Sylas stürmt die Stiegen hinunter, jeder seiner Schritte hallt wie ein verzweifelter Herzschlag durch die Enge des Treppenhauses. Erst, als wir den geheimen Raum mit seiner Hilfe verlassen haben, wird mir klar, dass ich allein niemals entkommen wäre. Und das weiß auch Sylas. Er hat sich bewusst dafür entschieden, den Feinden gegenüberzutreten – oder besser gesagt, seinen Leuten nicht den Rücken zuzukehren.
Die Schreie aus dem Dorf dringen immer lauter zu uns, ein chaotischer Chor aus Angst und Schmerz, der von den Wänden widerhallt. Mit jedem Schrei verzieht Sylas das Gesicht, und ich spüre seine Anspannung wie eine unsichtbare Klinge in der Luft. Sekunden später erreichen wir die massive Eingangstür.
Sylas bleibt stehen. Seine Hand ruht auf dem Türgriff, doch er bewegt sich nicht. Stattdessen wirft er mir einen Blick zu – ein kurzer, doch voller Zweifel. Sein Gesicht verrät, dass er noch immer mit der Entscheidung ringt, die er im geheimen Raum getroffen hat. Er weiß, dass der Schutz des Dorfes über allem steht, dass er handeln muss – sofort. Doch in seinem Inneren lodert ein anderer Kampf.
Die Angst, die in seinen Augen steht, hat nichts mit den Schreien draußen zu tun. Nein, Sylas fürchtet, sich gegen seinen Vater zu stellen. Und diese Angst, so scheint es, ist schlimmer als alles, was hinter der Tür auf uns wartet.
Entschlossen stößt Sylas die schwere Tür auf, die knarrend ihrem Widerstand nachgibt, und tritt hinaus. Sofort schlägt mir ein stechender, giftiger Geruch entgegen, der meine Lungen angreift und meine Sinne benebelt. Ist dies das berüchtigte Mord Vupu? Jener tödliche Nebel, vor dem Sylas mich erst kürzlich gewarnt hatte? Ein Gift so stark, dass es bereits in den ersten Atemzügen seine vernichtende Wirkung entfaltet.
Noch bevor ich die Situation begreife, zieht sich mein Hals wie unter unsichtbaren Fesseln zusammen. Ein Würgen bricht aus mir hervor, gefolgt von Hustenanfällen, die mir die Luft rauben. Mein Körper ringt verzweifelt nach Sauerstoff, doch jeder Atemzug verstärkt nur die brennende Qual. Die Welt um mich herum verschwimmt, während das Leben aus meinem Griff zu entgleiten droht.
Doch Sylas zögert nicht. Mit der Ruhe und Präzision eines Elindine, der solche Gefahren kennt, legt er mir seine Hand über den Mund. Ein kaltes, klares Gefühl breitet sich auf meinen Lippen aus, wie das Flüstern eines eiskalten Flusses. Plötzlich lockern sich die unsichtbaren Fesseln um meine Brust, meine Atemwege öffnen sich, und die stickige Luft verliert ihre tödliche Schärfe. Keuchend blicke ich zu meinem Gefährten hinüber, dessen Augen vor Entschlossenheit glühen.
Über Sylas’ Lippen schimmert eine dünne, schützende Schicht aus Wasser, und ich erkenne, dass er mir den gleichen Schutz gewährt hat.
„Das ist Elysea“, erklärt er knapp, seine Stimme ruhig, aber voller Dringlichkeit. „Ein Wasser von außergewöhnlicher Reinheit. Es stammt aus dem Teich der Kairon. Es vermag alle Gifte der Außenwelt abzuwehren. Es schützt deine Poren und verhindert, dass der Nebel über Mund und Nase in deinen Körper eindringt.“
„Aber?“ Meine Stimme ist brüchig, doch ich spüre, dass ein Haken in seiner Erklärung lauert. Sonst wäre das Mord Vupu – das tödliche Gift, das Elindros in Angst hält – nicht derart gefürchtet.
Sylas nickt düster. „Das Elysea ist flüchtig. Bloß durch die ständige Verbindung mit den Kairon verliert es nicht an Kraft. In kleinen Mengen beginnt es an der Luft sofort zu verdunsten. Wir haben nur wenige Minuten, bevor sein Schutz erlischt.“ Seine Worte sind wie ein Trommelschlag in der Stille. „Die Bunker unter dem Dorf – sie sind unsere einzige Chance. Mein Vater hat die Wände mit Rohren durchzogen, durch die ununterbrochen Elysea fließt. Sie halten jedes Toxin fern.“
Ich nicke, eine Erwiderung überflüssig, denn die Zeit drängt. Doch bevor wir losstürzen können, erfasst mein Blick etwas, das mir den Atem erneut raubt – diesmal vor Entsetzen. Die Häuser, in denen die Solniw noch vor wenigen Stunden lebten, brennen lichterloh. Die Flammen fressen sich gierig durch das Holz, das unter ihrem heißen Griff laut knackt und splittert. Rauch steigt in dicken Schwaden auf.
Unter den einstürzenden Ruinen des Gebäudes erblicke ich einen Arm, der geisterhaft aus den Trümmern ragt. Mein Atem stockt, während Sylas meinem Blick folgt. Plötzlich sprintet er mit der Geschwindigkeit eines Raubtiers los, wirft sich vor den Trümmern auf die Knie, und für einen endlosen Augenblick schweigt die Welt. Dann, wie ein Vulkan, bricht seine Verzweiflung hervor – ein Schrei, roh und von Schmerz durchzogen, zerreißt die Luft.
Mit wilder Entschlossenheit beginnt er, die Trümmer zu zerschlagen, seine Fäuste hämmern auf den Boden. Doch es reicht nicht. Seine Stärke, so gewaltig sie auch ist, kann die Last der Vergangenheit nicht heben.
„Hätte ich sie doch niemals verlassen!“, brüllt er, seine Stimme bebt vor Selbstvorwürfen.
Er weiß genau, wen er dort unter den Trümmern entdeckt hat. Für die Solniw sind Gesichter nicht nötig; sie kennen sich wie Brüder und Schwestern einer uralten Familie.
„Ich hätte sie retten können... jeden Einzelnen. Keiner hätte so sterben müssen!“
Seine Worte schneiden durch die Stille, und für einen Moment wage ich kaum, zu atmen. Schließlich knie ich mich neben ihn, lege ihm eine zitternde Hand auf die Schulter.
„Sylas“, sage ich leise, meine Stimme kaum mehr als ein Hauch. „Das Geschehene kann nicht ungeschehen gemacht werden. Ich verstehe deinen Schmerz, aber das Elysea hält nur Minuten. Es gibt noch Leben zu retten – Leben, die von uns abhängen. Wir dürfen nicht zögern.“
Er verharrt, seine Fäuste zittern, dann gibt er einen letzten, frustrierten Schlag auf den Boden. Sein Atem geht schwer, als er sich langsam erhebt. Mit einem Blick, der tausend unausgesprochene Worte trägt, nickt er mir zu.
„Wenn wir auf einen Sualtier treffen“, sagt er dann, seine Stimme seltsam ruhig, „Darfst du nicht kämpfen. Versprich mir, dass du dich in Sicherheit bringst.“
Ich antworte nicht. In mir tobt die Gewissheit, dass ich nicht weglaufen werde – nicht, wenn es darauf ankommt. Aber ich nicke, wissend, dass ich die wertvollen Minuten des Elysea nicht mit einem sinnlosen Streit verschwenden darf. Wortlos wenden wir uns ab, lassen die leblose Gestalt des Solniw hinter uns, während uns die brennenden Häuser mit ihrem Knistern begleiten.
Die Stille drückt wie eine unsichtbare Last auf unsere Schultern. Sie ist keine bloße Abwesenheit von Geräusch, sondern eine Vorahnung, ein drohendes Knurren im Schatten. Jeder Atemzug wird von der Angst zerschnitten, dass der Feind jeden Moment zuschlägt – unbarmherzig, gnadenlos, und dass uns keine Sekunde bleibt, um zu reagieren.
Mit jedem Schritt, der uns näher zum Herzen des verwüsteten Dorfes führt, offenbart sich eine grausame Galerie der Verlorenen. Die Opfer des Mord Vupu liegen verstreut, ihre deformierten Körper ein Mahnmal des Schreckens. Der giftige Nebel hat ihre Haut in ein unnatürliches Violett verwandelt – ein grausamer Beweis für den erbarmungslosen Tod, der ihnen die Luft zum Leben nahm. Noch immer brennt die Erinnerung an das erstickende Gefühl in meiner eigenen Kehle. Es war ein Tanz am Rande des Nichts.
Sylas’ Augen flackern kurz zu den Leichen, bevor er seinen Blick abrupt abwendet, als wolle er die Bilder aus seinem Bewusstsein verbannen. Doch ich sehe die Anspannung in seiner Haltung, den Schmerz, den er stumm mit sich trägt. Was auch immer er fühlt, es ist tief und durchdringend – ein Riss, der nie verheilen wird.
Wie konnte ich jemals glauben, dass die Bewohner von Elindros keine Worte für Hass, Mord oder Krieg kennen? Naiv war ich, hoffnungslos verblendet von einer Vorstellung, die sich nun als Illusion entpuppt. Gibt es überhaupt eine Dimension, in der nur Frieden herrscht? Kann wahre Ordnung existieren, wenn es kein Chaos gibt, das ihr die Form gibt? Oder ist der Frieden ein Trugbild, ein trügerisches Licht, das nur in der Dunkelheit leuchtet?
„Lasst sie in Ruhe!“ Die Worte schallen wie ein Donnerschlag durch die Luft, ihre Herkunft zunächst ungewiss. Doch die Stimme ist unverkennbar und lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Ehe mein Verstand das Gehörte fassen kann, rast Sylas bereits los, wie ein Pfeil, der seinem Ziel entgegeneilt. Ohne zu zögern, folge ich ihm, meine Schritte schwer von der drohenden Gefahr, die in der Luft liegt.
Der Weg führt uns in eine schmale, düstere Gasse, deren Ende von einem verwüsteten Park dominiert wird. Die Szenerie ist beklemmend: Zerstörte Bäume, aufgerissene Erde, eine Welt am Rande des Verfalls. Und am Eingang des Parks – eine Gestalt, die ich nie erwartet hätte.
Frau Strömert.
Sie steht wankend einem Sualtier gegenüber, dessen Griff um Mirael wie ein eisernes Band wirkt. Das Mädchen windet sich verzweifelt, strampelt mit den Beinen, doch die Klauen des Feindes sind unerbittlich. Frau Strömert keucht schwer, Blut tropft von einer tiefen Wunde an ihrem rechten Arm, und ihre Augen sind erfüllt von Verzweiflung. Direkt hinter ihr lauert ein zweiter Sualtier, sein Gesicht halb verborgen hinter einer Maske, die nur seine kalten, gierigen Augen preisgibt. Doch nur er ist es, der meinen Blick fesselt – seine blutunterlaufenen Augen glühen wie Feuer, eine grausame Verheißung.
„Sie haben uns noch nicht bemerkt“, flüstert Sylas mit knapper Erleichterung. Sein Blick ist wachsam, sein Körper angespannt wie eine gespannte Feder. „Bleib hier und halte dich bedeckt. Ich werde Frau Strömert und Mirael helfen. Allein schaffen sie das nicht.“
Ich nicke, wenn auch widerwillig, und beobachte, wie er sich lautlos vorarbeitet, die Gefahr fest im Blick. Mein Herz schlägt unkontrolliert, während ich mit zitternden Händen den weiteren Verlauf abwarte.
„Lasst meine Tochter gehen! Nehmt mich!“, fleht Frau Strömert plötzlich, ihre Stimme brüchig und von Tränen erstickt. „Sie ist doch nur ein Kind!“
Die Worte verhallen, doch der Sualtier, der Mirael gefangen hält, antwortet nicht. Stattdessen hebt er einen Finger, zieht langsam eine unsichtbare Linie in die Luft – und das Unvorstellbare geschieht. Frau Strömerts Körper sackt plötzlich zusammen, während ihr Kopf mit einem dumpfen Laut auf den Boden rollt.
Mirael versucht zu schreien, doch ihre Stimme versagt. Ihr Blick flackert, als würde ihr Geist in die Schwärze abdriften.
„Ihre Tochter ist wertvoller für uns“, knurrt der zweite Sualtier, dessen Lachen in der Nacht widerhallt. „Bringen wir sie zu den anderen.“
Doch bevor sie Mirael fortschleppen können, zischt plötzlich eine flüssige Peitsche aus Wasser durch die Luft und trifft den Rücken des ersten Sualtiers mit brutaler Wucht. Ein erstickter Aufschrei entfährt ihm, und sein Griff lockert sich reflexartig. Mirael fällt schwer zu Boden, rollt sich ab und rennt los, so schnell ihre schwachen Beine sie tragen können.
„Verdammtes Gör!“, faucht der Angreifer, seine Hand auf die schmerzende Wunde pressend. „Ich werde sie mir noch holen!“
Sein Partner will ihr hinterherstürzen, doch plötzlich tritt Sylas in den Weg. Seine Augen lodern vor Zorn, sein Blick verharrt kurz auf Frau Strömerts reglosem Körper, und ich sehe, wie seine Hände sich zu Fäusten ballen.
Mirael erblickt mich im Augenwinkel und steuert taumelnd auf mich zu. Ich hebe die Arme, um sie aufzufangen, während der Mörder von Frau Strömert Sylas mit drohender Stimme anfährt: „Willst du auch sterben?“
Bevor Sylas antworten kann, hebt der Sualtier erneut die Hand, um eine tödliche Linie in die Luft zu ziehen. Doch dieses Mal prallt die unsichtbare Klinge an einer Barriere ab, die wie aus dem Nichts auftaucht.
Überrascht hält der Angreifer inne, seine Haltung wechselt abrupt in eine angespannte Kampfstellung.
Ein leises, gefährliches Zischen dringt aus seinen Lippen: „Interessant.“ Er lehnt sich leicht vor, seine Präsenz wird noch bedrohlicher. „Das macht dich noch spannender.“
Sylas, sonst stets gefasst und still, wirkt wie ein Sturm, der sich zusammenbraut. Die Luft um ihn flimmert vor aufgeladener Energie, und seine Stimme, dunkel und bedrohlich, lässt keinen Zweifel daran, dass er keinen Schritt zurückweichen wird.
„Heute zahlst du für alles, was du getan hast.“
Der erste Sualtier lacht schallend, ein Echo von Arroganz in seiner Stimme. „Das soll alles sein?“ Er wirft Sylas einen Blick zu, in dem kein Anflug von Respekt liegt – nur Verachtung. Sein Partner, ein stämmiger Kerl mit düsterer Miene, bleibt schweigend stehen, die Hände locker an den Dolchgriffen in seinem Gürtel.
Sylas’ Augen verengen sich, sein Gesicht verhärtet. Die Luft um ihn beginnt zu beben, ein unheilvolles Kribbeln breitet sich aus. Mit einer langsamen, aber entschlossenen Bewegung hebt er die linke Hand. Seine Finger malen spiralförmige Muster in die Luft, die wie unsichtbare Ströme von Energie wirken.
Plötzlich schnellt der stämmige Sualtier nach vorne, doch er kommt nicht weit. Ein heftiges Würgen zerreißt die Stille. Er greift sich an die Kehle, seine Augen weiten sich vor Entsetzen, während seine Haut fahl wie Kreide wird. Sylas hebt die Hand höher, sein Zeigefinger ruckt nach unten, und überall auf dem Körper des Sualtiers schimmern rote Flecken auf. Es ist ein grausames, fast organisches Schauspiel – die Blutbahnen platzen unter der Haut wie zerreißende Fäden, sein Körper sackt in sich zusammen.
„Bastard!“, schreit der andere Sualtier, doch er hält sich zurück, starrt Sylas mit einer Mischung aus Wut und Furcht an.
Der tote Mann fällt zu Boden, wie eine leere Hülle, die vor Sekunden noch von Leben erfüllt war.
„Mieser Bastard“, knurrt der verbliebene Sualtier, seine Stimme scharf und durchdrungen von Abscheu. „Du bist wie er... Ich sehe es genau. Du benutzt dasselbe Wunderzeug, um unser Gift zu überleben. Du bist sein Sohn, nicht wahr?“
Sylas’ Zorn schwillt an, wie ein Sturm, der sich entlädt. „Was habt ihr mit meinem Vater getan?!“ brüllt er, seine Stimme dröhnt wie Donner. Er reißt die Arme auseinander, und aus seinen Händen formen sich zwei peitschende Ströme aus Wasser, die in der Luft zischen. „Ich werde jeden einzelnen von euch auslöschen, bis niemand mehr von euch übrig ist!“
Der Sualtier verschränkt die Arme vor der Brust. „Das würde ich zu gern sehen. Aber wenn er dein Vater ist, dann haben meine Leute ihn längst überwältigt.“ Er weicht zurück, sein Körper beginnt, sich zu verändern. Die Konturen seines Gesichts lösen sich auf, sein Körper zerfließt wie Rauch. „Es wird mir ein Vergnügen sein, dich zu ihm zu schicken.“
Das Dorf Solnya liegt in Ruinen. Die Straßen sind von Feuer erleuchtet, und der Gestank von verbranntem Holz und Blut liegt schwer in der Luft. Ein stetiger Wind peitscht durch die zerbrochenen Fenster und lässt die Reste der Gebäude flackern. Sylas steht mitten im Chaos, seine Augen fest auf die beiden Cata Sualti gerichtet, die sich ihm entgegenstellen. Der eine liegt schon leblos am Boden, zerbrochen und entstellt durch Sylas’ letzte Bewegung, doch der andere bleibt ruhig, seine Augen kalt und leer, sein Körper beginnt sich zu verändern.
Ohne Vorwarnung löst sich der verbleibende Sualtier wie Nebel in die Luft. Seine Form zersplittert und verflüssigt sich, verschwimmt mit der kühlen Nachtluft, sodass nur noch ein flimmernder Dunst übrigbleibt.
„Du kannst nicht gewinnen“, zischt die Stimme aus dem Nebel, als ob sie von allen Seiten käme, aus der Luft, den Häusern, dem Boden selbst.
Sylas‘ Augen verengen sich. Ein kurzer Blick auf den leblosen Körper des ersten Sualtiers – der Kampf ist noch nicht vorbei. Er hebt die Hände, das Wasser um ihn beginnt zu wirbeln, als ob es ein eigenes Leben hätte.
„Komm raus, du Feigling!“ Sylas’ Stimme hallt zwischen den Trümmern wider. Doch der Nebel bleibt stumm, die Luft zittert nur schwach.
Plötzlich zuckt der Nebel auf und nimmt wieder Form an – diesmal hinter Sylas. Eine blitzschnelle Bewegung, als würde der Sualtier direkt aus dem Nichts erscheinen. Sylas wirbelt herum, doch der Sualtier ist schneller. Ein dunkler Schatten, ein wabernder Körper, der sich in Sekundenschnelle zusammensetzt und mit einer mächtigen Faust nach Sylas schlägt. Die Luft um den Schlag herum zerreißt, der Wind heult.
Sylas weicht blitzschnell aus, doch der Sualtier ist wieder weg, löst sich in eine andere Richtung auf, schießt wie ein schwarzer Strahl in die Ferne und kehrt wie ein unheimlicher Schleier zurück. Es ist, als würde der Nebel selbst ihm gehören, und der Sualtier wird mit jedem Moment gefährlicher.
„Du kannst mich nicht fassen“, höhnt der Nebel, und seine Stimme wird immer mehr zu einem Flüstern, das aus allen Richtungen zu kommen scheint. „Der Nebel ist mein Reich, und du bist nur ein Spielzeug.“
Sylas’ Zorn wächst, seine Züge verhärten sich. Er dreht sich im Kreis, die Wasserpeitschen surren durch die Luft, schneiden den Nebel. Doch jedes Mal, wenn er einen Treffer landet, zerreißt der Nebel wie zerplatzende Blasen und bildet sich sofort neu. Der Sualtier ist nicht mehr als eine gespenstische, sich ständig wandelnde Form.
„Feigling!“ Sylas brüllt, als er erneut die Peitsche auf die Nebelform zuschlagen lässt. Diesmal jedoch lässt er die Peitsche in einem langen Bogen um sich kreisen, ein Strudel aus Wasser, der den Nebel erfasst und in sich aufnimmt. Doch der Sualtier weicht erneut geschickt aus und verschwindet in einem Augenblick.
Wieder kommt der Sualtier, diesmal aus einer anderen Richtung, blitzschnell und tödlich. Sylas spürt den Zug des Angriffs zu spät, doch ein instinktiver Sprung rettet ihn. Die Klinge des Sualtiers, nun aus einer flüssigen Nebelmasse geformt, schneidet durch die Luft und trifft mit einer Wucht, die Sylas beinahe von den Füßen reißt. Blut spritzt aus einer tiefen Wunde an seiner Seite, doch er reagiert schneller als der Nebel selbst.
This narrative has been unlawfully taken from Royal Road. If you see it on Amazon, please report it.
Er stößt einen heiseren Schrei aus und richtet seine Arme in einem letzten, verzweifelten Versuch in die Luft. Die Peitschen aus Wasser bilden einen gewaltigen Strudel, der sich um den Sualtier windet und ihn zu fesseln scheint. Der Sualtier kämpft gegen den Wirbel, doch die Peitschen zerren an ihm, die Kraft des Wassers zieht die Form auseinander. Sylas’ Augen blitzen vor Entschlossenheit.
Doch der Nebel scheint unaufhaltsam. Langsam löst sich der Sualtier wieder in einen schwachen Dunst auf, entgleitet Sylas’ Griff und verflüchtigt sich in die kühle Nachtluft. Sylas’ Wasserpeitschen schlagen ins Leere. „Du bist gut“, sagt der Sualtier, jetzt nur noch als verzerrte Silhouette im Nebel. „Aber du wirst mich nicht fassen. Du bist zu langsam.“
„Das werden wir noch sehen“, faucht Sylas. Er beugt sich vor, atmet tief ein, die Handflächen fest zusammengepresst. Seine Wasserpeitschen beginnen sich zu verdichten, die Luft um ihn herum vibriert, als er die ganze Macht des Wassers in sich sammelt.
Der Nebel kommt wieder, diesmal noch schneller, noch gefährlicher. Doch Sylas ist bereit. Mit einem einzigen, wütenden Aufschrei entfesselt er die volle Gewalt des Wassers – ein riesiger Wasserstrudel, der alles in seiner Nähe mit sich reißt. Der Nebel zerreißt, der Sualtier wird von der Welle mitgerissen, seine Form flackert und bricht auseinander.
„Du bist ein interessanter Gegner“, spricht der Sualtier, dessen Stimme wie ein Echo aus allen Himmelsrichtungen zu kommen scheint. „Wie viele Jahre ist es wohl her, dass ich auf jemanden wie dich gestoßen bin? Ich kann dir versprechen, dein Tod wird lang und von unvorstellbarem Schmerz begleitet sein. Einen Gefallen mache ich dir, Solniw. Doch bevor du stirbst, werde ich mich noch um etwas anderes kümmern.“
Kaum habe ich die Worte verarbeitet, da spüre ich es: ein eiserner Griff um meinen Hals. Der Sualtier hat wieder Form angenommen, und in einem Augenblick, der sich wie eine Ewigkeit anfühlt, hat er mich fest in seinen Fängen. Sein Griff ist wie Stahl, unerbittlich und zermürbend. Die Luft um mich herum wird dünner, als ob der Nebel selbst mir das Leben entziehen will.
„Mirael, lauf!“ schreit Sylas, doch die Worte erreichen mich nur gedämpft. Miraels panisches Kreischen hallt in meinen Ohren, als sie sich rückwärts taumelnd entfernt. Doch nach wenigen Augenblicken sinkt sie zu Boden, ihre Beine geben nach, als hätten sie den Schmerz und die Angst nicht mehr tragen können. Sie klammert sich an den Boden, ihre Augen weit aufgerissen vor Entsetzen, während ihr Körper vor Furcht zittert. Verzweifelt dreht sich Sylas in unsere Richtung, die Wasserpeitschen bereit, um mich zu befreien. Doch der Sualtier ist schneller.
„Nein, nein, nein“, wispert er durch die Stille, seine Stimme flüsternd und durchtränkt von einem abgrundtiefen Genuss. Er nähert sein Gesicht meinem, sein Atem heiß und schneidend an meinem Hals. „Das Blut des Todes... Endlich.“
„Du wirst es bereuen, wenn du ihr ein Haar krümmst“, entfährt es Sylas, seine Stimme von Zorn und Entschlossenheit durchzogen. Sein Arm schießt schützend vor Mirael, als wolle er sie vor allem Bösem bewahren.
„Dem Gefäß Schaden zufügen?“, fragt der Sualtier ungläubig, und ein verrücktes, kehliges Lachen entfährt ihm. „Sie ist viel zu kostbar, um sie wie diese arme, alte Frau abzuschlachten. Nein, nein, das wäre zu einfach.“
„Das... Gefäß?“ Mirael wiederholt die Worte, die mir wie ein Messer in die Brust schneiden. Sie dreht sich zu ihrer Mutter, ihre Augen nun voller Schmerz und Verwirrung. „Liora ist das Gefäß des Sonatius Mortaeda…? Sie ist der Grund für den Tod meiner Mutter? Eine Losniw?“
Die Worte treffen mich wie ein Schlag ins Gesicht. Die Entfaltung meiner Herkunft – längst verborgen, lange verdrängt – reißt eine klaffende Wunde in mein Innerstes. Ich hatte mich zuvor gefragt, ob es einmal ein Problem sein würde, wenn die Elindine wüssten, woher ich stamme. Und jetzt, da Mirael mir mit dieser Erkenntnis in die Augen blickt, ist es, als ob die ganze Welt auf mir lastet. Sie, die mir gerade noch mit zitternden Händen hilfesuchend zu mir gekommen ist, sieht mich nun an, als sei ich ein Monster, das sie nie hätte kennen dürfen. Ihre Augen, die vor wenigen Minuten noch Vertrauen und Sorge gezeigt hatten, sind jetzt voller Hass und Enttäuschung.
„Eine Losniw, die für eine Weltordnung sorgen wird, in der deinesgleichen die niedere Rasse sein wird“, verkündet der Sualtier mit einem grimmigen Lächeln, als würde er den Lauf der Geschichte bereits kennen. „Das war ein netter Kampf, Solniw. Aber meine Aufgabe ist eine andere. Diese werde ich nun beenden. Wir werden uns wiedersehen.“
Und bevor ich etwas tun kann, löst sich der Sualtier erneut in Nebel auf, seine Form zerfließt und zieht mich mit sich. Doch in diesem Moment, als alles um mich herum verschwimmt, fühle ich, wie auch mein Körper zu Nebel wird, mein Dasein sich aufzulösen beginnt.
„Stopp!“, entweicht es mir mit einem letzten verzweifelten Schrei, und zu meiner Überraschung bleibt die Welt um mich herum plötzlich stehen. Der Nebel erstarrt. Die Zeit scheint in diesem Augenblick nicht nur zu brechen, sondern in sich selbst einzufrieren.
Ich blicke panisch umher. Sylas und Mirael stehen wie erstarrt, ihre Gesichter eingefroren in einer starren Bewegung, als wäre die Realität für sie nicht mehr zugänglich. Ihre Blicke sind auf mich gerichtet und doch irgendwie weit entfernt. Hat sich die Zeit wirklich angehalten? Wie ist das möglich? Zyar hat mir doch kaum etwas über das Gedankenweben beigebracht. Habe ich etwa zufällig meine Kräfte aktiviert und die Zeit zum Stillstand gebracht?
„Du bist das erste Gefäß, das sich so schnell fangen lassen hat“, ertönt eine weiche, aber entschlossene Stimme hinter mir. Der Sualtier hat mich immer noch fest im Griff, doch jetzt spüre ich, wie sich eine neue Präsenz manifestiert. Ich kann sie noch nicht sehen, aber ich weiß, dass sie da ist. „Ich konnte nicht länger zusehen.“
In dem Moment tritt eine junge Frau vor mich, mit kastanienbraunem, kurzem Haar, aus dem eine lange, geflochtene Strähne an der Seite hinabfällt und bis zu ihrem Rücken reicht. Ihre grauen Augen mustern mich mit einer Mischung aus Neugier und Enttäuschung. Sie wirkt zierlich, aber es ist eine Kraft in ihr, die ich sofort spüre, als ob sie das Zentrum dieser Zeitpause ist. Sie ist gefährlich, mehr, als ich es mir je vorstellen konnte.
„Wie willst du den Sonatius Mortaeda zähmen, wenn du nicht einmal gegen diesen Sualtier ankommst?“, fragt sie, ihre Augenbraue neugierig angehoben. „Es ist wirklich faszinierend, wie die Cata Sualti auch nach 500 Jahren ihre gewalttätige Natur nicht abgelegt haben.“
„Wer bist du?“ Die Frage entfährt mir verwirrt, doch in meinem Inneren keimt eine Ahnung, wer diese Person sein könnte.
„Eldralith Entium“, stellt sie sich selbstbewusst vor, ihre Stimme klar und bestimmt. Dann legt sie ihre Hand auf den Arm des Sualtiers, und augenblicklich spüre ich, wie sein Griff von meinem Hals weicht. „Vespera, du hast noch viel zu lernen. Du bist das Gefäß, das niemals eines hätte werden dürfen. Deine Reise wird sich von der der anderen Gefäße vor dir unterscheiden.“
Sie stellt sich neben Sylas und zieht eine Phiole aus seiner Jackentasche. Mit einem schnellen Griff erfasst sie seine Hand und legt sie behutsam auf Miraels Mund. Ein sanftes Leuchten erscheint auf Eldraliths Stirn, und daraufhin beginnt auch Sylas’ Hand zu strahlen. Der Schutz, der durch das Elysea gewährt wird, formt sich um Miraels Lippen, um sie vor dem mörderischen Einfluss des Mord Vupus zu bewahren.
Mit einem letzten Blick auf mich, einem fast mütterlichen Lächeln, lässt Eldralith die Zeit wieder ihren Gang gehen.
Die Geräusche kehren zurück – das Tosen des Windes, das Knistern der Flammen, das weite, zerstörte Dorf, das um uns herum immer noch brennt. Doch das Gefühl von Erleichterung, das durch mich hindurchfließt, wird von einer beängstigenden Leere ersetzt.
„Wie?“, fragt der Sualtier, offensichtlich verwirrt und verdutzt, während er nach seinen Händen sieht, die nicht mehr die Kontrolle über mich haben. „Du…“
Doch bevor er etwas sagen kann, durchbricht ein lautes Pfeifgeräusch die Luft – aus nordöstlicher Richtung. Der Sualtier sieht zu mir, und trotz der Maske, die ihn verhüllt, kann ich den Zorn in seinen Augen erkennen.
„Du wirst uns nicht für immer entfliehen können“, zischt er.
Und mit einem letzten Hauch von Nebel löst er sich erneut auf.
Ich atme erleichtert aus und massiere meinen Hals, der noch immer den Druck des Sualtiers spürt. Mirael stürzt zu dem leblosen Körper ihrer Mutter, und Sylas, der mich besorgt ansieht, wartet auf mein Signal. Mit einem knappen Nicken versichere ich ihm, dass es mir gut geht, und dann läuft er zu Mirael, die weinend vor ihrer Mutter kniet.
„Warum bist du in unser Dorf gekommen, wenn du das Gefäß bist?“ Mirael schreit, ihre Tränen glitzern in ihren Augen, während ihr Zorn nur schwer in ihren Worten zu bändigen ist. „Was hat dir meine Mutter je angetan, dass sie wegen dir sterben musste? Sie hat dich mit offenen Armen empfangen, hat dir Nahrung gegeben und dich gut behandelt! Warum? WARUM!“
Ich öffne meinen Mund, doch keine Worte kommen heraus. Alles, was ich hätte sagen können, ist viel zu wenig. Sie hat recht. Sie hat mit allem, was sie sagt, recht.
„Nein, nein, nein“, wispert er durch die Stille, seine Stimme flüsternd und durchtränkt von einem abgrundtiefen Genuss. Er nähert sein Gesicht meinem, sein Atem heiß und schneidend an meinem Hals. „Das Blut des Todes... Endlich.“
„Du wirst es bereuen, wenn du ihr ein Haar krümmst“, entfährt es Sylas, seine Stimme von Zorn und Entschlossenheit durchzogen. Sein Arm schießt schützend vor Mirael, als wolle er sie vor allem Bösem bewahren.
„Dem Gefäß Schaden zufügen?“, fragt der Sualtier ungläubig, und ein verrücktes, kehliges Lachen entfährt ihm. „Sie ist viel zu kostbar, um sie wie diese arme, alte Frau abzuschlachten. Nein, nein, das wäre zu einfach.“
„Das... Gefäß?“ Mirael wiederholt die Worte, die mir wie ein Messer in die Brust schneiden. Sie dreht sich zu ihrer Mutter, ihre Augen nun voller Schmerz und Verwirrung. „Liora ist das Gefäß des Sonatius Mortaeda…? Sie ist der Grund für den Tod meiner Mutter? Eine Losniw?“
Die Worte treffen mich wie ein Schlag ins Gesicht. Die Entfaltung meiner Herkunft – längst verborgen, lange verdrängt – reißt eine klaffende Wunde in mein Innerstes. Ich hatte mich zuvor gefragt, ob es einmal ein Problem sein würde, wenn die Elindine wüssten, woher ich stamme. Und jetzt, da Mirael mir mit dieser Erkenntnis in die Augen blickt, ist es, als ob die ganze Welt auf mir lastet. Sie, die gerade noch mit zitternden Händen hilfesuchend zu mir gekommen ist, sieht mich nun an, als sei ich ein Monster, das sie nie hätte kennen dürfen. Ihre Augen, die vor wenigen Minuten noch Vertrauen und Sorge gezeigt hatten, sind jetzt voller Hass und Enttäuschung.
„Eine Losniw, die für eine Weltordnung sorgen wird, in der deinesgleichen die niedere Rasse sein wird“, verkündet der Sualtier mit einem grimmigen Lächeln, als würde er den Lauf der Geschichte bereits kennen. „Das war ein netter Kampf, Solniw. Aber meine Aufgabe ist eine andere. Diese werde ich nun beenden. Wir werden uns wiedersehen.“
Und bevor ich etwas tun kann, löst sich der Sualtier erneut in Nebel auf, seine Form zerfließt und zieht mich mit sich. Doch in diesem Moment, als alles um mich herum verschwimmt, fühle ich, wie auch mein Körper zu Nebel wird, mein Dasein sich aufzulösen beginnt.
„Stopp!“, entweicht es mir mit einem letzten verzweifelten Schrei, und zu meiner Überraschung bleibt die Welt um mich herum plötzlich stehen. Der Nebel erstarrt. Die Zeit scheint in diesem Augenblick nicht nur zu brechen, sondern in sich selbst einzufrieren.
Ich blicke panisch umher. Sylas und Mirael stehen wie erstarrt, ihre Gesichter eingefroren in einer starren Bewegung, als wäre die Realität für sie nicht mehr zugänglich. Ihre Blicke sind auf mich gerichtet und doch irgendwie weit entfernt. Hat sich die Zeit wirklich angehalten? Wie ist das möglich? Zyar hat mir doch kaum etwas über das Gedankenweben beigebracht. Habe ich etwa zufällig meine Kräfte aktiviert und die Zeit zum Stillstand gebracht?
„Du bist das erste Gefäß, das sich so schnell fangen lassen hat“, ertönt eine weiche, aber entschlossene Stimme hinter mir. Der Sualtier hat mich immer noch fest im Griff, doch jetzt spüre ich, wie sich eine neue Präsenz manifestiert. Ich kann sie noch nicht sehen, aber ich weiß, dass sie da ist. „Ich konnte nicht länger zusehen.“
In dem Moment tritt eine junge Frau vor mich, mit kastanienbraunem, kurzem Haar, aus dem eine lange, geflochtene Strähne an der Seite hinabfällt und bis zu ihrem Rücken reicht. Ihre grauen Augen mustern mich mit einer Mischung aus Neugier und Enttäuschung. Sie wirkt zierlich, aber es ist eine Kraft in ihr, die ich sofort spüre, als ob sie das Zentrum dieser Zeitpause ist. Sie ist gefährlich, mehr, als ich es mir je vorstellen könnte.
„Wie willst du den Sonatius Mortaeda zähmen, wenn du nicht einmal gegen diesen Sualtier ankommst?“, fragt sie, ihre Augenbraue neugierig angehoben. „Es ist wirklich faszinierend, wie die Cata Sualti auch nach 500 Jahren ihre gewalttätige Natur nicht abgelegt haben.“
„Wer bist du?“ Die Frage entfährt mir verwirrt, doch in meinem Inneren keimt eine Ahnung, wer diese Person sein könnte.
„Eldralith Entium“, stellt sie sich selbstbewusst vor, ihre Stimme klar und bestimmt. Dann legt sie ihre Hand auf den Arm des Sualtiers, und augenblicklich spüre ich, wie sein Griff von meinem Hals weicht. „Vespera, du hast noch viel zu lernen. Du bist das Gefäß, das niemals eines hätte werden dürfen. Deine Reise wird sich von der der anderen Gefäße vor dir unterscheiden.“
Sie stellt sich neben Sylas und zieht eine Phiole aus seiner Jackentasche. Mit einem schnellen Griff erfasst sie seine Hand und legt sie behutsam auf Miraels Mund. Ein sanftes Leuchten erscheint auf Eldraliths Stirn, und daraufhin beginnt auch Sylas’ Hand zu strahlen. Der Schutz, der durch das Elysea gewährt wird, formt sich um Miraels Lippen, um sie vor dem mörderischen Einfluss des Mord Vupus zu bewahren.
Mit einem letzten Blick auf mich, einem fast mütterlichen Lächeln, lässt Eldralith die Zeit wieder ihren Gang gehen.
Die Geräusche kehren zurück – das Tosen des Windes, das Knistern der Flammen, das weite, zerstörte Dorf, das um uns herum immer noch brennt. Doch das Gefühl von Erleichterung, das durch mich hindurchfließt, wird von einer beängstigenden Leere ersetzt.
„Wie?“, fragt der Sualtier, offensichtlich verwirrt und verdutzt, während er nach seinen Händen sieht, die nicht mehr die Kontrolle über mich haben. „Du…“
Doch bevor er etwas sagen kann, durchbricht ein lautes Pfeifgeräusch die Luft – aus nordöstlicher Richtung. Der Sualtier sieht zu mir, und trotz der Maske, die ihn verhüllt, kann ich den Zorn in seinen Augen erkennen.
„Du wirst uns nicht für immer entfliehen können“, zischt er.
Und mit einem letzten Hauch von Nebel löst er sich erneut auf.
Ich atme erleichtert aus und massiere meinen Hals, der noch immer den Druck des Sualtiers spürt. Mirael stürzt zu dem leblosen Körper ihrer Mutter, und Sylas, der mich besorgt ansieht, wartet auf mein Signal. Mit einem knappen Nicken versichere ich ihm, dass es mir gut geht, und dann läuft er zu Mirael, die weinend vor ihrer Mutter kniet.
„Warum bist du in unser Dorf gekommen, wenn du das Gefäß bist?“ Mirael schreit, ihre Tränen glitzern in ihren Augen, während ihr Zorn nur schwer in ihren Worten zu bändigen ist. „Was hat dir meine Mutter je angetan, dass sie wegen dir sterben musste? Sie hat dich mit offenen Armen empfangen, hat dir Nahrung gegeben und dich gut behandelt! Warum? WAAARUUUM?“
Ich öffne meinen Mund, doch keine Worte kommen heraus. Alles, was ich hätte sagen können, ist viel zu wenig. Sie hat recht. Sie hat mit allem, was sie sagt, recht.
„Du kannst sie für all das nicht zur Rechenschaft ziehen!“ Sylas’ Stimme schneidet durch die eisige Stille, als er Mirael eindringlich ansieht. „Dass sie in Solnya ist, liegt allein an meinem Vater und mir. Wir wussten, welches Risiko wir eingingen, als wir Vespera länger an einem Ort verweilen ließen.“
„Vespera?“ Mirael wiederholt den Namen mit Verwunderung, bevor sich ihr Mundwinkel zu einem misstrauischen Lächeln hebt. „Selbst dein Name war gelogen? Meine Mutter hatte recht – ihr Losniw seid Abschaum.“
„Mirael!“ Sylas zischt entsetzt.
„Sie hat recht“, gebe ich mit bitterer Stimme zu, während mein Blick über das zerstörte Dorf schweift.
Die Flammen der brennenden Häuser tanzen gegen den Nachthimmel, ihre Glut verdrängt die Sterne. Der süßliche Geruch von Ruß mischt sich mit der Schwere von Verlust. Überall liegen Trümmer einer Vergangenheit, die nie wiederkehrt. Solniws, die auf das Morgen hofften, sind nun nur noch Schatten des Gestern. All dies – nur um das Gefäß zu schützen.
„Worte können deinen Schmerz nicht lindern“, spreche ich schließlich und zwinge mich, Mirael ins Gesicht zu sehen, obwohl der Scham wie eine Last auf meinen Schultern liegt. „Doch ich entschuldige mich. Für alles, was ich verursacht habe. Nun werde ich gehen. Allein. Diese Nacht hat mir gezeigt, welchen Einfluss ich auf diese Welt habe – und welchen Preis andere dafür zahlen.“
„Du kannst doch nicht einfach gehen!“ Sylas’ Stimme ist von Verzweiflung erfüllt, während er auf mich zuschreitet. „Ves, bitte lass dich nicht von deinen Emotionen zu solch einer Entscheidung treiben. Wir werden eine Lösung finden!“
Ich deute auf Mirael. „Das Elysea um ihren Mund – hast du es nicht bemerkt?“
Seine Augen weiten sich, als er Mirael mustert. Mit zittrigen Fingern greift er in seine Jackentasche und holt die Phiole hervor. Sein Blick fällt auf den schwindenden Inhalt, und er erstarrt. „Es wurde benutzt... aber wie? Du kannst das Wasser doch nicht kontrollieren. Das können nur Solniws.“
„Ich habe mit Eldralith gesprochen“, entgegne ich leise.
„Eldralith Entium?“ Sylas’ Stimme ist vor Unglauben durchdrungen. „Aber sie hat vor 500 Jahren gelebt! Wie ist das möglich?“
„Vielleicht sind alle Gefäße verbunden“, vermute ich. „Oder Eldralith hat noch immer eine Verbindung zu uns. Ich weiß es nicht. Doch sie hat mir die Augen geöffnet. Mein Weg ist vorbestimmt, und ich werde ihn gehen. Kein weiteres unschuldiges Leben soll wegen mir leiden.“
„Ich kann meinen Vater nicht zurücklassen!“ Sylas zögert. „Das Dorf braucht mich. Es muss evakuiert werden, und das restliche Mord Vupu muss vertrieben werden! Ich kann meine Leute in dieser Zeit nicht im Stich lassen!“
„Ich verlange das auch nicht“, sage ich leise. „Das Blutpakt bindet dich an mich, aber wenn es einen Weg gibt, dich zu befreien, werde ich ihn finden.“
„Ich will nicht frei sein“, erwidert Sylas nach einem Moment des Schweigens. Seine Augen wandern über Mirael, den toten Sualtier und die reglose Gestalt von Frau Strömert. „Ich werde dich bis ans Ende der Welt begleiten.“
„Sylas, du musst das nicht tun!“ Ich bin entsetzt. „Warum würdest du dein Dorf für eine Fremde verlassen?“
„Weil unser Schicksal uns verbindet“, sagt er mit einem leisen Lächeln.
„Ich komme mit euch.“ Miraels unerwartete Stimme durchbricht die Spannung.
Unsere Blicke richten sich auf sie.
„Der Mörder meiner Mutter lebt noch. Ich werde keinen Frieden finden, bis ich ihn sterben sehe.“
„Mirael, es ist viel zu gefährlich!“ Sylas’ Sorge zeigt sich in seiner Stimme. „Bleib bei deinem Vater. Er wird dich schützen.“
„Sie soll mitkommen“, sage ich schließlich. „Sie...“
„Ich kann für mich selbst sprechen!“ Mirael faucht, ihre Augen funkeln vor Wut. „Wenn du sie beschützen kannst, kannst du das auch für mich. Oder bist du einer Losniw mehr verpflichtet als einer Solniw?“
„So ist es nicht!“ Sylas seufzt und nickt schließlich widerwillig. „Gut, dann kommst du mit. Willst du deinem Vater nicht Lebewohl sagen?“
„Besser nicht“, sagt sie, ihre Stimme betrübt. „Er würde meine Entscheidung nicht verstehen. Wir sollten gehen, bevor er uns sieht.“
Mit schweren Schritten verlassen wir den Ort des Grauens. Die Stille, die sich wie ein Leichentuch über alles legt, lässt keinen Zweifel daran, dass die Sualtier längst verschwunden sind. Doch kaum haben wir einige Meter zurückgelegt, durchbricht ein markerschütternder Schrei die Luft. Wir bleiben wie angewurzelt stehen. Mein Blick trifft Miraels, und in ihren Augen flackert ein Gefühl auf, das ich nur allzu gut kenne – Angst.
Langsam drehen wir uns um. Der Kampfplatz liegt in gespenstischer Ruhe da, doch zwei Gestalten treten ins Bild. Zwei Männer. Der ältere hat schneeweißes Haar, doch seine glasklaren blauen Augen sprechen von einer Kraft, die nicht in einen so gealterten Körper zu passen scheint. Neben ihm steht ein Jüngerer mit schimmerndem, hellgrünem Haar, das in sanften Wellen bis zu seinen Schultern fällt. Es ist der Ältere, der geschrien hat. Neben ihm liegt eine Tasche auf dem Boden, offenbar vor Schreck fallengelassen. Daneben eine Angelrute. Und plötzlich begreife ich.
Das sind Herr Strömert und sein Sohn Maren. Der Vater und Bruder von Mirael.
„GISELA!“ Der Schmerz in Herrn Strömerts Stimme lässt selbst die Erde zu beben scheinen. Er kniet sich nieder, nimmt den leblosen Kopf seiner Frau in beide Hände, seine Finger zittern, als er über ihre Wange streicht. Tränen rinnen in stiller Qual über sein Gesicht. „Was… was ist hier passiert?“
„MAMA?!“ Maren wirft einen panischen Blick auf seinen Vater, dessen verzweifeltes Schweigen wie ein Messer durch die Luft schneidet. „Wenn Mama hier ist… wo ist dann Mirael?“
Herr Strömert hebt den Kopf, seine Augen weiten sich, als die Worte seines Sohnes zu ihm durchdringen. Für einen Moment scheint er zu vergessen, dass die Welt zerbrochen ist. Und dann bricht es aus ihm heraus: „MIRAEL!“ Sein Ruf hallt in den Ruinen wider. „MIRAEL!“
„Friedrich!“ Die Stimme von Zyar schneidet durch die Szene wie ein scharfes Schwert. „Wann seid ihr angekommen? Keine Zeit für...“ Doch dann sieht er sie. Frau Strömerts Leiche. Seine Worte sterben auf seinen Lippen. Sein Gesicht verhärtet sich, und ein dunkler Schatten fällt über seine Augen. „Bei Rhovan Ardelons Herz…“
Er sieht aus wie ein Mann, der gerade einen Krieg geführt hat – und verloren. Seine Kleidung ist an mehreren Stellen verbrannt, eine tiefe Wunde zieht sich über seine Wange, blutig und roh, eine Narbe in der Entstehung. Selbst ein Legat der Elemente war dem Kampf gegen die Sualtier nicht unversehrt entkommen. Doch wenn Zyar solche Spuren trägt, wie mächtig war dann das Wesen, das ihn angriff?
Herr Strömerts Stimme bricht erneut, dieses Mal voller verzweifelter Wut. „Was ist hier passiert, Zyar? Wo ist meine Tochter? Wer hat das getan? WER?“
Sein Zorn wird jäh unterbrochen, als er laut zu husten beginnt. Sein Körper zuckt, und Sekunden später beginnt auch Maren zu keuchen, seine Schultern schütteln sich in rasenden Atemstößen. Das Mord Vupu. Es frisst sich durch ihre Körper, und ich sehe, wie die Angst in Zyars Augen einen Moment lang durchbricht.
„Ich bringe euch zum Bunker“, sagt er schließlich, und seine Stimme ist wie Stahl. „Mirael ist sicher. Sie wurde mit den anderen evakuiert. Das Mord Vupu muss entfernt werden, bevor es euch ganz zerstört.“
Doch Mirael steht regungslos da. Sie ist nicht im Bunker. Ihre Augen sind leer, und doch lodert tief in ihrem Inneren ein Feuer, das nur ich sehen kann.
„Ich habe genug gesehen“, flüstert sie schließlich. Ihr Blick wandert weg von ihrem Vater, ihrem Bruder, und ich weiß, dass es kein Zurück gibt. „Lasst uns gehen.“
Ihre Stimme klingt wie Eis. Ihr Wunsch nach Rache hat sie verwandelt, hat sie von der Vergangenheit getrennt – und von ihrer Familie. Meine Verbindung zu Sylas hat ihn von seinem Vater getrennt. Und Zyar... Ob er mir je verzeihen wird?