Cedrik hatte keine leichte Aufgabe vor sich. Und alles nur, weil man vor Jahren die einflussreiche Adelsfamilie nicht verprellen wollte, indem man ihren Sprössling überging.
Er wurde von einem energischen Klopfen aus seinen düsteren Gedanken gerissen. Bevor er auch nur zum Eintreten auffordern konnte, stieß Trevor die Tür auf und schlenderte herein. Cedriks Stimmung sank auf einen neuen Tiefpunkt.
»Was gibt es?«, wollte Trevor gelangweilt wissen.
Cedrik kam ohne Umschweife zur Sache. »Es geht um deine weitere Laufbahn, als Magier im Allgemeinen und hier am Kollegium im Besonderen.«
»Werde ich etwa schon zum Meister ernannt?«, fragte Trevor verwundert.
Cedrik war sprachlos. Das Gespräch verlief nicht ganz in die geplante Richtung. »Nein, im Gegenteil!«, donnerte er, als er sich wieder gefasst hatte. Wie überheblich konnte man denn sein? »Deine Karriere als Magier ist zu Ende! Für wie dämlich hältst du uns eigentlich? Denkst du im Ernst, wir bemerkten nicht, dass du die allerwenigsten der dir gestellten Aufgaben tatsächlich selbst erfüllst? Und nicht andere dazu hernimmst? Von deiner Verantwortung und Vorbildfunktion ganz zu schweigen.«
Trevor war blass geworden. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und blickte mit hochgezogenen Augenbrauen auf Cedrik herab. »Wollt Ihr mir etwa drohen?«
»Drohen?« Cedrik lachte humorlos. »Das ist nicht nötig. Dein Verhalten ist unentschuldbar, und du bist unbelehrbar. Das sehen auch die anderen Großmagier so. In der Tat musste ich als letzter von der Notwendigkeit und Endgültigkeit dieser Entscheidung überzeugt werden.
Nein, wir haben — das Dekanat hat einstimmig beschlossen, dich vom Unterricht hier mit sofortiger Wirkung zu suspendieren und dir den Zutritt zum Kollegium zu verwehren.«
Trevor lief puterrot an. »Was erlaubt Ihr Euch? Mein Vater hat viele einflussreiche Freunde am Hofe des Königs!«
»Das hier ist nicht der Hof des Königs«, entgegnete Cedrik kühl.
Trevor musterte seinen ehemaligen Lehrmeister mit eisigem Blick. »Aber von dort erhaltet Ihr die finanziellen Mittel, die Euch ein unbeschwertes Leben und gewisse schöpferische Freiheiten ermöglichen. Ohne diese Mittel könntet Ihr Euer Märchenreich hier nicht erhalten.«
Cedrik stutzte. Er wunderte sich, wie gut Trevor informiert war. »Diese Mittel erhalten wir von König Anghus persönlich, der Rat hat darauf keinen Einfluss.« Wie hatte dieser Schnösel es geschafft, ihn in die Defensive zu drängen?
If you spot this narrative on Amazon, know that it has been stolen. Report the violation.
»Der Rat hat mehr Einfluss, als Ihr denkt, und einen langen Arm, der auch bis hier ans Kollegium reicht.« Trevor lächelte triumphierend. »Und Anghus wird nicht ewig leben.« Er kehrte auf dem Absatz um und stolzierte hinaus.
Die schwere Eichentür fiel mit einem dumpfen Knall hinter ihm ins Schloss.
Cedrik lief ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Er verharrte einige Augenblicke reglos an seinem Schreibtisch und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
Er seufzte resigniert, nahm eine Flasche mit Kräuterschnaps und ein Glas aus der untersten Schublade und schenkte sich einen Fingerbreit ein.
Die Unterredung war ganz anders verlaufen war, als er sich das vorgestellt hatte. Und jetzt saß er ohne einen Gesellen da, der sich in seiner Abwesenheit um sein Kuriositätenkabinett kümmerte.
Er ließ den Schnaps im Glas kreisen und beobachtete die ölig glänzenden Tropfen, die die Glaswand hinaufkrochen. Ach, könnten sie ihm doch einen Weg aus seinem Dilemma zeigen!
Dem Kollegium mangelte es an vielversprechendem Nachwuchs. In den letzten Jahren waren immer weniger junge Talente an die Schule gekommen, um sich in den magischen Künsten ausbilden zu lassen.
Cedrik nippte an dem Enzianbrand. Die Schärfe nahm ihm wie immer den Atem. Er schnappte nach Luft und schüttelte sich wohlig.
Chrysalis fehlte an Selbstvertrauen, was Trevor zu viel davon hatte. Aber er hatte keinen anderen Kandidaten als dieses sonderbare Mädchen. Und er brauchte dringend jemanden dem er vertrauen konnte und dessen Gesicht in Taboron noch unbekannt war.
Dennoch war ihm nicht wohl bei dem Gedanken. Er wurde einfach nicht schlau aus Chrysalis, zu widersprüchlich war ihr Verhalten. Zeitweise erschien sie ihm kindlich und naiv, fast schon unreif. Dann wieder strahlte sie eine Weisheit aus, die ungewöhnlich war für ihr Alter.
Zudem war Chrysalis erst vergangenen Herbst ans Kollegium gekommen. Zu kurz war sie hier, um sie richtig kennenzulernen. Viel zu kurz für eine umfassende Ausbildung während ihrer Zeit als Lehrling.
Und er wurde den Verdacht nicht los, dass Chrysalis ihn an jemanden erinnerte.
Er schlürfte die letzten edlen Tropfen aus dem Glas, wischte es mit einem Lappen aus und verstaute alles wieder in der Schublade. Keinen Augenblick zu früh, denn jemand klopfte zaghaft. Cedrik setzte sich auf und strich seine Robe glatt.