Eine Woche war vergangen, seit Elara und Elowen ihre Differenzen für das Wohl von Thalor beiseitegelegt hatten. Das tägliche Leben im Zirkus ging seinen gewohnten Gang, und die Spannung zwischen den beiden Müttern hatte sich allmählich gelegt. Elara und Elowen, die einst heftige Konfrontationen ausgefochten hatten, arbeiteten nun gemeinsam daran, Thalor zu versorgen und ihm bei seiner Genesung und dem Training zu helfen. Es war, als ob sich eine unausgesprochene Übereinkunft zwischen ihnen entwickelt hatte: Thalor war die Brücke, die sie verband.
An diesem Morgen herrschte im Zirkus eine ruhige Atmosphäre. Die Crew bereitete sich auf eine weitere Vorstellung vor, und Thalor genoss das Training mit Joran, seinem Trainer, während Elara und Mara in der Nähe standen und die Fortschritte des jungen Drachen beobachteten. Plötzlich näherte sich eine Gestalt aus der Ferne. Die Sonne stand noch tief am Himmel, und die Silhouette war schwer zu erkennen. Doch als die Gestalt näherkam, wurde sie deutlicher.
Ein Fremder.
Er war groß, von kräftiger Statur, mit einem harten Ausdruck auf dem Gesicht und einem langen, schwarzen Umhang, der leicht im Wind wehte. In seinen Augen lag eine unheimliche Mischung aus Trauer und Entschlossenheit, die sofort die Aufmerksamkeit der gesamten Crew auf sich zog. Als er näherkam, blieb er direkt vor Elara und Elowen stehen.
„Wer seid Ihr?" fragte Elara vorsichtig, die ihre Wachsamkeit nicht verbergen konnte.
Der Fremde fixierte Elowen mit seinen durchdringenden Augen. „Ich bin nicht gekommen, um den Zirkus zu stören. Ich bin hier, um mit ihr zu sprechen," sagte er kühl und deutete auf Elowen.
Elowen, die bis dahin stumm geblieben war, erstarrte, als sie den Mann erkannte. Ihre Augen weiteten sich, und ihre Haltung versteifte sich. „Was machst du hier? Du hast kein Recht..."
„Elowen," unterbrach der Fremde sie scharf. „Wir haben keine Zeit für Streitigkeiten aus der Vergangenheit. Etwas Wichtiges ist geschehen." Seine Stimme war fordernd, aber nicht unhöflich. „Es ist Zeit, dass du nach Hause zurückkehrst."
Elowen blinzelte, ihre Hände zitterten leicht. „Nach Hause? Was redest du da? Ich habe nichts mehr dort zu suchen. Ich habe diese Welt hinter mir gelassen..."
Der Fremde trat einen Schritt näher. „Die heilige Drachenstadt wurde angegriffen. Die Drachenjäger haben ihre Kräfte versammelt und bedrohen unsere Heimat. Sie brauchen jeden Drachen, jede Hand. Und das schließt dich mit ein."
Die Luft schien sich plötzlich zu verdichten, als die Worte des Mannes auf Elowen trafen. Ihre Augen verengten sich, und ihre Stimme wurde fester. „Das ist nicht mehr mein Kampf. Ich habe diesen Teil meines Lebens hinter mir gelassen. Du weißt, warum ich fortgegangen bin."
„Ja," antwortete der Fremde leise, seine Stimme nun von einem Hauch Bitterkeit durchzogen. „Du hast mich verlassen. Du hast uns alle verlassen. Aber jetzt spielt das keine Rolle mehr. Es geht um unser Überleben."
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Inzwischen hatte sich Thalor, der das Gespräch aus der Ferne beobachtet hatte, dem Geschehen genähert. Er konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas Großes im Gange war. Als er neben Elara stehen blieb, fragte er leise: „Wer ist das, Elara?"
Elara sah Thalor an und atmete tief ein, bevor sie antwortete. „Das weiß ich nicht, Thalor. Aber er scheint... mit deiner Mutter verbunden zu sein."
Thalor runzelte die Stirn und trat näher zu Elowen und dem Fremden. „Was geht hier vor sich? Wer bist du?"
Der Fremde wandte sich Thalor zu, und in diesem Moment schien die Luft zwischen ihnen zu knistern. Es war, als ob der Mann eine Verbindung spürte, die über Worte hinausging. „Ich... bin dein Vater," sagte er schließlich, seine Stimme rau.
Thalor fühlte, wie die Welt um ihn herum für einen Moment stillstand. „Mein... Vater?" Seine Augen weiteten sich, und für einen Moment konnte er kaum glauben, was er hörte.
Der Mann nickte langsam. „Ja. Ich habe dich noch nie zuvor gesehen, Thalor, aber ich wusste immer, dass du existierst." Seine Stimme klang sowohl traurig als auch entschlossen. „Ich musste dich verlassen, als du noch ein Ei warst. Es war... notwendig."
Elowen verschränkte die Arme und trat einen Schritt zurück. „Das ist Vergangenheit, und du hast kein Recht, jetzt hierherzukommen und uns zu befehlen, zurückzukehren." Ihre Augen funkelten vor Wut. „Du hast mich genauso verlassen, wie ich dich verlassen habe."
„Ich hatte keine Wahl, Elowen!" Der Fremde, Thalors Vater, trat näher, und plötzlich begann sich sein Körper zu verändern. Seine Gestalt begann zu flimmern, und vor den Augen aller verwandelte er sich in einen massiven, silbernen Drachen, dessen Schuppen im Licht glänzten. Seine riesigen Flügel breiteten sich aus, und er sah sowohl majestätisch als auch bedrohlich aus.
Thalor starrte seinen Vater in seiner Drachengestalt an. Zum ersten Mal sah er den Mann, der ihm sein Blut und seine Herkunft gegeben hatte, in voller Pracht. Eine Welle von Emotionen überkam ihn – Staunen, Wut, Verwirrung. „Warum hast du uns verlassen?" fragte er schließlich, seine Stimme zitternd vor Emotionen.
Der silberne Drache sprach mit tiefer, dröhnender Stimme: „Es war notwendig, um dich und deine Mutter zu schützen. Ich hatte Verpflichtungen, die weit über unsere Familie hinausgingen."
Elowen drehte sich zu Thalor und sprach mit fester Stimme: „Thalor, ich will nicht, dass du in diesen Kampf hineingezogen wirst. Du gehörst hierher, zum Zirkus, zu Elara und den anderen. Es ist sicherer für dich."
Thalor trat einen Schritt nach vorne, sein Blick entschlossen. „Ich bin nicht mehr der kleine Drache, der Schutz braucht. Ich bin stark genug, um für mich selbst zu entscheiden." Er sah sowohl seine Mutter als auch seinen Vater an. „Wenn die Drachenstadt in Gefahr ist, dann will ich helfen."
„Nein!" rief Elowen, ihre Stimme scharf. „Du bleibst hier. Ich werde nicht zulassen, dass du in Gefahr gerätst."
„Aber Mutter, das ist mein Erbe!" Thalors Stimme war jetzt fest und fordernd. „Ich habe das Recht, zu entscheiden."
Der silberne Drache, sein Vater, verwandelte sich wieder in seine menschliche Gestalt und legte eine Hand auf Thalors Schulter. „Du bist stark, mein Sohn. Aber deine Mutter hat Recht. Du musst in Sicherheit bleiben, während wir diesen Kampf führen."
Elowen nickte. „Bleib bei Elara. Du wirst hier gebraucht. Deine Zeit wird kommen, aber das ist nicht dein Kampf."
Thalor wollte widersprechen, aber etwas in der Entschlossenheit seiner Eltern ließ ihn innehalten. Er wusste, dass sie ihn nur schützen wollten, aber der Gedanke, untätig zu bleiben, während seine Heimat angegriffen wurde, zerriss ihn innerlich.
Schließlich nickte er widerwillig. „Gut. Aber versprecht mir, dass ihr beide zurückkommt. Ich will nicht noch mehr verlieren."
Elowen und Thalors Vater tauschten einen kurzen Blick, bevor sie nickten. „Das verspreche ich," sagte Elowen leise.
Und so brachen Elowen und Thalors Vater auf, um sich dem Kampf gegen die Drachenjäger zu stellen, während Thalor im Zirkus zurückblieb, seine Gedanken voller Sorgen und Entschlossenheit.