Moreen hatte sich frühmorgens, noch vor dem Frühstück, zu einer Reihe von Untersuchungen einfinden müssen. Fröstelnd zog sie den leichten Kittel enger um sich, den die Krankenpflegerin ihr als einziges Kleidungsstück überlassen hatte. Nun saß sie alleine im Sprechzimmer und wartete auf Heilerin Iseabal, die sie untersuchen sollte.
Moreen fragte sich, wieso die Kandidaten solch einer eingehenden körperlichen Untersuchung unterzogen werden sollten, für die eine ganze Stunde angesetzt worden war. Schließlich kam es doch einzig auf ihre magische Begabung an und nicht auf physische Tüchtigkeit.
Sie wurde durch das Knarren der Türe aus ihren Gedanken gerissen und sah auf. Endlich hatte das Warten ein Ende.
Die Pflegerin betrat das Zimmer, gefolgt von Iseabal sowie einem in die grüne Robe der Heiler gehüllten Mann.
Entsetzt raffte Moreen den weiten Kragen ihres Kittels zusammen und versuchte erfolglos, ihre Blöße zu bedecken.
Der Heiler bedachte Moreen mit einem finsteren Blick und einem herablassende Nicken. Dann stolzierte er erhobenen Hauptes zum Fenster, lehnte sich an die Fensterbank und verschränkte die Arme vor der Brust.
Moreen starrte ihn wie gebannt an. Die ‚Aura‘ des Heilers schillerte und pulsierte in allen Farben. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Zudem schien der Körper des Mannes von einem wabernden Schatten wie von schwarzem Rauch umhüllt zu sein.
Der Heiler sah Moreen mit einer fragend hochgezogenen Augenbraue an und lächelte wissend.
Hastig senkte Moreen den Blick.
Heilerin Iseabal ging zu Moreen hinüber und begrüßte sie überschwänglich. Dann murmelte sie leise, so dass nur diese sie hören konnte. »Es tut mir sehr leid, dass der königliche Heiler auch dabei ist, aber er hat darauf bestanden. Lass dich nicht einschüchtern, er darf dich auch nicht untersuchen, sondern nur der Untersuchung — in gebührendem Abstand — beiwohnen.«
Entsetzt starrte Moreen an der Heilerin vorbei auf Meister Sheridan. Dieser unheimliche Mann sollte sie während der kommenden Tage im Gebrauch ihrer Magie unterrichten? Dann fing Moreen sich. »Schon gut«, entgegnete sie mit einem gequälten Lächeln. Langsam wurde ihr klar, dass dieses Auswahlverfahren nicht einfach werden würde und sie sich nicht im Hintergrund würde halten können, im Gegenteil. Seit sie dieser ‚weißen‘ Gruppe zugeordnet worden war, war ihr mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden, als ihr lieb war.
Iseabal nickte ihr aufmunternd zu und begann unverzüglich mit der Untersuchung. Zunächst tastete sie Moreen am ganzen Körper ab. »Irgendwelche Schmerzen oder andere Beschwerden? Ein steifes Gelenk etwa oder regelmäßige Kopfschmerzen?«, erkundigte sie sich.
Moreen schüttelte nur stumm den Kopf.
»Gut.« Iseabal zögerte. »Ich muss dich darauf hinweisen, dass ich ein paar der Untersuchungen mittels meiner magischen Fähigkeiten durchführen werde. Du könntest dadurch ein Kribbeln oder einen leichten Schmerz verspüren, falls du besonders sensibel auf Heilmagie reagieren solltest. Hast du das verstanden?«
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Moreen zögerte ihrerseits. Ihr dämmerte, dass sie nicht nach ihrem Einverständnis gefragt, sondern auf eine unumstößliche Tatsache hingewiesen wurde. Sie nickte resigniert.
Die Pflegerin kritzelte daraufhin ein paar Worte auf einen Bogen Pergament, den sie auf ein Brettchen geklemmt hatte und auf dem linken Unterarm balancierte.
Moreen staunte. Für ihre läppische Untersuchung wurde ein teurer Bogen Pergament verschwendet?
Iseabal legte beide Hände auf Moreens Schläfen und drehte sanft ihr Gesicht gegen das helle Morgenlicht, das durch das hohe Fenster herein fiel.
Moreen blinzelte geblendet.
»Pupillen verengen sich normal«, konstatierte Iseabal. Als nächstes blickte sie in Moreens Ohren, dann tastete sie ihren Hals und ihre kleinen Brüste ab — zum Glück durch den dünnen Kittel hindurch.
Moreen wand sich unbehaglich und musste sich sehr zusammenreißen, um diese unziemlichen Berührungen über sich ergehen zu lassen. Aber vermutlich war dies bereits ein Teil der Prüfungen, ein Magier musste schließlich zuallererst sich selbst beherrschen.
»Bitte die Arme anheben und zur Seite strecken«, wies Iseabal sie an und tastete Moreen unter den Achseln ab. »Keine außergewöhnlichen Schwellungen oder Knoten.« Dann strich sie mit den Händen über Moreens flachen Bauch und ihre schmalen Hüften.
Moreen verspürte erst ein seltsames Ziehen in ihrem Unterleib und dann einen leichten Druck zwischen den Beinen und japste erschrocken nach Luft.
»Unberührt«, bestätigte Iseabal tonlos.
»Sehr gut, sehr gut«, mischte sich Heiler Sheridan von seinem Platz am Fenster ein. »Wie steht es mit einer ersten Liebschaft? Einem unschuldigen Kuss?«, erkundigte er sich. Seine Augen funkelten gierig.
»Was soll die Frage?«, stotterte Moreen überrascht.
»Antworte!«, herrschte Meister Sheridan sie an.
Moreen blickte fragend zu Iseabal auf.
Diese nickte kurz. »Einige Gelehrte sind der Ansicht, dass gewisse Talente durch körperliche Liebe geschwächt werden«, murmelte sie mit einem bedeutungsvollen Blick zu Heiler Sheridan.
»Nichts dergleichen«, stammelte Moreen, den Tränen nahe. Was ging diesen alten Knacker ihr Privatleben an? Selbst wenn das Ausmaß ihrer Begabungen davon abhinge!
Kaum hatte die Pflegerin einen entsprechenden Vermerk auf ihr Protokoll gekritzelt, schon schnappte sich Sheridan das Blatt und rauschte mit wehender Robe hinaus.
Moreen blickte ihm verdattert nach und hoffte inständig, dass der Heiler mit der unheimlichen Aura nur einer von mehreren ihrer Instruktoren während der nächsten Tage wäre und er sie nicht alleine prüfen und unterrichten würde. Dann fiel ihr siedend heiß ein, dass sie gleich noch einen Gesprächstermin mit Meister Sheridan hatte.