Wenn er denn das Unkraut vom Weizen trennen möchte, so warte er, bis es reifet, und ernte er alles gemeinsam ab. Erst danach wird er es aussortieren und trennen, so wie er es wollte. - Georg 28:11
Drei mittelalte Männer saßen zusammen in einem kleinen Kämmerchen. Alle trugen sie Roben in Erdtönen, wenn auch jeder in unterschiedlicher Art. „Was meint ihr, Vater Hartmut?“ – „Nicht viel, Eure Heiligkeit. Die Situation scheint unverändert. Nun ja, sie hat sich durch das Massensterben in Meglarsbruck und Greifenburg nochmals verschärft, doch wird sich die generelle Tendenz dadurch nicht ändern. Nachdem die Säuberungen, die der melgaristischen Rückeroberung der Macht gefolgt sind, abgeschlossen waren, hat sich die Zahl unserer Mitglieder wieder eingependelt ..….so halbwegs. Wir sind sicher nicht im Wachstum begriffen, aber aussterben wird unsere Alethische Kommune auch nicht, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.
Gleichsam ernüchtert und nachdenklich saß ihm der Patriarch der Alethischen Kirche da nur gegenüber und zog sich an ein paar Haaren seines langen Bartes. Zwenterfeld war alt und müde geworden, und das, obwohl er erst so an die vierzig war. Die unaufhörlichen Verfolgungen seiner Gleichgesinnten und das ständige Verstecken, so wie sie es ja auch in diesem Moment taten, um überhaupt kongregieren zu können, zehrte gewaltig an ihm. Danach hörte er sich noch ein paar ihrer Berichte beispielsweise über die Plünderung einer ihrer Untergrundkirchen, in der man auch das Alethische Testament vervielfältigt hatte, um es an ihre Glaubensbrüder weiterreichen zu können, sowie andere, die Kommune betreffende Ereignisse, an. So gut wie keiner von diesen war positiv. Doch sie würden auch diese finstere Zeit überstehen, sie mussten es. Es war jetzt alles in den Händen Gottes. Er würde den rechten Augenblick ihrer Erlösung wählen, nicht sie.
Auf einmal klopfte es da an der kruden Holztüre ihrer kleinen Kammer. Wer mochte dies nur sein? Es gab fast niemanden, der sonst von ihrem Treffen hier wusste. Etwas zaghaft äußerte der Patriarch darauf: „Wer ist da?“ Einen Augenblick herrschte Stille. Dann jedoch gab eine tiefe Stimme ihm zur Antwort: „Einer, der etwas Historisches mit euch zu besprechen hat. Der Einzige, der das kann.“ Daraufhin schauten die Geistlichen einander verwirrt an. Sie sprachen kurz leise untereinander und gewährten dem Besucher dann Eintritt. Als das Tor aufschwang und sie erblickten, wer da über ihre Pforte schritt, wurde ihnen allerdings anders. Es war der Hexerkaiser höchstpersönlich!
Die Herren fielen bei dessen Erscheinen aus allen Wolken und gerieten augenblicklich in eine Schockstarre. Wie hatte er sie bloß gefunden? Der Erkorene aber kam einfach an die Herrschaften heran und gesellte sich zu diesen an den Tisch. Den vierten Stuhl, der an einer von dessen Seiten stand, schob er geschwind hervor und bequemte sich, ein Bein über das andere gelegt, auf diese recht simple Sitzgelegenheit. Als er somit schon fast mokant vor ihnen lungerte, starrten die Drei nur ungläubig, ja gar fassungslos, auf die großen Sterne, die ihnen aus seinen Augen entgegenstrahlten. Er erhob die Stimme: „Seien Sie unbesorgt, ich bin nur hier, um mit Ihnen zu reden. Es gibt viel, das angesprochen werden und endlich gelöst werden muss.“ Darauf erwiderte Vater Hartmut schließlich: „Was wünscht Ihr zu besprechen?“ Diese Frage hellte die Stimmung seiner Hoheit scheinbar auf, und er antwortete:
„Ihr mögt mich vielleicht nicht als heilig ansehen, doch bin ich bereit euch diese Freiheit zu gewähren. Alles, was ich möchte, ist, dass ihr mir das Recht zur Existenz nicht absprecht, dann werde ich euch auch das eure nicht absprechen. Unsere Meinungsverschiedenheiten sind unüberbrückbar, doch, um der Menschlichkeit und des Friedens willen, möchte ich euch darum bitten, dass wir uns zumindest gegenseitig tolerieren. Wir müssen nicht miteinander übereinstimmen, ja, wir müssen uns noch nicht einmal mögen. Das Einzige, was ich möchte, ist dass wir das Kriegsbeil begraben. Und mir ist durchaus bewusst, dass dies uns allen viel abverlangt, nach all den Dingen, die passiert sind. Aber weder kann ich noch könnt ihr die Vergangenheit ungeschehen machen. Ich habe nicht die Zustände und den Teufelskreis des Hasses begonnen und ebenso wenig habt ihr es. Doch wird es Zeit, dass wir ihn beenden!
Wir alle sind von all dem mitgerissen worden. Es bringt nichts nach Schuldigen zu suchen oder Rache zu üben. Ich will euch die Hand reichen, um den Wahnsinn langsam, schrittweise zu Ende gehen zu lassen. Die Ideologie des „Melgarismus“, wie ihr sie nennt, sitzt tief in den Köpfen vieler verankert, gleichsam wie der Alethismus tief in den Köpfen so mancher Leute sitzt. Es wird lange brauchen, um die tiefen Gräben, die in unserer Gesellschaft sind, zuzuschütten. Ich habe nicht die Macht das Denken der Menschen zu ändern. Aber, was ich tun kann, ist den ersten Schritt zur Besserung zu setzen. Das liegt in meiner Macht. Ich biete euch hiermit an, die alethische Konfession offiziell anzuerkennen und per Edikt in meinem Reich zu tolerieren. Nicht zu fördern, oder gutzuheißen, sie zu tolerieren. Mehr ist aktuell nicht realistisch möglich.“
Des Kaisers langer Monolog kam zum Schluss. Er ließ die Adressierten in vollkommener Verblüffung zurück. Ohne auf deren potentielle Gegenrede, oder überhaupt irgendeine Reaktion dieser, zu warten, erhob sich seine Majestät dann und informierte die Herren, dass er sie kurz alleine lassen würde, um den Belang auszudiskutieren. Danach verließ er sogleich das Kämmerchen und schloss die Türe hinter sich, um deren Privatsphäre zu gewährleisten. Einstweilen wanderte er ein paar Fuß draußen hin und her, währenddessen er die beiden, am Boden liegenden, Wächter hier betrachtete, die er außer Gefecht gesetzt hatte.
„Und was haltet ihr von diesem Vorschlag?“, war die banale Frage, die der alethische Kirchenvater nach einer Weile des Grübelns schließlich an seine Kollegen, mangels passender Worte für diese schier unglaubliche Entwicklung, richtete. Die Gemüter der anderen beiden verfinsterten sich und Hartmut entgegnete seiner Heiligkeit: „Ich würde sagen, dass wir den Worten dieses Teufels kein Haarbreit trauen können. Diese Kreaturen sind die Ausgeburten der Hölle! Sehen Sie sich doch einmal an, was sie mit der Hauptstadt angerichtet haben! Unmöglich, unmöglich ist das! Das sage ich Ihnen.“ Der andere Geistliche neben ihm nickte auch überzeugt mit bei dem, was sein Glaubensbruder hier darlegte.
Der Patriarch, dessen wahrer Name Zwenterfeld lautete, war sich da offenbar nicht so sicher und er zog sich wieder an den Längeren seiner Barthaare, während er intensiv über die Situation nachdachte. Sein Gegenüber legte somit noch nach: „Kommen Sie schon! Die Sache ist nicht kompliziert. Wir legen ihn rein, indem wir so tun, als ob wir das Angebot annehmen würden und verflüchtigen uns dann bei der erstbesten Gelegenheit. Mit dem Teufel kann man keine Geschäfte machen!“ Danach kommentierte der andere Mann noch: „Mögen die verdrehten Melgaristen die Zerstörung ihrer eigenen Reichshauptstadt durch den wahnsinnigen Dämon, der des Kaisers eigene Tochter war, hinnehmen, ohne sich die diabolische Natur von Hexern einzugestehen, aber wir sicher nicht! Wir müssen hier standhaft bleiben, eure Heiligkeit.“
Letztlich gab ihnen ihr Kirchenoberhaupt zur Antwort: „Ich bin schon oft in meinem Leben belogen und hintergangen worden. Ich kenne diese Art von Menschen. Der Dämonenkaiser scheint mir keine Person von diesem Naturell zu sein.“ Folglich zeigten sich die anderen Zwei empört über das Soeben-Geäußerte. „Unser Glaube ist in schwerer Bedrängnis. Ich glaube, dass einen pragmatischen Schritt zu setzen, hier die bessere Option ist“, schlussfolgerte Zwenterfeld dann. „Sind Sie verrückt? Genau das ist der Grund, warum der Alethische Widerstand so schwach ist und viele Aufständler nichts mit uns zu tun haben wollen!“, tobte Vater Hartmut da. Doch sein Vorgesetzter ließ sich nicht beirren. Er gab schlicht keinerlei Gegenrede. Die beiden Bischöfe überzuckerten sofort, dass dieser sich nicht umstimmen lassen würde, vor allem da sie ihn ja schon lange kannten.
„Nun, dann haben wir uns nichts mehr zu sagen!“, stieß der Kleriker hervor, bevor er gemeinsam mit seinem Kollegen aus dem Raum hinaustrat und sich aus dem Staub machte. Der Erkorene schaute den beiden nur emotionslos nach. Er hielt sie nicht auf. Dann wandte er sich um und warf einen Blick in Richtung des Verstecks, in dem der Patriarch immer noch ausharrte. Wie es zu erwarten war, hatten sich die Sturköpfe, genauso wie er es auch aus dem Reichsrat kannte, quergestellt. Jedoch hatte er hier und heute jemanden sehr Wichtigen gefunden, der mit sich reden ließ. Die Möglichkeit einer alethischen Kirchspaltung aufgrund dessen lag recht nahe.
„Ruhe! Ruhe im Saal!“, hallte es aus der Kehle des Reichstagssprechers. Schnell legte sich der vorangegangene Lärm, um zu einem zunehmend leiser werdenden Gemurmel zu werden, welches alsbald fast zur Gänze verschwand. Heute war der Reichsrat vollständig versammelt. Kein Einziger fehlte, eine seltene Ausnahme. Der Grund dafür sollte in Kürze klar werden. Durch gigantische Fenster, die sich geschätzt fast dreißig Fuß bis zur Decke hoch erstreckten, fiel die Sonne herein und gab dem Versammlungsaal mehr als ausreichende Beleuchtung. Das Rednerpult, welches sich im visuellen Brennpunkt der halbrunden Sitzanordnung hier befand, zierte das Sonnenwappen des Reiches. Es befand sich auf einer leicht erhöhten Plattform und gleich daneben waren die Flaggen der Königreiche und Länder des Reiches nach der Reihe zur Schau gestellt. Vorne an der Wand hinterm Podium hingen zwei große Porträts. Gleich dem Janus, bildete das Linke Melgar den Großen und das Rechte Kaiser Wenzel ab.
„Hohes Haus, ich begrüße Sie hiermit zur vierunddreißigsten Sitzung des Reichsrates. Die anfällige Agenda ist dieses Mal bedeutend umfangreicher als sie es in vielen Jahren war. Dementsprechend sind auch im Voraus eine große Menge an Anträgen eingebracht worden, die heute von uns behandelt werden müssen. Allen voran, Seine Durchlauchteste Heiligkeit, der Kaiser, hat eine Reihe an Dekreten verabschiedet, die es von uns abzuwägen gilt.“ Eugen von Rauttenstein sprach in diesem Fall von Angelegenheiten, die große Tragweite hatten, so flach er auch die Materie bei dieser Gelegenheit vortrug. Der Souverän hatte ein Dekret zum massiven Ausbau der Kompetenzen der Reichsgarde verabschiedet, ein Schritt, den er bisher nie wagen hatte können. Dies war allerdings noch im Bereich des Zu-Erwartenden gewesen. Was jedoch jeden hier die Sprache verschlug, war das Toleranzedikt für den Alethismus, das seine Hoheit parallel dazu unterschrieben hatte! Angesichts der Realitäten, die seit der Heiligen Revolution im Land herrschten, war dies nicht nur ein unerhörter, sondern wohl eher ein undenkbarer Schachzug des Erkorenen. NIEMAND würde dem zustimmen.
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Während der Sprecher seine Ausführungen weiter herunterratschte, saß der gesamte Rat in derselben strahlend gelben Kleidung da und horchte ihm aufmerksam zu. Alle waren sie überzeugt, dass sie die übertrieben selbstbewussten Schritte seiner Majestät hier im Keim ersticken würden. Fast alle würden sie gegen dessen viel zu ausufernden Versuche der Machtergreifung stimmen. Und Xaver von Duenitz, der natürlich auch anwesend war, bereitete sich einstweilen vor, ihnen mit seinen Verbündeten und den Armeegetreuen im Reichsrat eine Lektion zu erteilen, die sie nicht so schnell vergessen würden! Gleich zu Beginn kam es zur Abstimmung über die zwei wichtigsten Punkte. Die Stimmen wurden ausgezählt und…..
Oh, nein! Das Dekret zur Stärkung der Reichsgarde war ganz klar gescheitert. Es hatte aber auch eine signifikante Anzahl an Fürstimmen erhalten, was für ordentlich Aufruhr im Saal sorgte. Alle fragten sich, wer gegen die Interessen des Hochadels gestimmt hatte. Xaver war sich bewusst, dass man sehr schnell herausfinden würde, wer es war! Am liebsten wollte er im Erdboden versinken, als gleich darauf auch das Toleranzedikt eine klare Abfuhr erhielt. Es war vorbei. Sie hatten verloren und der Erkorene würde für immerdar eine machtlose Galionsfigur bleiben. Der Herr Duenitz hatte sich gedacht, dass er hier eine clevere politische Intrige vorangetrieben hatte, fand sich nun aber in Konfrontation mit dem unnachgiebigen Egoismus der Reichseliten als Verlierer wieder. Ein genüssliches Lächeln strich kurz über Von Rauttensteins Lippen. Dann sprach er den nächsten Punkt auf der Tagesordnung an. Es würde…………
„BUMM!“ Die große Flügeltür in den Saal wurde mit lautem Knall aufgerissen. „Was in aller Welt ist hier los? Verschw….“ Eugen wurde das Wort abgeschnitten. Niemand Geringerer als Balduin, der Kommandant der Reichsgarde, stampfte donnernden Schrittes herein und übertönte ihn einfach mit seinem dröhnenden Organ. „Durchlauchteste Herrschaften, im Namen seiner Majestät, Kaiser Melgar ist der Reichsrat mit sofortiger Wirkung aufgelöst! Es wird gebeten, sich ruhig zu verhalten und allen Anweisungen der Reichsgarde Folge zu leisten!“ Nachdem diese Worte den Saal erfüllt hatten, hielt erst einmal Fassungslosigkeit ihren Einzug. Jedermann erstarrte, weil sie diese surreale Botschaft erst einmal sacken lassen mussten, um sich deren eigentlicher Bedeutung bewusst zu werden.
Der Sprecher hatte sich allerdings recht rasch wieder gefangen. Er sprang den haarlosen Muskelprotz geradezu an und beorderte ihn aggressiv die Räumlichkeiten wieder zu verlassen, und das, obwohl ihm vom Bund des Kommandanten dessen Schwert entgegenblitzte. Balduin schaute ihn nur streng an. „Hau ab! Raus!“, brüllte ihn Eugen infolge an, wobei die restlichen Anwesenden immer noch in großteils stiller Ratlosigkeit einfach zuschauten. Dann begann der körperlich nicht sonderlich starke Mann den Anführer der Reichsgarde zu schubsen, ein Fehler, wie sich herausstellen sollte. Der Kerl fasste ihn daraufhin mit eisernem Griff am Unterarm und warf ihn zu Boden. „Schafft das ganze Gesocks raus hier!“, plärrte Balduin dann. Erst jetzt brach der Sturm im Reichstag los. Während der Kommandant dem Niedergerungenen Handschellen anlegte, ihn also festnahm, fing empörtes Gejohle an, den gesamten Saal zu durchdringen.
In exakt dem Augenblick drangen die restlichen Gardisten unter lauten Rufen einer Phrase, die alle erzaudern ließ, herein. „Es sind die Karos! Die Karos machen einen Putsch!“, „Ihr miesen Verräter!“, und eine Reihe anderer Ausrufe hallten nun umher. Bei der Tür, welche der einzige Ein- und Ausgang war, strömte eine immer größere Zahl an Gardisten herein, um den Befehl ihres Herren in die Tat umzusetzen. Von einem Moment auf den anderen brach vollkommenes Chaos im Versammlungssaal aus. Wildes Getöse, verzweifeltes Gerangel, hoffnungslose Gegenwehr. Ein paar Wenige versuchten gar durch die Fenster zu entkommen! Dies war keine kluge Idee, weil sie sich nicht im Erdgeschoss befanden und man einen Sturz aus dieser Höhe wohl kaum unbeschadet überstehen würde. Ein hitziges, unüberschaubares Handgemenge folgte, wobei nach und nach die Abgeordneten festgenommen und aus dem Saal eskortiert wurden.
Erst als sie draußen waren, als sie den irren Lärm hinter sich gelassen hatten, vernahmen sie zu ihrer Überraschung den Klang der Posaunen. Es waren Viele, nicht nur die Posaunen, die üblicherweise von der Verkündigungskathedrale ertönten. Nein, von allen Kirchtürmen der Stadt schien die Fanfare geblasen zu werden, und das, obwohl es die falsche Uhrzeit dafür war. Den Männern wurde bange. Berechtigterweise fürchteten sie, was all dies bedeutete und was nun passieren würde. Der Erkorene hatte hiermit den Eliten des Landes im Grunde den Krieg erklärt!
Wenige Tage zuvor:
Das gesamte Konklave durchfuhr ein erstauntes Raunen. Seine Heiligkeit war persönlich hier bei ihrer Patriarchenwahl erschienen. Wie er das geschafft hatte, wusste niemand, war doch allseits bekannt, dass er seit dem großen Schicksalstag in Zurückgezogenheit gewesen war. Nun stand er aber in Fleisch und Blut vor ihnen. Selbstbewusst und unentwegt schritt er sogleich zum Vortragenden, dem neuen Patriarchen, hinüber. Seine Exzellenz verneigte sich sogleich, wie es der Brauch verlangte, und wich etwas zurück, um dem Herrscher Platz am Rednerpult zu machen. Gleich war es wieder leise und seine Hoheit begann zu sprechen:
„Mein lieber Damianos! Meine lieben Brüder! Ich gratuliere Dir und euch allen hier zur Wahl des neuen Kommunenoberhaupts, und noch dazu eines solchen, das so jung und energetisch ist!“ Das Publikum gab ihm einen kurzen Beifall. Dann fuhr er fort: „Die Zeichen stehen auf einen Wandel, auf einen Aufbruch in eine neue Zukunft. Doch muss ich eure Hoffnungen diesbezüglich leider zerstreuen! Es wird keine Veränderung geben, da es nämlich keine Veränderung geben KANN. Weshalb das, werdet ihr mich nun fragen? Weil die Ungläubigen und die Verräter alles blockieren, um die Dinge im Reich nur zu ihren Gunsten laufen zu lassen! Das wird sich nicht ändern, denn diese sitzen bis in die höchsten Ämter hinauf! Die Revolution kann nicht als abgeschlossen gelten, bis ihre ursprünglichen Ziele erreicht sind. Somit ist sie das noch nicht!
Viele dieser Parasiten, die sich überall im System eingesessen und sich daran gelabt haben, sind genau dieselben, welche das vorangegangene Unrechtsregime mitgetragen hatten. Viele Jahre und Jahrzehnte haben wir diese Zustände mitgetragen, weil es sich aus praktischen Gründen einfach nicht vermeiden ließ. Doch so kann es nicht ewig weitergehen! Immerwährender Stillstand ist nicht das Credo unserer Zivilisation! Die Stimme Gottes gebietet mir hiermit die Revolution, den Heiligen Krieg fortzuführen, bis die Ziele dieser erreicht sind. Auf dass die Völker des Heiligen Reiches Erlösung finden, rufe ich euch alle hier und heute auf, mir auf diesem Pfad zu folgen, meine teleiotischen Glaubensbruder! Es ist Gottes Wille!
Die Proklamation schloss er dann mit einer altcamenischen Phrase ab, welche sich am ehesten mit „Gott will es“ übersetzen ließe. Sie trug große historische und theologische Bedeutung mit sich. Dem Aufruf des Erkorenen folgten sehr schnell und mit wenig Zögern viele lauter und lauter werdende Repetitionen der Parole, die er gerade geäußert hatte. Die Kirche hatte es satt von den Hochadeligen, die in ihren Augen großteils gleichgültig gegenüber dem Glauben waren, ignoriert zu werden, ja gar auf sich herumtrampeln zu lassen. Wieder und wieder erschallte die uralte Phrase durch den Saal. Der Heilige Krieg hatte erneut begonnen!
Nebenbei bemerkt, gab es innerhalb weniger Tage eine Welle an Erscheinungen seiner Majestät in allen Teilen des Landes. Fürsten, Königen, Generälen, Kardinälen, zahllosen Menschen stattete der Kaiser völlig unangekündigt und wie aus dem Nichts einen Besuch ab, um mit ihnen Angelegenheiten zu besprechen und ihnen Anweisungen zu geben. Dann verschwand er wieder ins Nichts.
Geradezu elektrische Spannung lag in der Luft. Reichskanzler Rubellio hielt ein emotional geladenes Gespräch mit Ihrer Hoheit Amalie Althun. Selbst diese beiden schienen von den heutigen Ereignissen überrumpelt worden zu sein. Nun marschierte ein Reichsgardist an sie heran. „Durchlauchteste Herr- und Damenschaften! Ich bin geschickt, um Ihnen zu übermitteln, dass Gottes Erkorener heute um vier Uhr eine Rede am Getreidemarkt halten wird. Um die Anwesenheit aller wird gebeten.“ Getreidemarkt war der Name, den der Platz vor dem Reichstag trug, und der offenkundig auf dessen einstige Benützung schließen ließ. Die Zwei antworteten dem Boten nur mit: „In Ordnung, Sie dürfen gehen.“ Der Soldat salutierte sogleich und zog ab.
Was in Gottes Namen war hier los? Die nur wenige Stunden zurückliegenden Vorkommnisse im Reichsrat hatten sich nun, wie ein Lauffeuer, verbreitet. Die gesamte Regierung und vor allem natürlich der Adelsstand waren im Aufruhr. Eine Hochadelige hatten die beiden jetzt schon mehrere Male hier um Gebäude auf und ab rennen sehen, wie sie jeden verzweifelt fragte, ob er ihren Mann gesehen hat. Es war überaus beunruhigend. Nicht einmal der Kanzler wusste, wo Balduin und seine Männer, die nach der Verhaftung des Reichsrats davongeritten waren, die Gefangenen hingebracht hatten.
Als Nächstes kam Brahm angestürmt. „Herrin, ich konnte Relevantes in Erfahrung bringen. Der Nuntius des Patriarchen hat mir mitgeteilt, dass die ungewöhnliche Posaunenfanfare heute Vormittag kein Fehler war. Die Kommune hat mir bestätigt, dass der Kaiser den Heiligen Krieg ausgerufen hat und sie diesen unterstützen werden!“ Wenn dies denn möglich gewesen wäre, hätte sich nun der Schock in Peters Gesicht noch erhöht, doch war er ohnehin schon außer sich. „Oh, mein Gott! Was hat er sich nur bei all dem gedacht?“, gab er infolge von sich, während Amalie äußerlich gelassener als er blieb und sich unter Kontrolle hielt. Dann fuhr ihr Leibwächter aber noch fort:
„Außerdem habe ich vorhin die Ankunft des Alethischen Patriarchen hier im Reichstag mitbekommen. Ja, ihr habt nicht falsch gehört! Es scheint so, dass unser Kaiser ihm seinen Schutz zugesichert hat, da er umringt von einer beachtlichen Anzahl von Karos hier aufkreuzte.“ Peter wusste offensichtlich nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Es war so, als ob nun alles gleichzeitig passieren würde, ein wahrhaftiger Dammbruch. Angesichts der Umstände blieb ihnen wohl nicht viel mehr über als die nächsten drei Stunden bis zum Beginn der Adresse Wenzels noch abzuwarten. Von ihm wussten sie auch nicht, wo er war. Ringsum herrschte überall nur große Verwirrung und Trubel. Der Souverän wäre gut beraten damit, gute Antworten für all das parat zu haben!