Die ersten Sonnenstrahlen tasten sich langsam über Wälder und Wiesen. Vereinzelte Vögel sind bereits wach und begrüßen einen neuen Tag. Nur missmutig gebe ich die wärmende Umarmung meiner Decke auf und schwinge mich aus meiner Hängematte. Die Müdigkeit ist bei den herrschenden Temperaturen und nach ein paar Runden um die Bäume schnell vergessen. Clara schließt sich mir an. Da wir beide keine großartigen Morgenmenschen sind, nehmen wir unser Essen still zu uns, bauen die Hängematten ab, schultern die Rucksäcke und machen uns zügig auf den Weg nach Torfbergen. Nicht das es zu unserem Treffpunkt am Tor besonders weit wäre aber ich möchte ungern zu spät kommen.
Die vergangen Stunden haben wir dazu genutzt um unsere Vorräte komplett aufzufüllen, neue Schuhe zu kaufen und mehr Informationen über Wölfe zu sammeln. Mit den neuen Tretern sollten lange Wanderungen, sowie Matsch und Regen kein Problem darstellen. Dank meines großen Rucksacks werden wir die nächsten Wochen auch nicht hungern müssen. Über Wölfe selber haben wir nur wenig Neues erfahren. Das einzig mir Unbekannte war, dass manche von ihnen mit ihrem Jaulen einen Furchtzauber erschaffen können. Solange ich aber weit genug von ihnen weg bin oder ihr Level nicht hoch ist, sollte Eiserner Wille mir hier gute Dienste erweisen. Einige Abenteurer wollten uns etwas von feuerspeienden oder dreiköpfigen Ausgeburten erzählen aber ich denke, sie wollten uns nur einschüchtern. Ich glaube nicht, dass es feuerspeiende Wölfe gibt, zumindest nicht in der Nähe von Torfbergen.
Keine fünfzehn Minuten später erreichen wir das Stadttor. Zu so früher Stunde ist hier noch wenig los. Die einzige Ausnahme bildet die Gruppe von Menschen, welche sich neben dem Tor versammelt hat. Da es sich bei fast allen um Rang 1 Abenteurer handelt , ist es unschwer zu erraten weshalb sie hier sind. Eigentlich hätte es mir schon in der Gilde auffallen müssen aber es ist erstaunlich wie jung die Abenteurer sind. Während Clara wohl gut in den Altersschnitt passt, bin ich definitiv bisher der zweitälteste Teilnehmer.
???
Ich nehme aufgrund seiner Kleidung und den zwei Dolchen an seine Hüfte an, dass es sich bei dem älteren Herrn um einen Schurken handelt. Der Mann begrüßt mich mit einem warmen Lächeln. Wie sich nach einem kurzen Gespräch herausstellt, begleitet uns Vincent als eine Art Aufpasser für eine dreiköpfige Schurkengruppe. Es ist gut zu wissen, dass im Notfall ein höherrangiger Abenteuer mit von der Partie ist.
Auch mit dem Rest der jungen Erwachsenen kommt man gut ins Gespräch. Viele freuen sich auf den Auftrag, während sich vor allem die Schurken eher zurückhaltend geben. Es dauert noch ein paar Minuten bis schließlich die größte Gruppe erscheint, die Sira-Gilde. Sechs Männer und Frauen schreiten durch das Tor und kommen auf uns zu. Zwei der Personen sind einen Rang über mir. Sie alle eint das Abzeichen auf ihrer Brust. Es zeigt einen gespannten Bogen, welcher eine Getreideähre geladen hat. Neben dem Abzeichen fällt vor allem ihre Ausrüstung auf. Einen der Bogenschützen mit denen aus einer anderen Gruppe zu vergleichen kommt selbst in meinen Augen einer Anmaßung gleich. Zu meiner Überraschung tritt der jüngste Bogenschütze nach vorn und richtet das Wort an uns:
“Guten Morgen an alle. Für diejenigen welche mich nicht kennen, ich heiße Sven Förster und führe die Mitglieder der Sira-Gilde heute an. Mit so einer großen Truppe sollten wir die Mission im Handumdrehen erledigt haben. Bevor wir losziehen fasse ich noch einmal zusammen was wir bisher über den Auftrag wissen” Argwöhnisch begutachte ich den jungen Mann. Er ist vermutlich nicht nur der jüngste, sondern auch mit Level 41 der höchste Teilnehmer der Mission. Ich nehme mal stark an, dass die Rang 2 Frau mit dem Großschwert und der Bogenschütze aus dem gleichen Grund dabei sind wie der ältere Schurke. Ich habe bisher nur nichts schlechtes über die Sira-Gilde gehört. Ihr Anführer der, wer hätte es gedacht, ebenfalls ein Bogenschütze ist, gehört zu den bekanntesten Leuten in Torfbergen. Man erreicht Rang 3 nunmal nicht indem man den ganzen Tag in einer Kneipe sitzt.
Allerdings irritiert mich Sven. Ich komme nur nicht darauf, was es sein könnte. Er wirkt etwas nervös aber das ist in so einer Situation auch verständlich. Als Anführer der größten und stärksten Gruppe hat er automatisch auch das Sagen bis wir in Kleinbruch ankommen. “Da wir das nun geklärt haben, würde ich nun das Schutzgeld nach Kleinbruch eintreiben. Pro Personen wären das 10 Sil.” Ich runzle verwundert die Stirn. Clara ist jedoch schneller mit ihrer Nachfrage als ich. “Warum sollten wir dir und deiner Gruppe Geld zahlen? Wir wollen doch so oder so alle in die gleiche Richtung.” Sie ist nicht die Einzige, welche sich unzufrieden mit der Situation zeigt. Allerdings scheint Sven auf diese Frage vorbereitet gewesen zu sein: “Natürlich ist unser Ziel das gleiche aber den Weg dahin kann jede Gruppe auch gerne alleine gehen. In einer großen Gruppe unterwegs zu sein garantiert allerdings eine gewisse Sicherheit. Dennoch sind die Risiken einer solchen Reise nicht zu unterschätzen. Die Sira-Gilde ist gern bereit jeden für einen Obolus eine sichere Reise zu gewähren.”
Es ist zugegebenermaßen eine clevere Masche. Wir sind alles nur Rang 1 Abenteurer. Die Chance auf etwas zu treffen, was wir nicht bezwingen können ist hoch. Somit macht es durchaus Sinn für die Gilde direkt zwei Aufpasser mitzuschicken um zumindest noch an etwas Kleingeld zu kommen. Trotzdem sehe ich in den Gesichtern, dass sie nicht unbedingt damit einverstanden sind. “Hier sind 40 Sil”, spricht Vincent und überreicht Sven einen Geldbeutel. Mit dieser Aktion hat der ältere Mann clever jeglichen Protest erstickt. Nach und nach zahlen schließlich alle Anwesenden ihren Beitrag. Für mich muss Clara einspringen, da ich aktuell nur noch 4 Sil besitze. Festes Schuhwerk hat nunmal seinen Preis.
Stunden später ist der kleine Zwischenfall allerdings bereits vergessen. Wenn ich davon ausgehe, dass vierzig Personen die Mission angenommen haben, dann sind fünf Leute abwesend oder haben sich eigenständig auf den Weg gemacht. Wenn man die drei Aufpasser außen vor lässt, sind wir drei Frontkämpfer, zwei Kämpfer, elf Krieger, zwölf Fernkämpfer, drei Schurken und ein Magier. Ich weiß mittlerweile, dass Magier recht selten sind aber hatte dennoch auf einen Genossen gehofft. Sich mit jemanden auf einem ähnlichen Level auszutauschen ist etwas anderes als mit einem Rang 2 Windmagier.
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Ich seufze laut. Warum mussten ausgerechnet Greg und ich die kurzen Strohhalme ziehen? Klar, der nächsten Generation ein wenig unter die Arme zu greifen ist auch wichtig aber davon steigt mein Level nicht. Im Vergleich zum Wimmerwald ist das hier das reinste Schnarchfest. Naja, wenigstens sind die Kids gut drauf. Hoffen wir mal, dass es auch in der bevorstehenden Nacht so bleibt. “Entschuldigt die Frage aber wann habt ihr vor das Nachtlager aufzuschlagen?”, dringt es von hinten an mein Ohr. Ein kurzer Schulterblick genügt mir um zu wissen, dass die Stimme dem Magier gehört. Ich hatte schon Angst, dass wir den einzigen Magier in ganz Torfbergen erwischt haben, welcher nur aus Zufall seinen Stab richtig herum hält. Zum Glück muss ich mich damit nicht rumschlagen. “Wir werden noch etwa drei Stunden weiterlaufen. Sowohl Sophie, Greg und wenn es mich nicht täuscht auch Vincent sollten über Nachtsicht verfügen. Falls jemand eine Fackel brauchen sollte, händige ich ihm gerne eine für 2 Sil aus”, erklärt ihm unser angehender Meisterschütze. Chris schwört auf den Jungen und der Boss hat nunmal immer Recht.
Der Magier bleibt stehen: “Schön und gut aber ich würde schon gerne sehen wo ich hin laufe. Wenn nur drei von uns problemlos durch die Nacht wandern können, dann sollten wir lieber hier unser Nachtlager aufschlagen.” Sven scheint dieses Argument nicht erwartet zu haben und blickt hilfesuchend zu mir. Ich schenke ihm ein Lächeln. Chris hat Greg und mir aufgetragen uns aus allen Sachen rauszuhalten. Es ist Svens erste Mission als Anführer mit Abenteurern außerhalb unserer kleinen Familie. Das bedeutet im Klartext, dass der Junge alleine die Vorbereitung macht, den Plan ausarbeitet wie wir das Wolfproblem angehen und sich um die anderen Leute kümmern muss.
Nachtsicht ist eine verbreitete Fertigkeit unter Rang 2 Abenteurern. Die meisten Mitglieder in unserer Gilde besitzen sie. Außerdem gibt es in der Gegend leider nichts, was nicht mit einem einzelnen Schwerthieb ruhig gestellt werden könnte. Der Knackpunkt ist jedoch, dass das den Anderen nicht bewusst ist und wir für sie Fremde sind. Zu erwarten, dass sie uns einfach so durch die Dunkelheit folgen ist bestenfalls gewagt. Auch der alte Knacker Vincent wird Sven diesmal nicht aushelfen. Man kann förmlich sehen, wie die grauen Zellen unseres Meisterschützen arbeiten. Allerdings wird Sven dem Magier Recht geben müssen. Sein Plan war zum Scheitern verurteilt.
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Wir lassen die nächste Biegung hinter uns und sehen endlich die ersten Häuser von Kleinbruch. Je näher wir dem Zentrum kommen, desto offensichtlicher wird das Chaos. Zersplitterte Türen und Fenster, kaputte Zäune und getrocknete Blutspuren zeugen von dem Horror der hier vorgefallen ist. Schätzungsweise 120 Menschen nannten Kleinbruch ihr Zuhause. Jetzt ist es nur noch ein Geisterdorf. Wir finden auch noch ein paar Überreste der Angreifer und ehemaligen Bewohner aber den Geruch von verwesenden Fleisch verträgt nicht jeder unbeschadet.
Sven versucht ein paar der Abenteurer für eine geordnete Durchsuchung des Dorfes zu organisieren aber scheitert damit kläglich. Es war zwar eine ruhige Reise gewesen aber dem Bogenschütze fehlt es eindeutig noch an Erfahrung. Die Zeit wird zeigen, ob er aus seinen Fehlern lernen kann. Nicht das es mir in irgendeiner weise zustehen würde ihn zu beurteilen. Ich habe ja manchmal schon damit zu kämpfen auf Clara und mich aufzupassen. Über dreißig Menschen Anweisungen geben? Ich verzichte dankend. Während Einige von uns das Geisterdorf erkunden, folgen andere Abenteurer bereits der mehr als auffälligen Spur aus dem Dorf hinaus. Die Jagd nach den Wölfen hat nun offiziell begonnen.
Clara und ich durchkämmen ein paar Häuser auf der Ostseite des Dorfes. Da Kleinbruch nicht von einer Mauer umgeben ist, hatten die Wölfe leichtes Spiel. Holztüren und Fenster halten die Tiere nur bedingt auf. Trotzdem sind einige der Spuren merkwürdig. Würden Wölfe ihre Artgenossen zu Tode trampeln? Ich halte das für eher ausgeschlossen aber der Kadaver vor mir erinnert mich stark an gewisse Ratten. Außerdem wurde wirklich jedes Haus attackiert. Als Jäger würde ich mich doch vor allem auf einfache Beute konzentrieren. Um allerdings in die Schmiede zu gelangen braucht es mehr als sich einmal gegen die Tür zu werfen. Das gute Stück war mit Metallstreben verstärkt. Warum der Aufwand für die paar Menschen, welche sich hier versteckt hielten? Irgendetwas passt hier nicht zusammen.
Nachdenklich kehre ich zum Dorfzentrum zurück. Sophie lehnt am Brunnen, während von der restlichen Sira-Gilde keine Spur ist. Wahrscheinlich sind sie noch irgendwo auf der Westseite unterwegs. Die Kämpferin wirkt seit unserer Ankunft im Dorf ein Stück besser drauf als vorher. “Und habt ihr was etwas Spannendes entdeckt?”, begrüßt sie uns. “Außer kaputte Möbel und Blut nicht wirklich”, entgegnet ihr Clara. “Das haben die meisten Massaker so an sich”, scherzt die Abenteurerin, “ jede Menge Blut und kaputtes Holz.” Ich bin mir nicht sicher was ich von dieser Art von Humor halten so. Das hält mich jedoch nicht davon ab sie nach ihrer Meinung zu fragen: “Was glaubst du wie viele Wölfe es für so einen Überfall braucht?” Sophie löst sich von dem Brunnen und macht einen Schritt auf mich zu. Die Frau ist vielleicht ein Jahr älter als ich aber die Art und Weise wie sie sich gibt lässt bei mir die Alarmglocken läuten. Diese Frau ist mindestens genauso eine Jägerin wie die Wölfe. “Wenn du mich so fragst würde ich wohl so auf um die 80 Tiere schätzen”, verrät sie mir mit einem Lächeln. 80! “Und was glaubst du, warum die Tiere so angegriffen haben, wie sie es getan haben?” Für einen Moment meine ich zu sehen wie ihr Lächeln ein Stückchen breiter wird: “Das wirst du wohl schon selber rausfinden müssen.”
Es war einen Versuch wert. Wir lassen die Abenteurerin schließlich zurück und folgen den restlichen Teilnehmern in den Wald. Die Schneise, welche eine solche Schar hinterlässt ist selbst nach mehr als einer Woche nicht zu übersehen. Da sich uns wenig später die Schurkengruppe anschließt, sind wir zumindest nicht ganz alleine unterwegs. Vor allem mit Vincent und Marco habe ich die letzten Tage ein paar gute Gespräche führen können. Vielleicht sind Schurken ja auch gar nicht so schlecht wie ihr Ruf.
Im Verlaufe der nächsten drei Tage sammeln wir nicht nur ein paar der anderen Abenteurer wieder auf, sondern werden auch von der Sira-Gilde eingeholt. Man würde meinen, dass auch im hohen Gras die Spuren der Wölfe mehr als eindeutig sind aber so einfach ist es dann doch nicht. Einige der Fährten trennen sich, bevor sie später wieder zusammenlaufen. An diesem Punkt erweisen sich vor allem die vielen Bogenschützen als Vorteil. So eine Fertigkeit um Spuren besser zu lesen ist durchaus nützlich.
Es ist mitten in der Nacht als ich plötzlich aus dem Schlaf schrecke. “Wölfe!”, hallt es durch die pechschwarze Nacht. Instinktiv greife ich nach meinem Stab und erschaffe einen Manabolzen. Das gleißende Licht vertreibt die Dunkelheit und enthüllt zwei der dunkelgrauen Kreaturen nur wenige Meter von mir entfernt.
Wolf Level 28
Wolf Level 30
Das könnte eine lange Nacht werden.