Am Stall angekommen zitierte Arlyn den unglücklichen Chad herbei. Er griff mit der rechten Hand unter den lockeren Sattelgurt und höhnte: »Nicht einmal ein Pferd satteln kannst du richtig! Ich denke, wir lassen dich ein paar Wochen lang Ställe ausmisten und den Hof fegen. Dazu solltest du ja gerade noch imstande sein!« Der Kronprinz erging sich lauthals über die Dummheit und Unfähigkeit des armen Burschen.
Dieser nahm die Strafpredigt mit gesenktem Kopf hin und knetete seine Mütze in den Händen. Er wagte kaum, unter seinem in die Stirn fallenden Haarschopf hervor seinem Herrn hin und wieder einen Blick zuzuwerfen.
Der Ausbruch des Prinzen war nicht ungehört geblieben. Herbeigelockt von dem Aufruhr hatte sich ein erklecklicher Teil der Dienerschaft versammelt, unter ihnen auch der geheimnisumwobene Xirlannon, Privatlehrer und Waffenmeister des Kronprinzen. Dieser war ein drahtiger, grauhaariger Mann, dessen ganzer Körper von Narben bedeckt war — so erzählte man sich jedenfalls, denn außer seinem Gesicht und den Händen bekam man unter seiner schwarzen, eng anliegenden Kleidung selten etwas zu sehen. Verschlungene vielfarbige Tätowierungen rund um seine Augen wiesen ihn als hochrangigen Magier aus, dennoch hatte niemand am königlichen Hof ihn jemals einen Bannspruch werfen sehen. Xirlannon war mit dem Jähzorn des Prinzen schon bestens vertraut, hatte er doch schon am eigenen Leibe erfahren müssen, zu welch verletzenden Äußerungen Arlyn sich hinreißen lassen konnte.
»Du jämmerlicher Nichtsnutz!«, zeterte der Prinz, jetzt ganz in seinem Element. Er sah sich auch noch bestätigt durch die wachsende Zuhörerschaft, die an seinen Lippen hing und darauf hoffte, dass der Prinz Gebrauch von seiner Reitpeitsche machte. »Wahrscheinlich bist du nicht einmal imstande, den Stall ordentlich auszumisten, ohne dir die Mistgabel in den Fuß zu rammen. Oder noch schlimmer: Du spießt eines unserer wertvollen Pferde damit auf!«
Die Menge hatte einen Halbkreis um den stolz aufgerichteten Prinzen gemacht, der verächtlich auf den an die Stallmauer gedrückten Burschen hinab blickte — obwohl dieser ihn um Haupteslänge überragte und auch viel schwerer und kräftiger gebaut war.
Chad hatte als Einziger den Gelehrten hinter der Menge bemerkt und sich erleichtert ein wenig entspannt.
Der Prinz missverstand dies als erstes Zeichen von unverschämter Aufmüpfigkeit und steigerte sich weiter in seinen Wutanfall hinein. »Was! Du wagst es, mir die Stirn zu bieten!?« Arlyn holte mit seiner Peitsche aus, und ein erwartungsvolles Raunen ging durch die Menge. Verstohlen blickte er sich um. Wo blieb nur Xirlannon?
Mit für sein Alter überraschender Behändigkeit wand sich der Waffenmeister durch die Schaulustigen und packte den rechten Arm des Prinzen, gerade als dieser seine Peitsche auf den armen Pferdeburschen niedersausen lassen wollte.
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Arlyn schrie vor Schmerz auf. Dies musste er nicht einmal vorgeben, Xirlannon hielt seinen Arm direkt über der Schürfwunde, die er sich bei seinem Sturz zugezogen hatte. Er wandte sich um und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Aber alles Winden und Zerren half nichts, er konnte die eiserne Umklammerung nicht brechen.
Auge in Auge mit seinem Erzieher setzte Arlyn zu einer weiteren wütenden Beschimpfung an, aber dessen kalter, verächtlicher Blick ließ ihn verstummen. Der vielen, auf sie gerichteten Augenpaare bewusst, versuchte der Prinz, seine erfolglosen Befreiungsversuche zu überspielen. Dies gelang ihm jedoch nicht so recht, da sich durch sein Umwenden und Xirlannons unnachgiebigen Griff sein Arm in einem äußerst unangenehmen Winkel verdreht hatte und ihm die Peitsche aus den kraftlosen Fingern fiel.
»Wir sprechen uns in der Waffenkammer«, flüsterte der Waffenmeister. »Nachdem du dich bei Chad für dein unangebrachtes Benehmen entschuldigt hast!«, fügte er warnend hinzu.
Xirlannon wandte sich ab und stapfte schnurstracks in Richtung der Übungsräume, die an die Waffenkammer angegliedert waren. Vor ihm öffnete sich eine breite Gasse, die sich wie durch Zauberhand in der respektvollen Menge für ihn auftat.
Der Prinz rieb sich den schmerzenden Unterarm, auf dem die Finger des Waffenmeisters rötliche Abdrücke hinterlassen hatten. Mürrisch blickte er seinem Erzieher nach. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit — im Offenen wechselte kaum jemand ein Wort mit ihm, alle blieben vorsichtig auf Distanz — würde dieser es wie immer irgendwie erfahren, sollte Arlyn seine Entschuldigung nicht zumindest dem Anschein nach aufrichtig darbringen. So wandte er sich scheinheilig lächelnd an den Stallburschen:
»Ich habe dir Unrecht getan. Es ist meine eigene Schuld, dass ich abgeworfen wurde. Ich hätte warten müssen, bis du fertig gewesen wärst. Bitte nimm meine Entschuldigung an.«
Chad verzog gequält den Mund. »Natürlich nehme ich Eure Entschuldigung an, Hoheit.« Was bleibt mir auch anderes übrig! dachte er bei sich. »Ich hätte Euch nicht warten lassen dürfen.« Um seiner Rolle in dem falschen Spiel gerecht zu werden, verbeugte sich der Pferdebursche tief.
Prinz Arlyn nickte seinem einzigen wahren Freund kurz zu, zwinkerte verstohlen und machte sich schweren Herzens auf den Weg zum Waffensaal. Ihn erwartete eine saftige Predigt, die kurz und bündig das Wesentliche herausstellen und ihn wie immer wie einen ungehobelten Bauernlümmel aussehen lassen würde. Glücklicherweise zog Xirlannon es vor, ihn nicht in aller Öffentlichkeit herunterzuputzen. Er unterstrich derartige Lektionen allerdings gerne mit ein paar wohl gezielten Hieben mit der flachen Seite seines Schwertes während der unmittelbar daran anschließenden und meist ungewöhnlich harten Übungsstunde. Arlyn erinnerte sich so jedes Mal für ein paar Tage an die ‚Belehrung‘ und deren Anlass — was wohl ganz im Sinne des Erfinders war.