Am nächsten Morgen helfen wir dem Händler Karl, sowie seinem Helfer und Sohn Sam beim Verstauen der letzten Sachen. Kurze Zeit später haben wir Nistelheim hinter uns gelassen. Im Verlaufe des Tages müssen wir immer mal wieder aussteigen, um einen der Wagen aus dem Schlamm zu schieben. Trotz der widrigen Umstände kommen wir laut Sam gut voran. Er lenkt unseren Wagen, welcher hauptsächlich mit Heu für die Pferde beladen ist. Wie mir der junge Bursche erzählt, ist nasse Nahrung nicht unbedingt gut für die Tiere. Außerdem handelt es sich wohl um eine besondere Heusorte, welchen den Pferden extra viel Kraft geben soll. Sam klingt beinahe ein wenig enttäuscht, dass wir das spezielle Heu nicht von normalen, getrocknetem Gras unterscheiden können.
Der junge Bursche erweist sich über die nächsten Tage als ein sehr lebensfroher und gesprächiger Zeitgenosse. Ich würde ihn wohl auf ein Jahr oder zwei jünger als Clara schätzen, was sein höheres Level umso beeindruckender macht. Laut ihm bin ich aber eher der Ungewöhnliche. In normalen Städten ist es wohl keine Seltenheit, dass Leute vor ihrem zwanzigsten Lebensjahr bereits Rang 2 erreicht haben. Ich zucke darauf hin nur mit den Schultern. Solange mich die Leute nur für komisch und nicht für einen Abweichler halten, habe ich kein Problem damit.
Nachdem auch der Regen endlich aufgehört hat, machen wir jeden Tag gut Strecke. Sams Vater Karl fährt mit seinem Wagen voraus, während die Abenteurergruppe immer die Nachhut bildet. Wir fahren von früh bis spät und rasten nur zum Schlafen oder wenn die Pferde eine Pause brauchen.
Am Nachmittag des achten Tages signalisiert uns die Abenteurergruppe allerdings kurz anzuhalten. “Was ist los?”, fragt Karl mit einem besorgtem Unterton. “Wir werden beobachtet”, spricht Linda die Bogenschützin des Teams. Nervös schauen sich Clara, Sam und Karl um. Auch ich lasse meinen Blick durch das Dickicht schweifen. Jedoch fällt mir nichts besonderes auf. “Ich tippe auf einen einzelnen Wolf, der die Lebensmittel gewittert hat”, spricht die Frau. “Er ist ein Stückchen hinter uns und scheint noch auf sein Rudel zu warten. Ich wollte euch nur wissen lassen, dass die Biester uns wohl bald überfallen werden. Wir schlagen vor, dass Fred von nun an vorne mitfährt und Dale im zweiten Wagen Platz nimmt.”
Karls stimmt dem Vorschlag zu und somit leistet uns der Schwertkämpfer Dale nun Gesellschaft. Der Mann zwinkert uns kurz zu als er einsteigt: “Keine Sorge, es braucht schon etwas mehr als ein paar Wölfe um uns in die Scheiße zu reiten.” Mit offenen Augen und Ohren fahren wir weiter. Die Tag setzt langsam zur Dämmerung an als wir von hinten einen Pfiff hören. Ein Signal, dass Dale sein Schwert ziehen lässt. “Gleich geht die Show los”, murmelt er vor sich hin.
Tatsächlich raschelt es wenig später von allen Seiten und ein gutes Dutzend Wölfe treten in Erscheinung. Wie es aussieht, haben sie uns perfekt umzingelt. Die knurrenden Tiere sind alle irgendwo zwischen Level 28 und 43. Während ich überlege, was ich am Besten in solch einer Situation tun kann, springt Dale lässig aus dem Wagen. In aller Seelenruhe läuft er auf die Wölfe zu. Dann geht auf einmal alles ganz schnell.
Den ersten Wolf reisst es von den Pfoten. Der Pfeil in seinem Kopf ist ein Statement davon, mit welcher Wucht das Projektil eingeschlagen hat. Ein sausendes, leicht gräuliches Projektil fliegt vorbei. Ich kenne den Zauber bereits aus meiner Auseinandersetzung mit dem mir unbekannten Magier in Ratbi’s Höhle. Offensichtlich ist es ein Windzauber, denn Andre hat sich mir gegenüber als Windmagier vorgestellt. Bis auf die Form sind die beiden Zauber aber kaum zu vergleichen. Die Projektil gleitet durch die Wölfe wie ein Messer durch Butter. Dale für seinen Teil hat ebenfalls bereits einen Wolf auf dem Gewissen und holt gerade zum nächsten Hieb aus. Das Tier versucht dem Schwert auszuweichen. Allerdings leuchtet die Klinge plötzlich auf und beschleunigt für einen Moment und versinkt somit in der Seite des Wolfs. Sein Leiden wird kurz darauf von einem weiterem Schwerthieb beendet.
Innerhalb weniger Minuten ist der Kampf vorbei. Wenn ich mir die Wunden der Kadaver allerdings so ansehe, würde ich eher von einem Massaker sprechen. Von den Abenteurern ist keiner verletzt. Fred, welcher ein Frontkämpfer ist, lässt sein großes Schild wieder verschwinden und hilft mit beim stapeln der Kadaver. Ich bin mir nichtmal sicher, ob Clara und ich überhaupt einen Wolf hätten töten können. Gemeinsam hätten wir vielleicht einen geschafft aber die Leichtigkeit, mit der die Rang 2 Abenteurer die Tiere erledigt haben, jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken. Wir entzünden ein Feuer um durch das viele Blut nicht weitere Raubtiere anzulocken und setzen unseren Weg fort.
Am nächsten Tag erreichen wir das nächste Ziel des Händlers, Arnheim. Somit haben wir einen Tag Zeit um uns endlich mal die Beine zu vertreten. Außerdem können wir unsere Nahrungsvorräte auffrischen. Meine finanzielle Situation sieht nun wieder sehr bescheiden aus. Von meinen 107 Sil sind nun nur noch 14 übrig. Ich werde Karl fragen, ob ich im Heuwagen übernachten kann. Auf diesen Weg komme ich wenigstens nicht komplett blank in Torfbergen an.
Während Clara sich weiter im Dorf umsieht, mache ich einen Spaziergang im Wald. Das tagelange Sitzen hat mich rastlos gemacht und ein wenig Zeit für mich allein kommt mir sehr gelegen. Der Mischwald wirkt beruhigend auf mich. Die ersten Herbstblätter die fallen, das Licht der Sonne welches durch die Kronen der Bäume scheint oder wie ein einzelnes Eichhörnchen nach Nahrung sucht. All das ist einfach schön anzusehen. Ob ich aufgrund meiner Klasse so empfinde? Clara meinte zu mir, dass eine Spezialisierung einen verändert. Allerdings ist mir noch keine Änderung aufgefallen. Vielleicht habe ich ja auch die Klasse bekommen, gerade weil ich den Anblick des Waldes als so beruhigend empfinde? Ich weiß es nicht. Im Gegenzug fällt mir aber etwas anderes wieder ein.
neue Mission verfügbar
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Mit dem Abschluss meiner Spezialisierung hat mir das System eine neue Mission zugeteilt. Ich schäme mich fast dafür, so etwas beinahe komplett vergessen zu haben.
Mission: Der nächste Schritt
Du stehst noch am Anfang deines Weges. Es wird Zeit für den nächsten Schritt.
Aufgabe
erreiche Level 50 (20/50)
Belohnung
blattgrüner Umhang
Die Mission klingt super. Früher oder später werde ich Level 50 erreichen, dafür auch noch belohnt zu werden lehne ich selbstverständlich nicht ab. Das Wort blattgrün erscheint mir aber sehr auffällig. Ob ich bei einer anderen Spezialisierung den gleichen Umhang in Aussicht gestellt bekommen hätte? Ich vermute mal nicht. Da es sich also sehr wahrscheinlich um eine klassenspezifische Belohnung zu handeln scheint, kann der Umhang bestimmt mehr als mich vor Wind und Wetter schützen.
Zwei Wochen später erreichen wir unsere letzte Station, bevor es Richtung Torfbergen geht. Limhausen liegt außerhalb des Fornwaldes. Das Dorf liegt inmitten einer hügeligen Graslandschaft, welche uns seit Tagen eine willkommene Abwechslung zu der bekannten Baumkulisse bietet. Es ist immer wieder sonderbar zu sehen, wie sich die Menschen auf Karls Waren stürzen. Besonders beliebt sind duftende Kerzen, getrocknete Früchte, Nüsse und edler Käse. Dank dem praktischen Inventar ist es auch kein Problem leicht verderbliche Lebensmittel in entfernte Dörfer zu liefern. Solange die Lebensmittel darin gelagert werden, bleiben sie frisch. Ich habe neugierig nachgefragt wie es denn sein kann, dass selbst Sam verschiedenste Waren in großen Mengen aus seinem Inventar erscheinen lassen kann.
Laut Karl bekommt jede Person, die 50 Punkte in Stärke investiert einen zusätzlichen Inventarplatz. Von dort aus braucht man dann immer das Doppelte für den nächsten Platz. Außerdem gilt diese Regel wohl auch für die Anzahl an Fertigkeiten, welche man besitzen kann und auch für Intelligenz. Jedenfalls gibt es wohl in der Händlerklasse jede Menge Fertigkeiten, die diese Regel anpassen oder verändern. Händler vom Rang 3 oder höher haben deshalb praktisch nie sichtbares Gepäck dabei. Ich selber würde es ja auch nicht anders machen, wenn man Inventar groß genug wäre. Außerdem müssen ja neutrale Klassen auch Vorteile gegenüber den Kampfklassen besitzen.
Des Weiteren erzählt mir der Händler, dass wir noch weitere Gesellschaft bekommen. Am Abend lerne ich dann schließlich Elena und Lara kennen. “Es freut mich eure Bekanntschaft zu machen.” “Ich bin übrigens Lara!”, verkündet das Mädchen breit grinsend. Ich beuge mich herab und schüttele dem Kind die Hand. “Hi Lara, ich bin Torben.” “Bist du ein Magier? Kannst du etwas für mich zaubern? Bitte, bitte zauber etwas für mich.” Ich bin ein wenig perplex vom stürmischen Gemüt der Kleinen. Jedoch eilt mir Andre zu Hilfe und lässt eine gräuliche Kugel in seiner Hand erscheinen. Die Kerzen und das Feuer im Kamin tanzen für einen Moment wie verrückt in dem plötzlich aufgekommenen Wind. Obwohl das Spektakel nur von kurzer Dauer ist, freut sich Lara wie eine Sonnenblume und verlangt eine Zugabe.
Der Abend klingt entspannt aus. Freundlicherweise lädt mich Dale sogar zu einem Bier ein. Vor allem Clara hat sich über die letzten Wochen mit dem Krieger angefreundet. Sie fordert ihn sogar regelmäßig zu Übungskämpfen heraus. Bisher steht es 21 zu 0 für den stets gut gelaunten Mann, aber jedem das Seine. Fred spricht nicht besonders viel. Seine Freunde haben angedeutet, dass er wohl ein guter Kerl ist, der aber in letzter Zeit ein paar Schicksalsschläge durchmachen musste. Somit verbringt der Frontkämpfer viel Zeit für sich allein. Ich hoffe für ihn, dass er sich bald wieder aufraffen kann.
Ich für meinen Teil genieße die Unterhaltungen mit Andre oder Linda. Der Magier spricht zwar nicht besonders gerne über seine eigene Magie, kann mir aber viel über das Magierdasein generell erzählen. Die Bogenschützin wiederum kennt sich hervorragend in und um Torfbergen aus. Dank den Beiden habe ich mittlerweile einen ziemlich guten Plan davon, was mich in der Stadt erwartet und um was ich mich zeitnah kümmern sollte.
Die nächsten Tage führen uns weiter durch das hügelige Gebiet, bis uns erneut ein Waldstück in Empfang nimmt. Wir sind noch nicht allzulange im Wald angekommen, als der Wagen vor uns anhält. “Blockierte Straße”, ruft uns Karl zu. Tatsächlich liegen auf den Weg vor uns mehrere umgestürzte Bäume. Es wird uns einiges an Zeit kosten um die Straße wieder frei zu bekommen. “Irgendwas stinkt hier”, murmelt Dale im Vorbeigehen vor sich hin. Tatsächlich scheint auch Linda irgendeine Fertigkeit zu nutzen, um das Gebiet abzusuchen. Jedoch hat sich die Suche schnell erledigt. Hinter den Bäumen tritt eine Schar von Menschen hervor. Ihre Kleidung ist ein zusammengeschusterter Mix aus braunen und grauen Farben. “Guten Tag die Herrschaften”, grüßt uns ein in Leder gekleideter Mann. “Ich hoffe, ihr hattet eine angenehme Reise.” “Was wollt ihr wertloses Banditenpack”, entgegnet ihm Karl umgehend.
Mein Blick schweift über die zwielichtigen Gestalten. Alle von ihnen sind bewaffnet und machen auch keinen Hehl aus ihren Absichten. Ich kann förmlich die Gier in ihren Augen schimmern sehen. Einige pfeifen und gröhlen sogar beim Anblick von Clara, Elena und Lara. Neben dem vermeintlichen Anführer der Bande steht noch ein weiterer Mann dessen Level ich nicht identifizieren kann. Der Rest ist zum Glück Rang 1. “Was könnten wir armen Leute schon wollen?”, fragt der Bandit sarkastisch. “Wir wollen lediglich eine kleine Spende. Ein Händler welcher mit drei Wagen unterwegs ist, sollte sicherlich kein Problem damit haben ein paar Sil abzugeben.” “Ihr bekommt nicht eine mickrige Münze von mir ihr Diebesgesindel!”, wettert der Händler.
Die freundliche Maske des Banditen fällt und ein grimmiger Gesichtsausdruck nimmt stattdessen seinen Platz ein:” Ich werde es nur einmal sagen Dumpfbacke. Meine Männer haben euch umzingelt. Wir können das entweder auf die sanfte oder auf die harte Tour regeln. Werft eure Waffen weg und tretet von den Wagen zurück. Ansonsten kann ich vor allem für das Wohl der Frauen nicht garantieren.” Genau zwei Sekunden später bohrt sich Lindas Pfeil in den Brustkorb einer der Banditen. Ab diesen Moment versinkt das Waldstück im absoluten Chaos.