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Schattenkinder (German)
Die verborgenen Fäden des Schicksals

Die verborgenen Fäden des Schicksals

Meine Mutter soll noch am Leben sein? Die Worte kommen mir so fremd vor. Das ergibt doch keinen Sinn! Hat mein Vater mich die ganze Zeit angelogen? Und wenn ja… ist König Mukuta dann mein leiblicher Vater? Was davon, was ich bisher geglaubt habe, ist überhaupt wahr? Habe ich die letzten 17 Jahre in einer Lüge gelebt?

„Meine Mutter?“, frage ich ungläubig. Je länger ich darüber nachdenke, dass sie noch leben könnte, desto absurder wirkt es. „Zyar, du kennst meine Mutter? Sag mir, wo ist sie?“

Zyar seufzt leise und sieht mich ernst an. „Diese Frage kann ich dir nicht beantworten, Ves. Das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe, ist über 17 Jahre her. Damals war sie vermutlich mit dir schwanger.“

Wenn sie mit mir schwanger war, dann muss mein Vater ein Elindine sein! Es kann niemals sein, dass ein Mann wie König Mukuta, der so eine eingeschränkte Sicht auf das Leben hat, durch das Nexari geschritten ist! All die Jahre habe ich die Tyrannei von Königin Mayyira ertragen, meine Freiheit aufgegeben, nur um einem fremden Mann nicht zur Last zu fallen.

„Das bedeutet, dass König Mukuta nicht mein Vater ist?“, frage ich voller Hoffnung, während mein Herz schneller schlägt.

Zyar seufzt. „Ves, du hast viele Fragen, das verstehe ich. Aber bitte gedulde dich, bis wir in Solnya sind. Nur weil wir die Synnx abgewimmelt haben, heißt das nicht, dass uns nicht andere Wesen auflauern.“

Ich lasse meine Schultern sinken und nicke, auch wenn meine Neugier und Ungeduld gegen mich arbeiten. Die Gefahr des Nexari ist mir jedoch bewusst.

„Tritt bitte näher“, sagt Zyar und stellt sich neben das Astralis. „Wenn du das Astralis berührst, wird es auf dich reagieren. Du bist die rechtmäßige Besitzerin.“

Als ich das Astralis betrachte, spüre ich, wie mein Herz vor Aufregung pocht. Je näher ich trete, desto heller pulsiert es, als würde es auf meine Anwesenheit warten. Sylas, der das Gespräch stumm verfolgt hat, kommt ebenfalls neugierig näher.

„Habe keine Angst“, flüstert Zyar mit einer Stimme, die zugleich vertraut und fremd klingt. „Das Astralis sehnt sich danach, wieder mit einer Losniw vereint zu sein.“

Ich spüre, wie mein Herz rast, mein Atem beschleunigt sich, doch ich zwinge mich zur Ruhe. Meine Hände zittern leicht, als ich das Astralis betrachte – diese schimmernde, pulsierende Kugel, die in einem unnatürlichen Rhythmus schlägt, als hätte sie ein eigenes Leben. Ein tiefes Leuchten durchzieht das Herz des Artefakts, als wäre darin ein Stern geboren worden, der jeden Moment zu explodieren droht.

„Soll ich... es wirklich berühren?“, flüstere ich kaum hörbar. Ein Schauder läuft mir über den Rücken, als ich mich zögernd nähere.

Doch die Worte Zyars hallen in mir nach. Ich muss die Verbindung herstellen. Es gibt keinen anderen Weg. Mit jedem Schritt scheint die Luft um mich dichter zu werden, als hätte die Zeit selbst beschlossen, innezuhalten und auf diesen Augenblick zu warten.

Ich fasse all meinen Mut zusammen, mein Atem stockt, als ich meinen Finger ausstrecke. Der Moment scheint sich unendlich zu dehnen. Endlich berührt meine Fingerspitze die glatte, eiskalte Oberfläche des Astralis.

Plötzlich explodiert das Licht in einem Schwall aus grellem, blendendem Strahlen. Es bricht in alle Richtungen hervor, so hell, dass es die Schatten aus der Tiefe der Realität zu reißen scheint. Ich schreie auf und werfe meinen Arm schützend vor meine Augen. Mein Herz hämmert in meiner Brust, die Welt verschwimmt zu einem wirbelnden Chaos aus Licht und Dunkelheit.

Dann – völlige Stille.

Ein einzelner, kristallklarer Wassertropfen fällt, das Geräusch hallt durch die Leere, so nah an meinem Ohr, dass ich es förmlich spüren kann. Instinktiv reiße ich die Augen auf, und die Welt, die ich nun sehe, ist nicht mehr dieselbe.

Ich stehe am Rande eines Wasserfalls, doch das Wasser bewegt sich nicht nach unten, es steigt auf, als ob die Schwerkraft ihre Regeln vergessen hätte. In der Luft hängen schimmernde, lichtdurchflutete Nebelfetzen, die sich wie geisterhafte Schleier über den Himmel ziehen. Jeder Atemzug ist erfüllt von einer Kühle, die nicht aus dieser Welt stammt, einer Kühle, die von uralter Magie durchdrungen scheint.

Der sanfte Klang einer Harfe erreicht mein Ohr – seltsam und unbegreiflich, denn kein Instrument ist zu sehen. Der Ton schwebt in der Luft, als würde er aus den Wasserströmen selbst geboren werden. Als ich in die Richtung des Klangs blicke, sehe ich, dass der Horizont sich in einer weiten Spirale zu drehen scheint, als wäre die Welt ein gigantisches Gemälde, dessen Farben in einem endlosen Tanz verwoben sind.

Die Erde unter meinen Füßen vibriert sanft, als ob sie selbst zu leben begonnen hätte. Und überall um mich herum schweben leuchtende, fremdartige Symbole in der Luft, ungreifbar, flüchtig, als seien sie Botschaften aus einer anderen Realität.

Ich bin nicht mehr dort, wo ich war. Dies ist ein Ort jenseits der Vorstellungskraft, jenseits der Grenzen der Naturgesetze. Ein Reich, das nur durch das Astralis betreten werden kann – und nun bin ich hier, unwissend, wohin mich dieser Weg führen wird.

Das Nexari – eine Dimension voller Geheimnisse und Magie, ein Ort, der sich meiner Vorstellungskraft entzieht. Die Regeln, denen ich so lange gefolgt bin, existieren hier nicht. Der Boden unter mir, eine Fläche aus violettem Gras – oder was auch immer es ist – fühlt sich gleichzeitig weich und fest an, wie etwas, das im Begriff ist, seine Form zu ändern, wenn man nicht hinschaut. Über mir zieht sich der Himmel spiralförmig in endlosen Wirbeln zusammen, in Farben, die ich zuvor nie gesehen habe. Und doch, trotz all dieser unbegreiflichen Wunder, bleibt die größte Frage: Wo bin ich? Bin ich innerhalb des Astralis gefangen, oder hat mich die Berührung der Kugel tatsächlich in diese fremdartige Dimension geschleudert?

Meine Gedanken rasen, als eine Stimme hinter mir erklingt. Klar und seltsam vertraut, als würde sie aus den Fäden der Dimension selbst gesponnen.

„Meisterin Isilyn, seid Ihr es?“

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Die Stimme hinter mir klingt weich, fast wie ein ferner Hauch im Wind. Ich drehe mich hastig um, mein Herz rast. Vor einem Augenblick war ich noch allein, doch nun sitzt dort eine Frau, die ich nicht kommen hören habe. Sie ruht auf dem violetten Gras – oder was immer es hier ist – und spielt an einer Harfe, deren sanfte Klänge ich zuvor vernommen hatte.

Ihr Gesicht ist von einer goldenen Maske bedeckt, die ihre Augen vollständig verdeckt. Das bedeutet, sie kann nicht auf die herkömmliche Weise sehen, und doch wirkt sie so, als sei ihr meine Anwesenheit völlig bewusst, als hätte sie mich von Anfang an gespürt. Ihr Haar, schwarz wie die tiefste Nacht, fließt meterweit um sie herum, als würde es mit der Energie dieses Ortes selbst verbunden sein. Sie bewegt sich mit einer mühelosen Eleganz, die beinahe übernatürlich wirkt.

„Ich bin…“, beginne ich zögernd, doch meine Stimme versagt.

Die Frau legt ihre Finger sanft auf die Harfensaiten und lässt die Töne verebben. Sie neigt leicht den Kopf, als würde sie mir zuhören, obwohl sie mich nicht sehen kann. „Ihr seid nicht meine Meisterin...“, stellt sie mit einem Hauch von Enttäuschung in der Stimme fest. „Seid Ihr etwa...?“

Ich spüre den Druck ihrer unausgesprochenen Frage, als ob sie mein ganzes Wesen mit einer Wahrnehmung durchdringt, die das Sehen nicht braucht.

„Mein Name ist Vespera…“, antworte ich schließlich, meine Stimme nur ein Flüstern. „…Entium. Ich bin die Tochter von Isilyn Entium.“

Die Stille, die folgt, ist tief und eindringlich. Die Welt um uns herum scheint zu schweigen, als ob sie meine Worte aufzusaugen versucht. Die Frau regt sich nicht, doch etwas in ihrer Haltung verändert sich, eine kaum wahrnehmbare Anspannung löst sich, als ob sie diese Wahrheit bereits gekannt hätte.

„Die Tochter von Meisterin Isilyn…“ Ihre Worte sind kaum mehr als ein Hauch, doch sie tragen ein Gewicht, das ich kaum begreifen kann. „Dann seid Ihr es, die das Astralis gerufen hat. Es hat Euch gesucht, Meisterin Vespera… so wie es einst Eure Mutter suchte.“

Obwohl ihre Augen verdeckt sind, habe ich das Gefühl, dass sie mich auf eine Weise sieht, die weit über das Sehen hinausgeht – als würde sie in meine Seele blicken, jede Erinnerung, jeden Zweifel, jede Sehnsucht erkennen.

Was meint sie nur damit? Wie könnte ich das Astralis gerufen haben, wenn ich doch erst heute von seiner Existenz erfahren habe? Meine Gedanken rasen, doch bevor ich mich in den Verwirrungen meiner eigenen Zweifel verlieren kann, zwinge ich mich, die drängendste Frage zu stellen.

„Wer seid Ihr?“ Meine Stimme klingt mutiger, als ich mich fühle.

Die Frau legt ihre Hände ruhig in ihren Schoß, als wäre das, was sie jetzt sagen wird, eine unumstößliche Wahrheit. „Mein Name ist Aetherion. Ich bin die Wegweiserin durch Raum und Zeit, die in Elindros als das Astralis bekannt ist.“

Der Name hallt in mir wider, wie ein entferntes Echo, das etwas Altes in mir berührt. „Aetherion...“ Ich wiederhole den Namen leise, fast ehrfürchtig. „Und Ihr habt meiner Mutter gedient?“

„Korrekt“, sagt sie ohne Zögern, ihre Stimme bleibt ruhig, als ob dies eine unbedeutende Tatsache sei. „Eure Mutter war eine meiner vielen Meisterinnen.“

Das Gewicht ihrer Worte trifft mich härter, als ich es erwartet hatte. So viele Fragen brennen auf meiner Zunge, doch ich beginne mit der offensichtlichsten. „Was ist die Aufgabe, die Ihr zu erfüllen habt?“

Zum ersten Mal seit unserem Gespräch hebt Aetherion ihr Gesicht leicht an, als ob sie in eine andere Zeit blickt, die lange vor meiner Existenz liegt. Ihre Stimme wird leiser, beinahe andächtig, als sie beginnt: „Vor vielen Jahrhunderten – vielleicht sogar seit Anbeginn der Zeit – habe ich mich hier, an diesem Ort, wiedergefunden. Eine Stimme gab mir den Auftrag, denjenigen zu dienen, die dem Reich der Losniws angehören. Viele Jahre habe ich auf meine erste Meisterin gewartet und jeder einzelnen von Ihnen gedient. Seitdem verweile ich hier, allein, ohne Kontakt zu anderen Wesen, und warte auf den Moment, in dem meine Aufgabe von Neuem beginnt. – Ich habe auf Euch gewartet, Meisterin.“

Die Vorstellung, dass jemand so lange in völliger Einsamkeit verharrt, erschüttert mich zutiefst. Ich denke an die Jahre, in denen ich mich allein fühlte, isoliert von der Welt – doch das verblasst gegen die unvorstellbare Zeitspanne, die Aetherion verbracht haben muss.

„Wart Ihr denn gar nicht einsam?“, frage ich leise, ungläubig, fast entsetzt.

Aetherion scheint meine Frage nicht zu verstehen. Ein seltsamer Ausdruck zieht über ihr maskiertes Gesicht, und sie wendet sich mir zu, als würde sie nach einer Bedeutung suchen, die ihr fremd ist.

„Was bedeutet das, Meisterin Vespera?“ Ihre Stimme klingt tatsächlich verwirrt. „Einsamkeit?“

Ich halte inne, verwundert über ihre Unkenntnis dieses Gefühls. „Nun...“, beginne ich, unsicher, wie ich es in Worte fassen soll. „Ihr seid bereits seit Jahrtausenden an diesem Ort allein. Ihr habt außer mit Euren Meisterinnen mit niemandem gesprochen. Habt Ihr nie das Bedürfnis verspürt, ein anderes Leben zu führen, etwas... außerhalb Eurer Aufgabe zu erleben?“

Für einen Moment schweigt Aetherion. Dann schüttelt sie langsam den Kopf, und ihre Antwort trifft mich mit einer Kälte, die ich nicht erwartet hatte.

„Meisterin, dieses Leben wurde mir zugewiesen. Warum sollte ich mich für ein anderes interessieren? Meine Existenz hat einen einzigen Zweck, und dieser Zweck ist meine Aufgabe. Ich bin geschaffen worden, um zu dienen. Alles, was ich bin und jemals sein werde, ist untrennbar damit verbunden.“

Ihre Worte hallen in der Luft nach, schwer und unerbittlich, als würde die Dimension selbst sie in Stein meißeln. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Was muss es bedeuten, zu existieren, ohne je den Wunsch nach etwas Anderem zu haben? Kein Streben, kein Verlangen, keine Hoffnung auf mehr als das, was bereits ist. Ich bin entsetzt, aber zugleich fasziniert.

Aetherions Existenz ist das genaue Gegenteil von allem, was ich je gekannt habe – und doch, in diesem Moment, verstehe ich, dass sie diese ewige Hingabe an eine Aufgabe akzeptiert hat, die ich vielleicht nie vollständig begreifen kann.

„Aetherion, wisst Ihr, wo meine Mutter jetzt ist?“ Meine Stimme zittert vor Erwartung. „Ich weiß nicht, ob Ihr meine Geschichte kennt, aber bis vor kurzem lebte ich in der Menschenwelt. Dort erzählte mir der Mann, den ich für meinen Vater hielt, dass sie bereits gestorben ist.“

Aetherion antwortet ohne Zögern, ihre Stimme ruhig und unergründlich: „Eure Geschichte ist mir wohlbekannt, Meisterin Vespera. Eure Verbindung zum Astralis gewährt mir Einblick in Euer Schicksal. Doch ich darf es nicht offenbaren. Jede Einmischung könnte den Lauf der Zeit verändern. Eure Vergangenheit ist untrennbar mit Eurem Schicksal verwoben und hat Euch genau an diesen Punkt geführt.“

„Das heißt also, du kennst mein Ende, aber kannst mir nicht den Weg zeigen?“, frage ich verwirrt. „Solltest du nicht, als meine Wegweiserin durch Raum und Zeit, sicherstellen, dass ich den richtigen Pfad wähle?“

„Wie Eure Reise enden wird, Meisterin...“, beginnt Aetherion, ihre Stimme so fest wie das Schicksal selbst. „...liegt allein in Euren Händen. Die Entscheidungen, die Ihr auf diesem Weg trefft… niemand darf sie beeinflussen. Doch ich glaube daran, dass auch Ihr, wie die Auserwählten vor Euch, Eure Bestimmung erfüllen werdet.“

„Meine Bestimmung?“ Ich wiederhole ihre Worte, als versuchte ich, ihre Bedeutung zu begreifen. „Und was ist das?“

„Das Gleichgewicht von Elindros“, antwortet sie mit einer Autorität, die keinen Zweifel zulässt. „Die Auserwählten des Astralis waren immer die rechtmäßigen Herrscherinnen. So auch Ihr, Meisterin Vespera. Ich werde an Eurer Seite sein, um Euch auf dieser Reise zu begleiten und selbst in der tiefsten Dunkelheit Euren Weg zu erhellen.“

„Und wie geht es jetzt weiter, Aetherion?“ Meine Stimme schwankt zwischen Neugier und Angst.

„Wohin Euch das Schicksal führt, wird durch Eure Entscheidungen bestimmt“, wiederholt sie in ruhigem Ernst. „Doch jetzt müsst Ihr zurückkehren. Von nun an werde ich über Euch wachen, meine Meisterin.“

„Wann werden wir uns wiedersehen?“, frage ich, meine Hoffnung nach Informationen über Elindros kaum verbergend.

Aetherion hält kurz inne, bevor sie mit kühler Bestimmtheit antwortet: „Wenn alles vorbei ist, Meisterin.“