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Kapitel 19 • Krankenpflege

Am nächsten Morgen konnte Moreen nur kurz nach ihrer Stute sehen, für einen Ausritt war keine Zeit. Sie hatte ihr ein paar Leckerbissen mitgebracht und verfütterte den letzten Apfel an Feòrag. Zum Abschied klopfte Moreen ihr an den Hals, dann musste sie sich schon wieder auf den Rückweg machen.

Sie kam aus der Box und wollte gerade zurück in die Akademie laufen, als sie am Eingang zu den Stallungen beinahe mit Chad zusammenstieß. Bei seinem Anblick stockte Moreen der Atem.

Sein Gesicht war blutverschmiert, sein linkes Auge zugeschwollen. Er ging vornüber gebeugt und hielt sich die linke Seite.

»Was ist passiert?«, stieß Moreen hervor.

»Nichts«, keuchte Chad durch die zusammengebissenen Zähne.

»Von wegen«, entgegnete Moreen scharf. »Lass dich mal ansehen!«

Chad wehrte sie nur halbherzig ab, als Moreen sanft eine Hand auf seine Wange legte und mit der anderen vorsichtig das Lid seines Auges aufzog. Alles in Ordnung, das Auge war unverletzt. Auch mit ihren magischen Sinnen konnte sie keine weitere Verletzung ausmachen. Das viele Blut stammte von seiner aufgeplatzten Unterlippe und einem Riss über seine Augenbraue, er hatte es wohl unbeabsichtigt über das ganze Gesicht verschmiert.

»Komm mit in die Akademie«, befahl Moreen. »Dort kann ich deine Wunden behandeln und dich vor allem von all dem Blut befreien. So kannst du dich nicht blicken lassen!«

Chad folgte ihr lammfromm aus den Stallungen. Die beiden erklommen eine der steilen Treppen, die hinauf zu den Räumen der Akademie führten.

Oben angekommen blieb Chad stehen. »Ich darf da nicht rein, Baronesse!«

»Bitte lass den albernen Titel weg, Chad! Ich heiße Moreen. Und nun komm, du bist mein Patient und darfst sehr wohl mit mir in ein Behandlungszimmer gehen.« Sie packte Chad kurzerhand am Arm und zog ihn mit sich durch den Eingang und weiter bis in das erste Zimmer. Mit einem raschen Blick vergewisserte sie sich, dass es frei war, dann schob sie Chad vor sich hinein und schloss die Tür hinter sich.

»Setz dich da auf den Tisch!«, wies sie ihn an. Moreen eilte weiter bis zu dem großen Waschbecken in der Ecke, wusch sich gründlich die Hände mit Seife und kehrte dann mit einer Schüssel voll Wasser und einigen Lappen zu Chad zurück.

Sie untersuchte ihn unauffällig mit ihrem magischen Sinn, während sie sanft aber sorgfältig das Blut abtupfte. »Deine aufgeplatzte Lippe wird von selbst gut heilen, dafür bekommst du aber eine gute Salbe von mir. Am besten mehrmals täglich auftragen, damit die Haut nicht austrocknet und immer wieder aufs Neue einreißt. Deine Augenbraue muss ich nähen, sonst behältst du eine hässliche Narbe zurück.«

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Chad sah sie misstrauisch an. »Nähen? So mit Nadel und Faden?«

Moreen nickte, während sie sein Hemd aufknöpfte und es von seinen Schultern streifte.

»He, was machst du da?«, empörte sich Chad und lief rot an.

Nun war Moreen an der Reihe, zu erröten. »Ich wollte deine geprellten Rippen untersuchen und prüfen, ob nicht doch eine davon gebrochen ist.«

»Ach so.« Chad senkte betreten den Blick.

»Darf ich?« Ohne eine Antwort abzuwarten, betastete Moreen vorsichtig seine rechte Seite, um ihre magische Diagnose zu bestätigen. Aber zum Glück hatte er nur eine oberflächliche Prellung. »Für die Seite gebe ich dir eine andere Salbe, die die Schwellung lindert und auch gut gegen die Schmerzen ist. Morgens und Abends auftragen und gut einmassieren! Verstanden?« Sie zog das Hemd wieder hoch und sah Chad fragend an.

Chad nickte fügsam und beobachtete mit seinem guten Auge, wie sie Nadel und Faden aus einer Tasche kramte. »Tut das weh?«, fragte er kleinlaut.

Moreen lachte. »Nicht mehr als jetzt schon. Wahrscheinlich ziept es ein Bisschen, aber das wirst du schon aushalten. Wenn du willst, bekommst du vorher einen großen Schluck Obstbrand, dann ist es leichter.«

Chads Auge leuchtete auf. »Immer her damit. Vielleicht hilft der auch gegen die Rippen.«

Moreen hielt ihm eine Flasche hin, von der er einen großzügigen Schluck nahm. Der Schnaps war recht scharf, Chad musste heftig husten und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Seite. Dann atmete er tief durch und nickte Moreen zu. »Leg los, Mädchen!«

Zu seinem Entsetzen musste er zusehen, wie Moreen die Nadel über einer Kerzenflamme erhitzte. »Was soll das denn? Willst du mich foltern?«

»Nein, das mache ich, damit kein Schmutz an der Nadel mehr ist. Sonst könnten die Stiche sich entzünden. Aber jetzt halt still! So nahe am Auge kann das sonst gefährlich werden!« Moreen drehte seinen Kopf sanft ins Licht, dann vernähte sie den Riss mit drei Stichen. Endlich konnte sie ihre bescheidenen Nähkünste einmal sinnvoll einsetzen. Ehe Chad es sich versah, hatte sie den letzten Faden geschickt verknotet und war fertig.

»Geschafft. Auch dafür bekommst du eine extra Salbe, die nicht so scharf ist, falls du mal aus Versehen davon etwas in dein Auge schmierst. Das solltest du aber dennoch vermeiden. Für die Schwellung gibt es nicht viel, die muss von selbst wieder vergehen. Ein prächtiges Veilchen wirst du allemal die nächste Woche haben!«

Moreen suchte die passenden Mixturen heraus und füllte von jeder eine gute Portion in einen kleinen Tiegel. »Trage bitte gleich etwas davon auf, ich will sehen, wie du damit zurecht kommst«, wies sie ihn an, während sie die verwendeten Utensilien wieder gewissenhaft aufräumte. Die Nadel brannte sie erneut aus, bevor sie sie in des Etui zurück steckte. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Chad, wie er sich geflissentlich mit den Salben einrieb.

Sie wurden fast gleichzeitig fertig. »Sehr gut gemacht!«, lobte Moreen ihren Patienten. »Wenn du das weiterhin so sorgfältig machst, sind deine Blessuren im Nu wieder verheilt.« Sie sah ihn eindringlich an. »Aber jetzt raus mit der Sprache: Wer hat dich so übel zugerichtet?«

Chad wich ihrem bohrenden Blick aus. »Ich will dich da nicht mit hineinziehen. Du hast mir schon sehr geholfen, aber ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt.«

»Wie du meinst.« Moreen zuckte niedergeschlagen mit den Schultern. Sie hatte auch schon mitbekommen, dass hier in Taboron jeder auf sich allein gestellt war.