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Schattenkinder (German)
Kapitel 17: Unerklärliche Gefühle

Kapitel 17: Unerklärliche Gefühle

Miraels gewaltige Kraft ist beunruhigend, besonders wenn ich bedenke, dass sie mich als Feind sieht, da ich indirekt für den Tod ihrer Mutter verantwortlich bin. Es schmerzt, dass Sylas nichts unternehmen möchte, obwohl der Sualtier Lyaras leblosen Körper fortgeschleppt hat. Obwohl ich sein Zögern verstehen kann, bleibt der Schmerz tiefer in meiner Brust. Das arme Kind wollte nur an einem Ort in Frieden mit seinen Eltern leben, ohne anderen Leid zufügen zu müssen.

Ich hatte mir selbst geschworen, niemandem zu schaden, doch war ich gezwungen mitanzusehen, wie Mirael die beiden Sualtier ohne Zögern tötete. Wie wird sie mit der Wahrheit umgehen, dass Lyara aufgrund ihrer Entscheidung ihrem Leben selbst ein Ende setzte? Noch immer quält mich die Frage, ob Mirael die Gestalt war, die ich damals vor meinem Fenster in der Menschenwelt gesehen habe, und ob sie mir diese Information vorenthält. Doch dieser Gedanke verliert an Gewicht, denn ohne das Astralis könnte sie das Nexari gar nicht betreten.

Die Sualtier, die uns auf den Fersen waren, konnten wir geschickt abschütteln, ohne Aufsehen zu erregen. Sylas fand rasch eine versteckte Höhle in der Nähe, wo wir für eine kurze Zeit verweilen werden. Obwohl ich den Wald und die Natur liebe, ist es eine willkommene Pause, den Bäumen für ein paar Stunden zu entkommen. Doch sobald die Sonne aufgeht, müssen wir weiterziehen. Unser erstes Ziel ist Arenath, das Dorf der Sandmagier. Ich bin gespannt darauf, die Areni kennenzulernen.

Sobald sich die Gelegenheit ergibt, werde ich ins Nexari zurückkehren und die Nyrelis-Schwestern über meine Bestimmung befragen. Sie sind womöglich den anderen Gefäßen begegnet und könnten ein paar wichtige Informationen preisgeben. Falls es mir bis dahin gelingt, das Gedankenweben zu meistern, werde ich nicht mehr so stark im Nachteil gegenüber ihrer Stärke und Überzahl sein. Doch bis ich mich meinem Schicksal stellen muss, liegt mein Fokus auf der Gegenwart.

Mirael, die vor kurzem noch von Schadenfreude erfüllt war, schweigt jetzt und vermeidet es, uns in die Augen zu sehen. Auch Sylas verharrt in Stille, den Blick auf die Sterne gerichtet, während er uns den Rücken zukehrt.

Auch ich habe die uneingeschränkte Sicht auf den Himmel vermisst. Obwohl wir nur ein bis zwei Stunden durch den Wald gewandert sind, fühlen sich meine Beine an, als hätten sie tagelange Märsche hinter sich. Sylas hat Holz gesammelt, und Mirael hat einen Funken erzeugt, der eine kleine Flamme entfacht hat, die uns in der Kälte etwas Wärme spendet. Jetzt sitze ich allein in der Höhle und beobachte, wie Mirael sich zu Sylas gesellt.

Erst in diesem Moment wird mir wieder bewusst, dass die beiden verlobt sind. In naher Zukunft, wenn unsere Reise endet und unsere Bestimmungen erfüllt sind, werden sie den Bund der Ehe eingehen. In der Menschenwelt bin ich an Lord Louweris gebunden – eine Ehe, zu der ich an jenem Abend gezwungen wurde. Ob diese Verbindung überhaupt gültig ist? So oder so, es wäre besser, wenn Sylas für mich keine Option bleibt. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich geistig oder körperlich in der Lage bin, eine Beziehung zu führen. Liebe ist für mich etwas Unerklärliches, etwas, das ich nicht begreifen kann. Vielleicht ist es passend, dass meine Bestimmung darin besteht, dem Sonatius Mortaeda als Gefäß zu dienen. Vielleicht habe ich mich geirrt, als ich dachte, dass Aetherion innerhalb des Astralis einsam ist.

Meine Gedanken schweifen in alle Richtungen, während meine Augen bei den beiden Solniw verharren. Mirael lehnt ihren Kopf an Sylas’ Schulter, und er legt den Arm um sie. So sehr mich meine eigenen Gefühle plagen, weiß ich, dass auch die beiden mit Gewissensbissen und Trauer kämpfen. Doch ihr Anblick verursacht keinen Schmerz in mir, sondern Zufriedenheit.

In all den Büchern, die ich gelesen habe – Bücher, die mir Einblicke in eine Welt gewährten, die die Königin mir verwehrt hat – wurde nie beschrieben, dass eine Frau Glück empfinden könnte, wenn sie den Mann, den sie liebt, mit einer anderen sieht. Also war ich nie wirklich in Sylas verliebt?

Das nächste, woran ich mich erinnere, sind Augen: blau und grün. Sylas’ Gesicht ist so nah, dass ich die feinen Konturen seines Lächelns erkenne. Hinter ihm steht Mirael mit verschränkten Armen, den Blick in die Ferne gerichtet.

„Guten Morgen“, flüstert er. Erst jetzt spüre ich die Wärme der Sonne, die trotz der Kälte in die Höhle dringt. Doch als er sich zur Seite bewegt, blenden mich die Sonnenstrahlen, und ich halte reflexartig die Hand vors Gesicht.

„Verzeih.“ Sylas tritt wieder so, dass die Sonne von ihm abgeschirmt wird. „Wir sollten langsam aufbrechen. Arenath ist nur einen halben Fußmarsch entfernt. Wenn wir jetzt losgehen, erreichen wir es zur Mittagszeit.“

Ich frage mich, worüber die beiden gesprochen haben, während ich erschöpft geschlafen habe. Mirael scheint gefasster, doch die Bedrücktheit, die sie umgibt, ist unverkennbar. Ohne weitere Worte machen wir uns auf den Weg, setzen den Pfad fort, den wir gestern unterbrochen haben. Die Sonne steht hoch am Himmel und spendet Licht, genug, um nicht erneut über Wurzeln zu stolpern, auch wenn ihre Wärme in dieser Kälte kaum spürbar ist.

„Darf ich dir eine Frage stellen?“, wende ich mich an Sylas. Er wirft mir einen kurzen Blick zu, und auch Mirael, die an seiner Seite geht, lauscht neugierig.

„Wird dein Vater nicht nach Thalvaren kommen, sobald der König mit dir gesprochen hat? Valron Feroy wird doch Zyar wissen lassen, dass du dort bist, nachdem wir spurlos verschwunden sind.“

Sylas seufzt und zuckt mit den Schultern. „Er wird wütend sein, weil ich dich nicht aufgehalten habe und stattdessen das Dorf mit dir verlassen habe. Doch am Ende ist es meine Aufgabe, dich zu schützen. Der Blutpakt bindet mein Leben an deins.“

Das ist also der einzige Grund für seine Loyalität – der Blutpakt und meine Rolle als Gefäß. Genau, seine Liebe gehört Mirael, seiner Verlobten.

„Kann man den Blutpakt nicht auflösen?“, fragt Mirael plötzlich. Sie umklammert Sylas’ Arm mit beiden Händen, ihre Stimme besorgt. „Mein zukünftiger Ehemann darf nicht an die Seele einer anderen gebunden sein.“

Die Eifersucht steht Mirael ins Gesicht geschrieben. Ihre Befürchtungen sind nachvollziehbar – wer würde schon wollen, dass der eigene Geliebte in einer Verbindung mit jemand anderem steht? Doch ich lasse ihre Worte an mir abprallen.

„Ich weiß es nicht“, gesteht Sylas und wirft den Kopf zurück. „Solange Vespera ihre Aufgabe als Gefäß nicht erfüllt hat, bleibt der Pakt bestehen.“ Er wendet sich an Mirael. „Ich habe deiner Mutter versprochen, mich um dich zu kümmern und dir ein guter Ehemann zu sein. Doch ich habe auch eine Verantwortung gegenüber Elindros – und diese besteht darin, Vespera am Leben zu erhalten.“

„Verdammte Losniw…“, zischt Mirael leise und seufzt tief. Dann sieht sie zu mir. „Du hast mir bereits meine Mutter genommen. Wenn du mir auch noch meinen Geliebten nimmst, wirst du meine Blitze zu spüren bekommen.“

Ich nicke, mehr aus Verständnis für ihre Lage denn aus Angst, und entgegne: „Warum hast du deine Kräfte nicht eingesetzt, als deine Mutter in Gefahr war?“

Miraels Augen weiten sich, und sie wendet ihren Blick beschämt ab. Sylas atmet schwer durch die Nase und erklärt: „Eine Solniw mit der Gabe, Blitze zu kontrollieren, wird nur alle paar hundert Jahre geboren. Vor Mirael war der letzte Rhovan Ardelon. Seine Kräfte waren so außergewöhnlich, dass sie die Gründung von Solnya ermöglichten. Deshalb gelten Blitzkräfte im Königreich als besonders wertvoll.“

„Warum gerade eine weibliche Solniw?“, frage ich verwirrt.

„Die Dörfer in Elindros wurden ursprünglich von Elindine gegründet, die Lichtkinder waren“, beginnt Sylas. Mein fragender Blick lässt ihn weiter ausholen. „Lichtkinder sind Neugeborene, die von ihren Eltern verstoßen wurden, weil diese keine Verbindung zu ihnen spürten. Diese Kinder wurden dem König übergeben, wo sie unter seiner Obhut besondere Kräfte entwickelten. Kräfte, die man zuvor nur den Urwesen zugeschrieben hatte. Die Gründer aller Dörfer in Elindros waren solche Lichtkinder.“

„Ich verstehe“, sage ich langsam, obwohl ich versuche, diese neuen Informationen zu verarbeiten. „Aber warum darf Mirael ihre Kräfte dann nicht offen nutzen? Rhovan Ardelon hat Solnya doch bereits gegründet. Warum sollte es ein Problem sein?“

„Weil nur Rhovan Ardelon sie besaß“, antwortet Sylas, seine Stimme ernst. „Jeder Solniw kann über eines oder mehrere Elemente verfügen. Ich nutze das Wasser und mein Vater, der Legat der Elemente, kann alle Elemente nutzen. Doch seit Rhovan Ardelon hat es keinen weiteren Blitznutzer gegeben und daher ist diese Kraft für das Königreich von großer Bedeutung. Die Könige von Elindros heirateten weibliche Elindine mit besonderen Fähigkeiten, um ihre Linie zu stärken. Es war Tradition, dass jeder König mindestens fünf solcher Ehefrauen hatte. Valron Feroy ist der erste in seiner Blutlinie, der keine Frauen mit außergewöhnlichen Kräften geheiratet hat.“

„Er hätte mich heiraten wollen“, sagt Mirael leise, ihre übliche Selbstsicherheit ist verschwunden. Das Thema scheint schwer auf ihr zu lasten. „Und weil er der König ist, hätten meine Eltern nichts dagegen tun können. Deshalb haben alle Solniw angenommen, dass ich kein Element beherrschen kann. Es war naheliegend – das passiert schließlich manchmal. Unter uns Elindine gibt es einige, die die Kräfte ihres Dorfes nicht vererbt bekommen. Als eine solche zu leben, war für mich immer eine Schande. Im Dorf haben sie mich bemitleidet, behandelt wie etwas Fragiles. Dabei war ich immer stärker als sie alle.“

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Ihre Stimme zittert kurz, doch sie fängt sich. „Meine Verlobung mit Sylas hat das ganze Dorf aufgewühlt. Sie sagten, jemand mit seiner Stärke dürfte niemals eine schwache Solniw heiraten. Der König darf das unter keinen Umständen erfahren. Das ist auch der Grund, warum ich an jenem Abend meine Kräfte nicht genutzt habe. Warum ich einfach zusehen musste...“

Sie presst die Lippen zusammen, ihre Augen meiden die meinen, und sie dreht das Gesicht weg.

„Die Feroy-Dynastie herrscht seit Anbeginn, weil das Blut eines jeden Lichtkindes durch ihre Adern fließt“, erklärt Sylas mit einem Hauch von Verachtung. „Sie sichern ihre Macht, indem sie Kinder mit besonderen Kräften zeugen. Jener männliche Nachkomme mit den stärksten Kräften wird zum nächsten König ernannt. Es ist ein endloser Kreislauf.“

Die Sonne strahlt hell, doch in mir herrscht eine tiefschwarze Dunkelheit. Die Losniws zeugen ihre Kinder untereinander, während die Königsfamilie eine besonders raffinierte Strategie verfolgt, um andere Elindine zu einer Eheschließung zu zwingen.

„Das tut mir leid, Mirael“, sage ich, ohne groß nachzudenken. Warum empfinde ich Mitleid für ein Mädchen, das mich nicht ausstehen kann? Ich bin wohl die letzte Person, von der sie Mitgefühl erwartet – oder möchte. „Ich werde dein Geheimnis für mich behalten.“

Zu meiner Überraschung bleibt der bissige Kommentar aus, den ich von ihr erwartet hätte. Stattdessen sieht sie mich stumm an, und ich wage es, die Stille zu durchbrechen: „Mirael, darf ich dir eine Frage stellen?“

Zögerlich nickt sie, und für einen flüchtigen Moment scheint der Hass, den ich sonst von ihr spüre, wie verflogen. „Du warst noch nie in der Menschenwelt, oder?“

Sie schüttelt verwirrt den Kopf. „Nein. Ich durfte nicht einmal das Dorf verlassen, weil ich die Rolle der schwachen Solniw spielen musste.“

Nachdenklich nicke ich, doch Sylas greift das Gespräch auf: „Geht es um die Gestalt, die du damals am Himmel gesehen hast? Willst du Mirael das fragen, weil diese Gestalt auch die Fähigkeit hatte, Blitze zu kontrollieren?“

Unsicher blicke ich zu Boden. War diese Gestalt wirklich in der Lage, das Unwetter zu lenken? Der Eindruck drängt sich mir auf, doch sicher bin ich nicht. „Ich weiß es nicht genau. Aber es ist möglich. Könnte es sein, dass es in Solnya noch jemanden gibt, der dieselben Kräfte wie Mirael hat?“

Sylas überlegt kurz, bevor er antwortet: „Das wäre nicht ausgeschlossen… aber meinem Vater wäre das sicher nicht entgangen. Als Mirael ein Kind war, hat er ihre Begabung sehr früh erkannt, gerade wegen seiner schnellen Reaktionen.“

„Dann bleibt diese fremde Person also weiterhin ein Rätsel“, murmle ich seufzend. Nach einem kurzen Moment der Stille wechsle ich das Thema: „Apropos Lichtkinder – ist Velris Entium auch eines?“

Sylas nickt, sichtlich erleichtert über den Wechsel. „Ja, Keldor und Velris sind Zwillinge. Da Velris jedoch weiblich ist, durfte sie kein eigenes Dorf gründen und wurde stattdessen dem damaligen König Dareth Feroy versprochen. Soweit ich weiß, war sie bereits zweifache Mutter, als sie Keldor Entium das Leben nahm. Nach ihrem Verrat vereinbarte sie mit dem König – ihrem Gemahl –, dass sie Losnat regiert und nur auf seinen Befehl hin zum Schloss kommt, um ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen. Das alles habe ich von meinem Vater. Diese Details sind nicht jedem in Elindros bekannt. Es wäre also besser, wenn ihr sie für euch behaltet.“

Mirael und ich nicken gleichzeitig und stumm einwilligend.

In Elindros läuft vieles falsch. Die Traditionen der einzelnen Dörfer sind verstörend, und dabei kenne ich nur die Bräuche von Solnya, Losnat und Cata Sualti. Es bleibt die Frage offen, warum der König nie Interesse an den Gefäßen gezeigt hat. Liegt es an der Macht des Sonatius Mortaeda? Oder daran, dass nur die auserwählten Frauen dessen Kräfte nutzen können? Viele Fragen bleiben unbeantwortet, doch für einige wenige bin ich dankbar, dass sie geklärt wurden.

Während unseres intensiven Gespräches haben wir ein gutes Stück Weg hinter uns gebracht. In dieser Zeit sprachen Mirael und Sylas über den gestrigen Abend. Vielleicht musste sie sich ihren Frust von der Seele reden, und wer wäre da besser geeignet als ihr Verlobter? Mirael muss sich sicherlich um das Wohlergehen ihres Vaters sorgen. Bestimmt ist er verrückt vor Sorge, da sie weder im Bunker noch unter den Trümmern gefunden wurde. Zyar hat die Puzzleteile sicherlich längst zusammengesetzt. Er weiß, dass wir zu dritt das Dorf verlassen haben. Doch ob er den wahren Grund erahnen kann? Vielleicht glaubt er, wir seien vor dem Feind geflüchtet.

Ich hoffe, bald mit ihm sprechen zu können, um einiges aufzuklären – auch über mich selbst. Der Gedanke an den Säugling, der angeblich ich sein soll, lässt mich nicht los. Allein, inmitten eines dunklen Raumes, in einem Bett. Zyar behauptet, dies sei meine Vergangenheit, doch es ergibt für mich keinen Sinn.

Nach zwei Stunden Marsch haben wir den langen, düsteren Wald hinter uns gelassen und erreichen einen kleinen Holzstand, der neben einem breiten Bach errichtet wurde. Das Rauschen des Wassers mischt sich mit den gedämpften Stimmen eines älteren Ehepaares, das sich in ein Gespräch vertieft hat. Als sie uns bemerken, verstummen sie und wenden ihre Aufmerksamkeit uns zu.

Die Frau, einen Kopf größer als der Mann, hat eine schmale Statur, die von einer schlichten, aber gepflegten Kleidung unterstrichen wird. Ihre blonden Haare sind ordentlich nach hinten gekämmt und enden knapp über ihren Ohren, wodurch ihr kantiges Gesicht und ihre scharfen, aber freundlichen Züge betont werden. Ihre Augen, ein klares Grau mit einem Hauch von Blau, scheinen alles aufmerksam zu beobachten und strahlen zugleich eine warme Herzlichkeit aus.

Der Mann hingegen wirkt stämmig, mit einem runden Bauch und einem Gesichtsausdruck voller Zufriedenheit. Seine kurzen, aschblonden Locken rahmen sein Gesicht ein und verleihen ihm ein sympathisches Aussehen, das von einem verschmitzten Lächeln begleitet wird. Seine Augen sind von einem sanften Braun, mit feinen Lachfältchen an den Rändern, die seinen gutmütigen und humorvollen Charakter unterstreichen.

Ein köstlicher Duft steigt mir in die Nase, als wir näherkommen.

„Kinder, kommt her!“, ruft die Frau mit heiterer Stimme und winkt uns zu. „Probiert unseren Vulkanfeuertee!“

V-Vulkan? Wie trinkt man denn so etwas? Das köstliche Aroma weckt zwar meine Neugier, aber der Gedanke an „brennende Glut“ ist beunruhigend.

„Vielen Dank, gute Frau!“, ruft Sylas lächelnd zurück. „Haben Sie auch Glutflockenbrot?“

„Was denkst denn du, junger Mann?“, antwortet der Mann lachend und stemmt die Hände in die Hüften. „Esst, soviel ihr wollt! Das geht aufs Haus!“

„Arinor!“, schimpft die Frau kopfschüttelnd, doch auch sie lächelt herzlich. „Wenn du so redest, glauben die Kinder noch, unser Geschäft laufe zu gut!“

„Aber, mein Schatz, das tut es doch!“, entgegnet Arinor, offensichtlich verwirrt. „Neriselle, lass die armen Kinder endlich etwas essen! Seid ihr auf der Reise?“

„Wir kommen aus Solnya und müssen in der Gegend ein paar Kräuter sammeln“, gesteht Sylas höflich.

„Kräuter? Davon haben wir im Lager genug!“, sagt Arinor schmunzelnd und winkt ab. „Die Solniw sind seit Jahrhunderten unsere Nachbarn und Verbündeten! Bleibt in dieser Kälte nicht zu lange draußen.“

Ich kenne mich in Elindros nicht aus und bin unsicher, wem ich trauen kann. Also überlasse ich Sylas das Reden. Mein knurrender Magen bringt mich schließlich dazu, eine Tasse des Vulkanfeuertees zu probieren. Die Wärme des Getränks breitet sich augenblicklich in meinem Körper aus. Die Frau reicht mir ein Stück Glutflockenbrot, dessen rauchiges Aroma perfekt zum Tee passt.

Während ich esse, wandern meine Gedanken zu Mirael und Sylas. Sie unterhalten sich angeregt mit dem älteren Paar, das sich als Arinor und Neriselle Altherin vorstellt, Bewohner von Arenath. Beide sind Anfang sechzig und seit über vierzig Jahren verheiratet.

Obwohl Mirael und Sylas ihre Liebsten verloren haben, wirken sie erstaunlich gefasst. Vielleicht täusche ich mich, aber ich hätte erwartet, dass Mirael wenigstens eine Träne um ihre Mutter vergießt. Stattdessen scheint sie mehr über meine Anwesenheit verärgert zu sein. Gefühle sind mir ein Rätsel – in der Menschenwelt ebenso wie hier in Elindros.

Die beiden Areni führen uns durch die breiten Tore in ihr Dorf. In ihrer Begleitung passieren wir die Wachen am Eingang ohne ein Wort des Einwands. Diese scheinen tief in ein Gespräch vertieft und vermutlich erleichtert, nicht mit möglichen Unruhestiftern konfrontiert zu sein. Da Solnya und Arenath an entlegenen Enden von Elindros liegen, dürfte hier – abgesehen von Angriffen der Sualtier – an den meisten Tagen kaum Betrieb herrschen.

Im Vergleich zu Solnya ist Arenath erheblich größer, schätzungsweise dreimal so ausgedehnt. Ein rascher Blick genügt, um zu erkennen, dass jedes Haus in einem einheitlichen, hellbraunen Ton gehalten ist. Der Boden, der das gesamte Dorf bedeckt, besteht aus feinem Sand, der in der warmen Luft golden schimmert. Ich drehe mich kurz um und sehe die grasbewachsene Landschaft, die dort beginnt, wo die Wachen stehen. Mit einem kräftigen Knarren schließen sich die großen Tore hinter uns, und das Geräusch, wie Holz über Sand reibt, erfüllt die Luft. Doch die Dorfbewohner scheinen daran gewohnt und schenken ihm keinerlei Beachtung.

Die Wärme in Arenath ist unvergleichlich, geradezu unwirklich, wenn man die klirrende Kälte der Außenwelt bedenkt. Liegt es an dem allgegenwärtigen Sand, der sich über das gesamte Dorf erstreckt? Oder ist es die berühmte Sandmagie der Areni, von der Sylas erzählt hat? Die Bewohner, gekleidet in einfache, leichte Sommergewänder, wirken entspannt und geschäftig zugleich.

Neriselle und Arinor haben ihre Mäntel abgelegt und verstauen sie nun. Erst da nehme ich die zunehmende Hitze deutlicher wahr. Auch wir folgen ihrem Beispiel und tragen unsere Jacken unter dem Arm. Die Areni sind alle gebräunt und haben einander ähnlich wirkende Gesichter. Fast könnte man meinen, es handle sich um eine Familie. Ihre Haare variieren zwischen Braun- und Blondtönen, doch alle tragen feine, goldene Linien in ihren Gesichtszügen. Ob das ein kulturelles Zeichen oder ein angeborenes Merkmal der Areni ist?

„Ist das euer erstes Mal in Arenath?“, fragt Neriselle plötzlich und blickt dabei direkt mich an. „Kind, du hast bisher kein einziges Wort gesprochen. Deine Freunde Sylas und Mirael sind so gesprächig, während du nur zugehört hast. Hoffentlich hast du keine Angst vor uns!“

Mirael verdreht kaum merklich die Augen, als Neriselle uns als Freunde bezeichnet. „Nein, mir geht es gut“, erwidere ich hastig und erzwinge ein Lächeln. „Ich bin einfach keine besonders gesprächige Elindine. Verzeihen Sie, falls das unhöflich wirkt.“

„Ach, das muss dir doch nicht unangenehm sein!“, sagt Arinor mit einem herzlichen Lachen. „Und bitte, nennt uns beim Vornamen. Das Siezen ist hier wirklich unnötig.“

Er tritt einen Schritt näher und legt mir ermutigend die Hand auf die Schulter. Reflexartig schlage ich seine Hand weg und mache einen großen Schritt zurück. Die beiden Areni sehen mich überrascht an, Mirael nicht minder. Nur Sylas, der meine Beweggründe kennt, zeigt Besorgnis.

„Verzeih, Liebes“, sagt Arinor erschrocken und legt sich eine Hand aufs Herz. „Ich wollte dich weder zurechtweisen noch verschrecken. Meine Geste sollte dich nur ermutigen.“

Natürlich weiß ich das. Ich weiß, dass er keine bösen Absichten hegt. Doch jedes Mal, wenn mich ein Mann berührt, sehe ich das Gesicht von Lord Louweris. Sein schmieriges Lächeln, seine unwillkommenen Hände auf meiner Haut.

„Sie hatte in der Vergangenheit eine schreckliche Begegnung mit einem Sualtier“, erklärt Sylas, dabei die Wahrheit verdrehend. „Seitdem meidet sie jede Art von Berührung.“

Arinor und Neriselle blicken mich entsetzt an. „Das tut mir unendlich leid“, sagt Arinor mit tiefem Bedauern. „Als Entschuldigung lade ich euch ein, die Nacht bei uns zu verbringen. Ihr könnt euch ausruhen, aufwärmen und bekommt eine warme Mahlzeit. Und die Kräuter, die ihr sucht, erhaltet ihr selbstverständlich ohne Kosten.“

Die Gastfreundlichkeit der beiden Areni erinnert mich an mein erstes Treffen mit Frau Strömert. Obwohl Neriselle äußerlich vollkommen anders wirkt, scheinen sie und Frau Strömert im Wesen nicht allzu verschieden zu sein. Vielleicht hat Mirael mit ihrer Verachtung mir gegenüber nicht ganz unrecht.