»Du solltest dich unverzüglich auf den Weg machen!«
Chrysalis schreckte hoch. Die Schriftrollen vor ihr rollten sich zusammen und verteilten sich auf dem Boden. Vor ihr stand Meister Cedrik. Sie sah ihn fragend an.
»Heute ist der Vorabend von Beltane.«
»Ich weiß nicht, worauf Ihr hinaus wollt«, gestand Chrysalis.
Cedrik seufzte theatralisch. »Willst du behaupten, du kannst heute an etwas anderes als die Suche nach deinem Magierstab denken? Beltane wäre der ideale Zeitpunkt dafür, deinen wahren Stab zu finden.«
Chrysalis zögerte mit einer Antwort. Sie wollte Cedrik nicht damit brüskieren, dass sie an der Wirksamkeit eines solchen Stabes zweifelte — gelinde gesagt. »Wo soll ich denn mit der Suche anfangen?«, fragte sie zaghaft.
Cedrik ließ enttäuscht die Schultern hängen. »Das musst du schon selbst herausfinden, das ist ein essentieller Teil der Aufgabe.«
»Ich versuche es im Alten Hain.« Chrysalis hoffte, dass sie dort einen geeigneten Stecken auftreiben könnte, der die Billigung ihres Meisters fände.
Cedriks Augen leuchteten auf. »Das ist sicherlich eine hervorragende Idee. Am besten brichst du bald auf, damit du noch bei Tageslicht einen Ort der Macht erreichst. Dort kannst du dich in Ruhe auf die nächtlichen Meditationen vorbereiten.«
Chrysalis verkniff sich das Lachen, zu albern klang das Ganze. Orte der Macht! Auch sah sie einer Nacht im Freien mit Unbehagen entgegen, die dicken Quellwolken am Himmel verhießen nichts Gutes. Aber sie fügte sich ohne Murren in ihr Schicksal. Sie hatte die ersten viel versprechenden Hinweise auf ihre mögliche Abstammung in den alten Schriften gefunden und durfte ihre weiteren Nachforschungen nicht gefährden. »Dann mache ich mich ans Packen«, meinte sie fügsam und wollte aufstehen.
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»Da gibt es nichts zu packen!«, rief Cedrik entrüstet. »Wo bist du nur mit deinen Gedanken, Mädchen?« Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Du kennst doch die Regeln und Rituale, die zu befolgen sind, oder?«
Chrysalis rollte mit den Augen. »Jawohl, großer Meister!«
»Mach dich nicht über mich lustig. Etwas mehr Ernst wäre schon angebracht! Dies ist deine erste wichtige Aufgabe, und ich bin enttäuscht von deiner Art, dies alles auf die leichte Schulter zu nehmen. Also: Was darfst du mitnehmen?«
»Nichts«, zischte sie.
Cedrik seufzte. »Auch nicht korrekt. Es ziemt sich nicht, unbekleidet auf eine derartige Expedition zu gehen. Also noch einmal von vorne, und mit etwas mehr Respekt bitte!«
Chrysalis ließ die Schultern hängen. »Außer der Kleidung auf meinem Leib ist mir nur ein geweihtes Messer gestattet.«
»Na also. Schließlich sollst du die Nähe zu den Elementen suchen!«
»Die werde ich heute Nacht sicher finden«, murmelte Chrysalis verdrossen, aber so leise, dass Cedrik sie nicht hören konnte. Es versprach, ein ungemütlicher und vor allem nasser Ausflug ins Grüne zu werden. Sie schielte sehnsüchtig auf die am Boden verteilten Schriftrollen.
Cedrik runzelte die Stirn. »Die Schriften räumst du natürlich noch auf. Aber ohne noch darin zu schmökern! Sonst entziehe ich dir den Zugang wieder! Ich weiß eh nicht, was du in den verstaubten Dingern zu finden hoffst…«