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Chrysalis 1 • Das Amulett [Deutsch/German only]
Kapitel 10 • Zurück am Kollegium

Kapitel 10 • Zurück am Kollegium

Chrysalis blickte sich entsetzt um. Sie konnte nicht so recht glauben, dass sie ›ihren‹ Magierstab gefunden haben sollte. Aber die seltsamen Vorkommnisse sprachen eindeutig dafür, dass hier etwas Besonderes geschehen war.

Um sie herum erwachte der alte Wald wieder zum Leben. Eine sanfte Brise säuselte durch die Blätter der mächtigen Bäume rings um die Lichtung, und auch die Vögel zwitscherten wieder überschwänglich ihre Melodien.

Schweren Herzens machte sie sich auf den Rückweg zum Kollegium. Sie malte sich aus, wie Cedrik sich bestätigt sähe und sie bei jeder Gelegenheit spüren lassen würde, das ihre Zweifel unbegründet gewesen waren.

Während sie bei strahlendem Sonnenschein durch den lichtdurchfluteten Wald wanderte, besserte sich ihre Laune zusehends. Sie beschloss, sich in ihr Schicksal zu fügen und Cedriks wirren Hirngespinsten zu entsprechen. Immerhin hatte sie ihre Aufgabe erfüllt und einen Magierstab gefunden, wenn auch einen offensichtlich unvollständigen. Aber dann fiel ihr siedend heiß ein, dass Cedrik ihr sicherlich als nächstes die Herausforderung stellen würde, einen passenden ›magischen‹ Stein zu finden, und ihre Stimmung sank auf einen neuen Tiefpunkt.

So stapfte sie missmutig in den Hof des Kollegiums, wo sie zu ihrer Überraschung bereits von Cedrik und Ossian sowie etlichen anderen Meistern erwartet wurde. Die Meister waren in angeregte Diskussionen vertieft, verstummten aber sobald sie ihrer gewahr wurden und blickten sie erwartungsvoll an.

Chrysalis blieb verunsichert stehen und wandte sich dann zögernd an Cedrik. »Meister Cedrik, was soll das Aufgebot? Sicherlich ist nichts besonderes daran, dass ich es tatsächlich geschafft habe, einen Stab zu finden, oder?«

Der Bibliothekar, Meister Ossian räusperte sich umständlich. »Nun ja, es gibt da eine gewisse Prophezeiung, und Zeichen deuten darauf hin, dass diese jetzt eintritt.«

»Welche Prophezeiung? Und was hat das mit mir zu tun?« Chrysalis schüttelte abwehrend den Kopf. Dann musste sie an den Donnerschlag denken, der bei ihrer Bergung des Magierstabes erklungen war. Sicher war das Getöse auch hier im Kollegium zu hören gewesen und hatte alle aus ihren Betten geworfen.

»Nun, die Prophezeiung ist sehr rätselhaft«, murmelte Ossian. Dann fuhr er lauter fort. »Die ersten Sätze sprechen von etwas Verhülltem, das wieder entblößt werden wird, und der Zerstörung alter Dinge vor dem Erschaffen von Neuem. Wie gesagt, sehr rätselhaft.«

Cedrik trat einen Schritt vor. »Wo genau hast du den Stab gefunden, Mädchen? Bitte beschreibe uns in allen Details, was dir widerfahren ist. Vielleicht können wir uns dann endlich auf eine Interpretation der Prophezeiung einigen.«

Chrysalis blickte verständnislos in die Runde. Nicht genug damit, dass sie mit einem unvollständigen und damit sicherlich nutzlosen Stab geschlagen war. Sollte sie jetzt auch noch mit einer alten Prophezeiung in Verbindung gebracht und so zum Gespött des gesamten Kollegiums werden? Widerwillig rammte sie den Stab vor ihren Füßen in den Boden. Dann sprang sie entsetzt zurück.

Aus der Spitze des Stabes züngelte eine gleißend blau-weiße Flamme, die immer weiter aufstieg und schließlich wie ein umgekehrter Blitz in den wolkenlosen Himmel schlug, begleitet von einem ohrenbetäubenden Knall. Dann erlosch die seltsame Flamme. Der obere Teil des Stabes leuchtete glutrot nach, darüber flimmerte die Luft vor Hitze.

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Entsetzt starrten die Magier zuerst auf den Stab, dann auf Chrysalis.

»Was denkst du dir eigentlich?«, stieß Ossian schließlich hervor. »Weißt du überhaupt, welchen Stab du da so ungebührlich behandelst?«

Chrysalis senkte die Hände, die sie schützend vor ihr Gesicht gehalten hatte. Sie betrachtete ›ihren‹ Magierstab genauer, dem die Flammen offenbar nichts hatten anhaben können. »Nein«, gestand sie kleinlaut. »Aber selbst ich habe mittlerweile begriffen, dass es sich um einen besonderen Stab handeln muss, der vielleicht sogar aus der Zeit der Großen Magierkriege stammt.«

»Es kommt nur ein einziger großer Magier infrage, dessen Stab du gefunden haben könntest.« Ossian blickte sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Ehrfurcht an. Dann hauchte er den Namen »Mordreth.«

»Mordreths Prophezeiung?« Chrysalis lachte ungläubig. Selbst sie hatte von dieser ominösen Prophezeiung gehört, die vom mächtigsten Magier aller Zeiten kurz vor dem desaströsen Ende des Großen Krieges verbreitet worden war.

»Eben diese«, schaltete sich Cedrik ein. »Den genauen Wortlaut müssen wir hier nicht in vollem Umfang wiederholen, dieser ist dir sicherlich geläufig. Aber die Meinungen über die richtige Interpretation gehen leider weit auseinander.«

Ossian musterte sie eindringlich und schüttelte dann belustigt den Kopf. »Eine ›mächtige Kriegerin‹ und ›hehre Braut‹ hatte ich mir anders vorgestellt, aber über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten.«

Cedrik warf seinem Kollegen einen strengen Blick zu. Dann wandte er sich an Chrysalis. »Raus mit der Sprache, Mädchen. Was ist heute früh vorgefallen?«

Chrysalis fügte sich in ihr Schicksal und berichtete wahrheitsgetreu von den Ereignissen. Als sie zu ihrem Besuch durch den alten Mann kam, murmelten die Meister erregt durcheinander.

»Die alten Mächte zeigen sich wieder«, murmelte einer ehrfürchtig.

»Die Zeichen passen alle!«, ereiferte sich ein anderer.

»Aber die Prophezeiung spricht von edler Abstammung«, warf Ossian ein.

»Wer sind deine Eltern?«, erkundigte sich Cedrik und blickte sie anklagend an. »Stammst du etwa doch aus einem der Adelsgeschlechter?«

Chrysalis schluckte schwer. »Ich weiß nicht, wer meine Eltern waren«, gestand sie mit gesenktem Kopf.

»Das tut nichts zur Sache«, widersprach Ossian. »Die Interpretationen gehen auch hier auseinander. Manche sprechen von ›edler Gesinnung‹.« Er sah Chrysalis fragend an. »Du willst doch Heilerin werden, um anderen zu helfen, oder?«

Chrysalis konnte nur stumm nicken. Zu viel war geschehen, und sie konnte sich die Folgen nicht im Entferntesten ausmalen. Dann fuhr sie mit ihrem Bericht fort. Die Meister nickten hin und wieder zustimmend, als sähen sie ihre Vermutungen und Erwartungen bestätigt, unterbrachen sie aber nicht mehr.

»Nun gut«, Cedrik rieb sich die Hände und zwinkerte vergnügt in die Runde. Er erweckte den Anschein, als wäre dies alles für ihn ein kurzweiliges Abenteuer. »Wie die Prophezeiung sagt: ›Verloren geglaubtes wird wieder gefunden.‹ Deine nächste Aufgabe hast du sicherlich schon erraten, Mädchen: Finde den fehlenden Kristall!«