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Kapitel 9 • Die Einteilung

Hofmarschall Ohlrich entrollte ein langes Pergament und begann, die Namen darauf zu verlesen.

»Prinzessin Margeret Ortstein…«

Die Aufgerufene schritt zu dem Tisch und umfasste den Elbenstein, der daraufhin rötlich aufleuchtete.

»Feuer«, verkündete Cedrik und wies die Prinzessin zu dem roten Banner mit züngelnden Flammen.

»Erbgraf Benjamin zur Linde…«

Ein blauer Blitz entfuhr dem Elbenstein, sobald der junge Graf diesen berührte.

»Wasser.« Cedrik deutete auf das blaue Banner mit Wellenmuster und machte sich Notizen in seiner eigenen Liste.

Die Liste war nach keinem für Moreen erkennbaren Muster sortiert, Rang, Geschlecht, Familienname, Disziplin, alles folgte in zufälliger Reihe. Fast schien es, als sollte die Aufmerksamkeit der Kandidaten dadurch gesichert werden.

»Kronprinz Arlyn zu Greifenhorst.«

»Unbestimmt«, ergänzte Cedrik, ohne darauf zu warten, dass Arlyn den Elbenstein berührte.

Ein Raunen ging durch den Saal. Der Kronprinz schritt erhobenen Hauptes auf das Banner mit weißer Fläche zu. Meister Cedrik nickte ihm kurz zu, offenbar waren die Talente des Prinzen bereits bekannt und bestätigt.

Nach kurzer Pause fuhr der Hofmarschall fort. Die Liste schien endlos, und Moreen Gedanken schweiften ab. Geistesabwesend betupfte sie ihre laufende Nase und musterte die anderen Kandidaten, wie sie zu ihren Gruppen marschierten. Viele von ihnen hatten bereits Tätowierungen um die Augen, mussten also bereits in der ein oder anderen Prüfung ihre magischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt haben. Moreen sah ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Die Adeligen aus wohlhabenderen Familien waren schon seit Jahren in der Magie unterrichtet worden.

»Baronesse Moreen von der Krähenburg.«

»Unbestimmt«, ergänzte Cedrik, wieder ohne darauf zu warten, dass sie den Elbenstein berührte.

Moreen schreckte auf und ließ prompt ihr Tüchlein fallen, das mit einem nassen ‚Platsch‘ zu Boden plumpste. Mit hochrotem Kopf raffte Moreen es wieder auf und hastete quer durch den Saal zu der ihr zugewiesenen Gruppe. Dann warf sie einen verunsicherten Blick zurück auf Meister Cedrik. Hätte sie nicht noch den Elbenstein umfassen sollen?

Aber Cedrik nickte ihr aufmunternd zu. Offenbar sollte die Überprüfung ihrer Fähigkeiten erst später erfolgen.

Durch die Versammlung ging ein Raunen und Zischen. Moreen wurde mit abschätzigen, sogar gehässigen Blicken bedacht. Offenbar empfanden es viele der höheren Adeligen als Kränkung, dass sie — von niederem Stande und aus einer in die Bedeutungslosigkeit abgesunkenen Familie — mit dem Kronprinzen gleichgestellt werden sollte.

Moreen war tatsächlich mit Arlyn alleine unter dem weißen Banner geblieben. Unruhig trat sie von einem Fuß auf den anderen und fummelte an ihrem klatschnassen Tüchlein herum.

»Was hat dies zu bedeuten, Majestät?«, erkundigte sich Moreen leise bei Prinz Arlyn.

Arlyn bedachte sie mit einem abschätzigen Blick. »Kennen wir uns?«, erkundigte er sich dann scheinbar unbeteiligt.

»Wir… wir haben letztes Jahr auf dem Mittsommerball miteinander getanzt,« stammelte Moreen. Sie hatte unvergessliche Momente durchlebt, während sie mit Prinz Arlyn über die Tanzfläche geschwebt war. Er war ein exzellenter Tänzer und hatte sie perfekt durch die schwierigsten Figuren geführt.

»Ich muss seit Jahren mit allen anwesenden jungen Damen tanzen«, erwiderte Arlyn. »Bitte verzeiht, wenn ich mich nicht an jedes Gesicht erinnere.« Insgeheim biss er sich fast die Zunge ab, um sich nicht zu verraten. Er erinnerte sich sehr wohl an das bezaubernde junge Mädchen, das den Prunk der Ballnacht mit großen unschuldigen Augen bestaunt hatte und noch nicht von den politischen Machenschaften und Intrigen des königlichen Hofes verdorben worden war.

Moreen errötete und senkte beschämt den Blick. Natürlich erinnerte sich der Kronprinz nicht an ein Mädchen vom Lande. Sie hatte ihn im weiteren Verlauf des Abends mit sehnsüchtigen Blicken verfolgt, während ihre anderen Tanzpartner ihr auf den Zehen herumgetrampelt waren. In den Pausen zwischen den Tänzen war Prinz Arlyn von den Töchtern der einflussreichsten Familien geradezu umschwärmt gewesen.

»Ich bin Moreen«, stellte sie sich vor. »Von der Krähenburg«, fügte sie hinzu auf den fragenden Blick Arlyns hin.

Dieser runzelte nachdenklich die Stirn. »Die Ländereien Eurer Familie liegen in den Donnerbergen, richtig? War nicht euer Vater vor einigen Jahren noch ein angesehener Berater des Königs?«

»Ja, das stimmt. Aber vor zehn Jahren brach er während einer Audienz unter ungeklärten Umständen zusammen und verlor seine Magie. Seither ist meine Familie…« Moreen schlug sich entsetzt die Hände vor den Mund und verstummte. Was interessierte den Thronfolger das Geschick ihrer Familie?

»… den Klauen der Intriganten hier entronnen«, vollendete Arlyn den Satz, allerdings nicht ganz im Sinne Moreens, und schmunzelte. Dann wurde er wieder ernst. »Ich erinnere mich an diesen tragischen Vorfall. Die Untersuchungen verliefen damals im Sande.

Zu Eurer ursprünglichen Frage: Das weiße Banner bedeutet, dass Euer magisches Talent noch unbestimmt ist.«

Moreen starrte ihn entsetzt an. Insgeheim befürchtete sie, dass ihre Begabung nicht nur unbestimmt, sondern gänzlich unbekannt war. In den entsprechenden Büchern in der elterlichen Bibliothek hatte sie jedenfalls keinerlei Hinweise auf die seltsame Gabe gefunden, ein Leuchten um die Körper anderer zu sehen.

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Sie wurde durch das Klopfen des Marschall-Stabes aus ihren Gedanken gerissen.

»Meine Damen und Herren, bitte versammeln Sie sich jetzt wieder am Eingang«, rief Hofmarschall Ohlrich mit seiner durchdringenden Stimme. »Meister Cedrik wird Sie im Anschluss durch die Akademie und Teile des Palastes führen. Der Rest des Tages ist dann zu Ihrer freien Verfügung.

Morgen früh nehmen Sie im großen Speisesaal gemeinsam das Frühstück ein, anschließend werden Sie den jeweiligen Instruktoren für die Ihnen zugewiesene Disziplin vorgestellt.« Ohlrich verabschiedete sich mit einer formellen Verbeugung und stolzierte hinaus.

Die versammelten Kandidaten unterhielten sich gedämpft und wandten sich nach und nach Meister Cedrik zu, der mit verschränkten Armen am Eingang stand.

Cedrik wartete darauf, dass einigermaßen Ruhe einkehrte. Dann setzte er mit seltsam tragender Stimme zu sprechen an. »Ich werde Ihnen jetzt eine kurze Führung durch Schloss Greifenhorst und die angrenzenden Gebäude angedeihen lassen. Die meisten von Ihnen waren zwar schon bei früheren Gelegenheiten hier, hatten vermutlich aber noch keine Gelegenheit, alle Einrichtungen hier kennen zu lernen.«

Cedrik hob die Hände und versuchte, dem zustimmenden Gemurmel der Anwesenden Einhalt zu gebieten. »Ruhe bitte. Meine Stimme mag zwar magisch verstärkt sein, aber ich habe dennoch keine Lust, gegen Ihren ungebührlichen Lärm anzuschreien.«

Arlyn warf Moreen einen amüsierten Blick zu. Die beiden hielten sich im Hintergrund der Meute von aufgeregten jungen Adeligen und beobachteten das Geschehen belustigt. »Seht Ihr, was ich meine?«, erkundigte er sich und blickte verächtlich auf das Gedränge am Eingang. »Schon jetzt will jeder dieser überheblichen Taugenichtse, jede dieser aufgeblasenen Schnepfen ganz vorne dabei sein, will gesehen und gehört werden. Meister Cedrik wäre es sicherlich lieber, wenn er mit dem gebührenden Respekt behandelt würde und sich nicht wie ein Marktschreier gebärden müsste, um sich überhaupt Gehör zu verschaffen.«

Moreen wich alle Farbe aus dem Gesicht. Jedem anderen hätte sie entrüstet widersprochen, aber sie konnte schlecht dem Kronprinzen ins Wort fallen. Außerdem — vielleicht schloss seine Tirade ja sie selbst mit ein, schließlich machte sie mit ihrer leuchtend roten Nase sicherlich auch nicht den besten Eindruck.

Arlyn bemerkte ihr Unbehagen und lächelte mitfühlend. »Lasst Euch doch nicht so leicht aus der Fassung bringen, sonst übersteht Ihr in diesem Schlangennest hier keinen einzigen Tag! Ihr seid eh schon damit geschlagen, mit mir zusammen derselben Gruppe zugeteilt worden zu sein. Jetzt beneiden Euch alle, als würde meine magische Begabung irgendwie auf Euch abfärben.

Das Beste wäre, wenn ich kein weiteres Wort mehr mit Euch wechseln würde…« Arlyn blickte mürrisch zu Boden.

»Was soll ich denn machen, das ist alles so neu für mich!«, beklagte sich Moreen kleinlaut. »Ich bin völlig überwältigt, so viele hochrangige Adelige sind hier versammelt, alle Gebäude so riesig und prunkvoll, und dann weiß ich noch nicht einmal, ob ich ein Talent habe…«

Dann erst realisierte Moreen, was der Kronprinz als Letztes gesagt hatte. Sie schlug entsetzt die Hände vor den Mund und verstummte.

Arlyn sah Moreen überrascht an und seufzte. »So war das nicht gemeint«, entschuldigte er sich. »Für Euch wäre es am Besten, wenn ich auf Distanz bliebe. Eure Situation an meiner Seite ist so schon prekär genug, auch ohne dass wir offensichtlich gut miteinander auskommen.«

Moreen war jetzt gänzlich verunsichert. Zuerst verhielt Arlyn sich abweisend, dann zog er über die übrigen Kandidaten her, und nun? Machte er ihr etwa Avancen? Nein, sicher nicht. Ihr war bestimmt nur die Aufregung zu Kopf gestiegen oder ein Fieberanfall hatte ihr den Verstand vernebelt… Errötend senkte sie den Blick.

Dann packte sie plötzlich der Übermut. Sie sah Arlyn unter ihren langen Wimpern hervor übertrieben kokett an und fragte mit einem schiefen Grinsen: »Was würde denn eine der Schnepfen an meiner Stelle tun?«

Arlyn lachte so laut und herzhaft auf, dass sich viele der Kandidaten verwundert zu ihnen umdrehten. Dann machte er eine schwungvolle Verbeugung, ergriff Moreens Rechte und hauchte einen formvollendeten Kuss darauf. Zu guter Letzt legte er ihre Hand auf seinen linken Arm und schritt mit Moreen gemessen auf den Ausgang zu.

Diese konnte nicht anders, als sich mit weichen Knien von ihm führen zu lassen. Sie straffte ihre Schultern und blickte tapfer lächelnd starr geradeaus, nur nicht direkt auf einen der anderen Kandidaten.

Diese waren mit einem Male verstummt. Vor Moreen und Arlyn tat sich eine Gasse auf, durch die die beiden stolzierten und sich dann unmittelbar hinter Meister Cedrik einreihten, der mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen allen voran den Saal verließ.

Arlyn neigte seinen Kopf zu Moreen und raunte, nur für ihre Ohren bestimmt: »Die Schnepfe würde versuchen, mich zu umgarnen.« Seine Augen blitzten vergnügt.

Moreen bekam von Meister Cedriks Führung durch Teile des königlichen Schlosses, der berühmten Akademie der magischen Künste sowie etlicher angrenzender Gebäude kaum etwas mit. Sie hing verträumt an Arm und Lippen des Kronprinzen, der unterhaltsame Anekdoten zu den jeweiligen Räumlichkeiten zum Besten gab und dafür wiederholt missbilligende Blicke von Cedrik erntete.