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Misstrauen

Wie sehr kann ich diesen Elindine wirklich vertrauen? Wer könnte mir garantieren, dass sie nicht doch insgeheim für jene Seite kämpfen, die längst in den Schatten verbannt gehört? Zuerst erzählt man mir, die Losniw dürften niemals den Thron besteigen, dass sie durch die uralte Bindung an den Sonatius Mortaeda davon abgehalten werden. Doch nun soll ich plötzlich glauben, Eldralith selbst habe all die Zeit über gelogen?

„Ich weiß nicht, ob ich bereit bin, dieses Monster in mir aufzunehmen“, gestehe ich, und meine Stimme ist nur ein leises Flüstern, ein Hauch von Angst. „Es ist eine Bürde, die nie für mich bestimmt war. Diese Last hätte meine Mutter tragen müssen, nicht ich!“

„Das ist in der Tat wahr“, gibt Zyar mit ruhiger Stimme zu und nickt. „Doch der Sonatius Mortaeda hat diesem Wechsel zugestimmt. Jetzt aber brauche ich Ruhe. Sylas, bitte bring Ves in ihr Zimmer.“

Sein Sohn neigt den Kopf und deutet mir, ihm zu folgen. Ich werfe Zyar einen letzten, nachdenklichen Blick zu.

Immerhin habe ich heute mehr über die Geschichte von Elindros erfahren. Das Buch, das Zyar mir gegeben hat, wird mir sicher weitere Geheimnisse offenbaren. Doch wieviel von dem, was ich darin finde, wird die Wahrheit sein? Schweigend folge ich Sylas durch das verschlungene Innere des Anwesens.

Kaum haben wir den Garten hinter uns gelassen, umfängt mich im Eingangsbereich eine unerwartete, wohlige Wärme. Der Garten führt direkt in das Wohnzimmer, einen Raum, der weniger an einen Empfangssaal als an eine geheime, vergessene Kammer in einem alten Märchenschloss erinnert. Dunkle Holzbalken ziehen sich über die Decke, wie Schattenhände, die Schutz und Gefahr zugleich bieten.

Ein massiver Kamin beherrscht die Westwand, doch das Ungewöhnliche daran sind nicht seine aufwendig gemeißelten Steine, die an uralte Runen erinnern, sondern das Licht, das von ihm ausgeht. Die Flammen tanzen in einem tiefen Blau, fast wie das Wasser eines endlosen Meeres, das geheimnisvolle Schätze am Grund verborgen hält. Ein hypnotisches Leuchten, das die Wände in ein unwirkliches Dämmerlicht taucht und alles umhüllt, als wäre der Raum selbst verzaubert. Das Flackern wirft weiche Schatten auf die dicken Teppiche.

Für einen Augenblick bin ich versucht, mich in dieses magische Blau vor dem Kamin zu legen, ein Kissen an mich zu ziehen und mich von den Geschichten umarmen zu lassen, die im Raum zu schweben scheinen. Doch ich bleibe auf den Beinen. Ich kann mir solche Ruhe nicht erlauben.

Sylas schreitet voraus, die schmale Wendeltreppe entlang, die sich wie ein endloser Wirbel durch das Herz des Anwesens windet. Auf jedem Stockwerk öffnet sich ein Durchgang – ein Portal in die Geheimnisse, die in den oberen Etagen verborgen liegen. Ohne Vorwarnung hält er inne, dreht sich leicht zu mir um und sagt leise: „Verzeiht meinem Vater, meine Prinzessin. Ich verstehe, dass Ihr diese Bürde nicht tragen wollt.“

Ich zögere, halte seinen Blick fest. „Darfst du mich denn Prinzessin nennen?“ Ich spreche leise, sicherheitshalber. „Soweit ich weiß, soll niemand meinen Titel in der Menschenwelt oder wahren Namen kennen.“

Ein schwaches Lächeln umspielt seine Lippen. „Hier sind wir sicher“, versichert er mir mit einem Blick, der weit mehr zu wissen scheint. „Mein Vater ist nicht umsonst ein Großmagier, der jedes Element in Elindros beherrscht. Innerhalb dieser Mauern seid Ihr frei.“

Innerhalb dieser Mauern bin ich frei… welch interessante Wortwahl.

„Trotzdem solltest du mich Ves nennen“, erwidere ich, und er nickt ohne einen weiteren Einwand.

Warum darf mein Name in Elindros nicht bekannt sein? Was macht meinen Titel der Menschenwelt so gefährlich, dass ich hier den Anschein einer gewöhnlichen Elindine wahren soll? Es gibt sicherlich genug Prinzessinnen in Elindros. Doch der Gedanke, dass mein Name die Aufmerksamkeit der Elindine auf sich ziehen könnte, kriecht wie ein Schatten durch meinen Geist. Jene, die einst den Gründer der Losniws ermordet haben – sollte ich Sylas und seinem Vater Zyar trauen, wenn die Möglichkeit besteht, dass sie mit ihnen unter einer Decke stecken?

„Hier ist dein Zimmer.“ Sylas öffnet die schwere, kunstvoll verzierte Holztür, und ein dichter Rosenduft steigt mir entgegen. Der intensive Geruch übermannt mich für einen Moment, und ich verziehe das Gesicht.

„Verzeih“, murmelt Sylas entschuldigend und streicht sich die Hand über den Nacken. „Ich habe wohl beim Putzen etwas übertrieben. Das Gästezimmer war so lange unbenutzt.“

„Schon in Ordnung.“ Ich winke ab, trete in den Raum und öffne das große Fenster, das den Blick auf die Kairon freigibt. „Ein offenes Fenster hätte sicher geholfen, den Duft nicht so einzuengen.“

Er schlägt sich die Hand gegen die Stirn und lacht leise. „Wie konnte ich nur das Fenster vergessen.“ Er betritt den Raum, steuert auf eine Tür auf der anderen Seite zu – das Badezimmer, wie damals im Schloss meines vermeintlichen Vaters, König Mukuta.

„Du hast einen langen Tag hinter dir“, erinnert er mich sanft. „Und du musstest viele neue Informationen verarbeiten. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Wenn du magst, kannst du später die Bibliothek im oberen Stockwerk durchstöbern. Mein Vater wird morgen mit dein Training beginnen.“

„Training?“ frage ich und spüre, wie Überraschung in meiner Stimme mitschwingt. „Warum… wofür?“

Ein wissendes Schmunzeln legt sich auf sein Gesicht. „Um deine Kräfte zu entfalten, Ves. Jeder Elindine verfügt über besondere Fähigkeiten. Du, als Losniw, hast die Macht über die Zeit – zumindest über die deine.“ Sein Blick wandert zu dem dicken Band, das mir Zyar gegeben hat. „Darin findest du das Wissen der Losniws. Wenn du etwas brauchst, findest du mich im Haus oder im Garten.“

Ich nicke stumm, und Sylas verlässt den Raum. Seine Schritte verhallen, und nach langer Zeit kehrt die Stille zurück – diese seltsam vertraute, unheilvolle Stille, die mich die letzten siebzehn Jahre begleitet hat. Worte können kaum beschreiben, wie viel Bedeutung sie für mich trägt. Die Stille erfasst mich wie ein dunkles, leises Lied, das nur ich hören kann. So vieles ist geschehen seit meiner Flucht aus dem Königreich, doch nie hatte ich auch nur eine Sekunde für mich.

Jetzt liegt sie vor mir, diese kostbare Stille, und für die nächsten Stunden will ich kein einziges Wort sprechen.

Zuerst betrete ich das Badezimmer, und die kühle Stille umfängt mich wie ein dunkler Schleier. Ich drehe das Wasser auf, lasse es über meine Haut gleiten, warm und schwerelos – das Wasser in Elindros hat etwas Unwirkliches, als würde es die Last des Tages mit sich fortspülen, oder vielleicht ist es nur meine erschöpfte Einbildung.

Nach dieser wohltuenden Flucht in die Stille setze ich mich vor das breite Fenster auf die kühle Steinbank, das Buch von Zyar in meinen Händen. Mein Blick wandert zu den Kairon im See, die unermüdlich im Kreis schwimmen, Stunde um Stunde. Ob sie an diesen Ort gebunden sind, geistig oder durch irgendeine Magie?

Mit einem leisen Atemzug schlage ich die erste Seite des Buches auf, bereit, die Geheimnisse darin zu ergründen.

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Die Seiten dieses Buches sind nur für die Augen der Losniws bestimmt. Jene, die nicht zu uns gehören, wird unser Wissen verwehrt bleiben. Wir heißen dich Willkommen, Losniw.

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Dieses Buch ist kein gewöhnliches – das habe ich geahnt, doch erst jetzt wird es mir unmissverständlich klar. Wie konnte Zyar wissen, dass sein Inhalt mir mehr über die Losniws verraten würde? Ob meine Mutter es ihm gegeben hat, kurz vor ihrem Verschwinden? Hat sie es ihm etwa anvertraut? Ein plötzlicher Gedanke sticht mir wie ein Dolch in die Brust: Wenn es von ihr stammt, dann hätte Zyar es nicht besitzen dürfen. Dann wäre es... gestohlen.

Schon die ersten Seiten flüstern Geheimnisse, die mich wie ein unsichtbares Netz umfangen. Das Buch wird zu einem Reisegefährten, der mich in die verborgene Welt der Losniws führt, wie ein Führer durch Schattenreiche, die nur darauf warten, mir ihre Wahrheit zu offenbaren.

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Die Gabe der Losniws ist ein Beweis unserer uralten Bindung zu Elindros. Wir sind eine der ersten Elindine, welche lange vor der Gründung durch Keldor Entium existiert haben.

Erweiterte Fähigkeiten der Losniws im Erinnerungsweben

Ein Überblick über fortgeschrittene Praktiken und theoretische Erweiterungen

Die Gabe der Losniws, die Vergangenheit eines Ortes oder Gegenstands zu „weben“ und dessen Erinnerungen sichtbar zu machen, ist eine der tiefgründigsten und symbolträchtigsten Kräfte Elindros’. Über die bloße Sichtbarmachung von Vergangenem hinaus eröffnen sich für Losniws Möglichkeiten zur Weiterentwicklung ihrer Fähigkeit, die weit über das Grundverständnis hinausreichen. Im Folgenden werden acht fortgeschrittene Techniken und Konzepte vorgestellt, die geübten Losniws zur Verfügung stehen könnten:

Mehrschichtige Erinnerungen und Verwebungen

Losniws, die ihre Kunst perfektionieren, könnten nicht nur die jüngste Vergangenheit eines Ortes oder Gegenstands enthüllen, sondern lernen, zwischen verschiedenen Ebenen der Vergangenheit zu wählen. Fortgeschrittene Anwender könnten sowohl die letzten Stunden als auch die Jahrhunderte umfassende Geschichte eines Objekts betrachten. Diese Fähigkeit erlaubt es ihnen, Ereignisse zu verweben und miteinander zu verknüpfen, sodass komplexe Zusammenhänge und tiefere historische Einsichten gewonnen werden.

Emotionale Resonanz

Neben den visuellen Erinnerungen könnten erfahrene Losniws auch emotionale Schichten eines Ortes oder Gegenstands wahrnehmen. Manche Orte sind geprägt von intensiven Emotionen wie Freude, Trauer oder Wut. Indem sie diese Emotionen in ihren Erinnerungsgeweben erfassen, erhalten die Losniws einen vertiefenden Eindruck von den Geschehnissen und dem emotionalen Erbe eines Ortes, das oft verborgene Wahrheiten offenbart.

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Wechselwirkung zwischen Erinnerungen und Elementen

Eine faszinierende Möglichkeit bietet die Verknüpfung von Erinnerungen mit Elementarmagie. Erinnerungen könnten so an bestimmte Elemente gebunden sein, dass ihre visuelle Präsenz durch den Einsatz der Elemente der Solniws verstärkt wird. Ein Losniw könnte mithilfe von Wasser die Erinnerungen eines Schiffswracks besser „lesen“ oder durch Feuer rekonstruieren, was bei einem Brand geschah. Diese Fähigkeit fördert eine intensive Verbindung zwischen der elementaren und der erinnernden Magie.

Temporäre oder Partielle Manifestation der Vergangenheit

Besonders begabte Losniws könnten Erinnerungen nicht nur als Gewebe sichtbar machen, sondern in der Realität kurzzeitig manifestieren. Dadurch können andere die Vergangenheit nicht nur sehen, sondern auch hören oder sogar fühlen. Diese Technik erlaubt es Losniws, bestimmte Details aus der Vergangenheit auf selektive Weise für Außenstehende darzustellen, eine Technik, die bei der Untersuchung historischer Ereignisse oder für Ermittlungen von unschätzbarem Wert sein kann.

Erinnerungen Beeinflussen oder Umschreiben

Eine noch seltenere und anspruchsvollere Erweiterung dieser Fähigkeit könnte das Beeinflussen oder gar Umschreiben bestehender Erinnerungen sein. Damit könnten Losniws bestimmte Erinnerungen „verbergen“ oder auch neue Erinnerungen in das Gewebe einweben, die zuvor nicht existierten. Diese Macht, die Wahrnehmung der Vergangenheit zu manipulieren, birgt jedoch große ethische und moralische Fragen und wird in Elindros nur den verantwortungsvollsten und bewährtesten Losniws anvertraut.

Energieverbrauch und Erschöpfung

Das Erinnerungsweben ist untrennbar mit der Lebenskraft der Losniws verbunden. Je weiter sie in die Vergangenheit blicken oder je detaillierter sie eine Erinnerung weben, desto größer ist die geistige und körperliche Erschöpfung. Nur die erfahrensten Losniws können sich den Anforderungen der ältesten und intensivsten Erinnerungen stellen, und der Gebrauch dieser Fähigkeit erfordert eine achtsame und bedachte Anwendung.

Übertragung von Erinnerungen auf andere Personen

Meisterhafte Losniws können ihre Erinnerungen anderen zugänglich machen, indem sie diese direkt in eine Person oder einen Gegenstand übertragen. Dies erlaubt anderen, die Erinnerung so lebhaft zu erfahren, als wären sie selbst dabei gewesen. Diese Technik wird bei historischen Studien und Ermittlungen angewendet, könnte aber auch zur Schaffung starker, unvergesslicher Verbindungen zwischen den Beteiligten führen.

Das Erinnerungsweben als Kunst und Ritual

Die Fähigkeit, Erinnerungen zu weben, besitzt in Elindros auch eine tiefgehende kulturelle Dimension. In Zeremonien und Ritualen könnten Losniws bedeutende Ereignisse kunstvoll weben, um die Geschichte zu bewahren und weiterzugeben. Sie werden so zu „Hütern der Erinnerung“ und tragen das Wissen über vergangene Zeiten lebendig in die Gegenwart – eine Aufgabe, die mit großem Respekt und Würde in der Gesellschaft betrachtet wird.

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Die Losniws – Manipulanten, durch und durch! All diese Hinweise führen nur zu einem Schluss: Es kann keine andere Erklärung geben! Dass der König ausgerechnet Velris, nach allem was sie getan hat, vergeben haben soll? Es liegt auf der Hand, dass einer von ihnen seine Erinnerungen manipuliert haben muss! Doch solche Macht wird nur den begabtesten Losniw nachgesagt. Ob Velris selbst dieses Potenzial jemals besessen hat? Reine Spekulation. Aber wie viele Losniw wären nötig, um ganz Elindros in die Fänge dieser Lüge zu treiben? Welcher Grund sollte den König je dazu bewegen, den Mörder von Keldor Entium zu begnadigen? Schließlich hat das Königreich mit seinem Verlust einen der beiden mächtigsten Beschützer verloren. Es muss einen tieferen Grund geben, etwas, das sich meinem Verstand entzieht. Und dennoch – kann ich Zyars Worten in dieser Sache wirklich trauen?

Seit Jahrhunderten besitzen die Losniw den Sonatius Mortaeda. Und dank der Entscheidung meiner selbstsüchtigen Mutter liegt diese Bürde nun bei mir. Doch ohne jemanden, der diese Macht einsetzen kann – wo ist das uralte Wesen jetzt? Wo ist der Sonatius Mortaeda in all den Jahren verblieben?

Meine Gedanken kreisen endlos und bringen keine klare Antwort hervor. Doch eine Sache ist sicher: Die Wahrheit liegt verborgen in der Vergangenheit – und sie ruht in den Händen von Eldralith. Ja, ich hab’s! Wenn ich meine Kräfte nur genug stärke, könnte ich die Erinnerungen der Vergangenheit selbst weben und so Eldralith erreichen, die längst Verstorbene!

Entschlossen lasse ich mich in mein Bett sinken, das samtweiche Kissen unter meinem Kopf, die Decke schützend über mich gezogen. In der Welt der Menschen war gerade Sommer, aber hier regiert bereits die Kälte. Der Kamin im Wohnzimmer sendet seine Wärme in alle Räume des Hauses, die blauen Flammen – unverkennbar Zyars Werk – tauchen das Zimmer in ein sanftes Glühen.

Vor dem Schlaf versinke ich noch einmal in Gedanken. Über den Mann, den ich einst Vater nannte und der nun mit meinem Verschwinden leben muss. Über Isilyn, meine Mutter, die mich diesem Schicksal überlassen hat, und über meinen leiblichen Vater, den ich nie kennenlernen durfte. Lebt er noch irgendwo in Elindros, in den Schatten meines Schicksals verborgen? Warum floh meine Mutter mit mir in die Menschenwelt? Und ist sie jemals zurückgekehrt? Seit meiner Ankunft in dieser fremden Welt verstummte auch die geheimnisvolle Stimme, die mich einst geführt hatte. War das Absicht?

Die tiefe Stille der Nacht und das unaufhörliche Rauschen meiner Gedanken wiegen mich schließlich in den Schlaf. Am nächsten Morgen werde ich vom leisen Plätschern der Kairon geweckt. Die Decke, die mich am Abend zuvor noch umhüllte, sehe ich erneut vor mir. Ein neuer Tag bricht an. Zyar hat geplant, heute mit mir an meinen Kräften zu arbeiten. Sicher will er prüfen, wie mächtig die zukünftige Herrscherin von Elindros wirklich ist.

Ohne Zeit zu verlieren, mache ich mich bereit und eile in das unterste Stockwerk – doch niemand ist da. Wahrscheinlich sind sie bereits im Garten. Plötzlich höre ich ein helles Pfeifen und drehe mich erschrocken um.

„Magst du etwas essen, bevor du mit deinem Training beginnst?“, fragt Sylas, ein freundliches Lächeln auf den Lippen. „Ich habe eines eurer Menschengerichte ausprobiert. In Dämmerhain habe ich köstliche Erdbeermarmelade ergattert. Ich hörte, dass ihr das auf euer Brot schmiert.“

„Was hattest du in Dämmerhain verloren?“, frage ich erstaunt und nehme mir ein Stück Brot mit Marmelade. „Das ist doch am anderen Ende von Velarion!“

Er nippt an seinem dampfenden Getränk, das verdächtig nach Kaffee aussieht. Aber hier, in Elindros, könnte es alles Mögliche sein…

„Mein Vater und ich mussten eine ganze Weile nach dir suchen“, gesteht Sylas kopfschüttelnd und mit einem Hauch von Erschöpfung in der Stimme. „In Elindros wusste niemand, dass die Tochter von Isilyn Entium zur Prinzessin der Menschenwelt geworden ist.“

„Woher wusstet ihr überhaupt, nach wem ihr Ausschau halten solltet?“, frage ich, die Neugier tief in meiner Stimme.

„Mein Vater suchte lediglich nach dem Spiegelbild deiner Mutter und hoffte, dass du ihr ähnlich sein würdest“, erwidert Sylas und zuckt leicht mit den Schultern, als wäre die monatelange Suche nichts weiter als ein leises Murmeln in seiner Vergangenheit. „Zuerst waren wir auf Lyndorn, dann am Frostfels, weiter nach Eisenfurt und schließlich nach Dämmerhain. Letztlich beschlossen wir, dich im Königreich selbst zu suchen. Als mein Vater dich an jenem Abend im Ballsaal aus der Ferne erblickte, spürte er dieselben Schwingungen um dich wie einst bei deiner Mutter.“

„Die gleichen… Schwingungen?“, wiederhole ich, die Bedeutung der Worte noch immer nicht vollständig erfassend.

Bevor Sylas mir mehr erklären kann, wird unser Gespräch jäh unterbrochen – ein lautes Räuspern durchbricht die Stille. Zyar steht im Türrahmen, sein Blick ernst und voller Entschlossenheit.

„Dein Blick sollte in die Zukunft gerichtet sein, nicht in die Vergangenheit“, erklärt er ruhig und deutet mit dem Daumen über seine Schulter. „Es wird Zeit, mit deinem Training zu beginnen.“

„Oh, verzeih mir, wenn ich ein wenig deiner kostbaren Zeit beanspruche“, sage ich mit beißendem Sarkasmus und gehe auf ihn zu, die Ungeduld in mir brodelnd. „Ich bin kaum ein paar Stunden in dieser Welt und soll mich schon bereitwillig dem Sonatius Mortaeda als Gefäß hingeben, um anschließend den Thron von Elindros zu besteigen. Glaubst du nicht, dass ich das Recht habe, ein paar Antworten zu bekommen?“

„Nein“, erwidert Zyar ohne zu zögern, seine Augen kalt und undurchdringlich. „Ich verstehe, dass alles neu und überwältigend für dich ist, aber uns bleibt keine Zeit für Zweifel.“

Ich kann die Anspannung in meiner Stimme kaum verbergen, als ich ihn herausfordernd ansehe. „Zyar, was ist dein eigentliches Ziel?“, frage ich leise, doch meine Worte haben das Gewicht eines scharfen Schwertes. „Warum willst du den König stürzen?“

„Es ist nicht mein Wunsch, irgendjemandem Leid zuzufügen, Ves“, antwortet er, aber die Ruhe in seiner Stimme überzeugt mich nicht. „Die Prophezeiung zeigt für Elindros einen anderen Weg.“

„Welche Prophezeiung?“, hake ich nach, meine Ungeduld nun deutlich.

„Die, die das Gleichgewicht in Elindros wiederherstellen soll“, entgegnet er, doch seine Antwort bleibt vage und verschlossen.

„Elindros ist im Gleichgewicht!“, widerspreche ich, meine Stimme nun ein wenig höher vor Verwirrung. „Die Kairon, Aetherion und das Bündnis zwischen den Losniw und dem Sonatius Mortaeda – sie sorgen doch für Stabilität.“

Zyar wirft mir einen prüfenden Blick zu. „Glaubst du, dieser Zustand ist wirklich geeignet für Elindros?“, fragt er herausfordernd. „Allein die Tatsache, dass wir so wenig über das Nexari wissen, bringt uns an den Rand der Unwissenheit. Das Problem beginnt genau dort.“

Verwirrt starre ich ihn an. Was will er damit sagen? Dass wir nicht alles wissen, ist doch selbstverständlich! Genau das macht das Leben doch so… lebendig. Versteht er nicht, dass er nie eine Welt des vollkommenen Friedens schaffen kann?

„Wie gedenkst du, all die Elindine, die König Valron Feroy treu ergeben sind, von dieser Prophezeiung zu überzeugen?“, frage ich, die Worte fast nur flüsternd, während ich versuche, seine Absicht zu begreifen.

Zyar klatscht einmal in die Hände, als wolle er die Zweifel mit einem einzigen Schlag zerstreuen. „Sobald der Sonatius Mortaeda dir seine Macht verleiht, wird ganz Elindros der neuen Königin folgen.“

Ein flaues Gefühl zieht sich durch meinen Magen. „Das fühlt sich… falsch an“, gebe ich zu, meine Worte kaum mehr als ein leises Geständnis.

Zyar scheint meine Bedenken nicht wahrzunehmen. Er wirft mir einen kurzen, prüfenden Blick zu, dreht sich dann abrupt um und tritt durch die Tür in den Garten hinaus. Mit einem raschen Handzeichen über der Schulter deutet er mir an, ihm zu folgen.

„Das ist dein Schicksal, Ves“, sagt Sylas leise hinter mir. Ich drehe mich um und sehe ihn enttäuscht an – er, mein Beschützer, der mir einst ewige Treue schwor. „Ich weiß, dass sich vieles falsch anfühlt, aber die derzeitige Lage in Elindros kann nur durch dich verbessert werden.“

Während ich Zyar schweigend folge, kreisen die Worte von Sylas unaufhörlich in meinem Kopf. Das Astralis ist in meinem Besitz. Allein dieser Gedanke eröffnet mir ein Netz an Fluchtwegen: Ich könnte zurück in die Menschenwelt reisen oder mich in eine andere Dimension retten, ein Leben führen fern von der Last dieser Prophezeiung, fern von Elindros. Ein Leben ohne Bürde. Doch dann erinnere ich mich an meine Entscheidung, Lord Louweris beinahe das Leben zu nehmen – und die Ahnung packt mich, dass es für mich, hier oder in irgendeiner fremden Welt, keine Ruhe mehr geben wird. Ich könnte mir selbst entkommen und dennoch… was, wenn ich dort einem neuen Schicksal entgegentrete, das mich am Ende mein Leben kostet? Nein. Der einzige Weg führt mich nach vorn, hier in Elindros, an Zyars Seite, bis ich mehr über meine wahre Herkunft herausfinde. Die Wahrheit ist das einzige, was mir noch bleibt.

„Stell dich hierhin“, befiehlt Zyar schneidend und zeigt auf eine Markierung im Gras. Sein Blick lässt keinen Widerspruch zu. „Dein Training wird in mehreren Etappen stattfinden. Die nächsten Tage werden alles von dir fordern. Ich habe viel über die Lehren der Losniw gelernt und werde dich bis an deine Grenzen treiben. Ein Versagen – das akzeptiere ich nicht.“

Versagen. Das Wort hallt in mir nach, pocht wie ein Schlag gegen meinen Stolz. Ich soll die zukünftige Königin von Elindros sein, und er erlaubt sich, in einem Ton mit mir zu sprechen, der so wenig Respekt erkennen lässt? Ich sehe auf den Punkt im Gras und spüre, wie Zweifel sich wie eine schwarze Wolke in mir ausbreitet. Wie sehr kann ich Zyar wirklich trauen?