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1.1 Der erste Monat

Elyon saß auf dem umgefallenen Tannenstamm und hörte Finan beim Schärfen seines Messers zu. Er strich die Klinge an seinem Schwert, was viel holpriger klang, als es eigentlich sollte. Nicht, weil Finan es nicht konnte. Es lag an der Klinge. Es klang, als würde sie gleich brechen. Was kein Wunder war, denn die Luft war so kalt, dass es alle ihre Klingen zum Ächzen brachte. Sollte es noch kälter werden, würden sie tatsächlich brechen.

»Verfluchte Kälte!«, rief Finan.

Elyon war dankbar für Jesko, der direkt hinter ihr lag und dessen Körperwärme sie am Rücken spürte. Der schwarze Drache beobachtete mit seinen gelben Augen die Umgebung.

Sie hatten den Berg hinter sich gelassen und standen nun an seinem Fuß, zwischen den ersten Tannenbäumen, die den Übergang ins Tal bedeckten. Elyon hatte gedacht, dass die schlimmste Kälte an den Spitzen der Berge überstanden war. Doch sie hatte falsch geschätzt. Auch hier unten war die Luft vielleicht nicht so beißend, da der Wind nachgelassen hatte, doch es war fast genauso kalt wie oben. Sie wären längst erfroren, hätten sie nicht Jesko und seinen immer warmen Körper bei sich gehabt. Dabei hatten sie bereits die wärmste Kleidung angezogen, die sie gepackt hatten.

Eine Woche hatten sie gebraucht, um den Berg zu erklimmen. Während ihres Flugs war Jesko ständig gen Boden herabgesunken. Elyons Theorie war, dass die Luft zu kalt war und Jesko mehr Wasser verbrauchen musste, um sich in der Luft zu halten. Leider waren Wasserquellen selten, so waren sie gezwungen, den meisten Weg auf Jesko zu reiten.

Elyon zog ihren Umhang enger um sich und spürte ihren warmen Atem, der fast wie Dampf vor ihren Augen aufstieg und sofort erkaltete.

»Wehe das Messer hält nicht.« Finan steckte sein Schwert zurück in die Scheide und ging zu Jesko. Sie mussten alle Waffen an Jeskos Tasche um seine Brust anbinden, um sie warmzuhalten. Sie hatten bereits einen Bogen verloren, dessen Sehne bei der letzten Jagd gerissen war.

»Rasten?«, fragte Elyon.

Finan nickte und seufzte erleichtert auf. Er setzte sich neben ihr, doch mit genügend Abstand, dass sie nicht seine Körperwärme spüren konnte und beugte sich um etwas an seinem Bein zu machen. Elyon konnte nicht deutlich sehen, was er machte. Mittlerweile hatte sie es aufgegeben, ihre Augen zusammenzukneifen, im Versuch besser zu sehen. Frust sorgte dafür, dass ihre Brust sich zusammenzog, so wie immer, wenn sie zu sehr über ihre Augenverletzung nachdachte.

Elyon war nicht müde. Am liebsten wäre sie sofort weitergezogen. Vor allem, weil Finan hatte eine kleine Siedlung am Ende des Tals gesichtet hatte.

Elyon hatte sich in Geduld üben müssen, denn der Prinz war nicht der einfachste Reisegefährte. Er nahm kein Blatt vor dem Mund, um seine Bedürfnisse und Qualen mitzuteilen. Am Anfang hatte sie befürchtet, dass er sich wie ein Tollpatsch in ihrer Reise verhalten würde und zu nicht zunutze sein würde. Schließlich war er ein Prinz, aufgewachsen in Luxus, den er bis heute mit Leidenschaft liebte.

Doch in diesem Punkt hatte er sie überrascht. Finan mochte ein Jammerhaken sein, doch er bewegte sich durch die Wildnis wie ein erfahrener Jäger. Selbst in dieser Kälte konnte er ein Lagerfeuer zustande bringen. Finan nahm mit blitzschnellen, sicheren Schnitten jegliches Wild aus und stellte neue Pfeile her, wann immer die alten wegen der Kälte zerbrachen. Leider brauchte sie ihn. Nicht nur, weil sie viel weniger sehen konnte, sondern auch, weil ihr eine Hand fehlte.

Ihre linke Hand zitterte, als sie sich um den Armstumpf legte. Ihre Augen begannen zu brennen, als sie den Druck in ihrer Blase spürte und sie wusste, dass sie wieder eine halbe Ewigkeit mit ihrer Hose kämpfen musste.

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»Komme gleich zurück.«

Finan sagte nichts. Doch sie wusste, dass sie ihn jederzeit um Hilfe bitten konnte. Doch sie wollte nicht. Es reichte schon, dass er allein die Jagd übernahm, er reparierte Waffen, Kleidung und Taschen und hielt all ihre Ausrüstung in stand. Er navigierte sie durch den kalten Berg und hielt zusammen mit Jesko nach Gefahren aus.

Elyon konnte nichts tun. Gar nichts. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie musste tief ein- und ausatmen, ehe sie nach viel zu langer Zeit wieder zurück zu Finan und Jesko kehrte.

»Alles in Ordnung?«, fragte Finan.

Elyon nickte.

»Gut, dann lass und gleich weiterziehen. Ich will möglichst heute noch die Siedlung erreichen und keine Sekunde länger als nötig in dieser verdammten Kälte bleiben.«

Jesko hatte mittlerweile wieder so viel von seinem Verstand zurückbekommen, dass er ohne einen weiteren Befehl seinen Kopf nahe an Elyon brachte. Er hatte seine Stirn zu ihr gedreht, sie musste sich nur mit ihrer übrigen Hand an seinem Fell festhalten und als er sich vorsichtig umdrehte und aufstand, konnte sie leicht zu seinem Nacken rutschen.

Finan kletterte hinter ihr und die Kälte an ihrem Rücken verschwand. Einer der Gründe, warum sie nicht jedes Mal völlig gereizt war, dass Finan so nahe bei ihr war. Elyon war dankbar für jede Wärme, die sie in diesem kalten Land bekommen konnte.

»Ich hasse diese elende Kälte! Ich kann nicht begreifen, wie eine Siedlung so nahe an diesem schrecklichen Berg stehen kann.«

Elyon starrte auf ihre Umgebung, strengte ihre Augen auf höchste an, um irgendetwas erkennen zu können, dass ihr mehr über die Umgebung sagen konnte. Doch alles, was Elyon unscharf erkennen konnte, waren sehr viele, dunkle Bäume. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Die Luft war durchzogen mit dem harzigen Geruch von Tannen, doch viel schärfer, als im Kaiserreich, begleitet von dem immerwährenden Duft von kaltem Wasser.

»Wie hältst du diese Kälte aus? Du sitzt so entspannt da, als wären wir am Strand.«

Elyon öffnete nicht mal ihre Augen, sondern konzentrierte sich auf die Umgebungsgeräusche. Es war viel stiller, als in den Wäldern in Rovisland. Doch Jesko und Finan schafften es dennoch immer wieder ein Kaninchen, oder eine Bergziege aufzutreiben.

»Würde es dich umbringen, dich mit mir zu unterhalten? Sag doch endlich was! Ich halte dieses ewige Schweigen nicht aus. Nicht mal aufregen tust du dich! Verbiete mir doch wenigstens den Mund, oder so was! Ich drehe noch durch vor lauter Schweigen!«

Elyon verdrehte die Augen. Jesko brummte und hob kurz die Schnauze.

»Was?! Ich weiß genau was du denkst, Onkel! Ich bin doch auch nur ein Mensch. Und sie ist ein Mensch! Und Menschen unterhalten sich miteinander.«

Jesko brummte wieder und nieste. Elyon kraulte seine Stirn.

»Ich hab verstanden, ich hab verstanden«, murrte Finan und ächzte so laut, dass sein Atem gegen Elyons Haare blies.

»Du weißt schon, dass du viel besser sprechen könntest, wenn du ein wenig üben würdest, oder?«

Um nicht zu riskieren, dass Finans Laune sich wieder verschlechterte, zuckte Elyon nur mit den Schultern.

Jesko ächzte. »Was auch immer. Wie sollen wir uns dem Dorf annähern? Sollen wir Jesko irgendwo verstecken? Oder ihn einfach mitnehmen?«

Elyon ließ ihn dieses Mal nicht lange auf eine Antwort warten. »Mitnehmen. Durch Taschen zeigen, dass er zahm ist.«

»Gut, ich möchte Jeskos Wärme nicht missen. Dank ihm, sind mir meine Zehen noch nicht vor lauter Kälte abgefallen.«

Als sie das Tal am Abend erreichten, stach ihre Nase vor Kälte. Jesko hielt an und brummte leise. Dann bebte und grollte die Erde unter ihnen. Elyon konnte wegen der Dunkelheit nichts sehen, ihr Herz begann in ihrer Brust zu hämmern, während sie sich umsah, obwohl es keinen Zweck hatte. Die Macht der Gewohnheit raubte ihr für einen kurzen Augenblick alle klaren Gedanken.

»Was zum ... wieso bewegt sich die Erde?« Ein noch lauteres Grollen, die Bewegung schien nun ganz von vorne zu kommen und ein leichter Wind streifte ihr Gesicht, als würde sich etwas nach oben bewegen. War es der Boden?

Als das Grollen erstarb, knallte ihr eine laute Stimme entgegen und sie hörte das Spannen von Bogensehnen. Elyon schluckte schwer, ihre Augen suchten nach etwas, doch fanden nichts als dunkle, unförmige Schatten die sie nicht deuten konnte. Da spürte sie einen kurzen, warmen Atem neben ihrem Ohr.

»Ein Erdwall ist gerade vor uns entstanden, auf ihm stehen fünf Männer, mit gezogenen Bögen. Doch sie sehen besorgt aus, nicht feindselig.«

Elyon löste sofort ihre klammen Hände von Jeskos Fell und hielt sie in die Höhe, in der Hoffnung, dass auch hier diese Geste verstanden wurde.

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