Die Stille der Nacht lag wie ein schwerer Mantel über dem Zirkus. Nur das leise Rascheln der Blätter und gelegentliches Knarren der Zirkuswagen unterbrachen die Ruhe. Thalor schlief tief in seinem Stall, der von Mara sorgfältig mit beruhigenden Pflanzen und Schutzzaubern umgeben worden war. Seit seinem ersten Albtraum war jeder vorsichtig gewesen, besonders Elara, die seitdem jede Nacht bei ihm wachte, um sofort eingreifen zu können, falls etwas passieren würde.
Elara saß auf einem einfachen Hocker neben Thalors großen, mit weichen Tüchern ausgelegten Schlafplatz. Die Laterne, die sie angezündet hatte, war nur noch eine schwache Glut, die gerade genug Licht spendete, um den Umriss des Drachen zu erkennen. Thalor atmete tief und gleichmäßig, aber in den letzten Nächten hatte Elara bemerkt, dass seine Träume unruhiger wurden. Immer wieder zuckte er im Schlaf, bewegte sich, als würde er mit inneren Dämonen kämpfen.
In dieser Nacht war es nicht anders.
Elara beobachtete, wie Thalors Atem schneller wurde. Seine mächtigen Schwingen zitterten leicht, und seine Klauen krallten sich in die weichen Kissen unter ihm. Es war noch nicht so schlimm wie in der Nacht des ersten Albtraums, aber Elara war sofort alarmiert. Sie hatte sich fest vorgenommen, diesmal schneller zu reagieren, bevor er außer Kontrolle geraten konnte.
„Thalor?" flüsterte sie sanft, doch er reagierte nicht. Seine Augen waren fest geschlossen, und ein leises Knurren entkam seiner Kehle. Das war ein schlechtes Zeichen.
Elara stand auf und trat näher an ihn heran. „Thalor, hörst du mich?" Ihre Stimme war jetzt lauter, bestimmter. Sie legte eine Hand auf seine Schuppen, spürte die angespannte Energie, die durch seinen Körper pulsierte. In diesem Moment zuckte Thalor heftig, als ob er sich gegen etwas im Traum verteidigen wollte. Sein Schweif schlug gegen eine Wand und ließ ein lautes Poltern erklingen.
„Nein…!" murmelte er plötzlich, seine Stimme rau und voller Angst. Seine Schwingen breiteten sich aus, als ob er fliehen wollte. Elara spürte, dass sie schnell handeln musste.
„Thalor! Wach auf!" Sie griff nach seinem Nacken und rüttelte ihn sanft, aber fest. Ihre Hände waren winzig im Vergleich zu seinem massigen Körper, doch sie wusste, dass ihre Berührung ihn erreichen könnte.
Thalors Atem wurde noch schneller, und seine Muskeln spannten sich weiter an. Er begann leise zu knurren, und Elara erkannte, dass er kurz davor stand, die Kontrolle zu verlieren. Ohne zu zögern, kletterte sie auf einen kleinen Hocker und näherte sich seinem Kopf, bis sie auf Augenhöhe mit ihm war.
„Thalor, es ist nur ein Traum. Du bist sicher! Ich bin hier!" Sie legte ihre Hand sanft auf seine Stirn, genau zwischen seinen Hörnern, und strich mit langsamen Bewegungen über die Schuppen. „Du bist sicher. Wach auf."
Ein tiefes Brüllen hallte plötzlich durch die Nacht, als Thalor abrupt seinen Kopf schüttelte. Für einen Moment dachte Elara, dass sie ihn verloren hätte, dass er sich gleich wie in der letzten Nacht völlig in seinen Albtraum stürzen würde. Doch dann öffnete Thalor schlagartig die Augen. Seine goldenen Pupillen weiteten sich vor Schreck, und sein Blick wanderte suchend umher, bevor er auf Elara fiel.
„Elara…?" Seine Stimme war tief und zitternd, als er versuchte, die Realität wiederzufinden.
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„Ja, Thalor, ich bin hier." Elara sprach ruhig und lächelte beruhigend, auch wenn ihr Herz noch immer vor Angst raste. „Du hast schlecht geträumt, aber alles ist in Ordnung. Du bist im Zirkus, bei uns."
Thalor atmete tief ein und aus, sein großer Brustkorb hob und senkte sich in raschem Rhythmus. Dann ließ er seinen Kopf schwer auf die weichen Kissen sinken. „Es… es war so real", murmelte er, seine Stimme noch immer voller Schrecken. „Ich habe… ich habe wieder von ihr geträumt."
Elara wusste sofort, wen er meinte. „Deine Mutter?"
Thalor nickte langsam, seine Augen starrten ins Leere. „Ja. Sie war da. Sie hat mich wieder verstoßen, gesagt, ich sei zu schwach, um ein Drache zu sein. Und dann… dann habe ich versucht, ihr zu folgen, aber alles wurde dunkel. Ich konnte sie nicht mehr finden, und je mehr ich rief, desto weiter entfernte sie sich. Es war… als würde ich wieder alleine gelassen werden."
Elara legte sanft eine Hand auf seine große Klaue und gab ihren gewöhnt beruhigend monolog an Thakor ab. „Du bist nicht allein, Thalor. Wir sind hier. Der Zirkus ist deine Familie. Niemand wird dich zurücklassen."
Thalor schloss die Augen, aber diesmal nicht aus Angst, sondern um die Worte auf sich wirken zu lassen. „Ich weiß. Aber die Albträume… sie fühlen sich so real an. Ich hatte nie zuvor Albträume. Warum jetzt?"
Elara wusste darauf keine klare Antwort, doch sie konnte seine Verzweiflung spüren. „Vielleicht…" Sie überlegte kurz, bevor sie weitersprach. „Vielleicht, weil du jetzt stärker bist, als du es je warst. Deine Mutter hat dich früher im Stich gelassen, aber du hast dir deine Stärke selbst aufgebaut. Vielleicht kommen diese Träume, weil du dich mit deiner Vergangenheit auseinandersetzen musst. Aber das bedeutet nicht, dass du schwach bist. Im Gegenteil, es zeigt, dass du mutig genug bist, dich dem zu stellen."
Thalor öffnete langsam die Augen und sah Elara nachdenklich an. „Meinst du das wirklich?"
„Ja, das meine ich." Elara lächelte aufmunternd. „Und du musst das nicht alleine tun. Wir alle sind hier, um dir zu helfen."
Thalor atmete tief durch und schloss die Augen erneut, doch diesmal schien er etwas ruhiger. „Danke, Elara. Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde."
Elara setzte sich wieder auf den Hocker und lehnte sich zurück. „Du musst dich nicht bedanken. Wir sind ein Team. Und außerdem… ich lasse dich nicht alleine durch die Nacht mit diesen Träumen kämpfen. Wenn du wieder schlecht träumst, bin ich da."
Thalor nickte schwach und ließ sich tiefer in sein Kissen sinken. Es dauerte nicht lange, bis er wieder in einen ruhigen Schlaf verfiel, diesmal jedoch ohne die Anzeichen eines neuen Albtraums.
Am nächsten Morgen versammelte sich die Crew früh, um die Vorkehrungen für den kommenden Tag zu besprechen, doch das Hauptthema war natürlich Thalors Zustand. Elara hatte den Rest der Nacht an seiner Seite gewacht und darauf geachtet, dass er ruhig schlief, doch die Ereignisse der letzten Tage machten alle nervös.
„Wir müssen sicherstellen, dass so etwas nicht noch einmal passiert", begann Joran, der Trainer, während er sich die versammelte Crew ansah. „Nicht nur, weil es gefährlich ist, sondern weil Thalor darunter leidet. Er darf nicht das Gefühl haben, dass er eine Bedrohung für uns ist."
Elara nickte zustimmend. „Ich stimme zu. Ich habe letzte Nacht gesehen, wie tief diese Albträume ihn beeinflussen. Wir müssen etwas unternehmen."
„Was schlägst du vor?" fragte Mara, die sich neben Elara setzte.
„Ich denke, wir sollten die Schutzmaßnahmen um Thalors Stall verstärken", sagte Elara nach kurzem Nachdenken. „Mara, du kannst weiterhin beruhigende Pflanzen um den Stall legen, aber ich denke, wir brauchen mehr. Vielleicht können wir einen stärkeren Schutzzauber hinzufügen, einen, der nicht nur den Stall schützt, sondern auch Thalor selbst."
Joran runzelte die Stirn. „Ein Schutzzauber, der einen Drachen schützt? Das wird schwierig."
„Es muss nicht perfekt sein", antwortete Elara. „Es muss nur stark genug sein, um ihn davon abzuhalten, im Schlaf Schaden anzurichten."
Mara nickte und nahm Notizen auf. „Ich werde nach den besten Pflanzen und Zaubern suchen. Wir könnten auch versuchen, ihm vor dem Schlafengehen eine spezielle Mischung zu geben, die ihn beruhigt."
„Das klingt gut", sagte Elara. „Und ich werde in den nächsten Nächten weiter hin bei ihm bleiben, um sicherzugehen, dass nichts passiert."