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Kapitel 46: Drahtseilakt

Irritierenderweise scheine ich mit meiner Skepsis ziemlich alleine zu sein. Annabell hat offensichtlich Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Doch auch die anderen Gäste zweifeln nicht an ihren Sieg, ganz im Gegenteil. Eifrig werden zum Beispiel Wetten über die Länge des Kampfes oder die Anzahl der verwendeten Fertigkeiten geschlossen. Klar sind hier nicht alle Herrschaften eingefleischte Abenteuer mit jahrelanger Kampferfahrung. Jedoch sollte doch der gesunde Menschenverstand ausreichen um zu erkennen, dass dieses Unterfangen sehr gut auch in die Hose gehen kann.

Andre scheint mir meine Gedanken anzusehen: “Du solltest dir keine Sorgen um jemanden wie sie machen”, flüstert er mir zu. “Dieser Kampf wird nicht so laufen, wie du es vielleicht erwarten würdest.” Ich schaue den Windmagier fragend an, welcher es jedoch nicht für nötig hält, mir eine genauere Erklärung zu geben.

Kurze Zeit später beobachte ich gespannt, wie die Tochter des Barons die Arena betritt. Sie scheint es nichtmal für nötig zu erachten, für die Dauer des Kampfes in etwas bequemeres zu schlüpfen. Eine meiner Meinung nach schlechte Entscheidung. Wie soll man sich in so einem Kleid vernünftig bewegen können?

Es wird still auf der Tribüne. Der Tor am anderen Ende der Arena öffnet sich und Sekunden später tapst ein Braunbär in unser Sichtfeld.

Bär Lv 43

Es ist stattliches, wohlgenährtes Exemplar. Paradoxerweise gehören Bären zu den Raubtieren, welche nicht aktiv Jagd auf Menschen machen. Solange man ihnen kein Leid zufügt und sich von ihrem Unterschlupf fernhält, tun ein diese Tiere in aller Regel nichts. Nicht das dieses Wissen der jungen Feuermagierin in irgendeiner Weise weiterhelfen würde. Während der Bär noch versucht sich mit dieser für ihn unbekannten Umgebung vertraut zu machen, bereitet Annabell bereits ihren ersten Zauber vor. Was auch immer sie da gerade für eine Fertigkeit wirkt, hat eine immense Wirkzeit. Vier, fünf, sechs Sekunden braucht es bis sich vor ihr eine lodernde Kugel von der Größe ihres Oberkörpers geformt hat.

Auch wenn der Bär den Zauber ebenfalls bemerkt, scheint er ihn nicht als Gefahr für sich zu begreifen. Stattdessen dreht er sich einmal langsam im Kreis und verliert beinahe sein Gleichgewicht? Was zum Teufel? Mir bleibt keine Zeit das Verhalten des Tieres weiter zu hinterfragen. Mit einer schwingenden Geste setzt sich die Feuerkugel in Bewegung. Ihre Geschwindigkeit ist vergleichbar mit meinem Manabolzen. Somit sollte der Bär bei dieser Distanz eigentlich keine Probleme haben, der todbringenden Kugel auszuweichen. Doch das Tier rührt sich nicht. Warum rührt er sich nicht? Lauf doch du verdammter Idiot!

Der Zauber erwischt das Tier frontal und explodiert. Die entstehende Hitze ist sogar für einen Moment auf der Tribüne spürbar. Gierige Flammen umschließen das nun schreiende Tier. Verzweifelt schlägt es um sich, doch sein Schicksal ist bereits besiegelt. Die Bewegungen werden langsamer, die Schreie verstummen und der Bär fällt schließlich regungslos zu Boden.

Warmer Applaus ertönt von der Tribüne um die Siegerin zu ehren. Auch die Gewinner der Wetten sind sichtlich erfreut. Ich für meinen Teil blicke nur fassungslos auf den brennenden Kadaver. Was habe ich da gerade mit angesehen? Andre hatte Recht. Das war kein Kampf, sondern eine Hinrichtung. Ein unsanfter Seitenhieb reißt mich aus meiner Starre. Der Windmagier schenkt mir einen bedeutungsvollen Blick und klatscht weiter. Ich folge wenige Momente später seinem Beispiel. Das Geburtstagskind selbst scheint jedenfalls zufrieden mit ihrer Leistung zu sein.

Zurück im Ballsaal begrüßt uns der Anblick einer riesigen Torte. Das Gebäck ist fast so groß, wie der Tisch auf dem sie thront. Es dauert mehrere Minuten und ein Stück dieser äußerst leckeren Köstlichkeit, bis ich meine Gefühle wieder einigermaßen unter Kontrolle habe. Die Erinnerung daran, dass ich diesen Spuk hier nur noch ein paar Stunden ertragen muss, macht die ganze Situation wesentlich erträglicher. Ich versuche mich zwar immer noch an dem ein oder anderen Gespräch zu beteiligen, aber meine Energie dahinter ist nicht mehr dieselbe.

Die Demonstration hat mir zumindest bestätigt, dass ich beim Thema Zerstörungskraft nicht mit der Magierin mithalten kann. Der Zauber muss bei so einem Ergebnis weit über 200 Schaden verursacht haben. Davon werde ich selbst auf Level 50 nur träumen können. Die Schwächen so einer Fertigkeit sind jedoch ebenso offensichtlich. Wenn ich mich verzählt habe, dann hat diese Todeskugel eine Wirkzeit von sechs ganzen Sekunden. Nichts, was man mal eben in einem echten Kampf aus dem Ärmel schütteln könnte. Zumal selbst nach dem erfolgreichen Wirken ein Treffer alles andere als sicher ist. Es ist eine hoch riskante Fertigkeit, welche dem Aufwand entsprechende Feuerkraft liefert.

Aktuell unterhalte ich mich gerade mit einem Herren, welcher durch das Fertigen von gläsernen Skulpturen zu Reichtum gekommen ist. Herr Krüger spricht offenbar gerne und ausführlich über seine Kunst. Mein Anteil an dem Gespräch besteht zwar nur aus naiver Zustimmung oder kleineren Fragen, aber es ist eines der spannenderen Gespräche des Abends.

“Hätten die Herrschaften etwas dagegen, wenn ich mich an ihrer Unterhaltung beteilige?” Gleichzeitig drehen wir uns um und erblicken das Geburtstagskind. “Aber sicher doch Frau Lester. Mir war ihre Begeisterung für die gläserne Kunst gar nicht bekannt”, erwidert Herr Krüger. Es wird schnell klar, dass Annabell sich zumindest besser in der Kunstwelt auskennt, als ich das tue. Allerdings ist die mitreißende Art des Glasmachers nicht mehr dieselbe. Seine Redebedarf reduziert sich gegenüber der Tochter des Barons deutlich. “Unter Berücksichtigung dieser Argumente kommen sie doch sicherlich auch zu dem Schluss, dass die Malerei wesentlich anspruchsvoller als ihr Handwerk ist oder etwa nicht?”, fragt die Adlige selbstbewusst. Diese Aussage kommt einer verbalen, öffentlichen Ohrfeige gleich. Herr Krüger widerspricht jedoch nicht: “Sie haben Recht. Aus diesem Winkel habe ich meine Arbeit noch gar nicht gesehen. Vielen Dank für ihre Einschätzung.” “Kein Problem Herr Krüger, wir alle lernen jede Tag neue Dinge dazu. Es kann also auch aus ihnen noch ein echter Künstler werden.” Dem Glasmacher scheinen die Worte im Halse stecken zu bleiben: “Gewiss Frau Lester, vielen dank für ihre Einsicht. Wenn sie nichts dagegen haben, würde ich mich gerne für einen Moment entschuldigen.”

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Mit diesen Worten verabschiedet sich der Künstler aus unserer kleinen Gruppe, weshalb mir nun die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der jungen Frau zuteil wird. Erst jetzt fällt mir tatsächlich ihr starker, süßlicher Parfümgeruch auf. Vielleicht gehört sich das aber auch in solchen Kreisen einfach so.: “Ich glaube, dass heute unsere erste Begegnung ist. Annabell Lester, sehr erfreut einen neuen Kollegen in Torfbergen willkommen zu heissen.” Torben Lang, die Ehre ist ganz meinerseits.”

Annabell erkundigt sich, wie soviele andere auch, nach meinem Werdegang. Ich behaupte also erneut aus einem kleinen Dorf südlich von hier zu stammen. Wenn irgendjemand es genauer wissen möchte, dann nenne ich Mirheim als meinen Geburtsort. Somit leistet mir dieses abscheuliche Siedlung wenigstens auch jetzt noch etwas Schützenhilfe. Die Magierklasse habe ich nur durch reinen Zufall erhalten. Meine alleinerziehende Mutter war mächtig stolz auf mich. Leider wurde diese in den letzten Jahren schwer krank. Da ich mich natürlich rührselig um sie gekümmert habe, ist das Level für einen Magier meines Alters entsprechend niedrig. Selbstverständlich bin ich für die Öffentlichkeit auch kein Lehrling des Holzes, sondern Einer der Natur. Nach dem Tod meiner Mutter habe ich mich nach Torfbergen aufgemacht, wurde von der Sira-Gilde entdeckt und schließlich rekrutiert. Die Geschichte des Glückspilzes vom Dorfe ist sicherlich nicht perfekt, beugt jedoch einigen, unangenehmen Fragen vor.

“Verstehe, ihr Glück hat also nur zu einem Naturmagier gereicht. Ihr elementarer Kollege behauptet mit Pflanzen sprechen zu können. Wie sieht es in dieser Hinsicht bei ihnen aus?” Ich ignoriere die plumpe Beleidigung: “Mit so einer besonderen Fertigkeit kann ich leider nicht dienen.” “Ich kann so eine Fertigkeit auch nicht empfehlen”, erwidert die Adlige in mit einem giftigen Unterton. “Sie ist nicht nur komplett nutzlos, sondern bringt normale Leute auch noch auf komische Gedanken.”

Am liebsten würde ich diese Frau hier einfach stehen lassen und gehen. Je mehr ich Annabell zuhören muss, desto größer wird meine Abneigung ihr gegenüber. Fällt ihr denn gar nicht auf, was sie da eigentlich von sich gibt? “Wie fanden sie eigentlich meinen Kampf mit den Bären?”, fragt mich das Geburtstagskind als nächstes. “Die Auseinandersetzung lief definitiv anders ab, als ich es erwartet hätte.” “Damit sind sie nicht allein”, sagt die junge Frau mit einem verspielten Lachen. “Ich gehöre immerhin zu den besten fünf in meiner Klasse an der Magierakademie. Ehrlich gesagt verstehe ich gar nicht, warum die Leute solchen Respekt vor Bären haben. Diese Tiere sind doch keine große Herausforderung.”

Obwohl ich auf diese Behauptung nur mit einem schmalen Lächeln antworte, verrät mich wohl meine Körpersprache. “Sie scheinen nicht mit mir übereinzustimmen Herr Lang? Können sie es etwa nicht einmal mit einem Bären aufnehmen?” “Kein Rang 1 Magier auf der Welt könnte alleine gegen so ein Tier bestehen”, entfährt es mir. Mittlerweile folgt ein Großteil der umstehenden Gäste unserer Unterhaltung. Der Drahtseilakt, den die Gesprächspartner dieser Frau tanzen müssen, bietet zweifellos gute Unterhaltung. Dieses Schauspiel wird nur noch davon übertroffen, wenn jemand tatsächlich das Gleichgewicht verliert und fällt. So wie ich das gerade getan habe.

Für einen Moment bröckelt der freundliche Gesichtsausdruck des Geburtstagskindes. “Wie erklären sie sich dann meinen Sieg in der Arena?” Mein Schweigen lässt das Lächeln ganz aus ihrem Gesicht verschwinden. “Nennen sie mich etwa einen Lügner Herr Lang?” Was soll ich ihr auf diese Frage antworten? Mein mangelndes Schauspieltalent hat mich in diese Situation gebracht, weshalb ich meine Karten nicht auf gut gemeinte Lügen setzen möchte. Mein erneutes Schweigen hüllt die Umgebung in eine anhaltende, unangenehme Stille.

“Für so eine Unterstellung sind sie doch sicherlich dazu bereit, sich in einem Zweikampf mit mir zu verantworten oder nicht?” Auch wenn die Wortwahl der Magierin eigentlich nur eine Antwort zulässt, lehne ich dennoch höflich ab. Einem Zweikampf zuzustimmen ist aus mehreren Gründen eine furchtbare Idee. Magier sind äußerst fragil. Selbst ein Manabolzen reicht vermutlich aus um Annabell in Lebensgefahr zu bringen. Umgekehrt sieht es bei der hohen Zerstörungskraft ihrer Zauber nicht viel besser aus. Meine Überlebenschancen sind jedoch auch bei einem Sieg gleich null. Ihr Vater würde mich in so einem Fall an Ort und Stelle hinrichten. Wahrscheinlich würde ich den tödlichen Angriff nicht mal kommen sehen.

Annabell sieht sichtlich geschockt aus. Nein scheint zu den Wörter zu gehören, welche die Tochter des Barons wohl nicht allzu oft hört. Ich rechne mit weiteren, wenig subtilen Beleidigungen, werde aber eines besseren belehrt. Die junge Frau setzt erneut ihr strahlendes Lächeln auf und verschwindet ohne weitere Worte aus meinem Sichtfeld. Ich atme einmal tief durch, bevor ein äußerst finster dreinblickender Marco vor steht.

“Um was habe ich dich vor diesen Ball gebeten?”, fragt er mich schließlich als wir ein wenig weg vom Trubel der Leute stehen. “Darum, dass ich keine Dummheiten machen und auf Distanz zu Annabell Lester gehen soll”, antworte ich brav. “Und warum sehe ich dann die Tochter des Barons mit einem angefressenen Gesichtsausdruck von dir weg stampfen? Was genau bei der Güte des Systems hast du zu ihr gesagt?”

Ich komme nicht besonders weit mit meiner Zusammenfassung. Es ist beinahe unmöglich die orange gekleidete Person zu übersehen, welche sich uns mit großen, zielstrebigen Schritten nähert.