»Ich hasse diese verfluchte Kälte!«, brummte Finan, zog die Sehne seines Bogens an und ließ ihn fast sofort wieder los. Sein Pfeil traf einen Schneehasen mitten im Sprung. Dann stapfte er mit wütenden Schritten durch den Schnee, um das Tier aufzusammeln und an seine Tasche zu binden.
»Vermaledeiter Schnee, der ständig meine Schuhe durchnässt!«, zischte er wieder, beobachtete kurz seine Umgebung, dann nahm er noch einen Pfeil und erschoss kurz darauf den nächsten Hasen. Er biss die Zähne zusammen, als ein kalter Wind ihm Tränen in die Augen trieb.
»Und dieser verflixter Wind, der einem buchstäblich das Gesicht aufschneidet!« Dieses Mal, traf er eine Ringeltaube, die von dem Ast einer nackten Eiche fiel.
Prinzessin Elyon saß auf einem Baumstumpf, den sie zuvor vom Schnee befreit und ein Stück Leder darauf ausgebreitet hatte. Sie säuberte gerade seine benutzte Pfeile mit Schnee. Daneben lag Finans bereits geschossenes Wild. Ein junges Wildschwein, ein Schneefuchs und drei Ringeltauben. Ihr Gesicht war blass, ihr Blick war düsterer als der graue Himmel über ihnen. Sie musste die Pfeile zwischen ihren Oberschenkel klemmen, um sie mit ihrer übrigen Hand zu säubern. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Kein Wort kam aus ihrem Mund.
»Ich kann diesen ganzen Schnee nicht mehr sehen! Meine Augen brennen schon vor lauter Helligkeit.«
Wieder Stille. Finan stöhnte genervt. Sie waren nun schon fast einen Monat lang zusammen auf ihrer Reise. Wobei unterwegs nicht ganz richtig war. Sie waren mehrere Tage zusammen gereist und jetzt steckten sie in einer kleinen Siedlung mitten im Nirgendwo fest und mussten darauf warten, dass irgendjemand von irgendwo zu ihnen kam, um sie dann wiederum in irgendeinen fremden Ort mitzunehmen. Falls Finan überhaupt alles richtig verstanden hatte. Es war ja nicht so, als könnte er schon die Sprache dieses Landes.
Und Elyon hielt immer noch Abstand zu ihm, als wären sie Fremde. Er musste ständig rätseln, was sie dachte, was sie brauchte, vor allem wenn es um Hilfe ging. Sie war offensichtlich noch nicht gewöhnt daran, keine scharfe Sicht und auch nur noch eine Hand zu haben. Doch er wusste bis heute nicht genau, wie viel die Prinzessin noch konnte. Wie viel sie alleine schaffte.
Eine Tochter des Königs aus Tannenhöhe war blind geboren worden. Niemand wusste von ihr. Sie wurde von ihrer Familie versteckt. Doch Finan und sie waren gute Freunde, auch wenn sie zehn Jahre älter war als er. Sie hatte ihm viel über ihre Blindheit erzählt, was sie konnte, was nicht.
Doch Elyon schien nicht vollständig blind zu sein. Manchmal fand sie sich alleine in ihrer Umgebung zurecht, manchmal torkelte sie verwirrt umher und schien nicht zu wissen, ob irgendwelche Hindernisse im Weg standen. Es war frustrierend. Er wollte, dass sie sich besser verstanden, um ihre Reise gut durchzubringen. Sie mussten so schnell wie möglich weiterkommen. Wer wusste, wie lange Nevin noch hatte?
Ein Stich fuhr durch Finans Brust. Er wollte nicht daran denken, dass Nevin verloren sein könnte. Nicht er. Aber was brachte es, darüber nachzudenken? Es war wichtiger, sich ganz auf ihre Reise zu konzentrieren und so gut wie möglich mit Elyon auszukommen. Und sie machte es ihm sehr, sehr schwer.
»Warum schweigst du mich schon wieder an?«, rief er.
Elyon hob kurz ihren Kopf, dann wischte sie weiter an den Pfeilspitzen.
Finan stöhnte lauter. Ein Rauschen kam näher und schon bald tauchte Jeskos schwarzer Körper über den Bäumen auf. Er trug vier Elche in seinen Pfoten. Dies war im Augenblick die einzige Möglichkeit, wie sie etwas für die Siedlung beitragen konnten. Jagen.
Jesko legte die Elche zu dem anderen Wild und hauchte Elyon als Begrüßung an. Sie streckte ihre Hand aus, der Drache kam ihr mit der Schnauze entgegen und ließ sich von ihr streicheln. In den letzten zwei Wochen war sein Fell eindeutig heller geworden. Er war zwar immer noch dunkelgrau, doch nicht mehr ganz so dunkelgrau. Das war, wenn er Elyon richtig verstanden hatte, ein gutes Zeichen. Warum genau, wusste Finan nicht. Elyon erklärte ihm nur das allernötigste, wenn überhaupt.
Er seufzte schwer und stapfte zu der schweigenden, grimmigen Prinzessin.
»Wirst du mir heute noch irgendwie antworten? Oder muss ich wieder Einzelgespräche führen? Ich würde gerne zwischendurch auch mal wie ein menschliches Wesen, statt wie ein erbärmlicher Wurm behandelt werden, der es nichtmal Wert ist, dass er ein Wort von dir zurückbekommt«, wütete Finan.
Jesko und Elyon hoben beiden den Blick, sogar eine von Elyons Augenbrauen bewegte sich nach oben.
Finans Kehle brannte. Er trotzte ihrem Blick und dachte daran, wie dieses Mädchen in zwei Wochen bereits die Sprache der Einheimischen so weit gelernt hatte, dass sie sich mit den Dorfanführern Gunnar und Erda unterhalten konnte. Doch ihm widmete sie nicht mal vollständige Sätze.
Elyon seufzte schwer.
»Bin müde. Sprechen anstrengend.«
»Tsk«, machte Finan und sah verärgert zur Seite.
Da spürte er eine warme Zunge auf seinem Gesicht.
»Onkel! Lass das!«, rief Finan, sprang zurück und wischte sich den klebrigen Drachenspeichel mit dem Ärmel ab.
Jesko nieste und zog amüsiert die Drachenlippen nach oben. Dann machte er ein gurrendes Geräusch in Richtung Elyon und tänzelte auf der Stelle.
Wieder seufzte sie, starrte in mit einem leeren Blick in Richtung des Drachens, dann fühlte die Prinzessin nach dem Köcher und steckte die sauberen Pfeile hinein.
»Was soll ich sagen?«, fragte sie langsam und starrte in seine Richtung, genauer gesagt, auf seinen rechten Arm.
Er trug seit einigen Tagen immer ein rotes Tuch um den Oberarm, denn Finan hatte das Gefühl, dass Elyon Rot am besten erkennen und ihn so hoffentlich leicht finden konnte, sollte es nötig sein.
»Ich will dir nicht sagen müssen, was du mir antworten sollst. Ich will einfach auch mal etwas Unterhaltung haben. Du kannst dich von mir aus auch über mein ständiges Gemecker beschweren, mir egal. Hauptsache, du sagst irgendetwas.«
»Zurückgehen. Wild wegbringen. Dann ist dir nicht kalt.« Elyon stand auf und schulterte den Köcher. Dann begann sie die andere Taschen an sich zu nehmen, um sie an Jeskos Gurt festzubinden, der hinter seinen Vorderbeinen um seinen Körper geschnürt war.
Ein kalter Wind wirbelte Schnee auf. Das weiße Pulver flog Finan direkt in die Augen und die Kälte schnitt ihm fast das Gesicht auf.
»Verflucht! Es ist bitterkalt. Und Gunnar hat erwähnt, dass es noch kälter werden soll! Wer soll das überleben können?!«
Elyon schwieg schon wieder und schnalzte als Zeichen, dass Jesko sich in den Schnee legen sollte.
Finan rollte die Augen und biss sich auf die Lippen, ehe ihm noch eine garstige Bemerkung entfloh und stieg ebenfalls auf Jeskos Nacken.
Er sagte kein Wort, während der Drache sie durch den Wald zurück in das Dorf trug, auch wenn Finan einige Worte auf der Zunge lagen und sein Hals fast schon brannte, weil er sie zurückhielt. Ein paar mal brummte Jesko sanft und es fühlte sich für Finan so an, als versuchte sein Ziehonkel ihn aufzumuntern. Irgendwo musste Jesko noch ein Teil einer selbst behalten haben. Elyon hoffte, den Mann wieder ganz zurückholen zu können.
Das Tor lag nicht mehr weit und eine Schar von Kindern, die unter den Argusaugen der Wachen spielte, ließen von ihren Holzpferden ab und rannten mit freudigem Geschrei auf Jesko zu.
Der Drache tapste auf die Kinder zu und winselte, als hätte er sie seit Wochen nicht mehr gesehen.
»Was hast du gefangen? Jesko! Was hast du gefangen?«, riefen sie mit roten Backen auf Gerwenisch. Auch wenn Finan nur ein paar Wörter sprechen konnte, war er doch in der Lage, einiges zu verstehen, vor allem die Kinder.
Elyon und Finan begannen, das Wild loszubinden. Schon bald tauchten ein paar Männer auf, die ihnen das Jagdgut abnahmen. Unter ihnen auch Gunnar, der Oberhaupt des Dorfes und bei dessen Familie sie wohnten.
»Elyon! Finan! Willkommen zurück! Ihr kommt gerade rechtzeitig, Erda fängt gerade mit den Vorbereitungen für das Abendessen an. Überlasst uns das Wild und geht schnell hinein ins Warme«, sagte der bärtige Mann mit funkelnden, hellblauen Augen. Die meisten hier in der Siedlung hatten die gleiche stechende Farbe und eine helle Haut, die sich an den Wangen und der Nase knallrot färbte. Alle trugen langes Haar, meistens geflochten und die Männer schienen mit besonderer Hingabe ihre Bärte zu pflegen.
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Seitdem sie hier in Gerwenen angekommen waren, wünschte Finan sich ebenfalls einen Vollbart wachsen zu lassen, um sich vor der Kälte zu schützen. Doch seine Haut hatte sich nie dazu bewegen lassen, ihm mit mehr Körperbehaarung auszustatten. Stattdessen hatte er nur Flaum, für den ihn alle edlen Frauen in Tannenhöhe beneideten.
Finan seufzte genervt und stapfte hinter Elyon auf das große blau gestrichene Haus in der Mitte der Siedlung. Sobald sie die knarrende Tür öffneten, strahlte ihnen eine Wärme entgegen, die zuerst angenehm war, bis seine klammen Hände und Füße zu schmerzen anfingen. Doch er hielt diese schweigend aus, bald würden sie verfliegen und eine angenehme Entspannung würde ihn vergessen lassen, dass er jemals gefroren hatte.
Stattdessen genoss Finan die Bodenwärme, die durch seine Stiefelsohlen seine Zehen auftaute. Hier waren alle Häuser so gebaut, dass die Fußböden beheizt waren. Es gab auch keine einzige Hütte ohne Fenster. Überall standen metallene Öfen in den Zimmern, die durch Rohre verbunden waren, welche sich durch das ganze Haus schlängelten und dafür sorgten, dass kein einziges Zimmer kalt war.
Finan hatte versucht zu verstehen, wie dies alles funktionierte und wie sich alle Einwohner Fenster leisten konnten, doch selbst Elyon hatte die Erklärungen nicht ganz verstehen können.
»Elyon, Finan! Wie war die Jagd?«, rief Erda ihnen fröhlich entgegen, sobald sie die Küche betraten.
Finan murrte nur vor sich hin und Erda lachte. Elyon zog die nassen Stiefel aus und legte sie in die Nähe von einem warmen Rohr, das entlang der Fußleisten angebracht war.
»Deinem Gesicht nach zu urteilen, kann ich mir schon denken, wie es dir geht, mein Junge«, sagte Erda lachend. »Jetzt gönnst du dir erstmal ein heißes Bad, Finan, dann sieht die Welt schon ganz anders aus.«
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Sofort verschwand er ins Waschzimmer, das neben der Küche lag in das wärmste Zimmer im ganzen Haus. Erda hatte bereits das Wasser in der grauen Wanne eingelassen. Am Anfang hatte er sich noch gewundert, wie fließendes Wasser aus einem dünnen, schnabelartigen Rohr an einem Ende der Wanne herauskommen konnte, vor allem Warmes. Doch jetzt wo Finan dieses Wunder von menschlichem Erfinderreichtum genießen konnte, war es ihm egal. Er legte sich in die Wanne und ließ die wohlige Wärme auch den letzten Rest Kälte aus seinen Knochen vertreiben.
Als Finan fertig war, summte er fröhlich vor sich hin und setzte sich an den Küchentisch. Erda schob ihm eine blaue Tasse hin und der Duft von frischen Kräutern stieg ihm in die Nase. Er tippte an dem Tee, während Elyon seufzend aufstand und sich Richtung Waschzimmer bewegte. Man hörte das leise Fließen von Wasser, das auf dem Boden traf, immer und immer wieder. Erda und er tauschten einen Blick aus.
»Ich glaube, ihr würde es mal guttun, in die Wanne zu steigen, um ihre Glieder zu entspannen. Ich glaube, sie spürt bis heute noch Schmerzen in ihrem Armstumpf«, sagte die hellblonde Frau.
Finan nickte. Doch er glaubte nicht daran, dass Elyon sich dazu überreden lassen konnte. Er hatte mal von Nevin gehört, dass Elyon wasserscheu war. Trotzdem roch sie nicht. Sie schien eine Meisterin in Katzenwäsche zu sein. Und Finan konnte es am besten beurteilen, hatte er doch drei Wochen neben ihr geschlafen. Mittlerweile teilte Elyon sich ein Zimmer mit der ältesten Tochter im Haus, nachdem Gunnar und Erda erfahren hatten, dass sie weder verheiratet, noch verwandt waren. Was für Finan eine Erleichterung war, denn nun hatte die Prinzessin eine Frau, die ihr beim Ankleiden helfen konnte.
Kurze Zeit später hörten sie ein leises Klopfen. Erda wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und eilte ins Waschzimmer, um Elyon zu helfen. Als beide wieder zurückkamen und Elyon sich an den Tisch herantastete, wickelte Erda vorsichtig ein Handtuch um Elyons Kopf. Dann bewegte sie sich auf eine große, metallene Kiste zu, das Finan jetzt als Herd kennengelernt hatte. Um ihn zu erwärmen, musste Erda nur an einer Art Knopf drehen und schon schoss irgendetwas Warmes in den Herd durch ein Rohr hinein. Eine weitere technische Neuheit, die er einfach nicht verstehen konnte. Unter anderem auch, weil er der Sprache nicht mächtig war. Erda schöpfte aus einem Topf etwas Tee in eine Tasse und schob sie Elyon hin, bis der Henkel leicht ihren Arm berührte.
»Ihr zwei solltet euch ein wenig ausruhen. Gunnar und ich wollten nach dem Abendessen noch etwas mit euch besprechen.«
Finan starrte Erda an, dann Elyon. Mit einem Blick auf ihre zusammengepresste Lippen wusste er, dass Elyon sich ganz sicher nicht ausruhen würde, sondern hier in der Küche bleiben würde, um auf Gunnars Rückkehr zu warten.
Finan tat es ihr nicht nach. Die Jagd hatte ihn erschöpft und er würde Kraft brauchen, um das zu verstehen, was Gunnar ihnen erzählen würde. Deswegen zog er sich zurück ins Gästezimmer und legte sich bis zum Abendessen hin.
–
Nach dem Abendessen, setzten sie sich in der Küche um den Kachelofen und wärmten sich am Feuer, eingedeckt mit Decken und warmen Getränken, die Erda ihnen aufgesetzt hatte. Finans Lieblingsgetränk war warme Milch mit Zimt, Minze und kandierten Beeren.
Erda saß in ihrem Schaukelstuhl und strickte, ihre jüngste Tochter, ein weißblondes Kind, das nicht einmal fünf Jahre alt war, schlief friedlich an ihrer Brust. Die anderen beiden Kinder im Zimmer und verbrachten die letzten Abendstunden damit, so laut zu kichern, dass man sie durch das ganze Haus hörte.
»Es wird Zeit zu reden«, begann Gunnar und lehnte sich in seinem Schaukelstuhl zurück. »Ihr solltet nun genug von unserer Sprache verstehen, dass ich euch einiges erklären kann. Womit soll ich beginnen?«
»Gaben«, röchelte Elyon mit ihrer tiefen, kratzigen Stimme.
»Hier in Gerwenen glauben wir daran, dass jeder mit Gaben von Luoja, unserem Gott, gesegnet wurde. Gaben können ganz unterschiedlich aussehen. Manche können besonders gut Nähen, andere sind die geborenen Handwerker, wiederum andere sind besonders gelehrt. So weit müssten die Gaben auch bei euch entwickelt sein. Aber hier gibt es noch andere Gaben, die in eurem Land anscheinend nicht so gängig sind. Es gibt viele, die Feuer, Wasser, Erde und den Wind bewegen können. Auch Pflanzen und sogar Tiere können sie mit ihren Gaben beeinflussen. Da diese viel enger mit Luojas Schöpfungen verbunden sind, nennen wir sie genau das, verbundene Gaben.«
Gunnar sprach langsam und deutlich, sodass Finan tatsächlich alles gut verstehen konnte. Das Nickerchen hatte wahrscheinlich ebenfalls geholfen.
»Was ist ein Gott?«, fragte Elyon.
Gunnar und Erda tauschten überraschte Blicke aus.
Finan hatte von Göttern gehört, doch bis heute hatte er nicht ganz begriffen, was sie genau waren. Die wenigen Zeichnungen, die er gesehen hattet, sahen eher menschlich aus.
Erdas Stricknadeln kamen zum Stillstand. »Ihr habt doch sicher auch irgendeinen Gott, oder mehrere? Große, übernatürliche, allmächtige Wesen? Die Wesen, die unsere Welt und uns erschaffen haben?«
Elyon schüttelte den Kopf. Als das Ehepaar ihn ansah, tat er es Elyon gleich.
»Seltsam. Eigentlich hat doch jedes Land einen Glauben?«, sagte Erda leise.
»Ihr werdet mehr über Luoja erfahren, wenn ihr in der Wächterstadt seid.« Gunnar nickte. »Dort findet sich sicher jemand, der euch unsere Religion besser in eurer Sprache erklären kann. Wir sind uns übrigens ziemlich sicher, dass ihr beide ebenfalls verbundene Gaben habt.«
Finan horchte auf, als er Wächterstadt hörte. Das war doch der gleiche Name, nur in einer anderen Sprache, wie die Stadt an der Grenze von Höhental? Doch was ihm noch mehr zum Nachdenken brachte, war Gunnars letzte Aussage. Elyon machte ein genauso verwirrtes Gesicht, wie er sich fühlte.
»Damit meine ich Gaben wie viele meiner Männer und ich, die Erdwände mit ihrem bloßen Willen erstellen können. Was genau eure sind, weiß ich nicht, aber ich kann es spüren, dass ihr sie habt. Und man wird euch in der Wächterstadt helfen können, herauszufinden, welche Elemente oder Wesen ihr beeinflussen könnt.«
»Was ist die Wächterstadt?«
»Dort leben die, dessen Gaben besonders stark sind, oft weil sie eng mit Luoja verbunden sind«, sagte Gunnar.
»Ist es dort wärmer?«, fragte Finan.
Gunnar und Erda lachten.
»Nein, mein Junge. Leider nicht. Doch du wirst es dort noch viel bequemer haben, als hier in unserem einfachen Dorf. Wir haben vor zwei Wochen eine Nachricht zur Wächterstadt abgeschickt und heute ist die Antwort gekommen. Ein Wächter ist bereits aufgebrochen und sollte in zwei Tagen hier sein, um euch dorthin zu bringen. Dort wird man euch mehr über Luoja und die Gaben erzählen. Und vielleicht auch eurem Freund Jesko helfen können.«
»Sie können dort den Fluch aufheben?«, fragte Elyon.
»Das weiß ich nicht genau. Doch sie werden bestimmt wissen, was es mit dem Fluch auf sich hat.«
Finan hatte im ersten Moment ganz andere Gedanken.
»Inwiefern ist es dort komfortabler? Gibt es dort weniger Schnee?«, fragte er und brachte damit das Ehepaar wieder zum Lachen.
»Diese Rohre, das warme Wasser und die anderen Dinge, die wir nicht aus unserem Land kennen, ist dies alles durch die Gaben möglich?«, fragte Elyon.
Finan verschränkte die Arme und warf ihr einen giftigen Blick zu, den sie wie immer ignorierte. Erstens, weil sie ihn unterbrochen hatte, zweitens, weil sie mit dem Ehepaar mal wieder in ganzen, richtigen Sätzen sprach. Dabei wollte er unbedingt wissen, ob er endlich mal wieder draußen unterwegs sein konnte, ohne dass ihm die Füße abfroren. Und von Elyon normal angesprochen werden.
»Unsere Heizungen? Ja. Wir haben hier in unserem Dorf einige mit der Gabe der Erde. Sie können Erde und Gestein bewegen. Sie können auch die tiefen Erdschichten erspüren und mit ihrer Hilfe, haben wir Wärme gefunden, tief unter der Erde versteckt. Mithilfe unserer Gaben leiten wir die Wärme im Winter zu uns ins Dorf hinauf. Deswegen haben wir es immer gemütlich warm im Winter«, erklärte Gunnar. »Habt ihr keine ähnlichen Heizmittel in eurem Land?«
Finan lachte traurig auf. Er wünschte, es gäbe sie. Die Winter waren zwar nicht kalt, doch was würde er nur dafür geben, um fließendes warmes Wasser bei sich Zuhause zu haben? Wann immer er wollte? Wäre diese bittere Kälte nicht, könnte Finan sich sogar vorstellen, hier nach Gerwenen zu ziehen. Aber jetzt erinnerte Finan sich selbst daran, dass er andere Sorgen hatte. Er musste zuerst seinen Bruder retten. Alles andere, war zweitrangig.