraten. Fürsten, Grafen, Freiherren und was sonst noch ließ sich hier blicken und alle machten sie dieselbe Verneigung, als sie ihren Antritt machten. Allein das dauerte schon eine gefühlte Ewigkeit. Und noch schlimmer war die Tatsache, dass Viktoria (und natürlich auch ihre Eltern) auf ihren Sitzplätzen verweilen und all dies über sich ergehen lassen mussten, ohne aufstehen zu dürfen. Es war reine Folter. Ihr kratziges Kleid und das unerträglich enge Korsett, das ihr die Dienerin aufgezwungen hatte, war nicht auszuhalten. Doch sie durfte nichts sagen und nichts machen. Furchtbar! Dennoch wollte die Magierin sich bei dieser Gelegenheit richtig benehmen. Es war ihrer Adoptivmutter sehr wichtig. Ihr Vater hatte kaum etwas dazu gesagt. Das Mädchen wusste, dass er von all dem Trara und Prunk nichts hielt.
Die Drei saßen nun wie aufgefädelt da und ließen sich von den Ankömmlingen einen nach dem anderen begrüßen. Wenzel trug seine übliche Kaiserkleidung, mit Umhang und allem, was dazugehört. Nur sein Schuhwerk war heute anders, da er ausnahmsweise schöne Stiefel trug. Sein Töchterlein hatte ein langes, feines Kleid an, das schneeweiß war, und hatte einen farblich dazu passenden, weißen Haarreif aufgesteckt. Amalie hatte sich für ein knallrotes Kleid entschieden, möglicherweise, um mit Viktorias Haarfarbe zusammenzupassen. Reichskanzler Peter Rubellio zeigte sich, dann der Fürst von Dohnakeled, dann der Graf von Kuenstriter und noch viele andere Hochadelige und Minister des Reiches. Relativ spät kamen schließlich auch der Oberste Marschall Theodor und seine rechte Hand, General Ulrich mit ihren Familien noch ins Haus geschneit. Beide trugen sie natürlich stolz ihren Harnisch und zeigten groß das Sonnenwappen auf ihren Tuniken.
Danach hielt der Kaiser vor versammelter Menge eine kurze Ansprache zum Anlass. Er redete über irgendwas mit Kämpfen, Errungenschaften, Aufbau und der Revolution. Solche Sachen eben. Viktoria interessierte dies wenig, wenn sie ihre Kleidung doch so quälte. „Gute Miene zum bösen Spiel! Immer lächeln und ruhig bleiben, Viktoria. Bald wird es vorbei sein!“, sagte sie sich in Gedanken. Doch konnte sie sich selbst nicht gut belügen. Der Abend würde noch sehr lange dauern….
„Somit möchte ich nochmals allen Anwesenden für ihr Erscheinen danken. Auf das Reich!“, brachte nun der Souverän einen Toast aus und hob sein Glas. Alle taten es ihm gleich und wiederholten seine Worte. „Ave Melgar!“, fügte er noch hinzu und die anderen gaben diese Worte ebenso wieder. Dann erhob sich plötzlich Theodor von seinem Stuhl und verkündete noch: „Lang lebe Kaiser Wenzel!“. Die Menge stimmte mit ein: „Lang lebe Kaiser Wenzel!“ Damit hatte dann das Festmahl begonnen.
Es gab ein riesengroßes gebratenes Wildschwein in Soße mit Preiselbeeren, welches in der Mitte der Tafel präsentiert wurde. Rundherum hatte man auch noch kleinere Gerichte und Beilagen bereitgestellt, aber es war klar, dass die Wildsau die „Hauptfigur“ dieser „Aufführung“ war. Auf einem eigenen Tisch waren allerlei Desserts angerichtet. Natürlich zog dieser Viktorias Aufmerksamkeit gleich als erstes auf sich. Es gab hier aber nur verschiedene Kuchen und Torten, und keine anderen Arten von Naschereien, jene die Viktoria so gern hatte. Eigentlich sollte man zuerst die Hauptspeise essen. „Ach, was soll’s“, sagte sich die Thronerbin und startete gleich als Erste zum Nachspeisenbuffet durch. Als ihre Frau Mutter das sah, eilte sie sogleich zu ihr heran. „Was denkst du was du hier machst!“, flüsterte sie in mahnendem Ton. „Lass das!“ Dann nötigte sie das Mädchen ihren Teller dort stehen zu lassen und sich zum Verzehr der Hauptspeise zu allen anderen an den Tisch zu gesellen.
Allein das ärgerte die Jugendliche schon irrsinnig. Als sie dann aber zu Tische saßen und ihr Mahl möglichst gesittet zu sich nahmen, beobachtete Amalie sie die ganze Zeit über genau. Das hasste Viktoria so sehr, dass sie jetzt anfing, sich zornerfüllt zu verkrampfen. „Nein, ich darf nicht wütend werden. Meine Magie könnte alles Mögliche an furchtbaren Dingen machen, wenn ich mich nicht unter Kontrolle halte!“, erinnerte sich die Zaubrerin. Überall rannten zahllose Höflinge herum, die von den Gästen Nachgefragtes herbeitrugen, beziehungsweise Geschirr wegschafften. Auf ihren mehrheitlich weißen Gewändern waren unterschiedlich färbige Litzen zu sehen, die wahrscheinlich ihre Aufgabenbereiche anzeigten.
Während der Erkorene nun am Essen war, führte gleichzeitig einer der Gäste, der neben ihm saß, eine Unterhaltung mit ihm. „Der Aufschwung in Unterduhnien ist weiter anhaltend. In den Jahren davor ist es ja schon steil bergauf gegangen, was allerdings auch mit dem Bevölkerungswachstum und dem Ende des Krieges zu tun hatte. Die große Anzahl an imperialen Bauprojekten hält aber weiterhin unser Baugewerbe auf Trab“, gab der Graf von Kuenstriter seiner Majestät Auskunft über die lokalen Entwicklungen in seinem Bezirk. Der Kaiser schluckte kurz seinen Bissen hinunter und antwortete dann darauf: „Das ist höchst erfreulich, Graf. Ich habe meiner Regierung ja auch explizit angeordnet, auf dies besonderes Augenmerk zu legen. Wir wollen etwas aufbauen, auf dass es künftigen Generationen einmal besser geht.“ Sein Gesprächspartner stimmte ihm zu.
Dieser eher ungezwungenen Unterhaltung, lauschte ein nebenansitzender Herr. Dieser trug traditionelle hellgrüne Pluderhosen, welche ihn sofort als jemanden, der aus Camenia stammte, erkenntlich machten. Gelegentlich tauschte er auch ein paar Worte mit der Dame, die auf seiner anderen Seite saß, aus, aber vor allem schweifte sein Blick auffällig oft auf die junge Prinzessin Viktoria hinüber. Wann immer ihn jemand anschaute, drehte er sich wieder zu seiner Majestät hinüber und hörte bei dessen Konversation zu. Womöglich tat er dies auch nur zum Schein. Es war auch möglich, dass ihm das auffällig gezwungene Verhalten der Thronerbin auffiel und vielleicht sogar irritierte. Oder das intensive Rot ihrer Haare, das unter allen anderen Gästen hervorstach, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Man konnte es nicht genau sagen. Fulco II. di Alduino war sein Name. Er war ein Adeliger aus Translimesien, also einem camenischen Land an der Grenze zu Ordanien.
Ein wenig weiter unten am Tisch waren unterdessen Ferenc, Theodor und Ulrich in ein Gespräch verwickelt. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass du angeblich überlegst nach Kascharovar zurückzukehren. Ist das wahr, Ferenc?“, wollte Theodor wissen. Sein Freund meinte dazu: „Ich bin immer noch am Überlegen. Nach all den Jahren hier, habe ich sehr viel an Anschluss in meine Heimat verloren. Gleichzeitig werde ich aber auch immer älter und will, wenn die Zeit gekommen ist, meine letzten Tage lieber dort verbringen, wo meine Wurzeln sind. Mein Clan ist immer noch da und wartet auf mich.“ – „Verstehe“, erwiderte der Marschall und fügte hinzu, „Mit mir ist es da anders. Ich weiß gar nicht mehr, wo genau in Kascharovar ich eigentlich herkomme. Irgendwo aus der Gegend um Linna stammten meine Eltern her. Aber es spielt keine Rolle mehr für mich. Jetzt gehöre ich hierher und das war’s.“
„Und wie geht’s mit dem Training deines Großen voran? Eher nicht so gut, habe ich mir sagen lassen?“, erkundigte sich nun Ferenc. Theodor zuckte nur mit den Schultern. Danach blickten sie beide hinüber zu Alexander, der auf der gegenüberliegenden Tischseite saß. Als er bemerkte, dass er zum Gesprächsthema wurde, wandte er sich sogleich zu seinem Freund Wendelin und begann eine Unterhaltung. Er wollte nicht damit konfrontiert werden, dass er den hohen Erwartungen seines Vaters, was die Kampfausbildung anging, nicht gerecht werden konnte. Der Bursche war zwar erst siebzehn und doch erwartete sein alter Herr von ihm ein „Meister aller Dinge“ zu sein. So empfand es der Bub zumindest.
Ulrich, der einer seiner Trainer war, sprang hier ein und lenkte die Aufmerksamkeit der Männer auf ein anderes Thema. „Was ist jetzt eigentlich die Idee mit der Reichsgarde? Sie ist zu groß, um nur eine Leibwache des Kaisers zu sein, aber dem Heer kann sie auch nicht den Rang streitig machen.“ Hier hatte der Oberste Marschall sofort eine Antwort bereit, die er mit allen teilte: „Ein gescheitertes Unterfangen. Sonst nichts.“ Ferenc kratzte sich nervös an der Nase. Danach antwortete der Kaschare: „Seine Hoheit versucht nicht irgendetwas Leichtsinniges oder Gewaltsames zu unternehmen. Für ihn stehen Stabilität und Aufschwung im Reich im Zentrum. Daher bevorzugt er einen langsamen, graduellen Wandel, auch in Bezug auf die Machtverhältnisse.“
Darauf musste Theodor fast schon lachen, zeigte es aber nicht. Mit ihm würde es sich nicht einmal die geringste Machverschiebung geben. Es kam allerdings eine Retorte von Ulrich: „Wandel? Aufschwung? Was auch immer du sagst! Alles, was ich sehen kann, ist ein Herrscher, der den ganzen Tag Archive durchwühlt und Forschung betreibt. Wenzel, der Bücherkaiser, sollte man ihn nennen.“ Es war als Beleidigung gedacht, da seine Majestät nicht in die politischen Alltagsgeschäfte verwickelt war, beziehungsweise man ihm das auch an vielen Stellen verunmöglichte. Wenzel hätte den Begriff „Bücherkaiser“ allerdings bestimmt als Kompliment aufgefasst.
Unterdessen saß die Kaisertochter entnervt beim Essen. Mittlerweile hatten viele schon ihr Mahl beendet und sich über das Nachspeisenbuffet hergemacht. Auch unsere Rothaarige war bereits damit beschäftigt eine Cremeschnitte zu essen. Der Verzehr dieser erhöhte allerdings noch mehr den Druck, auf ihr Korsett und verursachte ein Übelkeitsgefühl bei ihr. Die zwei Kuhn Schwestern, die man direkt neben sie platziert hatte, redeten kein Wort mit ihr. Beide trugen sie blassrosa Seidenkleider, jedoch in unterschiedlicher Größe, da sie altersmäßig zwei Jahre auseinanderlagen. Nur aus ihrem Augenwinkel ließ Marzia ab und an einen Blick auf die sichtlich gereizte Prinzessin herüberfallen. Das verursachte auch bei ihr Ungemach und sie sprach das sonst so aufbrausende Mädchen lieber nicht an.
Letztlich war aber der Moment gekommen. Durch ihr übermäßiges In-Sich-Hineinessen, hatte Viktoria das Limit ihres Magens erreicht. Ihr wurde tatsächlich so übel, dass sie sich übergab. An Ort und Stelle. „Viktoria!“, kreischte ihre empörte Mutter sie an. „Tut mir so leid, ich….“, die Jugendliche musste nochmals ihre Übelkeit unterdrucken. Amalie stand einstweilen einfach da, offenkundig überfordert mit dieser peinlichen Situation. Dann riss Viktoria der Geduldsfaden. „Weißt du was, …Scheiß drauf!“, gab die Prinzessin von sich. Bevor noch irgendwer geschockt von dem Soeben-Gesagten sein konnte, riss sich die Teenagerin das unter ihrem Kleid liegende Korsett mit ihrer Magie auf! Frustriert schleuderte sie das furchtbar einengende Ding dann auf den Boden vor sich. „Das hält doch kein Mensch aus!“, brüllte sie. Die Kaiserin war unterdessen in einer Schockstarre und stand nur stumm und mit einem von der Peinlichkeit hochrot angelaufenem Gesicht da.
Nun trat Wenzel auf den Plan. „Junge Dame! Was in Gottes Namen machst du da!“, donnerte die Stimme des Kaisers, auf den sich nun alle Blicke richteten. Seine Tochter hatte allerdings schon ihre Grenze überschritten und schrie zurück: „Ich halte diese ganzen Regeln und all das Pipapo nicht mehr aus! Gerade du müsstest das verstehen!“ – „Nein, tu ich nicht! Dein Verhalten ist vollkommen inakzeptabel!“ Die Magierin ballte ihre Fäuste in Zorn. Das Feuer in ihren Augen brannte wild! Dann verkündete sie: „Ich zeig dir, was ich von eurem feinen Essen halte!“ Mit ihrer Telekinese katapultierte sie nun die ganze Tafel hinauf, wodurch alles Essen, Besteck und Geschirr, das darauf war, herumflogen und Großteils am Boden landete. Wenzel stoppte den Tisch mitten in der Luft, konnte aber nicht die Riesensauerei verhindern, die alle anderen herumfliegenden Dinge, welche auf dessen Oberfläche gewesen waren, nun verursachten. Alle Gäste standen sprachlos dar. Nur Alexander Kuhn begann plötzlich hellauf über diese absurde Situation zu lachen. Er schluckte es aber schnell hinunter, als Vater ihn mit der einen Hand, die er noch hatte, fest auf die Schulter griff.
Die immer noch aufgebrachte Viktoria stampfte alleine aus dem Saal. Erst dann flog seine Majestät, der auch kurzzeitig gelähmt von dem Geschehenen war, ihr nach. Die meisten Anwesenden waren erst einmal perplex. Amalie wäre am liebsten im Erdboden versunken. Die Thronerbin hatte ihre Eltern bis auf die Knochen blamiert.
Ohne Zusammenhang damit hatte seine Majestät diese Nacht einen Traum. Es war einer dieser Träume, an die er sich immer sehr intensiv erinnerte, wenn er wieder erwachte. Er wanderte durch sein Arbeitszimmer, ein wohl vertrauter Ort für ihn. Unerwarteterweise leuchtete ihn aus dem Spalt seiner Schreibtischlade ein blaues Licht entgegen. Vorsichtig näherte er sich dem wohl gepflegten Holz des Tisches an und ergriff den Knauf der Lade mit seinen Fingern. Er zögerte kurz, als ihm klar wurde, dass er sich wieder einmal in einer seiner Visionen befand. Erst dann zog er sie heraus. Nun begegnete ihm ein weniger grelles Leuchten, als er es sich vorgestellt hatte. Es war sein altes Amulett. Anstelle des alten, zerbrochenen Steines, der eine rote Färbung hatte, war nun ein azurblauer Stein darin eingesetzt.
Aber das war noch nicht alles. Neben diesem lagen drei weitere Amulette, die alles punktgenau gleich aussahen. Jedoch verstrahlte nur ein einziges der Vier ein Licht. Die anderen waren lichtlos. „Welch kuriose Darbietung!“, äußerte da der Kaiser. Dies markierte das Ende der Prophezeiung. Durch die Dunkelheit der Traumwelt schritt er weiter, um bald schon die nächste Szene zu sehen.
Der Mann fand sich auf einem sehr übel mitgenommenen Fliesenboden wieder. Rund um sich herum war die Kulisse verschwommen, fast schon so als ob man ihm nicht offenbaren wollte, wo genau dieser Ort war……oder sein würde. Nur ein einzelnes Objekt entdeckte er ein paar Schritte von sich entfernt. Ohne andere Option ging er zu diesem hin und es auf. Es war ein einfaches Stück Metall, das jemand in eine runde Form gebogen hatte. Oben standen scharfe Spitzen weg, die mit etwas Fantasie ganz grob die Merkmale einer Krone zu imitieren versuchten. „Was in aller Welt ist das? Was hat das zu bedeuten? Schon wieder ein Gleichnis?“, fragte sich der Empfänger dieser seltsamen Botschaft Gottes. Wieder einmal würde er mit dieser Information nichts anfangen können, bis es zu spät war.