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3.1 Der zweite Monat

»Wann sind wir endlich da? Ich dachte, wir hätten die Stadt schon fast erreicht? Und warum können wir noch mal nicht fliegen?«, jammerte Finan, während sie einen Bergpass überquerten. Die Luft war so eisig, dass seine Augen nicht mehr aufhörten zu tränen und sein Gesicht sich taub anfühlte.

»Es ist nicht mehr lang. Hinter dem nächsten Berg lieg das Tal und die Stadt. Und wir müssen laufen, damit ihr euch an den Höhenunterschied und die dünnere Luft gewöhnen könnt. Wir hatten schon einige ausländische Besucher, die höhenkrank geworden sind«, erklärte Janne.

Elyon schnaufte laut neben ihm, trotzdem konnte sie eine Frage nicht zurückhalten.

»Was ... Höhenkrankheit?«, keuchte sie aus.

Finan war nicht überrascht, dass sie trotz knappen Atem sich dazu überwand, zu reden. Sie fragte immer, wenn es ihr dabei half, neue Dinge zu lernen und erfahren.

»Das passiert, wenn man zu schnell die Berge aufsteigt. Wie gesagt, die Luft ist dünner und daran muss sich der Körper langsam gewöhnen, wenn man nicht hier geboren wurde. Deswegen ist Fliegen bei der Ankunft für Fremde absolut verboten. Ich selbst kann fliegen, weil ich von einer noch höheren Gegend stamme und das Wächtertal für mich kein Problem ist. Die Symptome sind oft Kopfschmerzen, manchmal auch Gliederschmerzen, Schwindel, Appetitmangel, Übelkeit. Füße und Hände können anschwellen. Wenn sich der Betroffene verwirrt fühlt und sich nicht mehr gut bewegen kann, ohne zu schwanken, dann ist er nicht mehr weit vom Tod entfernt. Falls ihr euch irgendwie unwohl fühlen solltet, sagt mir bitte sofort Bescheid und wir rasten.«

Finan schluckte schwer. Seine Glieder brannten und schmerzten, aber das war hoffentlich nur der anstrengende Berganstieg. Schwindelig war ihm nicht, aber warm. So warm, dass ihm der Schweiß in Strömen den Rücken und die Brust herablief. Er bekam nur schwer Luft, doch auch das lag nicht unbedingt an der dünneren Luft, sondern daran, dass dieser verdammte Berg so steil war.

Janne warf immer wieder Blicke auf sie zurück, während er neben Lumi stapfte, was Finans Sorgen etwas beschwichtigte.

»Da, noch sechs, sieben Schritte, dann habt ihr es geschafft.«

»Endlich! Ich kann bald nicht mehr!«, stöhnte Finan. Er warf einen sehnsüchtigen Blick auf Jesko, der neben ihm durch den Schnee stapfte. Er hätte alles dafür gegeben, auf seinem Nacken sitzen zu dürfen und den Rest des Wegs zu fliegen. Mit zusammengebissenen Zähnen stapfte Finan durch den dicken Schnee, konnte kaum die Augen offen halten, da ihn das viele Weiß so blendete. Er hielt sich an Jesko fest und ließ sich von dem Drachen leiten. Es dauerte nicht lange und der Drache hielt an.

Finan hob den Blick und erfror auf der Stelle, als die weißglänzende Landschaft sich vor ihnen öffnete. Eingekesselt von riesigen, mit Schnee bedeckten Bergen lag ein weißes Tal unter ihnen. Sehr weit unter ihnen. Die Klippe, auf der sie standen, ragte so hoch, dass Finans Magen sich zusammenzog, als er sich vorstellte, wie es wäre, von dieser Höhe hinunterzufallen. Das weiße Tal war besprenkelt mit immergrünen Bäumen und in der Mitte, durchschnitt ein weiter Fluss die Landschaft, der sich mit einer solch schnellen Strömung durch die Landschaft schlängelte, dass selbst die Kälte ihn nicht einschließen konnte.

Finans Augen folgten dem Fluss gegen die Strömung nach links, bis er auf die stahlblauen Mauern der Wächterstadt traf. Sie glänzten wie Kristalle in der kühlen Wintersonne. Finan konnte sich nicht vorstellen, aus welchem Material sie gemacht waren, nur dass sie aus dieser Entfernung genauso hoch wirkten wie die Klippen, auf denen sie standen.

Hinter den Mauern war die Stadt geschmückt mit schneebedeckten Dächern und Häusern, die wie in der letzten Stadt rote, blaue, grüne und gelbe Fassaden hatten. Die Häuser und Straßen verteilten sich auf dem Berg fast bis zur Spitze, wo sie auf eine weitere blaue Mauer trafen. Dahinter stand ein riesiges, schlossähnliches Gebäude, das direkt in die Bergspitze überging und mit dem Schnee und Eis um die Wette glitzerte. Weiße, spitze Türme die an Eiszapfen erinnerte, streckte sich gen Himmel aus. Die Fassade des Baus war so glatt, dass sie ebenfalls wie Eis wirkte. Selbst von seinem Standort waren die Fenster bereits so groß, dass er sich gar nicht erst die Kosten ausrechnen konnte, um diese zu verglasen.

Finan konnte die Augen nicht mehr von dem riesigen Bau lösen. Seine Augen untersuchten jeden Turm, jedes Fenster, jedes Mauerwerk. Es besaß keinen Schmuck, keinen Prunk, die Schönheit lag an der reinen Farbe, dem glatten Mauerwerk und den einfachen, doch perfekt ausgeführten Formen der Gebäudeteile und Dächer.

»Was ist dieses Gebäude da oben, das in den Berg übergeht?«, wisperte er, ohne seinen Blick davon zu lösen.

»Prächtig, nicht wahr? Das ist der Wächtermittelpunkt und wurde von Hand von unseren besten Wächterhandwerkern aus den Kristallen und Mineralien des Bergs selbst gebaut. Es ist zwar schon an die 200 Jahre alt, aber steht noch genauso fest wie am Anfang.«

Etwas legte sich sanft um sein Handgelenk. Es war Elyon. Normalerweise berührte sie ihn immer, wenn sie Führung brauchte, oder eine Erklärung. Da sie jedoch immer noch standen, wartete sie wohl auf eine Beschreibung der Stadt.

»Lasst uns weiterziehen, wir haben nur noch ein paar Stunden, bis die Sonne ganz weg ist und ich möchte vor der Wolfsstunde in der Stadt ankommen.«

Elyons Augen leuchteten bei dem Wort Wolf auf, doch Finan schluckte schwer. Jannes Ton hatte viel zu düster geklungen, um es für eine ungefährliche Sache zu halten.

»Was ist die Wolfsstunde?«, fragte Elyon.

Janne blieb stehen und sein Blick entfernte sich, als würde er in Erinnerungen schwelgen. Sein Blick wurde dabei so dunkel, dass Finan ein kalter Schauer über den Rücken lief. Er wollte gar nicht wissen, was diese komische Wolfsstunde war.

»Nun, es hat was mit den Wölfen zu tun, aber eher damit, dass sie Warnrufe ausstoßen. Nachts kann das Tal ... etwas gefährlich werden.« Janne schüttelte den Kopf, sein Blick klärte sich, dann starrte er Jesko an. Sein Mund öffnete sich, ein kurzer Ton kam raus, dann presste Janne die Lippen zusammen und begann Lumis Nacken hochzuklettern.

Anders als Jesko, hatte die Flughündin eine Art Sattel um ihren Nacken geschnallt, wie ein Halsband, der zusätzlich mit zwei weiteren Riemen um ihren Kopf verbunden war, damit er nicht verrutschte. An den Seiten gab es mehrere Griffe, durch die Janne mühelos das Tier hochklettern konnte.

»Was-«, begann Elyon, doch Finan legte eine Hand auf ihre Schulter.

»Nicht. Er wird es uns wahrscheinlich später erklären, was genau bei Dunkelheit passiert. Wenn wir in Sicherheit sind. Komm, lass mich dir erzählen, wie die Stadt aussieht.«

Jedes Wort kostete ihm seinen Atem, der sowieso schon knapp war, doch Finan wollte nicht nur Elyon ablenken, sondern auch sich selbst. Währenddessen brachte er Jesko dazu, sich hinzulegen und half Elyon dabei, auf den Nacken des dunkelgrauen Flughundes zu kommen.

Die Tage waren kurz in diesem Land, vor allem im Winter. Das Sonnenlicht blendete nun schon nicht mehr so stark und wenn sie einmal begann zu sinken, war sie sehr schnell verschwunden.

Zum Glück konnten sie nun hinunter ins Tal fliegen. Janne erklärte, dass der Höhenunterschied nun nicht mehr so groß war. Doch Finan vermutete, dass es Janne eher darum ging, diese Wolfsstunde zu entkommen. Leider konnten sie nicht für lange fliegen. Jesko konnte in dieser Kälte nicht genug Wärme herstellen, um so lange in der Luft zu bleiben. Sobald sie unten im Tal ankamen, gingen die beiden Flughunde in einen Galopp über und trugen sei über die weite, stille Schneefläche.

Mit Jeskos Wärme und zusätzlich Elyons, die direkt vor ihm saß, konnte Finan der Kälte ein wenig entkommen. Der beißende Zugwind fühlte sich auf seinem Gesicht trotzdem wie Schwertschnitte an. Finan biss die Zähne zusammen, bis sie endlich in den letzten Sonnenstrahlen die Mauern der Wächterstadt erreichten.

Das weiße Tor war in rötlichen und goldenen Tönen gefärbt. An den Seiten waren Wachtürme angebracht, aus denen Männer befehle riefen. Das Tor war höher als der höchste Turm im kaiserlichen Palast seines Vaters. Finan fragte sich grinsend, wie sehr es seinen Vater aufregen würde, wenn er wüsste, dass es im Verbotenen Osten weitaus bessere und prächtigere Bauten gab als in seinem Reich.

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Finan erwartete, dass die Aufregung, so viel Neues entdecken zu können, ihm neuen Elan und Kraft geben würde, stattdessen überfiel ihn, sobald sie vor den Mauern anhielten, eine so starke Müdigkeit, dass ihm der Kopf kurz schwirrte. Die neuen Eindrücke überforderten seine matten Lider und seinen pochenden Kopf so sehr, dass er tatsächlich den Blick abwendete und stattdessen in die Leere starrte. Er war enttäuscht, doch Finan konnte nicht gegen die Schwere, die sich in seinem Körper ausbreitete ankämpfen.

»Wir sind endlich da. Nicht mehr lange, und ihr könnt euch endlich in einem warmen Zimmer ausruhen«, sagte Janne munter. Das Tor glitt leise zur Seite, als würde sie wie von einer unsichtbaren Hand geschoben werden. Als sie passierten, bekam Finan noch mit, dass einige neugierige Passanten vor ihnen auf der Straße sie beobachteten. Janne stieg von Lumi ab und redete mit ein paar Wachen in weißer Uniform.

Da drehte Elyon sich zu ihm um, ihre Stirn gerunzelt.

»Alles in Ordnung?«, fragte sie.

Dies traf ihn so überraschend, dass Finan die Stimme versagte. Das war das erste Mal, dass Elyon ihm diese Frage stellte.

»Nun, selbst ich bin irgendwann müde. Wahrscheinlich die dünne Luft. Schätze, du wirst nicht mehr viel von mir heute hören. Wir setzen und gleich wieder in Bewegung.«

Janne kletterte wieder auf Lumis Nacken, dann folgten sie dem breiten, gepflasterten Weg, der sie geradewegs zum Wächtermittelpunkt hinauf führte.

Elyon öffnete eine Tasche, die an ihrem Gürtel befestigt war und holte etwas heraus, das sie Finan hinhielt. »Nimm.«

Im dämmernden Licht konnte Finan zunächst nicht erkennen, was sie ihm gab, doch dann spürte er das dünne Papier um die harte Kugel. Es war ein Bonbon, Elyon hatte diese in der Stadt gekauft. Die nach Minze schmeckende Süßigkeit brannte angenehm auf der Zunge, und obwohl es kühlte, hatte sie eine belebende Wirkung.

»Danke«, sagte Finan, löste das Papier von dem Bonbon und schob es sich in den Mund hinein. Er hatte die Hoffnung fast aufgegeben, doch vielleicht konnte er sich ja noch mit dem grimmigen Mädchen anfreunden.

Als sie vor dem nächsten Tor anhielten, das den Beginn des Wächtermittelpunkts mit einem weiteren blauen, wenn nicht ganz so hohem Ring markierte, war die Sonne bereits untergegangen. Doch überall brannte Licht in das, was Janne als Straßenlaternen bezeichnete. Stählerne Pfosten mit gläsernen Lampen darauf, in denen ein bläuliches Feuer schien. Irgendwann, wenn er die Sprache besser verstand, wollte Finan unbedingt mehr darüber lernen. Vielleicht konnte er so etwas Ähnliches auch im Kaiserreich einführen.

Anders als die Außentore besaß das Gittertor vor ihnen wirbelnde Muster, die er schon öfters in diesem Land gesehen hatte. Diese waren ein altes Motiv ihrer Vorfahren. Dicke Linien, die sich ineinander verknoteten und an dicke, lockige Haarsträhnen erinnerten.

Finan war einen kurzen, müden Blick hinab auf die Stadt, die sanft von dem gelblichen Licht schien, dass durch die vielen kleinen Hausfenster leuchtete.

»Willkommen!«, rief ein kleiner Chor an Stimmen, was seine Aufmerksamkeit wieder nach vorne lenkte. Drei ältere Herren und zwei ebenso alte Damen standen vor ihnen, alle in langen Roben gekleidet, in unterschiedlichen Farben.

Sie warfen einen kurzen, bedächtigen Blick auf Jesko, doch dann wandten sie sich Janne zu und redeten so schnell und dazu noch mit einem anderen Akzent, dass Finan nicht einmal versuchte, ihrer Unterhaltung zuzuhören. Stattdessen half er Elyon abzusteigen und fing an, ihr Gepäck von Jesko loszubinden.

»Ihr habt ein Gästehaus zugeteilt bekommen, bei den Ställen.« Janne kam auf sie zu. Währenddessen kam ein junger Mann in einem langen Mantel, der Lumi ein Stück Fleisch hinhielt und sie so weg von der Gruppe lockte und sie auf einen breiten Sandweg führte. Im schwachen Licht der Straßenlampen erkannte er Fußabdrücke von unterschiedlichen Tieren auf dem Weg.

»Üblicherweise würden wir euch in den Gästezimmern im Hauptgebäude unterbringen, doch wir müssen Jesko zu den leeren Stallungen bringen. Sollte er zu den anderen Tieren gebracht werden, würde dies in Chaos ausarten. Und wir dachten, dass es besser wäre, wenn ihr in seiner Nähe sein könntet. Ist euch das recht?«

»Solange ich ein Bett und einen Kamin haben kann, ist mir alles andere im Augenblick völlig gleichgültig«, sagte Finan und gähnte leise.

»Dann kommt mit, ich führe euch gleich hin. Wir können die offiziellen Begrüßungen und Vorstellungen auf morgen schieben. Ihr seht sehr erledigt aus.«

Finan sagte nichts dazu, sondern legte Elyons Hand um seinen Oberarm, denn er vermutete, dass sie in dieser Dunkelheit und auch noch der unbekannten Gegend nichts sehen konnte. Dann setzte sich Janne in Bewegung und sie folgten ihm zusammen mit Jesko. Sie liefen einen gepflasterten Weg entlang. Auch hier beleuchteten die Straßenlampen die Nacht und warfen ihr bläuliches Licht nicht nur auf das Pflaster, sondern auch auf die Tannen, die den Weg links und rechts schmückten. Es dauerte nicht lang, und ein zweistöckiges, breites Gebäude kam in Sicht, mit einem tiefliegenden Dach, kleinen Fenstern und einer hellen Fassade. Janne klopfte an der Tür, die von einer jungen, blonden Frau geöffnet wurde. Sie begrüßte sie mit einer Öllampe in der Hand.

»Da seid ihr ja! Willkommen! Kommt schnell rein! Ihr seid Finan und Elyon, nicht wahr? Ich heiße Vera. Eure Zimmer sind schon aufgeheizt, ihr könnt also gleich in eure warmen Betten kriechen!«, sagte sie munter.

»Danke«, sagte Finan.

»Ich übergebe sie deiner Obhut, Vera. Ich kümmere mich währenddessen um Jesko. Morgen in der Früh hole ich sie ab und begleite sie rüber ins Hauptgebäude.« Janne trat zur Seite, damit sie in die warme Stube eintreten konnten und winkte ihnen zu. »Schlaft gut. Wir sehen uns dann morgen!«

Finan nickte ihm zu und seufzte erleichtert auf, als er endlich in das warme Haus eintreten konnten. Als die warme Luft sein erkaltetes Gesicht traf, prickelte und stach seine Haut genau wie seine erkalteten Fußsohlen. Doch schon bald ließ es nach und die Wärme begann seine Glieder aufzulockern.

Finan war nicht nur für die Wärme dankbar, sondern auf dafür, dass die Frau sie rasch durch das Haus führte, statt ihnen erst alle Räume zu zeigen und sie mit irgendwelchen Einzelheiten zu quasselte. Vera sprach erst wieder zu ihnen, als sie die knarrende Holztreppe erklommen hatten.

»Links am Ende des Gangs ist das Badezimmer. Eure Zimmer sind hier direkt gegenüber der Treppe. Solltet ihr irgendetwas brauchen, findet ihr mich unten in der Küche, einfach in den beleuchteten Raum, rechts von der Treppe eintreten.«

»Vielen Dank«, sagte Finan und Elyon nickte mit dem Kopf.

»Solltet ihr schon bald fest schlafen, wünsche ich euch eine gute Nacht!« Vera lächelte breit, dann lief sie die Treppen hinunter. Finan legte Elyons Hand auf die Türklinke direkt vor ihnen.

»Das hier ist dein Zimmer, meins ist rechts von dir. Kommst du alleine zurecht? Oder soll ich dich in dein Zimmer begleiten?«

»Allein«, sagte Elyon leise. Finan unterdrückte ein Seufzen. Immer diesen sturen Unabhängigkeitsdrang. Doch heute sollte es ihm recht sein. Finan war vollkommen erschöpft und wollte nichts weiter außer ein Schluck Wasser trinken, raus aus den Unmengen an verschwitzten Schichten, die er anhatte und sich auf eine weiche Unterlage hinlegen.

Als er sein Zimmer betrat, war es beleuchtet mit mehreren Kerzenständern. Eine wohlige Wärme strömte vom Kachelofen in der linken Zimmerecke aus und Finan tapste mit ausgestreckten Händen hin, um seine Glieder weiter aufzutauen. Er trug den Schweiß von ungefähr fünf Tagen mit sich herum, da sie kaum Zeit oder Gelegenheit hatten, sich zu waschen, doch das war Finan ausnahmsweise mal egal. Mit all der Kälte war die Mühe zu groß, um sich ganz auszuziehen, eine Wanne vollzumachen, die er dann nie wieder verlassen wollte, weil es umso kälter wurde, wenn er mit dem Bad fertig war.

Sobald Finan das Gefühl hatte, dass er seine Finger wieder ganz ohne Schmerzen bewegen konnte, schälte er sich aus dem Schultermantel, den Strickjacken, den Hemden und Unterhemden heraus, die er trug, und zog seine Schlafsachen aus der Reisetasche heraus. Er war so müde, dass er keinen weiteren Blick mehr auf die Möbel und sonstige Ausstattung warf, sondern bewegte sich so schnell wie möglich Richtung Bett.

Sein Körper war so schwer wie Blei, als er auf die Matratze traf und die Decke über sich zog. Die Erschöpfung packte seine Glieder und schien sie zu zerreißen. Finans Kopf pochte wieder und sorgte dafür, dass es eine Weile dauerte, bis er es schaffte einzuschlafen. Selbst dann war es kein fester Schlaf, da Finan sich unruhig hin und her wälzte, weil das Bett so ungewohnt war, der hölzerne Geruch in diesem Zimmer fremd und die Decke leicht kratzte. Er nahm sich vor, nur noch ein letztes Mal seine Schlafposition zu ändern und drehte sich zur Seite, als sein Arm auf etwas Hartes und Haariges traf, das nicht die Matratze sein konnte.

Er schrecke auf und zog die Decke zurück. Ehe seine Augen sich an die Dunkelheit anpassen konnten, stieß die Gestalt ein grummelndes Geräusch aus, das er sofort erkannte.

»Elyon? Was um alles in der Welt machst du in meinem Zimmer?«

Das Mädchen setzte sich murrend auf. Es kam keine Antwort. Stattdessen ließ Elyon sich wieder zurück auf die Matratze fallen.

»Schlafen«, sagte sie schließlich schlaftrunken.

»Aber warum in meinem Bett? Du hast dein Eigenes!«

Elyon strömte einen leicht sauren Geruch aus. Wahrscheinlich kam auch ein ähnlicher Geruch von seinem ungewaschenem Körper. Umso mehr ein Grund, warum sie in getrennten Zimmern schlafen sollten.

Finan war erschöpft, genervt und wollte der Prinzessin mit ein paar deftigen Worten seine Meinung geigen, doch ein Flüstern unterbrach ihn.

»Alleine schlafen, nicht gewohnt. Bitte.«

Alle Worte erstarben auf seiner Zunge, seine gereizten Sinne erschlafften und Finan ließ seinen Kopf seufzend zurück auf sein Kissen sinken. Verschwommene Gedanken gingen ihm durch den Kopf, die er nicht klar ausmachen konnte, stattdessen horchte er auf Elyons Atem, der sich stetig verlangsamte. Er würde ihr Morgen dringend predigen müssen, warum es sich nicht geziemte, dass sie zusammen in einem Bett schliefen. Ihm machte es nichts aus, doch sie mussten auf die Meinung der anderen achten. Doch das war ein Problem für morgen. Er drehte sich von ihr weg und als er dieses Mal einschlief, blieb er regungslos liegen und die Nacht verblieb für ihn schwarz.