Novels2Search

Kapitel 20 • Waffenkammer

Heute wurde Prinz Arlyn von seinem Lehrmeister nicht wie sonst mit bereits gezücktem Schwert neben der bei derartigen Gelegenheiten völlig unzureichend gepolsterten Lederrüstung erwartet. Statt dessen saß Xirlannon unter einem der hohen Fenster auf einer schmalen Bank, hatte die gekreuzten Beine vor sich ausgestreckt und die Arme vor der Brust verschränkt. Von Schwert oder Rüstung war hingegen weit und breit nichts zu sehen.

Unerwartete Neuerungen verhießen nichts Gutes. Die Stimmung des Kronprinzen sank noch ein wenig in Erwartung der sicherlich unerfreulichen Überraschung, die Xirlannon für ihn bereithielt. Wieder einmal wunderte er sich, was einen gescheiterten Magier an den königlichen Hof verschlagen hatte.

Der rieb sich mit der rechten Hand die lange Narbe unter dem Kinn und flüsterte mit seiner rauen Stimme: »Du machst mir wenig Freude, Junge. Ich hatte gehofft, du hättest zumindest die wichtigste Lektion endlich gelernt, dass nicht du der Mittelpunkt der Welt bist, und nicht dein Wohlergehen an erster Stelle steht, sondern das deines Volkes.«

Arlyn blickte betreten zu Boden. Ihm war sein maßloser Egoismus schon oft zum Vorwurf gemacht worden, aber dieser war ein wichtiger Teil der Rolle, in die er schlüpfen musste, um sich den Machenschaften des Rates und seiner Mutter zu entziehen.

»Da all die Vorträge über vorbildliches und tugendhaftes Verhalten nichts bewirken, muss ich zu etwas — sagen wir, unkonventionellen Mitteln greifen.« Xirlannon schmunzelte, als malte er sich bereits die Effekte seiner Rosskur aus. »Ihr werdet sicher prächtig miteinander auskommen«, raunte er und bedeutete dem Prinzen, sich umzudrehen.

The author's content has been appropriated; report any instances of this story on Amazon.

Arlyn kam der Aufforderung nach und entdeckte einen schmächtigen Jungen, der unauffällig an der Wand neben der Eingangstür lehnte und ihn abschätzend musterte. Er fuhr herum zu seinem Lehrer und schnauzte: »Wer ist das? Soll ich jetzt auch noch Babysitter spielen für diesen Knirps?«

Hinter sich hörte der Prinz einen wütenden Aufschrei. Er drehte sich höhnisch lächeln um, nur um zu seinem Erstaunen mit einem wohl platzierten Fausthieb zu Boden gestreckt zu werden.

»Knirps, ja?« Mit in die Hüften gestemmten Fäusten und gespreizten Beinen stand der Junge über dem Prinzen und blickte finster auf ihn hinab.

»Darf ich vorstellen: Kronprinz Arlyn von Greifenhorst, mein Großneffe Gorlinnon.« Der Waffenmeister lachte in sich hinein. »Ihr werdet die nächste Zeit viel zusammen sein!« Mit der seltsamen Flüsterstimme des Waffenmeisters vorgebracht klang diese einfache Äußerung mehr nach einer unheimlichen Drohung. »Zunächst einmal werdet ihr heute Nachmittag gemeinsam ausreiten.«

Das klingt ja harmlos, dachte Arlyn bei sich, während er sich hochrappelte. Vor lauter Überraschung vergaß er ganz, sich für die erteilte Schmach zu rächen. Er rieb sich nur geistesabwesend die Stelle am Kinn, wo ihn die knochige Faust Gorlinnons getroffen hatte.

»Um das Ganze ein wenig interessanter zu gestalten, sattelt jeder das Pferd des anderen! Ich werde nicht dulden, dass ihr hierfür die Hilfe eines Stallburschen in Anspruch nehmt!« Der Waffenmeister rieb sich nachdenklich das Kinn. »Und nun fort mit euch. Ich erwarte euch auf der großen Lichtung im Wald.«

Die beiden jungen Männer blickten sich unbehaglich und ein wenig feindselig an. Das versprach in der Tat ein interessanter Nachmittag zu werden.