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Kapitel 18 • Reiterspiele

Am nächsten Tag stand Moreen im ersten Morgengrauen auf und schlüpfte in eine dunkelbraune Reithose und eine weite Bluse aus beigefarbenem Leinen. Ihre rotenbraunen Locken steckte sie hoch und verbarg sie unter einer abgetragenen Mütze.

Dann suchte sie einen Weg aus dem weitläufigen Schlaftrakt der Akademie zu den königlichen Ställen, wo ihre Stute Feòrag im Bereich für die Reit- und Zugtiere der königlichen Gäste untergebracht worden war. Unterwegs dorthin stieg ihr der Duft von frisch gebackenem Brot in die Nase, dem sie zur Küche folgte.

Moreen wurde von lautem Geklapper und einem ohrenbetäubenden Stimmengewirr empfangen. Sie stand fassungslos in der halb geöffneten Schwingtür und bestaunte das organisierte Chaos. In der Palastküche mussten zehnmal so viele Menschen arbeiten, als auf der ganzen Krähenburg wohnten!

»Aus dem Weg!«, rief ein Page, der mit hochrotem Kopf ein schwer beladenes Tablett aus der Küche tragen wollte, wahrscheinlich mit dem Frühstück für eine adelige Familie.

Moreen sprang rasch zur Seite und murmelte eine Entschuldigung. »Wo kann ich bitte ein kleines Frühstück haben?«, rief sie dem Pagen noch nach.

Dieser würdigte sie jedoch keines Blickes und balancierte schwankend seine Last den Gang hinunter.

Moreen wiederholte ihre Bitte noch ein paar Mal, bis sich endlich jemand ihrer erbarmte.

»Dort hinten ist der Speisesaal für die Bediensteten«, bedeutete ihr ein Zimmermädchen, das mit einer großen Schale voll frischem Obst aus der Küche kam. »Bist wohl neu hier?« Sie warf Moreen einen kecken Blick zu.

»Danke!« Moreen hätte fast einen Knicks gemacht, fing sich aber gerade noch. Umso besser, wenn sie für einen jungen Mann gehalten wurde. »Ja, ist mein erster Tag. Muss mich erst noch zurecht finden.«

Dann ging Moreen in den Speisesaal und musste sich schon wieder zusammenreißen, damit sie nicht erneut vor lauter Staunen wie angewurzelt in der Tür stehen bliebe. Sie trat einen Schritt zur Seite und ließ ihren Blick schweifen. Hier war alles so viel größer als auf der elterlichen Burg!

Der Speisesaal erstreckte sich schier endlos unter einer Reihe weit geöffneter Fenster. An den sechs langen Tischreihen saßen etliche Dutzend Bedienstete und widmeten sich ihrer Mahlzeit. Der Raum war erfüllt von gedämpfter Unterhaltung, begleitet vom Klappern und Kratzen des Bestecks auf den Porzellantellern. Porzellanteller! Hier aßen sogar die Bediensteten von Porzellantellern! Zu Hause hatte das Personal nur einfache Holzbretter und Schalen aus Steingut für die Suppe…

Moreen riss sich los und versuchte, die Gepflogenheiten hier zu ergründen.

Ein steter und bunt gemischter Strom an Bediensteten ergoss sich in den Speisesaal, Wachleute, Kammerzofen und Pagen, Köche und Küchenjungen. Sie alle wandten sich zuerst dem üppigen Büfett zu, das die gesamte Querseite des Saales einnahm, und bedienten sich dort von dem reichhaltigen Angebot an warmen Speisen, Brot, Wurst, Käse und Obst. Die meisten nahmen dann an einem der langen Tische Platz, ein paar machten aber auf dem Absatz kehrt und eilten mit ihrer Verpflegung wieder hinaus.

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Moreen beschloss, es den Letzteren gleich zu tun, und reihte sich in die kurze Schlange vor dem Büfett ein. Sie wurde von den anderen unsanft voran geschoben und hatte kaum Zeit, sich etwas auszusuchen. Sie schnappte sich rasch eine Hartwurst, ein Stück Käse und ein paar Scheiben herrlich duftendes Hefebrot. Dann steckte sie noch drei herrliche rotbackige Äpfel in ihre Taschen, einen für sich und die beiden anderen für Feòrag. Genüsslich ein Stück Wurst kauend wandte sie sich wieder dem Ausgang zu und setzte ihren Weg zu den Ställen fort.

Zum Glück fand Moreen auf Anhieb den richtigen Ausgang aus dem Labyrinth von Korridoren und Gängen und gelangte schließlich auf den weitläufigen Wirtschaftshof. Dieser war an den beiden Längsseiten von Stallungen gesäumt, die beiden anderen Seiten beherbergten eine Schmiede und weitere Handwerksbetriebe. Ein breiter Torbogen führte zum Innenhof des Schlosses.

Zielstrebig ging Moreen zu der Box, in der Feòrag untergebracht war. Verstohlen sah sie sich um, ob jemand ihre Anwesenheit bemerkte. Den Stallburschen Chad kannte sie bereits und nickte ihm freundlich zu, bevor sie ihre Stute begrüßte und mit den beiden Äpfeln verwöhnte. Während Feòrag noch kaute, legte Moreen ihr bereits das Zaumzeug an und sattelte sie. Dann führte sie sie aus den Stallungen und durch den Torbogen in den Haupthof. Dort erst stieg sie auf und ritt gemächlich auf das Burgtor zu. Sie beobachtete das Gebaren der Wachen. Konnte sie so einfach durch das Tor reiten?

Die Wachen blickten aufmerksam nach draußen und musterten jeden eindringlich, der in die Burg wollte. Sie ignorierten jedoch all diejenigen, die die Burg verließen. Hin und wieder winkten sie einen nahenden Händler zur Seite und durchsuchten seine Waren.

Moreen hatte allerdings den Eindruck, dass die Kontrollen eher lax gehandhabt wurden. Sie gab Feòrag beherzt die Sporen und ritt nach draußen, ohne weiter beachtet zu werden. Dann überquerte sie die Brücke über die Schlucht, die die königliche Burg vom Rest der Stadt trennte, und gelangte so in die Altstadt von Taboron.

Moreen reihte sich zusammen mit Chad und einem weiteren, ihr unbekannten Pferdeknecht mit einem gemusterten Tuch gegen den Staub vor seinem Gesicht in den Strom von Reitern, Kutschen und Ochsenkarren in der Mitte der breiten Straße ein und ließ sich in Richtung Stadttor treiben. Zum Glück war die Strecke quer durch Taboron nicht allzu lang, sonst würde sie den Ausritt niemals vor dem anberaumten gemeinsamen Frühstück schaffen.

Endlich hatten die drei Reiter die weitläufigen Weiden außerhalb der Stadt erreicht und gaben ihren Pferden die Zügel frei. In lang gestrecktem Galopp jagten sie auf den Waldrand zu, wo sie abstiegen und die Pferde zum Grasen frei ließen.

Das Trio setzte sich einträchtig auf einen umgestürzten Baum und sah den Pferden zu, die über die Koppel streiften. Moreen saß etwas abseits von den beiden Burschen, die sich gedämpft über ‚ihre‘ Pferde unterhielten.

Moreen genoss die wärmenden Strahlen der Morgensonne, die Luft war aber noch empfindlich kühl am ihrem Rücken. Sie rieb sich schaudernd die Schultern.

Sie wollte gerade aufstehen und sich mit dem Rücken zur Sonne drehen, als der zweite Stallbursche aufsprang, zu ihr herüberkam und ihr fürsorglich seine abgetragene Jacke um die Schultern legte. Dann ließ er sich wieder auf seinem Platz neben Chad nieder.

»Vielen Dank!«, stammelte Moreen. Sie hatte kaum etwas vom Gesicht des Burschen sehen können, er kam ihr jedoch irgendwie bekannt vor. Aber offenbar war er nicht weiter an ihr interessiert, und sie lehnte sich gemütlich in die Jacke gekuschelt zurück und genoss die friedvolle Stimmung. Der Tag würde sicherlich noch aufregend genug werden.

Viel zu bald wurde es Zeit, sich auf den Rückweg nach Taboron zu machen. Schweren Herzens rappelte sich Moreen auf, gab dem Pferdeburschen seine Jacke zurück und schwang sich auf den Rücken von Feòrag. Einträchtig Seite an Seite ließen sie ihre Pferde zurück traben.

An den Stallungen angekommen versorgte Moreen ihre Stute, dann eilte sie auf ihr Zimmer und zog sich rasch um. Mit einem gequälten Schmunzeln malte sie sich aus, wie sich die anderen jungen Mädchen den Mund zerreißen würden, falls sie in ihren Reitsachen in die Akademie käme. Endlich wieder einigermaßen präsentabel machte sie sich in unziemlichem Laufschritt auf den Weg zum Speisesaal, um noch ein paar Häppchen für ein zweites Frühstück zu ergattern.