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Kapitel 2 • Im Nähzimmer

Das Nähzimmer war ursprünglich als Abstellkammer genutzt worden. Die Ecken waren vollgestopft mit Gerümpel, über das ihre Mutter regelmäßig die Nase rümpfte. Aber sie fand nie einen besseren Platz für den ganzen Plunder.

»Autsch!« Moreen saugte an ihrem Finger. Ihre Hände zitterten noch von dem anstrengenden Schwertkampf, sie konnte kaum den Stoff ruhig halten, geschweige denn die Nadel an der richtigen Stelle einstechen. Verdrossen warf sie die unfertige Bordüre auf den Nähtisch.

Ihre alte Amme schnalzte mit der Zunge und arbeitete weiter an ihrer eigenen Stickerei, ohne aufzublicken. »Du bist nicht bei der Sache, Kind!«, tadelte sie.

Neben ihr saß ihre Freundin Deidra, emsig über ihre eigene Stickerei gebeugt. Sie wagte es nicht einmal wie sonst, Moreen mit einem mitleidigen Blick zu bedenken oder gar eine schnippische Bemerkung zu machen. Deidra war die mustergültige junge Adelige, erfüllte ihre Aufgaben gewissenhaft und war nicht wie Moreen stets in ‚ungebührlicher‘ Bekleidung draußen unterwegs. Wieder einmal fragte sich Moreen, wie sie so unzertrennliche Gefährten geworden waren, hatten sie doch so unterschiedliche Ansichten.

Moreen stand auf und schlenderte zu dem schmalen Fenster, das kaum genug Licht für die feine Arbeit hereinließ. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, spähte hinaus und ließ den Blick schweifen über die bunten Wiesen und hinüber zum Waldrand. Sie seufzte. »Bei dem herrlichen Wetter würde ich viel lieber einen Spaziergang durch den Wald machen«, gestand sie. »Oder auf Feòrag zu der kleinen Lichtung mit dem See reiten…«

Ihre Amme schnalzte erneut mit der Zunge. »Und wer soll dann deine Arbeit machen? Dein Ballkleid muss rechtzeitig für den Mittsommerball im Palast von Taboron fertig werden! Und bis dahin ist nicht mehr viel Zeit. Außerdem musst du dich davor noch der Prüfung deiner magischen Talente unterziehen und während der Vorbereitungen dafür wirst du wohl kaum Zeit fürs Sticken haben.«

»Ja, ich weiß«, entgegnete Moreen scharf. »Jeder muss seinen Teil beitragen, weil wir uns keine Näherin leisten können. Ich kann es nicht mehr hören.«

Deidra japste erschrocken und blickte entsetzt zu Moreen hinüber.

Insgeheim graute Moreen vor den Prüfungen, denen sich alle Adeligen im heiratsfähigen Alter unterziehen mussten. Bisher hatte sie noch keinerlei Begabung zu einer gängigen Art der Magie gezeigt und würde sicherlich zum Gespött des gesamten königlichen Hofes. Aber eine seltene magische Begabung wäre die willkommene Rettung vor einer sonst drohenden Verheiratung mit einem alternden Provinzadeligen oder dessen ungehobelten Schnösel von einem Sohn, da sie dann zur Ausbildung als Magierin die berühmte Magierschule inmitten der Donnerberge besuchen dürfte.

»Du solltest stolz sein auf deine Stickerei und dich nicht so grämen.« Die Amme vernähte mit flinken Fingern das Fadenende und suchte dann ein anderes Garn heraus, um die Rosenblüte fortzusetzen.

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Moreen warf einen sehnsüchtigen Blick hinaus. Sie fühlte sich eingesperrt und sehnte sich nach einem Ritt unter dem hellen Junilaub. Erst vor wenigen Tagen hatte sie eine malerische Anhöhe entdeckt, von der aus man einen herrlichen Blick über das umliegende Land hatte.

Das Knarren der Tür riss Moreen aus ihren Träumereien.

Ihre Mutter kam freudestrahlend hereingelaufen und drückte ihre Tochter stürmisch an sich. »Kind, ich habe großartige Neuigkeiten! Dein Vater und Graf Gerling sind auf bestem Wege, zu einer Einigung zu kommen. Ihr werdet wahrscheinlich noch in diesem Jahr vermählt!«

Moreen erblasste und starrte ungläubig über die Schulter ihrer Mutter ins Leere. Sie sollte an diesen alten Geizkragen verschachert werden, der bereits drei Frauen durch seine Knauserigkeit unter die Erde gebracht hatte, wenn man den Gerüchten Glauben schenken konnte?! »Mutter, das könnt Ihr mir nicht antun!«, schluchzte Moreen, als sie sich soweit wieder gefasst hatte, dass sie überhaupt einen Ton heraus brachte.

»Kind, was sagst du da?« Die Baronin hielt ihre Tochter auf Armeslänge von sich und blickte sie fragend an. »Freust du dich denn gar nicht?«

Auch Deidra hielt verunsichert auf ihrem Weg zu Moreen inne. Sie war aufgesprungen und hatte ihre Freundin umarmen und ihr zu der bevorstehenden Heirat gratulieren wollen.

»Worüber sollte ich mich denn freuen?«, rief Moreen anklagend. »Soll ich die Vierte werden, die Graf Gerling auf seinem Gewissen hat? Aber der alte Lüstling hat ja gar kein Gewissen!« Moreen warf Deidra einen verbitterten Blick zu. Von dieser Seite konnte sie keine Unterstützung erwarten. Ihre beste Freundin und Vertraute war ja auch seit Jahren mit einem jungen Händler verlobt und wartete sehnsüchtig auf ihre eigene Vermählung.

»Moreen, hüte deine Zunge!«, wies die Baronin sie zurecht. »Du kannst von Glück reden, dass dein Vater überhaupt einen Freier gefunden hat in Anbetracht unserer prekären finanziellen Situation.«

Moreen rang um Worte. »Ich werde also verschachert wie ein Stück Vieh!«, stieß sie hervor. Mit Tränen in den Augen stürzte Moreen aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

Moreen rannte blindlings auf ihr Zimmer und warf sich auf ihr Bett. Sie vergrub das Gesicht in den Kissen und schluchzte haltlos.

Nach einer Weile beruhigte sie sich wieder einigermaßen, rieb sich die verquollenen Augen und setzte sich auf. Es war höchste Zeit, einen Ausweg aus dieser prekären Lage zu finden. Vielleicht könnte sie die Regeln, auf denen ihre Eltern so starrsinnig pochten, gegen diese ausspielen und sich ihre Freiheit bewahren.

Dazu müsste sie aber ihre seltsame magische Begabung in den Griff bekommen und durfte bei den anstehenden Prüfungen in Taboron nicht versagen.