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Kapitel 18 • Die Offenbarung

Sobald Chrysalis mit ihrem Lehrmeister allein war, kam sie ohne weitere Umschweife zur Sache. »Dieser Gildas ist also kein Einzelfall, oder?«

Cedrik schüttelte betrübt den Kopf. »Leider nicht. In letzter Zeit nehmen die Fälle überhand, in denen ein aussichtsreicher junger Kandidat buchstäblich über Nacht seine keimenden Fähigkeiten verliert. Wir stehen vor einem Rätsel!«, bekannte er.

Chrysalis überlegte, wie weit sie ihrem Meister und seinen Kollegen vertrauen konnte. Sie beschloss, erst einmal den Kenntnisstand der Magier auszuloten. »Was wisst Ihr über die Magierkriege um Mordred? Wisst Ihr, welche Geheimnisse damals die Schwarzen hüteten und welche verwerflichen Rituale sie praktizierten?«

Cedrik sah seine Schülerin verdutzt an. »Ich wusste gar nicht, dass du bereits in der alten Geschichte unterrichtet wurdest?«

»Wurde ich auch nicht«, murmelte Chrysalis.

Cedrik zog fragend eine Augenbraue hoch und wartete auf eine Erklärung.

»Nun, ich habe mir etliche Schriften zu diesen Themen durchgelesen«, entgegnete Chrysalis ausweichend. Dann fuhr sie mit fester Stimme fort. »Und ich erkenne gewisse Parallelen zu der Ausbeutung der menschlichen Lebenskräfte damals und den jüngsten Ereignissen.«

»Das ist doch blanker Unsinn!«, entrüstete sich Cedrik. »Niemand weiß doch heute auch nur annähernd, was damals vorgefallen ist. Die Kriege liegen nun schon mehr als 1300 Jahre zurück.«

踂, um genau zu sein. Unsere jetzige Zeitrechnung basiert auf dem Jahr, in dem die letzte Schlacht stattfand.« Sie hielt kurz inne und atmete tief durch. Wie sollte sie nur ihr Geheimnis schonend ihrem Meister beibringen? »Ich — bin älter als es den Anschein hat«, murmelte sie schließlich.

»Was soll denn das nun wieder heißen?«, schnaubte Cedrik.

»Das heißt, dass meine ältesten Erinnerungen bis zu diesen entsetzlichen Tagen zurückreichen.«

Cedrik schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Das ist doch wohl die Höhe. Willst du mich auf den Arm nehmen? Mir ist im Moment nicht nach Scherzen zumute!«

Chrysalis zuckte mit keiner Wimper und blickte dem aufgebrachten Magier fest in die Augen. »Damals starben alle Lebewesen in weitem Umkreis um die Magierhochburgen. Menschen, Tiere, selbst Pflanzen. Alle.

Bis heute ist nicht geklärt, was die Ursache hierfür war.«

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Cedrik rieb sich nachdenklich die Nase. »Das wissen heute nur noch eine Handvoll Menschen. Woher weißt du davon? Zu dem Bereich der Bibliothek mit diesen alten Schriftrollen hast du doch noch gar keinen Zugang. Und selbst wenn, könntest du doch nichts davon lesen…«

»Habe ich nicht, aber könnte ich«, antwortete Chrysalis. Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Ich möchte Euch bitten, mich zusammen mit Meister Ossian in eben diesen Teil der Bibliothek zu begleiten und ein gewisses Dokument dort mit mir anzusehen.«

Meister Ossian ging voran und grummelte dabei missmutig vor sich hin. »Zugang zu den alten Schriften. Gerade mal seit einer Woche ist sie Gesellin, und nun fordert sie schon Zugang zu den alten Schriften!«

Chrysalis ließ sich nicht beirren und führte die beiden Magier zielstrebig zu einem Regal. Sie zog eine vergilbte Schriftrolle heraus und hielt sie Meister Ossian unter die Nase. »Wenn Ihr so gütig wärt, mir den Namen der Autorin vorzulesen sowie das Jahr, in dem dieses Dokument verfasst wurde?«

»Vorsichtig! Das ist eines unserer kostbarsten Stücke!« Ossian nahm die Rolle behutsam entgegen und ging damit ans Fenster. Selbst das schwindende Abendlicht war noch heller als die verrußte Laterne, die sie mitgebracht hatten. Er drehte das Pergament hin und her, um den schwachen Lichtschein optimal zu nutzen, dann sog er überrascht die Luft zwischen den Zähnen ein. »Das kann nicht wahr sein«, flüsterte er und überprüfte den Schriftzug noch einmal sorgfältig.

Cedrik beugte sich neugierig geworden über die Schulter seines Kollegen. »Was gibt es?«

»Sieh selbst«, entgegnete Ossian und hielt ihm die Rolle hin.

Cedrik stöhnte. »Du weißt nur zu gut, dass ich diese archaischen Zeichen kaum entziffern kann«, meinte er vorwurfsvoll.

»Dafür reicht es schon noch, werter Freund«, beteuerte Ossian.

Nun war es Cedrik, der seinen Augen nicht traute. »Über die Gründung des ersten Kollegiums der Magie in der Neuzeit. Niedergeschrieben von Chrysalis, im Sommer 922? Das wäre aber ein seltsamer Zufall!«

»Bitte überzeugt Euch, dass die Rolle schon seit langem nicht mehr geöffnet wurde«, bat Chrysalis.

Die beiden Magier untersuchten das Lederband, das die Schriftrolle verschlossen hielt. Es war alt und brüchig und konnte nicht gelöst werden, ohne zu Staub zu zerfallen.

»Lasst mich die ersten Worte dieser Schrift zitieren, bevor Ihr die Rolle öffnet und sie selbst lest. Mal sehen, ob ich die Formulierungen noch richtig hinbekomme.« Chrysalis schloss kurz die Augen, bevor sie fortfuhr.

»Endlich ist die Zeit reif für das öffentliche Erstarken der Magie. Zu lange, fast Tausend Jahre, ist es her, dass Magier in hohem Ansehen und Ehre standen und das Weltgeschehen mit beeinflussen durften, im Guten wie im Schlechten.

Endlich ist die Zeit reif, ein Kollegium zu gründen, an dem Magie gelehrt werden darf, und an das sich Hilfesuchende wenden können, ohne dafür verfolgt zu werden, an dem junge Talente beschützt und ausgebildet werden können, bevor sie sich und ihren Mitmenschen Schaden zufügen.«

Chrysalis hielt inne und senkte verschämt den Blick. »Der Text ergeht sich dann recht ausführlich über Sinn und Zweck dieser Einrichtung. Ich möchte Euch nicht mit den Details belasten.«

»Das ist eine Frechheit!«, erboste sich Ossian und entriss Cedrik das fragliche Schriftstück. »Gib her. Diesem Unfug bereite ich jetzt ein Ende!« Mit zitternden Fingern riss er das Band entzwei und überflog die ersten Zeilen. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht.