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Schattenkinder (German)
Losniw & Solniw: Die Bande der Vergangenheit

Losniw & Solniw: Die Bande der Vergangenheit

Das kann er doch nicht ernst meinen! Weswegen sollte der Sonatius Mortaeda eine Welt zerstören wollen, in der auch er selbst existiert?

„Aber dieses Urwesen ist doch ein Teil von Elindros!“, gebe ich meine Gedanken laut preis, in der verzweifelten Hoffnung, irgendetwas daran möge Sinn ergeben.

Zyar lacht leise, aber sein Blick ist kalt, fast mitleidig. „Glaubst du wirklich, dass der Sonatius Mortaeda an Elindros oder irgendeine andere Dimension gebunden ist?“

„Wieso ist er dann hier?“ Meine Stimme schneidet durch die Stille wie ein Dolch. „Und warum bindet er sich seit Jahrhunderten an Elindine? Wenn er nicht gebunden ist, warum bleibt er? Was hält ihn hier?“

Zyar zuckt nur mit den Schultern, seine Gleichgültigkeit lässt mich erschaudern. „Was soll er denn sonst tun? Der Sonatius Mortaeda besitzt jede Macht, jede Fähigkeit, die es in allen Dimensionen gibt.“

Ein Schauder durchläuft mich bei dieser Erkenntnis. „Das bedeutet... er kann also auch nicht sterben“, murmele ich, halb zu mir selbst, halb zu ihm.

Zyar nickt, als sei dies die banalste aller Wahrheiten. „Ein ewiges Leben, in der Tat.“

„Das muss doch unerträglich einsam sein.“ Der Gedanke entfährt mir, bevor ich ihn unterdrücken kann. „Wie bei Aetherion.“ Ich sehe Zyar an, erweckt diese Existenz wirklich Freude? Oder ist sie eine ewige Qual?

Er lacht. Ein kaltes, kurzes Lachen. „Oh, wie du dich täuschst. Diese Unsterblichkeit, dieses ewige Spiel mit den Leben der Losniw, ist ihm das reinste Vergnügen. Er weidet sich an ihrem Leid, an ihrer Verzweiflung. Sobald ein Gefäß alt wird und zu schwach ist, seine Kräfte zu tragen, wird die Bürde an den nächsten Auserwählten weitergegeben. Ein Zyklus ohne Ende.“

Mein Herz zieht sich zusammen. „Das heißt, wenn ich alt bin, werde ich befreit?“

Doch Zyar schüttelt den Kopf, und das kalte Funkeln in seinen Augen lässt nichts Gutes ahnen. „Die Weitergabe des Sonatius Mortaeda bedeutet den Tod, Ves. Deine Lebenszeit endet mit der Erfüllung deiner Aufgabe.“

„Das ist keine Aufgabe!“ Mein Zorn flammt auf, heiß und brennend. „Die Losniw haben gelitten, gelitten für ein Ziel, das auch nach Jahrhunderten unerreichbar ist! Den Frieden zu wahren... das könnte unzählige Leben kosten!“

„So sei es“, antwortet er ohne jede Regung. „Jedes Wesen hat einen Zweck. Aetherion, der Sonatius Mortaeda, die Kairon — alle existieren, um ihre Rollen zu spielen. Auch du.“

„Aber meine Mutter...“ Die Erinnerung durchbohrt mich wie ein Pfeil. „Meine Mutter hat sich gegen diese Bürde gewehrt! Wie konnte sie sich befreien?“

Zyar schaut mich an, als hätte ich eine offensichtliche Wahrheit übersehen. „Sie hat ihre Bürde an ihr Ungeborenes übertragen. Der Sonatius Mortaeda hat zugestimmt, die Markierung von ihr auf dich zu übertragen.“

Meine Welt beginnt zu schwanken. „Auf mich?“, stottere ich, und der Boden unter meinen Füßen fühlt sich plötzlich brüchig an. Wie konnte sie... wie konnte sie das tun?

Zyar öffnet den Mund, doch seine Worte bleiben ihm im Hals stecken. Sylas beobachtet uns schweigend, sicher wartet er darauf, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Doch diesmal werde ich nicht nachgeben. Nicht jetzt.

„Ich weiß es nicht“, gibt Zyar leise zu, als hätte er sich soeben eine unsichtbare Last von den Schultern genommen. „Deine Mutter und ich… wir waren einmal enge Vertraute. Sie war die stärkste Kriegerin des Königs Valron Feroy. An seiner Seite stand sie unerschütterlich.“

Ein scharfer Schmerz durchzieht meine Gedanken. „Warum warst du im Königreich? Was hat dich dorthin geführt?“ Meine Stimme klingt neugierig, doch in mir brodelt ein unheimliches Gefühl, als ob hinter seinen Worten eine Wahrheit lauert, die ich noch nicht begreifen kann.

Zyar atmet tief ein. „Du weißt, dass wir Solniws die Elemente dieser Welt beherrschen können“, beginnt er und ich nicke stumm. „Doch nur wenige unter uns sind fähig, alle Elemente zu kontrollieren. Ich… war einer von ihnen. Diese Gabe machte mich zu etwas Besonderem. Der König befahl, dass ich unter dem Erzmagier eine Ausbildung beginnen musste. Ohne diese Ausbildung hätte ich nur mein erstes Element – Luft – nutzen dürfen.“

Eine düstere Erkenntnis überkommt mich. Der König… konnte er wirklich bestimmen, welche Kräfte ein Solniw nutzen darf? Was für ein Recht hat er, über die Fähigkeiten eines anderen Wesens zu verfügen? Ist es Furcht, die ihn dazu trieb? Die Fragen häufen sich in meinem Kopf wie Sturmwolken vor einem Unwetter.

„Wie viele Elemente gibt es in Elindros?“ Die Worte verlassen meinen Mund, während meine Gedanken an Geschwindigkeit gewinnen.

Zyar hebt einen Finger, fordert mich auf, innezuhalten. Ein Moment vergeht. Sylas beobachtet uns aus der Ferne, ohne einen Funken mehr Klarheit als ich selbst.

Zyar geht langsam weiter, seine Schritte führen ihn durch das weitläufige Anwesen, vorbei an dem glitzernden Teich. Die Fische ziehen träge ihre Bahnen, als würde selbst die Natur das Schweigen teilen, das uns umhüllt.

„Ist es weise, die Kairon unbeaufsichtigt zu lassen?“ Die Sorge in meiner Stimme ist unverkennbar.

Sylas’ Antwort folgt unverzüglich: „Sie offenbaren sich nicht jedem, das weißt du. Doch auch in Solnya, wo die Bewohner vertrauenswürdig erscheinen, gibt es Schatten. Falsche Gesichter lauern an jeder Ecke. Daher sage ich dir: Sprich niemals über die Kairon, über Aetherion oder den Sonatius Mortaeda. Du hast 17 Jahre unter Menschen gelebt, doch hier… hier hat man so lange auf deine Rückkehr gewartet.“

Stolen story; please report.

Meine Stirn runzelt sich, die Worte klingen wie ein Rätsel. „Was meinst du damit?“

Zyars Blick wird intensiver, als er fortfährt: „Eldralith schloss einst einen Pakt mit dem Sonatius Mortaeda. Sie wusste, dass dessen Gabe in den falschen Händen eines Losniw verheerend wäre. Die Solniws und Losniws sind Geschwister im Geiste. Die Gründer der Dörfer, Rhovan Ardelon und Keldor Entium, waren Freunde fürs Leben. Und Eldralith bat Keldor um Erlaubnis, diesen verhängnisvollen Pakt zu schmieden. So nahm das Schicksal seinen Lauf, unausweichlich, wie die Gezeiten.“

Eine Stille folgt seinen Worten, doch die Luft um uns vibriert, als hätte er gerade das Fundament einer alten, vergessenen Geschichte freigelegt. Und ich kann nicht anders, als mich zu fragen, wie viel davon noch auf meinen Schultern lasten wird.

Ich starre Sylas an, spüre, wie sich die Spannung in der Luft verdichtet. Noch fehlt ein entscheidendes Detail, ein Punkt, der all die Geschehnisse erklären muss. Dann spricht er endlich, seine Worte schwer von Bedauern.

„Nachdem Eldralith das erste Gefäß des Sonatius Mortaeda wurde, wird Keldor Entium ermordet,“ sagt er mit leiser Stimme. „Und diejenige, die dafür verantwortlich ist, ist niemand anderes als seine eigene Schwester: Velris Entium. Keldor nutzt seine gesamte Energie, um Eldralith nach ihrem Opfer am Leben zu halten. In seiner Schwäche ergreift Velris die Chance und verrät ihn, ihren eigenen Bruder, um seinen Platz einzunehmen.“

Schock erfasst mich, Unglauben spiegelt sich in meinen Augen. „Seinen eigenen Bruder? Wie kann jemand so etwas tun?“ Meine Gedanken schweifen zu Yula. Trotz seiner Grausamkeit hätte ich ihm nie so etwas angetan, nie dieses Maß an Verrat begangen.

Sylas fährt fort, seine Stimme eindringlich: „Keldor war ein weiser Herrscher. Zusammen mit Rhovan Ardelon hat er versucht, den Frieden in Elindros zu bewahren. Die Solniws nutzen die Elemente, die Losniws aber haben die Fähigkeit, die Vergangenheit eines Ortes oder Gegenstands zu weben, seine Erinnerungen sichtbar zu machen. Beide Dörfer standen an den Enden von Elindros, in treuem Dienst an den damaligen König Dareth Feroy. Aber Velris und andere Losniws verstanden Keldors Ideologie nicht. Sie wissen, dass mit der Macht des Sonatius Mortaeda der König gestürzt werden könnte, um die Losniws an die Macht zu bringen. Doch Keldor wollte dies nie. Nach seinem Tod brachen die Solniws das Bündnis mit den Losniws.“

Ich kann die Erschütterung in mir kaum verbergen. „Und was geschah mit Eldralith?“ frage ich dringlich, meine Arme verschränkt.

„Eldralith floh“, erklärt Sylas und seufzt tief. „Aber nach einigen Jahren wurde sie gefasst. Der König bot den Losniws Vergebung an, unter der Bedingung, ihm ewige Treue zu schwören und die Macht des Sonatius Mortaeda nur im Namen der Königsfamilie zu nutzen. Die Losniws verachteten diesen Vorschlag, aber sie wussten, dass Eldraliths Tod ausreichen würde, um den Sonatius Mortaeda zurückzuschicken. Nur wenige wussten, wie die Bindung an dieses Wesen möglich ist. Doch da all die Zeugen entweder verschwanden oder tot aufgefunden worden sind, wurde mit allen Mitteln verhindert, dass Eldralith stirbt.“

„Aber sie ist gestorben, und es gibt dennoch mehrere Gefäße“, erwidere ich, meine Augen fest auf ihn gerichtet. „Warum haben sie Eldralith nicht gezwungen, ihre Kräfte zu nutzen, um den König zu stürzen? Und wie wurde das neue Gefäß ausgewählt?“

„Der Sonatius Mortaeda es nicht erlaubt hat,“ sagt Sylas mit einem dunklen Blick. „Das Gefäß kann jemandem Zutritt zu seinem Bewusstsein gewähren, dem Ort, an dem der Sonatius Mortaeda verweilt. Er hat mit Velris gesprochen und offenbart, dass die Losniws niemals auf dem Thron sitzen können. Du weißt, was passiert, wenn die Vereinbarung gebrochen wird – Elindros und alle anderen Dimensionen werden vernichtet.“

Das alles ergibt keinen Sinn. Welche Motivation könnte der Sonatius Mortaeda, ein Wesen, das weder an Elindros noch irgendeine Dimension gebunden ist, haben, um seine Kräfte nicht für das pure Chaos zu entfesseln? Zyar selbst hat gesagt, dass das Leid aller Lebenden seine größte Freude ist. Irgendetwas Entscheidendes muss geschehen sein, etwas, das nur Eldralith wissen konnte.

„Das ergibt einfach keinen Sinn, Sylas“, flüstere ich, meine Stimme durchdrungen von Enttäuschung, während ich den Kopf schüttele. „Eure Geschichtsbücher… sie entsprechen nicht der Wahrheit.“

„Das könnte durchaus der Fall sein“. ertönt plötzlich eine tiefe Stimme aus der Ferne.

Es ist Zyar, der sich langsam nähert, ein dickes, in dunkelgrünes Leder gebundenes Buch in den Händen.

Ohne Eile tritt er näher, seine Augen glühen mit einer Mischung aus Wissen und Zurückhaltung, als er mir das Buch reicht.

„Hier drin wirst du die Vergangenheit von Elindros nachlesen können“, erklärt er ruhig. „Nun ja, zumindest die wichtigsten Ereignisse.“

Ich nehme das Buch entgegen, doch seine Schwere überrascht mich. Es ist, als ob das Wissen darin eine größere Last trägt als jede Prophezeiung. Vorsichtig lege ich es auf den Boden vor meinen Füßen und atme tief ein. Ein Gefühl der Beklemmung macht sich breit.

„Ihr habt mir doch erzählt, dass die Losniws durch ihre Abmachung mit dem Sonatius Mortaeda den Thron nicht besteigen dürfen“, erinnere ich die beiden Männer an ihre eigenen Worte, mein Herz schneller schlagend. „Wie kann ich dann die rechtmäßige Anwärterin sein?“

Ein Blickwechsel zwischen Zyar und Sylas. Sie wissen etwas, etwas, das sie bisher zurückgehalten haben.

„Eldralith meinte zwar, dass dies die einzige Forderung des Sonatius Mortaeda war…“, beginnt Zyar vorsichtig, seine Stimme wie ein schleichender Wind. „Aber wir vermuten, dass sie tief im Inneren wusste, dass das Nutzen seiner Macht für den Thron den Losniws die perfekte Gelegenheit bieten würde. Ein Fehler, der das gesamte Königreich ins Verderben stürzen könnte.“

„Wie hätten sie das tun sollen?“ Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen, mein Misstrauen wächst. „Eldralith hätte doch einfach die Macht des Sonatius nutzen können, um die Losniws auszulöschen.“

Zyar blickt in den Himmel, sein Gesicht ernst und verschlossen. „Auch wenn ihr Volk ihren Gründer verraten hat… gab es immer noch Unschuldige unter den Losniw. Sie konnte es nicht über ihr Herz bringen, sie alle zu vernichten. Deshalb konnte sie Mortaedas Kräfte nicht entfesseln.“

„Aber habt ihr Beweise für diese Vermutung?“ Meine Stimme dringt schärfer hervor, eine Mischung aus Verlangen nach Klarheit und dem schwelenden Zweifel, der in meinem Inneren lodert.

Sie schütteln beide stumm den Kopf. Nichts als Spekulation. Kein Beweis. Das bedeutet, dass das Besteigen des Thrones ebenso gut Elindros ins Verderben reißen könnte.

„Und ich soll auf Basis einer bloßen Vermutung das neue Gefäß werden? Die neue Königin von Elindros?“ Ein leises Lachen entfährt mir, doch es trägt keinen Hauch von Freude. Es ist die Verzweiflung, die sich langsam in mein Herz frisst.

Das alles fühlt sich falsch an, unwirklich, als wäre ich noch in einem Traum gefangen und würde jeden Moment in meinem Zimmer in der Menschenwelt aufwachen. Doch die Schmerzen, die mich hierhergetrieben haben, sind zu real, um einfach nur ein Traum zu sein.

Und jetzt wollen sie, dass ich beim Sturz des Königs helfe? Ich weiß nicht, ob ich ihnen trauen kann. Nicht mehr. Vielleicht haben sie nie zu den Guten gehört.