Thasun Torreí war auf dem besten Weg Richtung Rukbrick. Die Hauptstadt, von der aus der Lord Enguràll regierte, lag im Westen Zenshins. Doch das Reich war groß und “Westen” bedeutete nicht gleich, dass die Stadt an der Landesgrenze lag. Thasun wusste, dass ein Brief Falke gut vier bis acht Tage flog um vom östlichen Ende Zenshins ins Tal von Ending zu gelangen.
Es war schwer zu sagen wie lange Ollowyn dem Gift in seinem Körper standhalten würde. Die optimistische Einschätzung seines Meisters lag bei neun Tagen. Also war das ganze Unterfangen beinahe komplett vom Wetter abhängig. War es angenehmes und schönes Wetter, konnte der Falke in einem Stück fliegen, bei Regen verlangsamte sich das Ganze.
Die Reise in die Hauptstadt brauchte ebenfalls zwei Tage, selbst mit den “geliehenen” Pferden, die Thasun einem Bauern abgenommen hatte. Er ritt die Beiden beinahe zu Tode, und schlief nur zwei Stunden pro Nacht, doch es dauerte einfach lange. Vielleicht sogar zu lange. Würde Lord Enguràll ihm seinen Wunsch nicht genehmigen, wäre ohnehin alles umsonst.
Nach genau 43 Stunden erreichte Thasun endlich die Tore der Stadt. Wie alle Städte Zenshins, war es eine große Festung, die an einem wichtigen militärischen Punkt errichtet worden war. Danach hatte man Wälle in der unmittelbaren Umgebung errichtet um die Bevölkerung zu schützen, sollte es einen Angriff geben. Etwa 15% der Population Zenshins lebte innerhalb der Städte.
Handwerker, Diener, Soldaten und Händler lebten innerhalb der sicheren Mauern. Währenddessen schuftete der Rest der Bevölkerung in den Mienen, Wäldern oder auf den Feldern um Rohstoffe zu erwirtschaften. Theoretisch konnte sich ein feindliches Heer einfach innerhalb des Landes frei bewegen, doch riskierten sie so dass ihnen diverse kleinere und größere Städte in den Rücken fielen.
Die Einwohnerzahlen der rund zwanzig Städte Zenshins betrugen meist zwischen zehn und dreißig tausend Mann. Die Hauptstadt Rukbrick, hatte sogar fünfzig tausend Bewohner. Das lag jedoch allein an der Größe der Armee, die Lord Enguràll unterstellt war. Doch als Thasun die Stadt betrat, stellte er eine Veränderung fest. Flüchtlinge. Noch dazu nicht wenige. Zu Hunderten waren sie in provisorischen Unterkünften untergebracht.
Offenbar war die Kriegssituation im Süden wesentlich dramatischer als gedacht. Die Flüchtlinge gaben Zenshin einen wirtschaftlichen Schub, der mit Sicherheit in den kommenden Jahren das Land noch stärker machen würde. Doch im Moment? Da waren diese Menschenmassen mehr Lähmung und Plage als alles andere. Mit Sicherheit würden viele von ihnen keine Arbeit finden und ohne die Unterstützung des Landes nur eine Art der Beschäftigung finden: Diebstahl.
Banditen waren keineswegs eine Seltenheit, sie waren in beinahe jedem Fürstentum und jeder Grafschaft zu finden. Und selbst die größeren Lords hatten wieder und wieder mit diesem Problem zu kämpfen. Thasun verwarf jedoch den Gedanken und ignorierte die Flüchtlinge auf seinem Weg zur Feste. Diese Burg war die größte die im näheren Umkreis zu finden war. Größere gab es nur im Süden wo Valuan Bollwerke für die Ewigkeit errichtet hatte und nördlich des Tals von Ending.
Doch Than Dúin war in einer gänzlich anderen Liga. Wie ein Drache der in einem Berg verweilte. Jederzeit in der Lage Zerstörung zu bringen, doch oft auch ruhig für eine Ewigkeit. Die Burg Rukbrick jedoch bestand aus drei äußeren Wällen, die strategisch nur dazu dienten, den Feind zu verlangsamen. Während keine Tore den Zugang zu den inneren Wällen versperrten, machten Schießscharten und Fallgruben diesen Weg dennoch zu einer Tortur für jeden Angreifer.
Glücklicherweise wurde Thasun ohne Beschuss bis zum Tor des Inneren Walls gebracht. Seine Münze wirkte Wunder. Das über zwanzig Meter hohe Gebäude und der dazugehörige Wall schufen ein beinahe uneinnehmbares Bollwerk. Die letzte Verteidigungsanlage eines Königreichs. Zenshin wurde jedoch seit dem Fall des letzten Monarchen von einem der Lords regiert, der sich nie als König gekrönt hatte. Offenbar behielt er sich diesen Schachzug für eine turbulente Zeit auf, um die Bevölkerung wieder hinter sich zu bekommen.
Dennoch war er wie ein König zu behandeln und es dauerte einige Zeit bis Thasun überhaupt innerhalb der Mauern um eine Audienz bitten konnte. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass der Herrscher mit einer Delegation aus Valuan verhandelte. Doch er hielt nichts davon im Burghof zu warten. Er zeige die königliche Münze einem der Diener und ließ sich den Weg zum Konferenzraum weisen. Die Burg war nicht allzu groß und Thasun war schnell am Ziel.
Die beiden Wachen, die mit schweren Stahlrüstungen und Hellebarden an der Tür standen waren Krieger aus Valuan. Es juckte Thasun in den Fingern. Er wollte wissen wie stark diese Krieger waren. Eine Angewohnheit, die ihm meist Ärger einbrachte. Still saß er sich ihnen gegenüber auf den Boden und meditierte. Die beiden Soldaten warfen ihm einen verwirrten Blick zu, gingen aber schnell dazu über ihn zu ignorieren.
Die Verhandlungen im Inneren konnten nur als dumpfe Geräusche vernommen werden und es war unmöglich für Thasun zu sagen wie lange sich die Gesellschaft noch dort aufhalten würde. Doch er war davon überzeugt, dass früher oder später jemand austreten würde. Diese Person würde er dann befragen. Drei Stunden später hatte er dann endlich Glück. Offenbar waren die Verhandlungen so wichtig, dass sich jeder Pausen verweigerte.
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Quen’Arak Xun, der Anführer der Handelsgilde Zenshins, trat nach draußen. Gefolgt von einem Schreiber, der hektisch die Papiere sortierte und versuchte diese nicht im Marsch zu verlieren. Er sah dankbar aus als Thasun ihm etwas Zeit gab und Händler aufhielt. Der Schwertmeister verbeugte sich höflich. “Meister Torreí! Wie ausgesprochen schön euch zu sehen. Was verschlägt euch in die Hauptstadt?”
Thasun erwiderte das Lächeln des Händlers. “Leider diesmal keine Verhandlungen für den Handel mit dem Tal von Ending. Aber wir sind ohnehin nur ein kleiner Punkt in einem viel größeren Netzwerk. Es gibt mit Sicherheit wichtigere Dinge die ihr gerne besprechen würdet.” Xun winkte ab. “Ach was, mein lieber Meister Torreí. Es gibt da einige Punkte die ich ohnehin mit euch besprechen wollte… Doch warum seid ihr hier wenn nicht um meine Nichtigkeit zu sehen?”
Thasun lächelte verlegen. “Ihr warte auf seine Lordschaft. Doch offenbar ist er noch beschäftigt. Wisst ihr wie lange diese Angelegenheit noch dauern wird?” Xun zuckte mit den Schultern. “Die Handelsvereinbarungen sind erledigt, das ist meist das langwierigste. Valuan’s Handelsgilden sind hartnäckige Gegner. Ich vermute… eine Stunde? Doch der König hat ohnehin mit mir einen Termin im Anschluss. Warum kommt ihr nicht mit mir?”
Thasun nickte dankbar. “Das wäre wunderbar. An was hattet ihr in der Zwischenzeit gedacht?” Der beleibte Händler faltete seine Hände über seinem Bauch und wirkte nachdenklich. “Wenn ihr euren Körper im Anschluss etwas bewegen wollt, könntet ihr mit mir einen Tee im Offizierskasino der Garnison trinken? Ich weiß ja wie sehr ihr es schätzt euer können unter Beweis zu stellen, Meister Torreí. Und seine Lordschaft wollte ohnehin kurz die Truppenübungen inspizieren.”
Der Schwertmeister folgte dem Händler und seinem etwas chaotischen, jungen Schreiber. Es war kein langer Weg zum Aufenthaltsraum der Offiziere, doch es war nur ein älterer Lieutenant anwesend. Niemand mit dem sich Thasun messen könnte. Seufzend ließ er sich auf einen der Tische nieder während Quen’Arak Xun einen Tee bestellte. Sein Schreiber sortierte in der Zwischenzeit die Papiere an einem anderen Tisch.
“Nun. Sagt mir, Meister Torreí. Was führt euch zu unserem Herrscher?” Thasun gähnte kurz, dann fing er an zu erklären. “Ich muss einen großen Gefallen erbitten. Und ganz unter uns, es ist fraglich ob Lord Enguràll meinen Wunsch gewährt.” Xun kratzte sich an seinem übermäßigen Bauch. “Hmm… Ich verstehe. Wenn es irgendetwas gibt, das ich tun kann… jederzeit.” Thasun nickte dankbar. “Natürlich. Genauso wie es euch stets freisteht mich um einen Gefallen zu bitten.”
Der Händler zeigte ein vergnügtes Lächeln. “Nun… es gäbe da etwas.” Thasun musste grinsen. Natürlich gab es das. Ein Händler plante stets neuen Gewinn aus Menschen und Regionen zu schlagen und Thasun war repräsentativ für Beides. “Oh? Ihr habt erneut einen Weg gefunden Profit aus mir zu schlagen?” Sprach Thasun mit einem neckischen Blick. Gespielt empört und schockiert verneinte der Händler. “Natürlich nicht, Meister Torreí. Nichts läge mir ferner als euch zu beanspruchen.” Ein Rekrut brachte den Tee und stellte diesen wortlos zwischen den beiden ab.
Dann fuhr Xun mit einem kalkulierenden Blick fort. “Doch… Das Tal von Ending könnte Zenshin in einigen… Angelegenheiten entgegenkommen.” Thasun versuchte sein Bestes das Spiel des Händlers mitzuspielen. Er wusste dass der Händlerfürst es mehr schätzte um das Thema herumzuspielen als es direkt und klar anzusprechen, wie es Thasun vielleicht getan hätte.
“Hmmm… Angelegenheiten, sagt ihr?” Xun griff sich mit müder Geste an den Kopf. “In der Tat. Wahrlich erschöpfend. Ich nehme an, ihr habt euch etwas in der Stadt umgesehen bevor ihr in die Burg gekommen seid?” Thasun nickte. “Die Flüchtlinge?” Der Händler strahlte. “Genau. Die Flüchtlinge. So viele Menschen kommen nach Zenshin und wir haben keinen Platz sie unterzubringen. Keine Arbeit um sie zu beschäftigen. Sie schließen sich Räuberbanden an… Es ist wahrlich ermüdend.”
Thasun sponn den Faden weiter. “Ihr wollt die Flüchtlinge im Tal von Ending ansiedeln?” Xun nickte. “Es ist nun über ein Jahrhundert her seitdem sich in Than Dúin das letzte Mal etwas geregt hatte. Ich habe bereits mit dem Herrscher gesprochen.” Der Schwertmeister blickte nachdenklich. Er hatte die Festung im Norden bereits selbst gesehen. Es war ein uneinnehmbares Bollwerk.
“Plant ihr Than Dúin Tributzahlungen zu senden?” Xun lächelte. “Sehr schlau, Meister Torreí. Sehr schlau. Natürlich. Es wird die Beziehungen zu den unbekannten Bewohnern verbessern, nicht wahr? Eine Allianz in ferner Zukunft wäre natürlich das beste Szenario.” Der Händer trank von seinem Tee, bevor er fortfuhr. “Ich hätte geplant, die Flüchtlinge dort eine Siedlung zu errichten. Dann senden wir Handwerker nach, die den Bewohnern beibringen Bögen und Pfeile herzustellen. Sowie hölzerne Trainingsschwerter.”
Thasun sah worauf das hinauslief. Und es kam ihm sehr gelegen. Es passte sehr zu den Plänen seines großen Meisters. “Ah, ich verstehe. Wir sollen eine kleine Armee ausbilden die ihr dann gegen Osten werfen könnt um Zenshin zu… erweitern?” Der Händler lächelte dämonisch. “Oder anderes. Doch mir geht es vorerst eher darum mehr Handel zwischen dem Tal von Ending, Zenshin und eventuell Than Dúin zu entfachen.”
Er seufzte. “Natürlich vorausgesetzt, die Bewohner des Bollwerks löschen die Siedlung nicht aus. Ich halte das Ganze ja für Aberglauben… aber Lord Enguràll war nicht leicht zu überreden…” Thasun nickte. “Ich verstehe.” Dann ließ er die Stille über den Tisch ziehen und nippte seinerseits an dem Tee. Der Händler würde das Schweigen brechen müssen wenn er diesen Deal wirklich wollte.
Es dauerte einige Minuten. Dann hielt es Xun offenbar nicht länger aus. “Was könnte euch dazu bewegen mir diesen Gefallen zu tun?” Thasun nickte ernst. “Nun… Ich habe einen Gefallen den ich von Lord Enguràll erbitten muss. Von diesem Gefallen hängt viel ab. Man könnte auch sagen, wenn jemand den Herrscher dazu bewegen könnte diese Bitte zu genehmigen, dann stünde ich natürlich sehr tief in dessen Schuld.” Quen’Arak Xun nickte. Offenbar hatte er verstanden.
Daraufhin erhob sich Thasun und leerte seinen Tee mit einem Zug. Der Besuch lief soweit ausgezeichnet. Nun musste er nur jemanden finden, an dem er seine steifen Muskeln verausgaben konnte. Die Reise war lang und hart gewesen und er hatte einfach nicht genug Bewegung bekommen. Er trat nach draußen auf den Balkon und beobachtete die Soldaten beim Training.
Entgegen der Plattenrüstung aus Stahl, die im Süden getragen wurden, setzte man in Zenshin noch auf leichte Lederrüstung und Speerkampf Formationen. Die großen rechteckigen Schilde verschmolzen zu einer Einheit und boten guten Schutz gegen Projektile. Als Gesichtsschutz wurden oft Maskenhelme getragen, bei denen jede Division ihr eigenes Design besaß. Sie wirkten abschreckend und sollten dem Feind den Mut nehmen.
Abgesehen von Speeren benutzten die Krieger im Nahkampf Kurzschwerter, die gemeinsam mit den Schilden verwendet wurden. Katanas waren aus der Mode gekommen. Zumindest im großen militärischen Schlachtfeld. In einem eins gegen eins oder eins gegen zwei, war das Katana oder ein längeres Schwert noch immer die dominante Waffe. Und sie würde es vermutlich auch bleiben.
Jeder Soldat trainierte mit jeder Waffe, doch wenige erreichten ein Level auf dem sie Thasun in einem Kampf gefährlich werden konnten. Thasun sprang lässig über den Balkon, etwas drei Meter in die Tiefe, rollte sich geschickt hab und zog sein Katana. Er hatte sein Ziel gefunden und es versprach ein guter Kampf zu werden…