Ich atme erneut tief ein und aus. Es ist der verzweifelte Versuch mein rasendes Herz irgendwie unter Kontrolle zu kriegen. Warum habe ich mich nochmal von der Kämpferin dazu überreden lassen bei diesem “Waldspaziergang” mitzumachen? Ich könnte mir auch nichts entspannenderes vorstellen, als mitten in der Nacht durch einen stockfinsteren Wald voller aggressiver Spinnen zu wandern.
Gut, fairerweise ist das nicht ganz richtig. Das Mondlicht reicht gerade so aus, damit ich die Umrisse der vor mir laufenden Abenteurerin noch so erkennen kann. Ein bestenfalls zweifelhaftes Geschenk der Natur. In der Höhle unter Silberstieg musste ich zwar in völliger Dunkelheit irgendwie zurecht kommen, doch dort gab es keine wilden Kreaturen. In dem diffusen Licht sieht allerdings jeder herumliegende Ast wie das Bein einer Spinne aus. Das sich diese Vermutung öfter als mir lieb ist als wahr herausstellt, macht es nicht wirklich besser.
Egal zu welcher Tageszeit man im Wald unterwegs ist, man hört immer irgendwelche Tiergeräusche. Der Wimmerwald bietet dabei keine Ausnahme. Allerdings hört man hier keine Vögel oder die Rufe der gängigen Waldbewohner erklingen. Sie alle haben sich vor langer Zeit aus diesem Areal zurückgezogen oder den Preis für ihre Hartnäckigkeit bezahlt. Stattdessen ist die Nacht mit einer Kulisse des Wimmerns gefühlt. Die einzige Abwechslung bilden die Schreie der Spinnen, welche eine neue Schlacht ankündigen. Ich würde ja gerne behaupten, dass man sich mit der Zeit an dieses markerschütternde Geräusch gewöhnt, doch dem ist nicht so.
Einatmen, ausatmen, den Verstand nicht verlieren und einfach dem Seil in meiner Hand folgen. Das andere Ende befindet sich um der Hüfte der Kämpferin. Das fahle Licht sorgt in Kombination mit dem Seil und geflüsterter Anweisungen zumindest dafür, dass man nicht über jede zweite Wurzel stolpert. Solch eine Art der Fortbewegung ist dennoch anstrengend und erfordert absolutes Vertrauen. Egal ob Sophie renn, links, rechts oder ducken sagt, in so einer Situation gibt es kein Zögern, kein Infrage stellen. Entweder machen oder wir gehen potenziell alle dafür drauf. Erneut erfüllt der Schrei einer Spinne die Nacht. Das Geräusch ist kilometerweit zu hören. Jedoch scheint diesmal der Laut nicht allzu weit entfernt zu sein. “Alleman sofort auf den Boden und schützt euren Kopf!”, ruft uns Sophie zu und wirft sich augenblicklich nieder. Ich folge unverzüglich ihrem Beispiel. Das Wimmern wird Sekunden später deutlich lauter und kurz darauf merke ich, wie die erste Spinne über meinen Körper stolpert.
1 Schaden erlitten
Das Momentum schleudert das Tier außerhalb meiner Sichtweise, doch das interessiert mich im Moment herzlichst wenig. Geisterhafter Schleier hält einem direkten Kontakt nicht stand, weshalb wir nun für die anderen Spinnen kaum zu übersehen sind. Allerdings braucht es mehr als ein paar leblos wirkende Körper um die Tiere aus ihrer Raserei zu bringen. Ein Mitglied ihrer Familie hat um Hilfe gerufen und sie werden diesen Ruf folgen, koste es was es wolle. Zum zweiten Mal in dieser Nacht werde ich als Fußabtreter missbraucht. Die Tiere wiegen quasi nichts und verursachen keinerlei weiteren Schaden, doch es ist eine zutiefst beunruhigende Erfahrung. So etwas wünsche ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind.
Ein Mitglied deiner Gruppe hat geisterhafter Schleier gewirkt. Es fällt anderen Lebewesen schwerer deine Präsenz wahrzunehmen.
Wieder auf den Beinen taste ich meinen Körper und schließlich meinen Rucksack ab. Bei der Gelegenheit entfernte ich auch gleich einmal grob die angesammelten Spinnweben. Die ganze Scheisse hier nur, weil ich für ein paar Sekunden die Klappe nicht halten konnte! Mit ein wenig mehr Gelassenheit meinerseits hätte der Ball durchaus eine gute Erfahrung werden können. Aber nein, der Herr Magier musste sich ja von einer Halbstarken provozieren lassen und jetzt habe ich den Salat. Meine bisherige Leistung auf dieser Mission besteht darin, meine Kollegen nur minimal auszubremsen und immer noch eine saubere Unterhose zu besitzen. Beides Angelegenheiten, welche sich sehr schnell ändern können. Sophie hält mir schließlich das Seilende entgegen, womit unserer ungeplante Pause zu einem Ende kommt.
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Meine Füße tun weh, der Rucksack ist schwer und die Erschöpfung droht langsam meinen Körper zu übermannen. Alles Kleinigkeiten im Vergleich zu der Tatsache, dass ich immer noch am Leben bin. Ich muss einfach nur immer wieder einen Fuß vor den anderen setzen und dann werden wir auch irgendwann ankommen. Hinfallen ist nicht schlimm, solange man danach wieder aufsteht. Der nächtliche Wahnsinn nagt an mir, doch ich werde nicht brechen. Die Ratten sind gescheitert, die Banditen sind gescheitert, genauso wie auch Waldfeen, Wölfe und ein Oger gescheitert sind. Jeder Schritt bringt mich näher an unser Ziel und ich lasse mich ganz bestimmt nicht von ein paar blöden Spinnen davon abhalten.
Trotz meiner innerlichen Ansprache habe ich mich noch nie so über die ersten Sonnenstrahlen des Tages gefreut. Das Licht bedeutet nicht nur die Rückkehr meiner Unabhängigkeit von meinen Gefährten, sondern auch das der Wald ein wenig zur Ruhe kommen wird. Die Wimmerspinnen sind immer noch zahlreich vertreten, doch der akustische Unterschied ist bereits nach wenigen Minuten enorm. Auch der Rest unserer Gruppe profitiert merklich vom Anbruch eines neuen Tages. Die nächste Stunde verlangt uns noch einmal alles ab, doch schließlich erkennen wir zwischen den Bäumen unser Ziel.
Camp Sieben ist von einer etwa vier Meter hohen Mauer aus aneinandergereihten Baumstämmen umgeben. Die unmittelbare Umgebung des Walls wurde akribisch gerodet. Es mag zwar nicht nach viel aussehen, aber die so geschaffenen Sekunden können im Ernstfall das Überleben zahlreicher Abenteurer sichern. Nur ein schmaler, klar abgesteckter Pfad führt zum einzigen Tor des Camps. Dieser Weg ist auch gleichzeitig die einzige Möglichkeit, die Mauer unversehrt zu erreichen. Auch wenn nur die wenigsten Abenteuer lesen können, so sind die aufgestellten Schilder doch mehr als eindeutig. Das Gebiet rund um den Wall ist bis zum Anschlag mit Fallen zugepflastert. Ein falscher Schritt könnte sich hier bereits als dein Letzter erweisen.
Die Wache auf der Mauer begrüßt uns bereits aus der Ferne und wir werden rasch in das Innere des Camps gelassen. Man hat uns offenbar bereits sehnsüchtig erwartet. Sophie und Vincent unterhalten sich mit einem Herrn in glänzender Rüstung, doch die Konversation könnte mich ehrlich gesagt nicht weniger interessieren. Meine Körper ist komplett am Ende. Alles was jetzt noch zählt ist zu erfahren, wo sich mein Schlafplatz befindet. Auch auf die Gefahr hin mir neuen Ärger einzuhandeln, unterbreche ich das bestimmt äußerst wichtige Gespräch um entsprechend nachzufragen. Der Mann, der Ausrüstung nach zu urteilen vermutlich ein Nahkämpfer, zeigt sich kurz irritiert. Jedoch ruft er eilig einen anderen Abenteuer herbei, welcher mir den Weg zeigen soll. Somit finde ich mich schließlich vor einem großen Zelt wieder. Ohne groß darüber nachzudenken schlurfe ich hinein, stelle vorsichtig meinen Rucksack ab und befinde mich kurz darauf bereits im Land der Träume.
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“Jetzt wo wir die Formalitäten abgehakt haben, kannst du mir ja sicherlich verraten, warum du hier mit einem von diesen Taugenichtsen aufgetaucht bist.” “Komisch, das letzte Mal als wir uns unterhalten haben hast du dich noch darüber beschwert, dass in Camp Sieben kein Magier stationiert ist. Jetzt hat mal einer den Weg zu dir gefunden und es ist auch wieder nicht richtig”, sage ich zu Ralf. Es ist immer wieder erheiternd zu sehen, wie weit es Menschen mit mittelmäßigen Fähigkeiten, aber den richtigen Beziehungen bringen können. Ralf gehört zu den unzähligen Menschen, welche ihre Rangaufstiegsmission verbockt haben. Das allein ist noch keine große Sache. Ein Rang 2 kann in Usenia ein gutes, erfülltes Leben führen. Normalerweise sind die von der Lester-Familie eingesetzten Anführer der Camps jedoch allesamt Rang 3. Eine verständliche Voraussetzung wenn man bedenkt, was die Spinnen einem im Ernstfall alles entgegen werfen. Trotzdem hat es Ralf vor zwei Jahren irgendwie geschafft an diese hoch respektierte, fürstlich bezahlte Stelle zu kommen. Er ist zwar kein schlechter Kämpfer, doch im Vergleich zu manch anderen bestenfalls zweitklassig. Es hat immerhin Gründe, weshalb er seine Zeit ausschließlich in Camp Sieben absitzt.
“Ein Rang 1 Magier ist hier draußen genauso viel wert wie Fußpilz”, winkt der Nahkämpfer müde ab. “Kann der Bursche sich überhaupt alleine die Schuhe binden? Wie habt ihr seine Familie überhaupt dazu gebracht, dass sie einem Ausflug in dem Wimmerwald zustimmt?” “Torben brauchte einfach mal einen Tapetenwechsel”, zucke ich mit den Schultern. “Er ist das neuste Mitglied unserer Gilde und stammt im Gegensatz zu dir nicht aus einer wohlhabenden Familie. Er wollte aus der Stadt raus, ich wollte aus der Stadt raus und so kam eins zum anderen.” “Pah, die Sira-Gilde wird ihrem Ruf mal wieder gerecht! Ich schätze mal, dass Glückwünsche angebracht sind. Man rekrutiert immerhin nicht jeden Tag einen Magier. Hätte ich aber gewusst, dass die Pfeife aus gewöhnlichen Verhältnissen stammt, dann hätte ich ihm ein anderes Zelt angeboten. Peter!”
Ich schließe mit einem großen Schritt die Distanz zwischen mir und dem Mann in seiner auf Hochglanz polierten Rüstung: “Weisst du, ich kann Torben ziemlich gut leiden. Soweit mir bekannt ist, steht jedem Magier für die Dauer seines Aufenthaltes ein eigenes, kostenloses, großes Zelt zu. Falls ich mitbekomme, dass mein Freund nicht die gleiche Behandlung bekommt wie seine Kollegen, kriegen wir beide ein Problem.