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2.3 Der zweite Monat

»Argh! Ich kann mein Gesicht nicht mehr spüren! Meine Wangen sind tot! Und meine Finger erst! Sie brennen, als würden sie unter Flammen stehen!«

Elyon ignorierte Finan und auch Janne hatte es aufgegeben ihm zu antworten.Sie hielt sich dicht an Jesko, der sie durch den endlosen Schnee führte. Gerade als sie den nächsten Schritt im Schnee tun wollte, hielt der Drache an.

Sie spürte ihren eigenen warmen Atmen der gegen ihre eiskalte Wangen strömte. Für einen kurzen Augenblick war die Kälte vergessen, nur um im nächsten Augenblick umso heftiger an ihrer Haut zu schneiden. Wenigstens war der Marsch durch den Schnee anstrengend genug, dass ihr Körper warm war und sogar anfing zu schwitzen.

»Die Stadt ist nicht mehr weit. Wir müssen nur über diesen Hügel und dann ist es ein Flughundsprung.« Elyon hörte das Surren von Stoff und Leder.

»Ah! Das klingt wie Musik in meinen Ohren!«, rief Finan. »Komm, Elyon, gib mir deine Tasche, schnell. Hier mein Oberarm ... Warte, lass mich zuerst deinen Umhang richten. So, bist du so weit?«

Elyon kniff die Lippen zusammen. Sie mochte es nicht, wenn Finan ungefragt an ihr herum zupfte. Vor allem, wenn sie kaum was sehen konnte. Der Schnee blendete ihre Augen so stark, dass sie diese kaum offen halten konnte und sie ständig tränten. Das machte es noch schwieriger für sie, irgendetwas zu erkennen. Elyon konnte gerade noch so die Umrisse ihrer Reisegefährten ausmachen.

Seufzend klammerte sie sich an Finans Oberarm fest und folgte ihm bergauf.

»Elyon, Finan, ihr werdet wahrscheinlich von einigen Leuten angestarrt werden. Ignoriert sie einfach.« »Warum sollten uns die Einwohner anstarren?«

»Weil ihr wie Ausländer ausseht. Vor allem Elyon. So dunkle Haare sind hier in der Mitte des Landes eher selten zu sehen. Wie geht es eigentlich deinen Augen, Elyon, kannst du irgendetwas sehen?«

»Augen, brennen. Kaum was sehen«, keuchte sie angestrengt aus. Wann würde dieser Hügel endlich ein Ende nehmen? Es war anstrengend genug, im Schnee zu stapfen, doch der Aufstieg war so steil, dass ihre Beine vor Anstrengung zitterten.

»Ich sag euch, was noch brennt: mein Hinterkopf. Wie kann es so kalt sein, wenn die Sonne erbarmungslos auf uns nieder prallt?«, sagte Finan.

Janne lachte. »Wenn du auch nur fünf Minuten stehen bleibst, bibberst du wieder. Sei froh, dass deine Wangen jetzt langsam wieder auftauen.«

»Wie lange geht das hier? Also dieser abartige Winter?«

»Der Winter ist bei uns die längste Jahreszeit. Und er hat gerade erst angefangen. Also noch sehr lange. Fast ein halbes Jahr. Doch die Sommer sind dafür angenehm warm.«

»Das glaube ich erst, wenn ich es erlebe.« Finan keuchte ein paarmal ein und aus und Elyon spürte manchmal einen warmen Hauch, der ihr entgegenflog. Der Aufstieg war wohl auch für ihn anstrengend. Dabei hatte er sonst ziemlich viel Ausdauer für einen Prinzen.

»Sag mal, Janne. Was ist eigentlich deine Gabe?«

»Ich bin ein Pflanzenmeister. Ich kann die Sprache der Pflanzen verstehen und sie wachsen lassen.«

»Wie bitte, du sprichst mit Pflanzen? In dieser toten Landschaft?«

Janne stieß ein schallendes Gelächter aus. »So ungefähr. Tatsächlich kommunizieren Pflanzen miteinander. Doch auf eine sehr unauffällige Art und Weise. Ich rieche es in der Luft, ich spüre es, wenn ich sie berühre. Ich kann sie auch hören. Viele Pflanzen sind im Boden wie ein riesiges Netz verbunden.«

»Das klingt nicht sehr nützlich, um ehrlich zu sein.«

Janne prustete und Elyon drückte Finans Oberarm in der Hoffnung, dass er ihren Hinweis endlich mal still zu sein verstehen würde. Auch wenn sie wusste, dass es vergeblich war.

»So wirkt es für dich. Doch dank der Pflanzen kann ich selbst im Winter noch Essbares finden. Ich weiß, ob und woher Gefahr kommt, sobald Pflanzen durch ein Wesen zerstört werden. Und ich kann das.«

Der Boden rüttelte leicht unter ihren Füßen, dann brach etwas durch und schoss auf sie zu. Elyon sprang zur Seite, auch wenn sie nicht wusste, was es war, dann schrie Finan erschrocken auf, während Janne lachte.

Elyon kniff die Augen zusammen im Versuch, besser zu sehen, doch es brachte ihr nur Kopfschmerzen ein. Ihr Herzschlag pochte in ihrer Kehle.

»Was ist passiert?«, fragte sie leise und versuchte, ihre Stimme so ruhig wie möglich klingen zu lassen, auch wenn ihr Hals zu zerbersten drohte.

»Janne! Hol mich hier runter!«

»Ich hab eine Ranke aus der Erde wachsen lassen«, sagte Janne lachend. »Finan damit umschlungen und jetzt hängt er in der Luft.«

Dann fiel etwas mit einem dumpfen Schlag in den Schnee, die Erde vibrierte wieder und etwas zog sich knirschend zurück.

»Wäh! Jetzt bin ich voller Schnee!« Finan spuckte ein paar Mal, dann ächzte er und Elyon spürte, wie sich sein Körper näherte.

»Janne, du hast Elyon erschrocken. Das war nicht sehr freundlich von dir.«

Elyon presste die Lippen zusammen. Sie hatte gedacht, sie hätte ihr Gesicht unter Kontrolle. Glücklicherweise waren ihre Wangen bereits rot von der Kälte, so sollte man wenigstens ihre Schamröte nicht sehen.

»Das wollte ich nicht, tut mir leid, Elyon«, sagte Janne kleinlaut.

Sie erwiderte nichts, sondern streckte ihre Hand nach Finan aus. Er nahm ihre in seine und führte sie wieder zu seinem Oberarm. Selbst durch ihre Handschuhe, spürte Elyon die Schneeschicht auf seinem Mantel.

»Ich gebe es ja zu, deine Gabe ist beeindruckender, als ich mir vorgestellt hatte. In Rovisland werden mich die Leute für verrückt erklären, wenn ich ihnen davon erzähle.«

»Du solltest die Gaben vielleicht für dich behalten. Ich hab gehört, dass sie in Rovisland nicht willkommen sind, obwohl auch ihr Bäcker, Künstler, Schmiede und andere Menschen mit Gaben habt.«

»Ja, aber das ist jetzt nichts Außergewöhnliches. Das was du da machst, ist völlig überirdisch.«

»Für euch vielleicht. Für uns nicht. Wir betrachten alle Gaben als gleichwertig und wertvoll für die Menschheit. Zumindest in den meisten Provinzen.«

Finan erwiderte nichts darauf und sie stiegen weiter den Hügel hinauf. Als sie oben ankamen, atmete Finan tief ein und hielt an. Elyon wischte sich den Schweiß von der Stirn. Am liebsten hätte sie ihre Mütze abgenommen, ihre Haare waren bereits mit feuchter Hitze bedeckt. Doch das Risiko ging sie nicht ein. Die Kälte war hier in Gerwenen viel zu erbarmungslos.

»Das ist die Stadt?«

»Ja, das ist Mysastett.«

»Sie. Ist. Riesig! Ich dachte wir reden vielleicht von einer größeren Siedlung! Doch das! Elyon, die Stadt ist größer als die Königsstadt auf den Sturminseln. Und die Häuser. Sie sind bunt. Leuchtend rot, blau, grün, mit schneebedeckten Dächern. Sie sind sehr hoch und haben alle mehrere Stockwerke, nicht nur ein oder zwei, wie wir es auch Rovis kennen. Sie sind auch viel länger als bei uns. Und sie sehen neu aus. Alle haben Schornsteine aus denen der Rauch aufsteigt. Ein riesiger Fluss fließt ungefähr im oberen

Drittel der Stadt und ich sehe seltsame Schiffe. Einfach gebaucht, ohne viel Schnickschnack. Die Stadtmauern sind unglaublich breit. Genau so wie die Mauern um den kaiserlichen Palast.« Er erzählte ihr das alles, während sie langsam den Hügel hinabstiegen.

Immer wieder versuchte Elyon etwas zu erkennen. Doch als das Stechen in ihrem Kopf immer stärker wurde, gab sie mit einem leisen Seufzen auf. Sie versuchet zu akzeptieren, dass ihre Sicht verschwommen blieb und sie nichts außer ein paar seltsame Flecken in der Ferne ausmachen konnte.

Erst als sie der Stadt näher kamen, konnte sie zumindest sehr verschwommen die Mauern der Stadt sehen und dahinter die von schneebedeckten Dächern der bunten Häuser. Das, was jedoch Elyons Aufmerksamkeit stärker beanspruchte, waren die Unmengen an Geräuschen, die auf ihre Ohren trafen. Laute Stimmen, das Rattern von Rädern auf Pflaster, hastige Schritte, das Klingen und Schlagen von Holz und Metall. Sie kamen von überall und brachten Elyons Kopf zu Schwirren. Draußen hatten sie nur den Wind und das Knirschen von Schnee als ihre Begleitung gehabt.

Ständig bewegten sich Körper an ihnen vorbei und berührten sie mit ihrer Wärme. Als Abschied ließen sie einen kurzen kalten Wind da. Elyon drängte sich mit klopfendem Herzen dichter an Finan ran, dessen Nähe sie nicht so sehr zum Schwitzen brachten wie die anderen.

»Bei Rovis' Bart!«, rief er plötzlich in ihrer Sprache und rannte los. Sein Oberarm entwischte ihr mit einem grausamen Ruck und Elyon stand da und wusste nicht, in welche Richtung er gelaufen war. Die Schritte und Stimmen der anderen verdeckten Finans und Elyon konnte auch nicht mehr das Rote Halsband sehen, dass er sich umgebunden hatte, als er in der Menschenmenge verschwand.

»Verzeih mir aber kann ich dir vielleicht meinen Arm anbieten?«, fragte Janne vorsichtig. Elyon streckte die Hand in Richtung seiner Stimme aus und wie Finan es tat, legte er ihre Hand um seinen Oberarm.

»Zum blinkendem Flughund, Finan dreht ja völlig durch. Er läuft wie ein Wilder an den Schaufenstern vorbei. Ich hab noch nie jemanden gesehen der so begeistert ein Paar Stiefel betrachten kann.«

Es überraschte sie nicht. Auch sie hatte die Gerüchte über Finans Vorliebe für Luxuseinkäufe gehört, so übertrieben waren sie.

»Er wird, was Kleidung angeht, noch etwas warten müssen, bis wir in der Wächterstadt sind. Wir sind nur hier, um mehr Proviant zu kaufen und Waffen, die nicht bei Kälte zerbrechen. Komm, lass uns kurz zu ihm laufen, zur Not muss ich ihn mit einer Ranke mit uns zerren.« Janne ging noch ein paar Schritte weiter, dann hielt er an.

»Hey, ehe wir dich noch ganz aus den Augen zu verlieren, gehe ich mit Elyon zum Waffenschmied, gleich da vorne. Da du auch neue Waffen brauchst, würde ich dir vorschlagen, dass du mitkommst.«

Unlawfully taken from Royal Road, this story should be reported if seen on Amazon.

»Waffen? Wie gut ist der Schmied?«, fragte Finan aufgeregt.

»Der Beste und Schnellste im ganzen Land.«

»Nach dir!«, sagte Finan mit freudiger Stimme.

Elyon ließ sich von Janne führen, doch bald bereute sie es. Er schaffte es sie sicher durch die Menge zu führen, wie Finan und sie wurde von einigen Stadteinwohnern gestreift. Und als sie beim Schmied ankamen warnte er sie nicht vor den Stufen. Sie hatte nur mit einer gerechnet und stolperte über die Nächste. Janne fing sie auf, ehe sie den Boden traf.

»Verzeih mir! Ich bin ein Dussel.«

Elyon presste die zitternden Lippen zusammen. Verärgert über sich selbst blinzelte sie mehrmals, um die Tränen wegzudrücken, dann versuchte sie den Raum zu erfassen, so gut es ihre vernarbte Augen konnten. Glänzende Metallstücke hingen an den Wänden. Schwerter.

»Ah! Ein Meisterwächter! Was führt euch zu meiner bescheidenen Schmiede?«, fragte eine tiefe und kratzige Männerstimme. Ein riesiger Mann kam auf sie zu, seine Schritte waren so schwer, dass die Dielen unter ihnen leicht bebten.

»Bescheiden? Ich habe noch nie so eine vorzügliche Auswahl an Schwertern gesehen!«, rief Finan und pfiff.

Der Mann lachte vergnügt.

»Ich brauche für den jungen Mann ein Schwert, einen Bogen und ein paar Pfeile«, sagte Janne mit seiner immer weichen und freundlich klingenden Stimme.

»Zum Kämpfen oder zum Jagen?«

»Wir sind auf dem Weg in die Wächterstadt.«

»Ah! Beides und etwas, das Friert-Zähne-Ein-Eisigkälte fest ist. Kein Problem. Ich habe erst letzte Woche einen Batzen Schwerter fertiggestellt, die selbst dann nicht brechen, wenn man sie in den See der Tausend Eistode versenkt.«

»Tausend Eistode?«, fragte Finan. »Klingt nicht sehr einladend. Ist dort unser Ziel?«

»Einladend ist er wirklich nicht«, sagte Janne. »Er liegt hoch in den Bergen des Immerwährenden Winters, einen Tagesausflug entfernt von der Wächterstadt. Der See besteht aus einer Flüssigkeit, die so kalt ist, dass jeder Gegenstand, und jedes Wesen sofort einfriert, wenn es hineinfällt. Man erkennt ihn aber zum Glück an den Kältedampf, den er ausstößt.«

Elyons spitzte die Ohren, in der Hoffnung, dass sie noch mehr über diesen See sprechen würden, doch zu ihrer Enttäuschung wandte sich Janne wieder anderen Themen zu.

»Für Elyon brauchen wir eine besondere Waffe. Ich dachte dabei an eine Sturmsense, die sie gleichzeitig als Blindenstock nutzen kann. Sie muss auch leicht sein, damit sie diese einhändig führen kann.«

Der Schmied schwieg und kratzte sich hörbar am Kopf.

Elyon zog ihre Stirnhaare zurück und streckte ihren Armstumpf aus.

»Oh. Ich verstehe. Linkshändig sollte sie auch sein. Ich glaube, ich hätte da was Passendes für sie. Der Stab wird vielleicht nur etwas zu lang sein, aber das kann ich in wenigen Augenblicken kürzen. Wartet einen Augenblick, ich bin gleich wieder da.«

Seine schweren Schritte brachten den Holzboden zum Knarzen, dann schwang eine Tür quietschend im Rahmen.

»Zum grundgütigem Rovis! Dieses Schwert! Ich habe noch nie eine schönere Waffe gesehen!«, rief Finan und sie hörte das Streichen von Metall auf Metall, gefolgt von einem Surren.

»Du hast tatsächlich ein gutes Auge. Dieses Schwert gehört zur Grundausrüstung fast aller Kampfwächter. Es ist leicht, bricht aber selbst bei eisigen Temperaturen nicht. Schneidet selbst durch Kettenhemden.«

»Was? Diese wunderschöne Waffe kann auch Eisen schneiden?«

Elyon konnte etwas bläulich Graues in seiner Hand erkennen. Sie hätte gerne ebenfalls die Waffe in die Hand genommen. Doch ihre Schwerthand war nicht mehr.

»Ja. Aber nur im Winter. Es wurde mir in der Wächterstadt erklärt, aber ich gebe zu, dass mich das Schmieden nicht so sehr begeistert und ich mir nie die genauen Einzelheiten merken kann. Jedenfalls besitzen wir einige außergewöhnliche Erze hier in Gerwenen. Sind wahrscheinlich wegen der Kälte und den Tieren hier entstanden.«

»Tiere?«, fragte Elyon heiser. Sie war es immer noch nicht gewöhnt, viel zu sprechen, weswegen sie oft einen schweren Klumpen im Hals hatte, der sie daran hinderte, sich mit einer klaren Stimme auszudrücken. Sie schluckte ihn hinunter, da Elyon ahnte, dass noch mehr Fragen aus ihr herauskommen würden. Nur so konnte all die Dinge lernen, die sie in diesem fremden Land noch entdecken wollte.

»Ja. Einige Tiere kristallisieren oder verbinden sich so mit der Erde, dass einzigartige Erze entstehen.«

Elyons Finger juckten förmlich nach etwas Papier und was zu schreiben. Sie wollte am liebsten losziehen und alle Dinge ansehen, von denen Janne immer wieder sprach. Da meldete sich wieder das Stechen in ihren Augen und Elyon seufzte leise, als sie sich umsah und nichts als schemenhafte Umrisse erkennen konnte.

Wieder quietschte die Tür und der Schmied kam zu ihnen und setzte irgendwas auf den Boden ab, dass ein metallenes Stoßgeräusch von sich gab.

»Das sind die drei Besten. Alle mit geräuschempfindlichen Erzen geschmiedet. Mit denen kann man fast schon das Tapsen von Füchsen im Schnee spüren. Von außen mit Holz ausgekleidet, damit die Finger nicht bei der Eiseskälte am Griff kleben bleiben. Aber ich müsste sie eindeutig kürzen, damit sie für dich gut in der Hand liegen.«

Elyon streckte eine Hand aus und stieß gegen ein hölzernes Griffstück. Sie nahm die Sense in die Hand und verfluchte leise ihre blinden Augen. Sie hätte nur gerne die Waffe in all ihren Einzelheiten gesehen und gleich ausprobiert. So konnte sie diese nur in die Hand nehmen und das Gewicht ausprobieren.

»Elyon, warum kommst du nicht mit mir mit in den Hof? Dort kannst du dich etwas mit den Sensen austoben?«, fragte der Schmied und Elyon nickte eifrig. Sie war dankbar, dass keiner ihre Blindheit erwähnte. Sie konnte zwar kein zweihändiges Schwert mehr führen, oder Bogen und Pfeil bedienen, aber vielleicht konnte sie trotzdem noch irgendwie kämpfen. Ihre Augen sollten kein Hindernis sein, da Elyons Vater sie früher oft mit zugebundenen Augen in die Kampfarena geschickt hatte, um seine Untertanen zu unterhalten. Blind zu kämpfen, war nichts Neues.

Finan, der schon etwas mehr Übung im Führen hatte, brachte sie dieses Mal hinaus in den Hof. Sobald sie alleine in der Mitte des staubigen Hofs stand, probierte sie die neuen Waffen aus. Die Erste war zu schwer und ließ sich nicht so leicht schwingen. Die dritte lag seltsam in der Hand. Doch die Zweite sagte Elyon zu. Nicht zu leicht, nicht zu schwer. Das Holz fühlte sich angenehm an. Es war griffig, ohne ihre Haut aufzurauen.

»Ich sehe schon, wir haben einen Gewinner. Ich muss das gute Stück nur kürzen. Dann solltest du eine perfekte Sturmsense haben. Bin gleich wieder da.«

»Wie viel kostet sie?«, fragte Elyon und wollte schon ihre kleine Brusttasche herausziehen, wo sie etwas Gold aufbewahrte. Hoffentlich hatte sie genug.

»Mach dir keine Gedanken um die Kosten«, sagte Janne. »Diese werden von uns Wächtern übernommen.«

Elyon hielt überrascht inne. Und Finan stellte die Frage, die ihr selbst auf der Zunge lag: »Wieso kommen sie für die kosten auf? Sie kennen uns doch gar nicht.« Finan war ein recht nützlicher Gefährte, wenn er die richtigen Fragen stellte.

»Das gehört zur Gastfreundlichkeit der Wächter. Also macht euch darüber keine weiteren Gedanken.«

»Vielen Dank«, sagte Elyon und Finan stimmte mit ein.

Nachdem sie alle Waffen eingekauft und der Schmied sich herzlich von ihnen verabschiedet hatte, gingen sie zurück zu den menschenvollen Straßen.

»Finan?«, sagte Elyon leise und streckte ihre Hand aus, doch es kam keine Antwort und sie konnte nirgends sein rotes Halstuch erkennen, nur Jannes dunkelgrünen Mantel. Er seufzte tief.

»Unser Prinz ist schon wieder begeistert zu einem Schaufenster gerannt. Ah, aber er kommt gerade wieder zurück.«

Er erzählte ihnen völlig aufgelöst vor Begeisterung von einem Mantel, den er gesehen hatte, dann von einem bunten Glasfenster, einer Sofagarnitur und einem riesigen Jagdhund. Er redete so schnell und durcheinander, dass Elyon nicht mitkam. Jede Erzählung fügte einen Stich in ihre Brust, vor allem als er von den Straßenlaternen berichtete, die überall verteilt waren, den riesigen Pferden oder der Architektur der Häuser. Nichts davon konnte sie selbst scharf genug erkennen, um sich einen echten Eindruck zu verschaffen. Stattdessen musste sie sich durch die Menschenmassen drängen, mithilfe von Janne, der sie immer noch nicht wirklich geschickt hindurch führte.

Elyons Lider hingen schwer über ihre Augen, als sie endlich in eine Gaststätte einkehrten, um zu speisen. Es musste voll sein, denn sie mussten ein paar Augenblicke im Eingang warten, ehe sie einen Tisch bekamen. Der Raum war gefüllt mit quasselnden Stimmen, auch wenn diese nicht ganz so laut klangen wie andere Gaststätten im Kaiserreich.

Als Elyon nach dem Stuhl griff, war sie überrascht, als sie das samtene Polster anfasste. Natürlich musste Finan einen Begeisterungsschwall auslassen, über den Stoff, die Farbe, das Dekor. Elyon hörten nicht hin, ihr Kopf pochte. Erst als sie bestellen wollten, konzentrierte sie sich auf das Gespräch.

»Ich kann eure Schrift noch nicht so gut lesen. Kannst du uns etwas empfehlen?«

»Ich mag die Fleischbällchen sehr gerne. Oder den Elchseintopf.«

»Elch? Ist das ein Tier?«

»Ja. Fast so etwas wie ein Hirsch, aber größer und mit einem breiteren Geweih. Sie gehören vor allem im Norden des Landes zu den wichtigsten Zuchttieren, da sie besser an den Winter angepasst sind.«

»Dann nehme ich das. Klingt gut.«

»Willst du auch den Eintopf, Elyon?«, fragte Janne.

Elyon antwortete ihm nicht. Sie hatte gedacht, dass er schon längst bemerkt hatte, dass Eintopf für sie zu den schlimmsten Mahlzeiten gehörte, die es gab und sie diesen nur aß, wenn es nichts anderes gab und sie zu viel Hunger hatte.

»Vergiss es. Elyon rümpft jetzt schon die Nase.« Finan lachte. »Servieren sie hier auch halbgegartes Fleisch? Das isst sie am liebsten. Mit Gemüse. Und bitte nichts mit Milch. Ich hab sie einmal auf unserer Reise über den Bergen dazu bewegt, Käse zu essen. Die Bauchschmerzen konnte man hören.«

Elyon verdrehte die Augen. Obwohl sein großer Mund manchmal nützlich sein mochte, in solchen Momenten, wollte sie Finan diesen gerne stopfen.

»Ich kenn einige, die alles, was aus Milch gemacht ist, nicht vertragen. Das ist keine Schande. Und was das Fleisch angeht, hätte ich genau das Richtige für dich, Elyon. Solange du nichts gegen etwas Salz, Essig und ordentlich Pfeffer hast?«

Elyon schüttelte den Kopf und war Janne dankbar, dass er nichts weiter über die Milchgeschichte sagte. Er bestellte für sie, dann begann Finan sich angeregt über die typischen Gerichte aus dieser Gegend zu unterhalten, die er auf den anderen Tischen entdeckte. Elyon wollte zuhören, doch eine schwere Müdigkeit legte sich über ihre Glieder. Dazu begann ihr Magen zu brennen und sich zu verkrampfen. Auch ihr fehlender Arm schmerzte mal wieder. Mit zitternder Hand fasste Elyon nach ihrem Armstumpf und fragte sich, ob sie sich jemals daran gewöhnen konnte, keinen rechten Unterarm mehr zu haben.

Es war ihre Schuld. Sie hatte sich in einen fast ausweglosen Kampf gewagt. Sie konnte von Glück reden, dass sie noch lebte. Dennoch. Dennoch hätte sie einiges dafür getan, wieder heil zu sein.

»Elyon? Alles in Ordnung?«, fragte Finan.

Sie blinzelte leicht, sah sich um, ohne etwas genaues erkennen zu können. Dann nickte sie. Sie war dankbar, dass genau in diesem Moment der Kellner sich entschuldigte und einen Teller vor ihr hinstellte.

»Hier ist das Samtfleisch. Heute frisch zubereitet«, kündigte er an.

Vorsichtig tastete sei nach einer Gabel oder einem Löffel. Sie spürte ein dünnes Metallstück. Als sie die Augen zukniff, meinte sie, eine Gabel erkennen zu können.

»Elyon, dein Samtfleisch wird wahrscheinlich etwas zu groß sein. Ich kann es dir gerne schneiden, wenn du möchtest«, bot Janne an.

Doch Elyon schüttelte den Kopf. Sie wollte es alleine schaffen. Sie würde sich dran gewöhnen müssen, ob sie wollte oder nicht. Elyon legte ihre Gabel zur Seite und fühlte nach dem Messer. Sie hörte das leise Klappern von Besteck und Finans leises Kauen. Und sie konnte eindeutig ihre Blicke spüren, die sie beobachteten.

Mit enger Brust fühlte sie nach dem Fleisch. Endlich traf ihr Messer auf etwas Weiches und sie begann zu schneiden. Als Elyon das Gefühl hatte, alles geschnitten zu haben, legte sie das Messer wieder hin und nahm die Gabel zurück. Dabei stieß sie das Messer vom Tisch, es knallte mit lautem Scheppern auf den beheizten Steinboden und rutschte weg.

»Verzeihung«, sagte Elyon und senkte mit heißen Wangen und Augen den Kopf. Als Adlige war so ein Fehler sehr unangenehm.

»Kein Problem, lass das Messer einfach liegen«, sagte Janne. »Eine Bedienung hebt sie gerade auf.« Elyon ignorierte Jannes gut gelaunte Stimme und kämpfte weiter mit ihrem Essen. Sie brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie endlich die Möhren und das Fleisch gegessen hatte. Doch es schmeckte. Das Fleisch war fast roh und die Pfefferkörner konnte sie leicht mit der Gabel wegschieben.

Sie war die Letzte, die fertig aß. Doch weder Finan, noch Janne sagten irgendetwas. Niemand zwang sie zur Eile. Trotzdem lag ihr das Essen schwer im Magen und sie war erleichtert, als sie endlich die Stadt verlassen konnten und zu Jesko und Lumi, Finans Flughündin zurückkehrten.