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Vera - Ein Abentuer ins Ungewisse [German]
Kapitel 44: Unerwartete Probleme

Kapitel 44: Unerwartete Probleme

“Komm rein.” Irritiert blicke ich den Flur hinab. Mein Füße haben noch nicht einmal die letzte Treppenstufe berührt. Marco scheint schlecht drauf zu sein. Ich hoffe, dass was auch immer in diesem Brief steht, gute Nachrichten für uns bedeuten.

Mit großen Schritten durchquere ich den Flur und betrete das Arbeitszimmer unseres Anführers. Der Tisch ist ein einziges Durcheinander. In einer Ecke stapeln sich bereits die leeren Teller. Verschiedene Bücher liegen aufgeschlagen über den Fußboden verteilt. Der Bewohner des Zimmer sieht jedoch zumindest ausgeschlafen aus. Ich händige den Umschlag aus und versuche den Rückzug anzutreten. “Wenn ich dich schon einmal gerade da habe, könntest du mir dann einen Gefallen tun? Ich habe ein paar Dinge in der Stadt bestellt, welche abgeholt werden müssten.” Botengänge gehören eigentlich nicht zu meinen Aufgaben. In der Regel kümmern sich die Kuriere um solche Sachen. Allerdings weiß Marco vermutlich auch, dass mein aktueller Terminkalender eher dürftig gefüllt ist. Eine Ablenkung von meinem Dilemma würde mir außerdem ganz gut tun. Ich willige also ein, stelle aber fest, dass Marco bereits mit dem Brief des Barons beschäftigt ist.

Natürlich würde auch ich gerne wissen, was in dem Brief steht. Es passiert schließlich nicht jeden Tag, dass ein Bote des Barons etwas überbringt. Ich versuche vergeblich etwas aus der steinernen Mimik unseres Anführers zu lesen: “So soll die Sache also laufen”, murmelt er schließlich. “Hier”, wobei Marco mir den Brief entgegen hält. Ich zögere für einen Moment. Leider gewinnt meine Neugier die Oberhand und ich greife nach dem Stück Papier:

“ Sehr geehrter Herr Sira,

Ich möchte Ihnen zunächst für Ihren Einsatz in Silberstieg danken. Ohne Ihre Führungsstärke und Entschlossenheit wären die Banditen womöglich entkommen.

Aus diesem Anlass möchte ich Sie und eine Begleitung Ihrer Wahl, in vier Tagen zu einer Feier auf meinem Anwesen einladen. Zusätzlich zu der Rückeroberung der Stadt, möchte ich diese Veranstaltung auch dem 14. Geburtstag meiner Tochter widmen. Gerne erwarte ich Sie bereits am frühen Nachmittag.

P.S. Bitte richten Sie ihrem Neuzugang aus, dass seine Anwesenheit die Veranstaltung ebenfalls bereichern würde.

Ich verbleibe in freudiger Erwartung

Baron Markus Lester”

“Was hat das zu bedeuten?” frage ich Marco, nachdem ich den Brief ein zweites Mal gelesen habe. “Das bedeutet, dass du dir besser ein entsprechendes Gewand für einen Ball organisierst.” “In dem Brief steht aber nichts von einem Ball”, bemerke ich trocken. “Es gibt immer einen Ball. Ein schwingendes Tanzbein ist das Kartenspielen der Reichen.”

“Und warum läd der Baron ausgerechnet mich persönlich ein?” “Weil du der neue Magier in der Stadt bist.” Auf meinen weiterhin fragenden Blick erbarmt sich der Anführer der Sira-Gilde schließlich dazu, die Sache ein wenig ausführlicher zu erläutern: “Ich habe es dir bereits in unserem ersten Gespräch gesagt oder nicht? Alleine die Tatsache, dass du die Magier-Klasse inne hast, hebt dich von der Masse ab. Vor deiner Ankunft gab es nur vierzehn Magier in Torfbergen. Jeder von ihnen gehört zu der Art von Leuten, welchen man lieber nicht unnötig auf die Füße tritt. Deine bisherigen Leistungen mögen in Abenteurerkreisen nicht viel wert sein, aber gerade dein Einsatz in Silberstieg ist nicht unbemerkt geblieben. Die hohen Tiere sind neugierig geworden. Sie wollen wissen, wer genau da nach Torfbergen gekommen ist und was man von ihm in Zukunft erwarten kann. Eine Feier kommt da mehr als nur gelegen, um den unbekannten, neuen Magier kennenzulernen.”

Ich merke, wie sich mir der Magen umdreht. Kann ich nicht einfach in Ruhe meinen Aufgaben nachgehen? An mir ist schließlich nichts besonderes. Ein Gedanke welcher schnell an seine Grenzen stößt, wenn man bedenkt, dass ich ein Abweichler bin. Trotzdem hält sich meine Lust auf eine adlige Geburtstagsfeier in Grenzen. Marco bestätigt mir jedoch, dass auch die anderen Magier vermutlich anwesend sein werden. Andre sollte also ebenfalls vor Ort sein. Vielleicht weiß der Windmagier ja etwas mit dem Begriff “Zone” anzufangen.

Marco schmeisst mich schließlich mit einer Liste aus seinem Arbeitszimmer. Ich war so überrascht von meiner Einladung zu der Feier, dass ich glatt vergessen habe ihn nach einer solchen Fertigkeit zu fragen. Vielleicht ergibt sich ja später noch eine Gelegenheit.

Ich verbringe die nächsten Stunden mit den Besorgungen für meinen Chef. Genug Zeit, um meine Gedanken ein wenig ordnen zu können. Zähneknirschend gestehe ich mir ein, dass meine aktuelle Kleidung vermutlich nicht für das Kaliber einer solchen Veranstaltung ausreichen wird. Immerhin repräsentiere ich mich nicht nur selbst, sondern auch ein Stück weit die Sira-Gilde. Doch was trägt man auf so einer Feier? Wieviel wird mich dieser Spaß überhaupt kosten? Die rund 800 Sil in meiner Tasche waren eigentlich anderweitig verplant. Da ich alleine bei diesem Thema ziemlich aufgeschmissen bin, suche ich den Koch der Gilde auf. Seb legt stets einen besonderen Fokus auf sein Erscheinungsbild. Er ist der Meinung, dass ein schlecht angezogener Koch kein gutes Essen servieren kann. Selbst seine Küche steht im starken Kontrast zu dem Arbeitszimmer unseres Chefs.

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Nach einer erstaunlich lang andauernden Unterhaltung finde ich mich vor einem Laden im oberen Bereich der Stadt wieder. Seb hat mir seinen Herrenausstatter empfohlen und mir noch ein paar Tipps an die Hand gegeben. “Franks erlesene Stoffe” ist ein eher kleiner Laden für diesen Teil der Stadt. Die Inneneinrichtung ist ebenfalls nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte.

Die Wände des Geschäfts sind mit einem mir unbekannten, wahrscheinlich sehr teurem Holz verkleidet. Große Lampen tauchen den Raum in ein warmes Licht. Auch der Geruch des Holzes trägt zu einer ruhigen, aber dennoch einladenden Atmosphäre bei. Acht Puppen präsentieren Kleidungsstücke mit Preisen, welche weit außerhalb meiner Möglichkeiten liegen. Der Besitzes des Geschäfts hat ganz auf jegliche Art von schrillen Farben oder Verzierungen verzichtet. Eine durchaus willkommene Überraschung. Ich schreite über einen dicken, dunkelroten Teppich und werde sofort von einem sehr elegant gekleideten Mann begrüßt.

630 Sil! Am liebsten hätte ich den Herrn einmal kräftig geschüttelt. Selbst am nächsten Morgen habe ich mich immer noch nicht wieder beruhigt. Ja die Sachen sind maßgefertigt und müssen in drei Tagen fertig sein, aber dennoch fühle ich mich über den Tisch gezogen. Dabei hat mir der Besitzer schon einen Rabatt gegeben, weil Seb so ein guter Kunde von ihm ist.

Niedergeschlagen beschäftige ich mich mit dem nächsten Problem, dem Ball selbst. Sollte ich tatsächlich der verlorene Sohn einer wohlhabenden Familie sein, so hat man mir nie das Tanzen beigebracht. Nach ein paar äußerst unangenehmen Gsprächen mit Mitglieder der Gilde, lande ich schließlich bei Maria. Wenigstens belässt die Bogenschützin es nur bei einem breiten Grinsen und verfällt nicht gleich in einen tosenden Lachanfall.

Wie sich herausstellt, sind meine Sorgen in dieser Hinsicht völlig unbegründet. Maria versucht mir möglichst schonend zu vermitteln, dass bei einem Ball nur Paartänze praktiziert werden. In der Regel fordert also ein Herr seine Begleitung oder eine Dame der Veranstaltung zum Tanz auf. Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall, welcher aber hauptsächlich sozialen oder politischen Motiven dient. Da ich aber “der Neue” bin, ist die Chance das mir so etwas passiert sehr, sehr gering. Eine Erkenntnis, die mehr wehtut, als ich zugeben würde.

Maria bietet mir dennoch ihre Hilfe an. Statt mir jedoch das Tanzen beizubringen, hämmert mir die Stellvertreterin der Gilde in den verbleibenden Tagen Unmengen an Informationen über die wichtigen Leute in Torfbergen ein. Mir war gar nicht bewusst, dass sie sich so gut mit der gehobenen Gesellschaft auskennt. Mit diesem gebündelten Wissen, sollte es mir zumindest leichter fallen, nicht in zu viele Fettnäpfchen zu treten.

Es ist der Tag des Festes. Marco und Maria sind bereits gegen Mittag zum Anwesen der Lester-Familie aufgebrochen. Hinter verschlossenen Türen wird in genau dieser Sekunde über erste, konkrete Pläne zum Wiederaufbau von Silberstieg diskutiert. Wir sprechen hier über potenziell sechs- oder siebenstellige Summen, welche die einzelnen Akteure bereit sind zu investieren. Das ist der Hintergrund, vor dem die heutige Feier stattfindet.

Ich werfe einen letzten Blick in den Spiegel. Oberteil, Hose und Socken haben einen zarten Grünton. Seb hat mir diese Farbe mit dem Hintergrund des bevorstehenden Frühlings empfohlen. Darüber trage ich einen dickeren, weinroten Umhang, welcher über Öffnungen für die Arme verfügt. Auf der Brust findet sich ein kleines, gesticktes Wappen der Sira-Gilde. Der direkte Vergleich zu meinen normalen Sachen ist enorm. Die Sachen fühlen sich wie eine zweite Haut an. Nichts kratzt oder fühlt sich unangenehm an. Auch sollte Regen und Wind für diesen Umhang kein Problem darstellen. Insgesamt sollte meine Garderobe schick genug um nicht ausgelacht zu werden, aber auch gleichzeitig nicht zuviel Aufmerksamkeit erregen. Eine Kombination, welche ich sehr begrüße.

Ich schnappe mir den Brief des Barons und mache mich auf dem Weg. Nur wenige Gäste werden versuchen das Anwesen, welches auf dem Gipfel des Berges liegt, zu Fuß zu erreichen. Mehrere Kutschen überholen mich auf den Weg nach oben. Ich spare mir lieber die Münzen für eine solche Fahrt und genieße das gute Wetter. Die Tage, an denen es nicht mehr regnet, häufen sich. Ein Zeichen dafür, dass der Frühling nicht mehr lange auf sich warten lässt.

Das Grundstück der Lester-Familie ist riesig. Vermutlich die letzten zehn Prozent des Berges sind Eigentum des Barons. Hier oben existiert nur eine Straße, welche im Vergleich zu weiter unten nahezu steril wirkt. Das Grundstück ist klar vom Rest der Welt mit einer fünf Meter hohen Mauer abgegrenzt. Nichts was einen Rang 2 auf dem ersten Blick ernsthaft aufhalten könnte. Die Frage ist viel eher, ob man wirklich bei einem Baron einbrechen möchte.

Laut Maria ist Herr Lester ein Rang 4 mit einer Nahkämpfer-Klasse. Eine Tatsache, welchen den meisten Einwohnern von Torfbergen nicht bekannt ist. Identifizieren funktioniert nur bei Lebewesen des gleichen Ranges oder niedriger. Ansonsten spuckt einem die Fertigkeit nur drei Fragezeichen aus. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der Stadt ist jedoch Rang 2. Nur die wenigen Rang 3 Menschen und deren Vertraute wissen, dass Herr Lester nochmal auf einer anderen Stufe steht.

Der Baron hat sich die letzten Jahre jedoch kaum an irgendwelchen Kämpfen beteiligt. Manche munkeln, dass solch kleine Konflikte für einen Mann seines Kalibers einfach nicht von Interesse sind. Andere Leute halten eine Krankheit oder einen Fluch für die Ursache seiner Untätigkeit. Diese These wurde jedoch vor ein paar Wochen widerlegt. Ein paar Banditen war es tatsächlich gelungen, die Tochter des Barons auf ihrer Heimreise zu entführen. Auch wenn Herr Lester noch über einen Sohn verfügt, so ist es doch ein offenes Geheimnis, wie wichtig dem Adligen seine Tochter ist. Entsprechend ehrgeizig ging er bei der Suche vor. Ein großes Waldstück westlich von hier ist jetzt verbrannte Erde. Es heißt, dass weder von den Banditen, noch von der Vegetation irgendetwas übrig geblieben ist. Alles was die Gilden aus diesem Ereignis lernen konnten war, dass mit Herrn Lester im Ernstfall nicht zu scherzen ist.

Ich erreiche das erste Tor und zeige den Brief als meine offizielle Einladung vor. Ohne Probleme wird mir der Einlass gewährt. Viele Persönlichkeiten werden sich im Verlaufe des Tages hier einfinden. Meine Vorfreude hält sich nach wie vor eher in Grenzen. Jedoch bin ich offen dafür, was der Tag noch so bringen wird.