Gemäß ihrem Status war Moreens Familie eine der ersten, die in den Ballsaal einzogen, als noch kaum Gäste anwesend waren. Der Zeremonienmeister stieß dennoch mit seinem Stab auf den Boden und verkündete laut und vernehmlich Rang und Namen der Neuankömmlinge. »Baron Eòghann von der Krähenburg mit Familie und Tochter Moreen«, verhallte es ungehört im leeren Saal.
Moreen und ihre Familie verharrten wie vom Protokoll verlangt einige Augenblicke am oberen Ende der fünf Stufen, die hinab auf die weite Tanzfläche führten. Moreen bestaunte die prachtvolle Dekoration, der Saal war kaum wiederzuerkennen.
Die hohen Fenster waren mit Girlanden und Lampions verhängt. Von der hohen Decke hingen kristallene Kronleuchter herab, auf denen Hunderte von Kerzen ein warmes Licht verströmten. Die Tanzfläche war umgeben von einer Doppelreihe runder Tische, die mit Damasttüchern, goldenem Besteck und reich verzierten Tellern prunkvoll eingedeckt waren.
Nach der vorgeschriebenen Pause schritt Moreen gemessen am Arm ihres Vaters zu dem ihnen angewiesenen Platz direkt am Eingang des Saals, gefolgt von ihrer Mutter und Collyn. Vor ihrem Tisch machten sie auf dem Absatz kehrt und bauten sich auf mit Blick zurück zum Eingang, um den nachfolgenden Gästen den ihnen würdigen Empfang zuteil werden zu lassen.
Während der nächsten halben Stunde defilierten Dutzende von rangniederen Familien mit ihren Töchtern und Söhnen in einem steten Strom herein und füllten nach und nach die Reihen. Moreen studierte die Gewänder und Aufmachung ihrer Kontrahentinnen und verkrampfte immer mehr. Viele der jungen Mädchen waren mit Edelsteinen und Geschmeiden behangen, deren Wert den der gesamten Besitztümer ihres Vaters um ein Vielfaches überstieg.
Moreen riss sich zusammen und behielt ihre gekünstelte Pose am Arm ihres Vaters unbeweglich bei. Dazu lächelte sie strahlend, obwohl kaum jemand sie eines Blickes würdigte. Zum Einen standen so nahe am Eingang nur die unbedeutendsten Familien, zum Anderen würde sie wegen ihrer schlichten Aufmachung während des gesamten Abends auf den ersten Blick als armes Mädchen vom Lande erkannt und von den interessanteren weil wohlhabenderen Heiratskandidaten nicht weiter beachtet werden. Insgeheim freute sie dies aber auch ein wenig, so würde zumindest kein blasierter Hohlkopf um ihre Hand anhalten.
Langsam schmerzten Moreens Schultern, sie war es nicht gewohnt, so lange praktisch unbeweglich zu stehen. Zudem schwitzte sie unter dem engen Korsett, und ihre Nase kitzelte von der parfümgeschwängerten Luft. Moreen schaffte es aber, sich nicht auch noch die Blöße zu geben und sich vor versammeltem Hofstaat an der Nase zu kratzen.
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Baron Eòghann flüsterte Moreen wiederholt interessante Hintergrundinformationen zu den Neuankömmlingen zu. Rang und Namen wurden ja schon vom Zeremonienmeister verkündet, und ein paar der einflussreicheren Familien konnte Moreen sogar zuordnen.
Mit der Bedeutung der Gäste nahm zugleich die Länge ihres Weges durch den Saal zu, sodass die zuletzt und nach einer gebührenden Kunstpause einziehende königliche Familie mit dem Kronprinzen den gesamten Saal zu durchqueren hatte und so die gesammelte Aufmerksamkeit auf sich vereinen konnte.
Aller Augen waren gleichermaßen auf Prinz Arlyn gerichtet, der mit seiner Mutter Königin Genevieve am Arm voran schritt. Moreen wunderte sich insgeheim, die Königin sah zu jugendlich aus, um bereits einen Sohn in Arlyns Alter zu haben.
Dann stockte Moreen der Atem. Hinter den beiden schleppte sich König Anghus, schwer auf einen Gehstock und den hilfreichen Arm eines Mannes in der Robe der Heiler gestützt. Der König schlurfte vornüber gebeugt dahin, sein Gesicht war von tiefen Falten zerfurcht. Moreen hatte schon Gerüchte aufgeschnappt, dass es um die Gesundheit des Monarchen nicht zum Besten stünde, aber war entsetzt darüber, wie schwer gezeichnet er war von seiner Krankheit.
Vor ihrem ‚inneren Auge‘ flackerte seine Aura unregelmäßig, insbesondere seine Arme strahlten in ungesundem Rot. Um seinen Kopf nahm sie einen blau-violetten Schimmer wahr, eindeutiges Zeichen für den unbeugsamen Willen und scharfen Verstand des Königs.
Dann fiel ihr Blick auf den Heiler, der sie unverhohlen anstarrte und mit schmalen Lippen kalt lächelte. Eine Gänsehaut lief Moreen den Rücken hinunter, und verunsichert senkte sie den Kopf.
Sobald sie es wagte, wieder aufzuschauen, beobachtete Moreen aus den Augenwinkeln, wie die königliche Familie langsam und schwerfällig den Ballsaal durchquerte. Der Heiler hatte den Kopf wieder starr nach vorne gerichtet und sie daher aus dem Blickfeld verloren. Moreen entspannte sich ein wenig.
Mit dem Einmarsch der königlichen Familie war die Prozession der Teilnehmer endlich überstanden, und Moreen durfte sich mit ihrer Familie an dem großen runden Tisch niederlassen, den sie mit zwei anderen Familien teilten.
Baron Eòghann begrüßte die beiden anderen Familienoberhäupter als alte Bekannte, die wie er mit ihrer jüngsten Tochter angereist waren, und war bald in ein angeregtes Gespräch über die guten alten Zeiten vertieft. Moreen und Collyn tuschelten hinter vorgehaltener Hand über die anderen Debütantinnen und Debütanten und spekulierten, wer wohl am Ende des Abends mit wem verkuppelt sein würde. Das brachte ihnen einen vorwurfsvollen Blick von Moreens Mutter ein, worauf sie sich auf ihre guten Manieren besannen und augenblicklich verstummten.
Zu guter Letzt spielte das Orchester einen Tusch und die angeregten Gespräche verstummten nach und nach. Der Zeremonienmeister stieß seinen Stab dreimal auf den Boden und Prinz Arlyn eröffnete mit seiner Mutter zu den Klängen des Königswalzers den Ball.
Moreen bewunderte, mit welch graziler Leichtigkeit das Paar über die Tanzfläche schwebte. Ihr graute vor dem Ball, sicher würde sie sich unsäglich blamieren. Zu allem Überfluss musste sie auch noch mit Arlyn tanzen, da sie als Einzige mit ihm in der weißen Gruppe war. Beim Gedanken an ihn schlug ihr Herz ein wenig höher.