»Nun?«, unterbrach Cedrik ungeduldig das lange Schweigen seines Freundes.
Ossian las die ersten Absätze nun bereits zum dritten Male durch und wollte — konnte seinen Augen nicht trauen. Schließlich senkte er die Schriftrolle und stammelte. »Sie hat die Wahrheit gesagt. Hier steht fast wortwörtlich, was unsere Chrysalis uns soeben vorgetragen hat!«
»Heißt das, Ihr schenkt mir endlich Glauben?«, fragte Chrysalis fast unhörbar.
Cedrik nahm das Dokument wieder an sich und entzifferte selbst die ersten Zeilen. »Wohl oder übel«, murmelte er. »Aber ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Wenn du tatsächlich die letzten Tage der Großen Magierkriege miterlebt haben solltest, wie du behauptest…
Was bist du? Jedenfalls kein — Mensch!« Er hob anklagend den Blick.
»Ich weiß es doch selbst nicht«, gestand Chrysalis kleinlaut. »Deshalb wollte ich ja unbedingt die ältesten Schriftstücke hier studieren: um das Geheimnis meiner eigenen Vergangenheit und Herkunft aufzudecken.«
Ossian hatte sich wieder gefasst und sah ihr prüfend ins Gesicht. »Vielleicht hast du ein wenig Elbenblut in deinen Adern. Das soll unter anderem zu einer verlängerten Lebensspanne führen. Aber mir ist kein Fall bekannt, wo dies in diesem ungeheuerlichen Ausmaß geschehen wäre. Außerdem fehlen dir die anderen typischen Anzeichen dafür: spitze Ohren, blasse Haut, glattes helles Haar. Und du wärst die Letzte deiner Art…«
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»Wie dem auch sei.« Cedrik war es sichtlich unangenehm, dass plötzlich ein Fabelwesen unter seinen Schülern sein sollte. »Du hast gewisse Andeutungen gemacht, dass Schwarze Magier wieder ihr Unwesen trieben?«
»Wie ich schon sagte, hatten die Schwarzen damals ihre übermenschlichen Fähigkeiten wahrscheinlich durch den Raub der Lebensenergie anderer Lebewesen erlangt.« Chrysalis hielt inne und überlegte, wie sie ihre ungeheuerlichen Befürchtungen in Worte fassen sollte. »Ich verfolge das Erstarken der Magie nun bereits seit einigen Jahrhunderten — «
Cedrik sah sie unbehaglich aus dem Augenwinkel an.
»— und habe wiederholt Anzeichen dafür gesehen, dass auch die Schwarze Magie mehr und mehr Anhänger findet. Wie Ihr sicherlich wisst, beziehen die Schwarzen ihre Macht vor allem durch Rituale, bei denen ein Unschuldiger zu Schaden kommt.
Ich befürchte, dass Gildas und all die anderen Kandidaten Opfer der Schwarzen geworden sind.«
Ossian stellte den Zusammenhang als Erster her. »Das würde bedeuten, dass die Schwarzen an Macht gewinnen und sie gleichzeitig dem Kollegium den dringend benötigten Nachwuchs entziehen.«
Chrysalis konnte nur wortlos nicken. In ihrem Geiste war finsterste Neumondnacht, und durch ihr Dorf zogen Schwarze Schatten. Ein eiskalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. »Nicht noch einmal…«, flüsterte sie mit zittriger Stimme.