Die Gralahalle befand sich im gleichen Gebäudeteil des Eispalastes, wo auch die riesige Bibliothek und die Gelehrtenzimmer waren. Finan erkannte die weißen Treppen, die sie am ersten Tag in der Wächterstadt erklommen hatten. Dieses Mal blieben sie direkt gegenüber den Treppen vor zwei riesigen Flügeltüren stehen, auf denen man aus hellem Birkenholz das Wappen der Gelehrten angebracht hatte. Dagmar, eine der Gelehrten, die sie ganz am Anfang kennengelernt hatten und ihre Gaben ausfindig gemacht hatten, öffnete ganz leise die linke Tür und bedeutete ihnen ihr zu folgen.
Die Halle war wie ein Hörsaal angelegt, sie standen gerade vor einer weiteren Treppe, links und recht befanden sich mehrere Reihe von Tischen und Stühlen, die kreisförmig nach unten immer enger wurden, bis sie vor einer Balustrade endeten, die sie von der runden Bühne ganz unten trennten. Jeder Sitzplatz war belegt mit Gelehrten aus allen Altersstufen, die alle wie gebannt auf zwei Männer starrten, die unten vor zwei Rednerpulten sich gegenüber standen.
Finan hielt die Luft an, als ihm fremdländische Kleidung ins Auge fiel. Links stand ein Mann, der einen weinroten Mantel trug, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Er konnte alleine schon den Stoff nicht bestimmen, noch hatte er jemals einen solch eleganten Schnitt gesehen. Der Mantel schmiegte sich elegant an den Körper des Mannes an und war vorne etwas kürzer geschnitten als hinten, wo der Stoff in zwei getrennte, kniekehlenlange Schleppen endete. Mehrere silberne Knöpfe schmückten nicht nur die Vorderseite des Mantels, sondern auch die vorderen Jackentaschen, die Ärmel und die Schulterklappen. Passend dazu trug der Herr blaue, eng geschnittene Hosen, die vorne und hinten eine senkrechte Falte hatten.
Ganz besonders hing Finan an den glatt polierten Stiefeln mit den metallenen Ösen für die Schnürsenkel. Der Mann hielt sich mit beiden Händen an den Seiten seines Pults fest und blaffte angeregt sein gegenüber an. Ein Mann mit pechschwarzen, glatten Haaren, einer sonnengebräunten Haut, gerötete Wangen und dünnen Augen ohne Lidfalten. Er trug ein langes Oberteil mit ausgefallenen Schulterausschmückungen, die wie Dornen aus dem glänzenden Stoff herausragten, sodass die Schultern des Mannes mächtig und breit wirkten. Der Stoff selbst war bunt verziert mit verschiedenen Mustern in Rot, Weiß, Grün, Gelb. Trotzdem wirkten sie alle wie ausgeklügelt geplant und gaben dem Mann das herrschaftliche Ansehen eines Königs.
Er trug sein schwarzes Haar offen, außer den zwei Strähnen, die er vom Unterhaar nach vorne gezogen hatte. Diese wurden von silbernen Ringen geschmückt, passend zu den silbernen glatten Münzen, gebunden an mehrere rote Lederbänder, um seine Stirn zu schmücken.
Beide mussten ungefähr so alt sein wie Wotan, wobei Finan es schwerfiel, die fremden Gesichtszüge einzuschätzen.
»Deine Rhetorik stimmt von vorne bis hinten nicht, mein lieber Freund!«, rief der kurzhaarige mit dem braunen Lockenkopf. »Diese Schriftstelle ist kein Beweis dafür, dass die Nachkommen eines Gottes ebenfalls die gleiche Göttergestalt trugen! Es gibt nur einen Gott, alle anderen Nachfahren sind Menschen!«
»Bevor du meine Ansichten mit deinen schwachen Argumenten kontern möchtest, schlage ich dir vor, deine Nase wieder in deine Bücher zu stecken, damit ich meinen Kopf wenigstens ansatzweise anstrengen muss! Ich hab noch mindestens zehn weitere Schriftstücke im Kopf, die meine These beweisen können!«
Finan warf einen fragenden Blick auf Dagmar, während die zwei Männer sich weiter anblafften.
»Beide sind theologische Gelehrte. James Harlow ist der Mann mit den Locken, Cheng der andere. James glaubt wie wir an Luoja, auch wenn man in seinem Land einen anderen Namen für Luoja hat: Dagboann. Cheng glaubt nicht nur an Luoja, den sie Shangdi nennen, sein Land hat noch weitere Nebengötter, die von Shangdi abstammen. Beide Männer kommen regelmäßig nach Gerwenen, um sich mit unseren theologischen Gelehrten auszutauschen und Diskussionen zu führen, welche Glaubensinhalte richtig sein könnten und welche nicht.«
Finan starrte Dagmar voller Ratlosigkeit an. Er wollte fast schon laut Wieso ausrufen, doch er hielt sich zurück. Was ging es ihn an, welche unnötigen Diskussionen sie über seltsame Wesen führten, die keiner sehen, hören oder anfassen konnte?
»Das heißt sie streiten?«, fragte Elyon. Es würde sonst keiner bemerken, aber dadurch, das ihre Stimme ein klein wenig höher klang als sonst, wusste Finan, dass sie voller Neugierde war.
»Nein, nein«, wisperte Dagmar beschwichtigend. »Sie sind beste Freunde. Sie reisen ständig zusammen. Sie diskutieren. Und das sehr leidenschaftlich.«
»Warum hören so viele zu?«, fragte Elyon weiter.
»Ihre Diskussionen sind immer spannend. Sie haben interessante Theorien zu Göttern, was sie Menschen weitergeben möchten, was wir von ihnen lernen können, und sie sind so hitzig und begeistert dabei, dass es auch belustigend ist, sie dabei zu beobachten, wie sie beide immer wieder versuchen, den anderen von der eigenen Meinung zu überzeugen.« Dagmar schmunzelte und warf einen warmen Blick auf die zwei Männer.
Ein hoher Glockenschlag erschallte durch den Saal. Die Männer kamen zum Schweigen, ihre Stirn war schweißgebadet. James holte ein Taschentuch aus seiner Manteltasche heraus und wischte sich die Stirn ab, während Cheng nach Luft schnappte und auf seine roten Wangen mit den Fingerspitzen klopfte.
Nun erschallten Stimmen aus den Sitzplätzen. Die Gelehrten wandten sich einander zu und begannen aufgeregt miteinander zu reden.
»Kommt, ich stelle sie euch vor. Danach bringe ich euch in den Nebenraum, wo ihr euch in Ruhe unterhalten könnt.« Dagmar führte sie die Treppen hinunter zu der runden Bühne, wo Cheng und James gerade aufeinander zugingen und sich herzlich die Hand schütteln.
»Mein Freund, du hast dich wacker geschlagen. Nächstes Mal muss ich mich besser ausrüsten. Meine Studien reichen noch lange nicht aus, um dich zu übertrumpfen«, sagte James.
»Nein, nein, mein Blutsbruder. Bloß nicht. Sonst werde ich dir beim nächsten Mal wirklich irgendwann nicht mehr antworten können und ich habe jetzt schon nicht genug Stunden am Tag, um noch mehr Schriften zu studieren.«
Sie tauschten weitere Komplimente aus, klopften sich auf die Schulter, dann fiel Chengs Blick auf Dagmar und er lächelte so breit, dass man kaum noch das Weiße in seinen Augen sehen konnte.
»Dagmar! Ich dachte schon, du würdest dich gar nicht mehr blicken lassen!« Beide Männer sprachen Gerwenisch mit einem sehr schweren Akzent. Doch er klang ganz anders als Elyons oder Finan. James sprach seine R-Laute sehr weich aus und hatte Schwierigkeiten mit Lauten, die Cheng mit Leichtigkeit aussprechen konnte, wenn auch viel schärfer als die Einheimischen.
James drehte sich um und lächelte sie an, da bemerkte er Elyon und Finan, legte den Kopf zur Seite und hob fragend eine Augenbraue hoch.
»Meine Freunde, ich bringe euch eine große Überraschung mit«, sagte Dagmar mit Begeisterung in ihrer Stimme. »Wir haben zum ersten Mal seit mehreren Jahrhunderten Besuch aus dem Geschlossenen Westen.«
Beide Männer rissen die Augen auf. Chengs Kinnlade klappte herunter.
»Dagmar, gehört das wieder zu einem deiner berühmten Streiche?«, fragte James streng und warf ihr einen schiefen Blick zu.
Dagmar hielt die Hände hoch und schüttelte sie. »Nein, nein, ich schwöre, das sind Finan und Elyon. Finan ist einer der Kaisersöhne von Rovisland, Elyon ist Prinzessin der Sturminseln.«
Finan legte die Hände ineinander und verbeugte sich, Elyon konnte einhändig die Bewegung nur nachahmen und verbeugte sich ebenfalls.
»Es ist eine Ehre, euch kennenlernen zu dürfen«, sagte Finan und erhob sich wieder. »Wir haben den weiten Weg auf uns genommen, weil Höhental und Rovisland von einem Fluch geplagt werden, der wahrscheinlich mit einer uralten Korruption zusammenhängt.«
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Dagmar nickte und kreuzte die Arme vor der Brust. »Heidrun hat sich den Fluch angeschaut, doch er ist zu alt und sie konnte nicht helfen. Wir dachten an euch, da vor allem Cheng viel Wissen zu besonders alten Flüchen gesammelt hat.«
Beide Männer starrten immer noch wie eingefroren Finan und Elyon an. James war der Erste, der sich fing und verlegen in seine geschlossene Faust räusperte.
»Verzeiht unsere Reaktion. Wir hätten niemals damit gerechnet, dass wir jemals wieder etwas aus dem Verschlossenen Westen hören würden. Vor allem nach der Geschichte mit dem Meeresstrudel.«
»Strudel?«, fragte Finan in der Kaisersprache. »Elyon, weißt du, was sie meinen?«
Elyon schüttelte den Kopf und sah nachdenklich drein.
»Lasst uns doch in den Nebenraum gehen, statt hier herumzustehen. Ich habe eine äußerst gute Teepflückung erwischt. Es wäre eine Schande, sie nicht mit euch zu teilen«, sagte Cheng und ging auf die Tür ihnen gegenüber zu. Diese verschmolz fast mit der weißen Wand und war erst zu bemerken, als Cheng den Türgriff anfasste.
Der kleine Raum war ähnlich ausgestattet wie Erdas Arbeitszimmer in der Klinik, nur dass dieser durch die warmen Braun- und Grautöne viel wärmer wirkte. Das alte Holz knarzte unter ihren Schritten und Cheng ging direkt auf eine weißgraue Sesselgruppe zu, die um einen alten niedrigen Tisch aufgebaut war. Während alle anderen sich auf die Sessel setzten, lief Cheng weiter zu einem anderen Tisch, der hinten neben einer Tür stand. Dort lagen mehrere Taschen und kleine Kisten. Aus einer rot lackierten Holzkiste mit goldenen Ausschmückungen holte er mehrere kleine Porzellangefäße heraus, die er auf ein kistenähnliches Tablett stellte. Als er wieder zurückkam, entdeckte Finan, dass das Tablett oben aus einem Gitter bestand.
»Elyon, dein Name kommt mir sehr bekannt vor. Das letzte Mal habe ich ihn in einem alten historischen Bericht über König Elyon aus Höhental gelesen. Wurdest du nach ihm benannt?«, fragte James
Elyon nickte. »Ist mein Vorfahre.«
James' Gesicht hellte sich auf. »Dann überrascht es mich, dass du auch zu den Gestaltwandlern gehörst. Erstaunlich. Ich sitze vor historischem Adel!«
»Ihr müsst James entschuldigen«, warf Cheng ein und legte eine Hand auf die Schulter seines Freundes. »Er ist verrückt nach Stammbäumen und alten Geschichten über Adelshäuser«, erklärte Cheng und polierte dabei die kleinen Porzellantassen.
»Dagmar, könntest du uns etwas Wasser für den Tee holen?«, fragte Cheng sanft.
»Natürlich. Ich bin gleich wieder zurück.«
Sobald Dagmar die Tür hinter sich geschlossen hatte, tauschten die beiden Männer kurz einen Blick aus, nickten sich zu, dann wandten sie sich Elyon und Finan zu.
»Ehe Dagmar wieder zurückkehrt, möchten wir euch noch über eine Sache aufklären«, begann Cheng. »Ihr werdet mit uns über Korruptionen sprechen wollen und es kann sein, dass Dagmar bei bestimmten Aussagen, die wir fällen, nicht wirklich begeistert sein wird. Und auch unter uns beiden werden wir unterschiedliche Ansichten haben, was euch sicherlich verwirren wird.«
»Unsere Länder behandeln das Thema Korruption sehr anders. Allein dadurch, dass wir andere Bezeichnungen dafür haben«, sagte James weiter und strich sich über sein kurz behaartes Kinn. »In Combroland nennen wir es Dhuargh, grob übersetzt ist es eine Dunkelheit, die einen ummantelt, wobei Dunkelheit nicht schlecht gemeint ist, sondern eher die natürliche Dunkelheit wie die Nacht.«
Cheng machte ein zustimmendes Geräusch. »In unserem Land nennen wir es übersetzt die Zweite Seite. Wir glauben in unserem Reich, dass alle Menschen zwei Seiten in sich tragen, eine leichte, die für alles steht, was gut ist und eine schwere Seite, die für unsere eher schlechten Verhaltensweisen steht. Beide Seiten haben ihre Berechtigung in unserer Philosophie und sorgen für Gleichgewicht.«
Finan versuchte seine Miene so gut wie möglich unter Kontrolle zu behalten, doch er spürte förmlich, wie sich seine Stirn in Falten legte, während er versuchte, all die neuen Informationen aufzunehmen.
»Hier in Gerwenen, werden sie Korruptionen genannt, als äußerst gefährlich und schlecht angesehen und als etwas, das man schnellstens loswerden muss. Ihr könnt euch vorstellen, dass dies oft zu Meinungsverschiedenheiten führt«, erklärte James.
Finan warf einen Seitenblick auf Elyon, die bei dieser letzten Aussage ihren Mund leicht geöffnet hatte. Ein Hoffnungsschimmer ließ sich kurz in ihren vernarbten Augen blicken, ehe wieder die übliche Finsternis in ihnen zurückkehrte.
Als Dagmar mit dem Wasser zurückkehrte, begann Cheng den Tee vorzubereiten, während James Elyon und Finan zu ihrem Anliegen ausfragte. Sie erzählte ihnen alles, was sie bisher über den Fluch wussten. Cheng reichte ihnen zwischendurch die kleinen Porzellantassen, in denen er eine goldgrüne Flüssigkeit hineingegossen hatte.
Ein Duft nach Gras und getrockneten Blüten stieg in Finans Nase. Er nahm einen vorsichtigen Schluck und ließ das liebliche Getränk auf seiner Zunge ruhen, ehe er diese ganz hinunterschluckte. Voller Staunen starrte er den Tee in seiner Tasse an und trank schnell den Rest aus. Er musste später unbedingt daran denken, Cheng zu fragen, wie er selbst an diese Teeblätter herankommen konnte.
Finan nahm einen vorsichtigen Schluck und war erstaunt, wie gut ihm das warme Getränk schmeckte.
Elyon erzählte ihnen über den Urdrachen, wie sie ihn erlegt hatte, dass die Verletzungen, die durch ihn entstanden waren, bei keinem Betroffenen geheilt waren und Finan gab weiter Auskunft über ihre bisherige Reise von Höhental nach Gerwenen.
Cheng schaffte es gerade noch, ihnen weiterhin Tee zuzubereiten, während er und James wie gebannt auf ihre Erzählungen horchten.
»Das ist ... unglaublich! Wie aus alten Sagenbüchern!« sagte James atemlos.
»Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ihr im Westen es tatsächlich geschafft hat, sämtlichen Glauben am Übernatürlichen zu verbannen«, staunte Cheng. »Meine Güte, ich meine, euer Land war zu großen Teilen dafür verantwortlich, dass vor allem Gerwenen und Combroland ihre alten Götter aufgaben und nur noch einem nachfolgten. Und jetzt gibt es nichts mehr. Ein großer Teil eurer Landesgeschichte wurde einfach komplett verdeckt.«
»Nun, mein Bester«, warf James ein und rieb sich wieder am Kinnbart. »Wir sollten uns jetzt aber schnell wieder einkriegen und das Problem angehen. Ich schlage vor, dass wir zwei unsere Köpfe zusammenstecken, um zu überlegen, wie wir euch helfen können. Am besten wäre es, wenn wir uns Jesko ebenfalls mal anschauen würden, aber ich würde gerne vorher noch ein paar Gedanken mit dir austauschen, Cheng.«
»Wie wäre es, wenn ihr euch mit Heidrun in einer Stunde beim alten Bauernhof trefft?«, schlug Dagmar vor. Dort hatten sie Jesko untergebracht, weit weg von allen anderen großen Tieren, die Jesko gefährlich werden könnten. »Ich schicke euch jemanden vorbei, der euch hinführen kann.«
Cheng und James waren einverstanden und verabschiedeten sich von Finan und Elyon, nur um gleich danach eng beieinander zu setzen und buchstäblich die Köpfe zusammenzustecken. Sie diskutierten angeregt miteinander. Man konnte kaum glauben, dass die Männer sich erst vor Kurzem fast schon wütend angeschrien hatten.
Als sie wieder in der Gralahalle waren und die Treppen hinauf zu den Flügeltüren liefen, ließ Finan seiner Neugierde freien Lauf.
»Ihr habt alle verschiedene Ansichten, was Glaube und Philosophien angeht. Wie kommt es, dass ihr euch immer noch gut versteht? Ich kann mir vorstellen, dass so große Meinungsverschiedenheiten sogar zu größeren Auseinandersetzungen führen kann.« Könige in Rovisland hatten schon aus weit geringeren und kindischeren Gründen Kriege mit ihren Nachbarn angefangen. Sogar der König von Tannschwärze hatte seinen Trupp einmal versammelt, um einen Grafen anzugreifen, der seine blinde Tochter beleidigt hatte. Finan hatte ihn gerade noch so beschwichtigen können und dem König versprochen, auf unauffälligem Wege dem Grafen seine Macht zu nehmen.
Am Ende hatte Finan seine guten Beziehungen zu mehreren großen Händlern und anderen Adligen benutzt und so langsam die Einnahmen, die der Graf aufgebaut hatte, zum Austrocknen gebracht.
»Nun, früher gab es schon auch einige Kämpfe zwischen den Ländern. Doch es gab immer wieder größere Menschengruppen, so wie wir Wächter, die sich dem entgegengesetzt und sich für gegenseitiges Verständnis und Frieden eingesetzt haben. Es ist schwer, dies alles in kurzen Sätzen zu erklären. Doch wir bemühen uns immer vor Augen zu halten, wie viel vergangenes Leid und Zerstörung es aufgrund von menschlichen Meinungsverschiedenheiten gegeben hat. Und dass wir dies unter keinen Umständen wiederholen möchten. Es hat mehrere Jahrhunderte gebraucht, doch wir haben mittlerweile gelernt, wie wir miteinander diskutieren können, ohne uns zu hassen und ohne uns gegenseitig unsere Menschlichkeit abzusprechen. Zumindest meistens. Manchmal gibt es natürlich immer noch gewalttätige Streitigkeiten.«
»Also, selbst wenn jemand anders ist, anders denkt, versucht man zu verstehen und die Person anzunehmen?«, fragte Elyon nachdenklich.
Für Finan war es immer noch ungewohnt, dass sie nun alleine laufen konnte. Immer wieder hörte man das leise Schnalzen, das sie benutzte, um auf die Echoortung zuzugreifen. Es wirkte wie bei Wotan, als könne sie wieder mit ihren eigenen Augen sehen.
Dagmar lächelte. »Das hast du schön gesagt. Ja, das versuchen wir. Es klappt mal besser, mal schlechter, aber das ist unser Bestreben.«
Elyon nickte nur und kehrte wieder in ihre Gedanken zurück. Ihr Gesicht wirkte bei Weitem nicht mehr so düster wie am Vormittag und Finan war erleichtert.