Offenbar hat man mir in meiner Abwesenheit einen Spitznamen verpasst. “Bezwinger der Hexe” war jetzt nicht unbedingt ein Titel, welchen ich mir erträumt hatte. Für mich war das spontane Duell nur eine Verkettung unglücklicher Umstände. Für die normalen Bewohner der Stadt hatte dieses Ereignis allerdings eine ganz andere Bedeutung.
Niemand würde es vermutlich öffentlich zugeben, doch die Kinder des Barons erfreuen sich bei den einfachen Leuten nur sehr geringer Beliebtheit. Sie sind den Launen der Geschwister hilflos ausgeliefert. Das nun endlich mal jemand Annabell in die Schranken gewiesen hat, empfinden viele Leute als eine Art von Gerechtigkeit. Wie ich aber in der Gilde herausfinde, kursieren mittlerweile die wildesten Geschichten über den Hergang des Duells.
Manche erzählen, dass ich die Tochter des Barons mit einem Streich niedergestreckt hätte und Herr Lester so sprachlos von meiner Darbietung war, dass er mich einfach gehen lassen musste. Andere behaupten, dass ich Annabell so hart verprügelt habe, dass der Baron einschreiten musste und mich zur Aufgabe zwang. Vom talentierten Lehrling eines hochrangigen Magiers, bis zur Nutzung von verbotenen Substanzen, um den Kampf zu gewinnen, ist alles dabei. Das ich in Wahrheit der verzogenen Göre nicht ein Haar gekrümmt habe, scheint keine Sau zu interessieren.
Marcos Zorn auf mich scheint mittlerweile auch verflogen zu sein. Der Gildenanführer empfängt uns gelassen in seinem Büro. Sophie berichtet ihm in kurzen Sätzen von den Ereignissen im Wimmerwald, lässt aber meine Auseinandersetzung mit den Ritterspinnen außen vor. Der Chef muss ja nicht alles wissen. Eine äußerst ausführliche Belehrung über vertretbare Risiken und verantwortungsvollem Handeln ist so ziemlich das Letzte, was ich im Moment gebrauchen kann.
Für mich selbst hat der Bogenschütze bereits eine neue Mission in petto. In vier Tagen soll ich einen fahrenden Händler auf seiner Route begleiten. Soviel zu meinen Plänen für ein paar ruhige Tage. Immerhin verspricht ein empfohlenes Level von 38 zur Abwechslung mal keine Kämpfe gegen verrückte Adlige oder riesige Spinnen. Vier Tage sollten auch ausreichen, um alle nötigen Besorgungen zu erledigen. Mit einem letzten Hinweis darauf, dass ein paar Briefe für mich angekommen sind, schmeißt uns Marco aus seinem Büro.
Tatsächlich finde ich besagte Post säuberlich gestapelt auf meinem Bett wieder. Jedoch hatte ich bei “ein paar Briefe” an zwei oder drei und nicht an sage und schreibe vierzehn Stück gedacht! Vor allem ein besonders leuchtend weißer Umschlag von einem gewissen Roman Pilkowski bereitet mir direkt Kopfschmerzen.
Nach einer ausgiebigen Mahlzeit widme ich mich pflichtbewusst dem Papierkram. Neben einem sehr netten Brief von Herrn Krüger, welcher sich ausführlich für meine Hilfe bedankt, sind mehrere Einladungen zu kleineren Veranstaltungen dabei. Auch ein paar meiner Magierkollegen fragen nach einem Treffen. Meine Lust auf so viel Trubel hält sich arg in Grenzen. Ich habe echt Besseres zu tun, als mich jeden zweiten Tag zu besaufen. Um die Einladung von Frau Messing werde ich aber nicht herum kommen. Großen Auftraggebern schlägt man bekanntlich nur selten einen Wunsch aus. Seufzend öffne ich den letzten Brief.
“Sehr geehrter Herr Lang,
lieber hätte ich das persönliche Gespräch mit ihnen gesucht, doch aufgrund diverser Verpflichtungen meinerseits ist es mir aktuell nicht möglich, die Akademie zu verlassen.
Ich schreibe ihnen deshalb diese Zeilen, um mich für das Duell mit meiner Schülerin zu bedanken. Seinen Gegenüber nur mit Manabolzen zu überwältigen, war in meiner Jugend ein gängiger Trick. Heutzutage wieder von so einem lang vergessenen Klassiker zu hören, ist erfrischend. Aus diesem Grund würde ich sie gerne mit offenen Armen in der Magierakademie von Turbingen willkommen heißen. Die Einrichtungen hier bieten ihnen einzigartige Möglichkeiten, welche ihrer weiteren Laufbahn als Magier sicherlich dienlich sein werden. Ich hoffe, sie schon bald in unseren Heiligen Hallen begrüßen zu dürfen.
Roman Pilkowski
Vizepräsident der magischen Akademie von Turbingen”
Ich hätte nicht gedacht, dass Herr Pilkowski die Sache so locker nimmt. Leider werde ich das verlockende Angebot des Vizepräsidenten nicht annehmen können. Bis mein Vertrag mit der Sira-Gilde ausläuft, gehe ich nirgendwo hin. Außerdem bezweifle ich stark, dass meine finanziellen Mittel für ein Leben in so einer Einrichtung ausreichen. Eine Antwort bin ich dem ranghohen Magier trotzdem schuldig. Allerdings ganz bestimmt nicht auf blütenweißem Papier! Das normale Zeug ist bereits teuer genug.
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Im Laufe des restlichen Tages erwerbe ich neue Wechselklamotten, ein Blatt Papier, Schreibzeug und einen großen Münzbeutel. Die ganzen Sachen kosten mich insgesamt 2.563 Sil. Insbesondere der Münzbeutel war bitter nötig. Mir ständig Sachen von anderen Leuten leihen zu müssen, wurde langsam echt peinlich. Mit einer Kapazität von bis zu 10.000 Sil sollte dieses Problem der Vergangenheit angehören. Die restlichen 456 Sil werde ich erstmal sparen, beziehungsweise in Verpflegung für meinen nächsten Auftrag investieren.
Zwei Tage später mache ich mich auf den Weg, das geliehene Buch zurückzugeben. Das Warscher-Anwesen ist ein unscheinbar wirkendes, zweistöckiges Steinhaus, welches ein wenig abseits der Hauptstraße des oberen Bezirks steht. Von außen betrachtet, würde man nicht vermuten, dass hier eine einflussreiche Magierin lebt. Über die Warscher-Familie,weiß ich nicht viel. Sie sind offenbar im Militär von Usenia eine große Nummer. In Torfbergen schätzt man aber vor allem ihr Informationsnetzwerk. Auch aus Sophie konnte ich nicht viel über die Familie herausbekommen. Immerhin hat sie mir verraten, dass Rina Warscher eine Vorliebe für Angriffe aus großer Entfernung hat. Laut ihr verfügt die Frau dabei über eine Treffsicherheit, die ihresgleichen sucht.
Der Butler empfängt mich unverzüglich und führt mich ins Innere des Hauses. Hier wurde wiederum an keiner Stelle gespart. Dennoch fühle ich mich in den Räumen nicht ganz so erschlagen wie in den Hallen des Barons. Alles ist meiner Meinung nach ein wenig stilvoller eingerichtet. Statt überall mit Gold zu protzen, wurde penibel darauf geachtet, dass alles farblich aufeinander abgestimmt ist.
Die Hausherrin selbst begrüßt mich schließlich auf der Terrasse: “Willkommen in meinem bescheidenen Zuhause, Herr Lang. Bitte nehmen sie Platz.” Die Feuermagiern mit den rotbraunen Haaren bietet mir Tee an, den ich dankend annehme. Wir verfallen in einen seichten Plausch und einigen uns wenig später auf einen lässigeren Umgangston. “Also gut Torben”, fragt mich Rina schließlich”, kannst du mir verraten, wieso sich ein Rang 1 Magier mit Elementarfeldern beschäftigt?”
Ich versuche die vorhersehbare Frage mit einem Schulterzucken herunterzuspielen. “Warum sollte ich mich nicht für solch ein spannendes Thema interessieren?” Die hochgewachsene, schlanke Frau bleibt allerdings stur. “Ich besitze alleine in meiner privaten Sammlung drei Bücher, deren Inhalt dir wesentlich nützlicher erscheinen dürfte. Herrn Pilkowskis Werk richtet sich an Personen des 3. und 4. Ranges und erfordert stellenweise enormes Vorwissen. Nichts für Ungut, aber es würde mich doch sehr wundern, wenn du auch nur die Hälfte dieses Buches verstehst.”
Die Einschätzung der Magierin trifft es ziemlich gut. So ein Werk liest man nicht einfach so weil einem danach ist. “Die Illustrationen waren jedenfalls sehr ansprechend”, entgegne ich. Rina funkelt mich eine Sekunde böse an, doch verkneift sich ihre Antwort. “Nach deinem Duell mit Annabell habe ich mir einmal die Freiheit genommen, mehr über dich herauszufinden.'' Neue Magier tauchen selbst in der Hauptstadt nicht einfach aus dem Nichts auf. Allerdings scheint genau das bei dir der Fall zu sein. Eines Tages schlägst du einfach in Torfbergen auf und wirst umgehend von der Sira-Gilde rekrutiert. Den ersten Abenteurer bist du dann bei der Rückeroberung von Silberstieg aufgefallen. Neben dem Manabolzen hast du dort ebenfalls einen Schild- sowie einen Fallenzauber demonstriert. Vor allem Letztere hätte das Duell binnen Sekunden beenden können. Stattdessen hast du die Tochter des Barons zappeln lassen wie ein Fisch. Nenn mich ruhig naiv, aber den Berichten nach scheinst du eher der kurz-und-schmerzlos-Typ zu sein. Also wurde ich neugierig. Warum würde ein unbekannte Magier nicht das Rampenlicht nutzen um sich von seiner besten Seite zu präsentieren?''
Die Magierin steht kurz auf und kehrt kurz darauf mit einem kleinen Papierstapel zurück. “Es hat mich zwei Wochen gekostet aber das hier”, wobei sie die Dokumente auf den Tisch schmeißt, “ist eine Auflistung aller Fertigkeiten welcher der Warscher-Familie bekannt sind, die ein Naturmagier des ersten Ranges erlernen kann. In dieser Aufzählung gibt es aber keinen Zauber, welcher ein Stück Holz aus dem Boden schießen lässt! Das bedeutet, dass du entweder kein Magier der Naturkategorie bist, keine gewöhnliche Klasse besitzt oder es dir tatsächlich gelungen ist, eine neue, unbekannte Fertigkeit zu erlernen. Die erste Möglichkeit habe ich inzwischen ausgeschlossen und die dritte Option ist extrem unwahrscheinlich. Ich bin mir also zu 98% sicher, dass du ein Abweichler bist.”
Jup, bei der Magierin ein Buch auszuleihen, war eine schlechte Idee. Allerdings gibt es noch keinen Grund zur Panik. Würde mir die Feuermagierin wirklich Schaden wollen, dann wäre sie mit diesem Vortrag an die Öffentlichkeit gegangen. “Eine spannende Theorie”, erwidere ich, “doch warum erzählst du mir davon?” “Kurz gesagt möchte ich gerne alle Informationen über deine Klasse kaufen.” “Und was wäre der Warscher-Familie dieses Wissen wert?” Rina beschwört einen Münzbeutel aus ihrem Inventar, welcher mit einem dumpfen Laut auf den Tisch fällt: “30.000 Sil.”