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Kapitel 12

Ritto Iordai saß neben dem verstorbenen Jungen. Das Gift des Nachtschatten Narodits hatte sich bereits in seinem ganzen Körper ausgebreitet und seine Vitalfunktionen Stück für Stück verlangsamt. Die schwarzen Linien zierten seinen Körper und der letzte Herzschlag lag bereits Minuten zurück. Für Ollowyn war nun jede Hilfe zu spät. Selbst die heilend wirkenden Blätter des Korak Baumes hatten wenig Wirkung gezeigt. Beinahe zehn Tage hatte der Junge durchgehalten. Doch Hilfe war nie gekommen. Seufzend betrachtete der große Meister einen seiner älteren Schüler. Karthan Cr’Axsun kämpfte noch gegen die Verbrennungen, die ihn sein todesmutiger Einsatz gekostet hatte. Der Narr würde es vermutlich überleben. Doch er würde für den Rest seines Lebens entstellt sein.

Schweren Herzens erhob sich Ritto Iordai und trat aus dem Allerheiligsten. Es war das erste Mal seit langem, dass er sein Training unterbrochen hatte. Doch er fühlte die nächste Stufe seines Daseins herannahen. Bald würde es soweit sein. Vielleicht war es auch bereits soweit und er hatte es nur nicht bemerkt? Nachdenklich trat er ins Freie und spürte den Wind auf seinem Gesicht. Es war kühl. Bald würde der nächste Winter anbrechen.

Beinahe traurig blickte er in die Ferne. Die Berge riefen nach ihm. Es war an der Zeit wieder zu reisen. In der Wildnis zu überleben. Frei zu sein. Nach einigen Minuten lief ein junger Schüler aufgeregt in seine Richtung. Geschockt darüber den großen Meister in Fleisch und Blut anzutreffen stotterte er wild herum, bevor er ihm ein Päckchen reichte.

Was war das? “Woher hast du das?” Fragte er in ruhigem, beinahe gemütlichen Ton.

“T-Th… Tha-Thasun. Fal-”, hustete Mephian außer Atem. “Falke. I.ist gekommen.” Er inhalierte tief und lautstark. “Ist im Dorf gelandet.”

Sofort wurde dem großen Meister eiskalt. Er riss das Paket an sich, sprintete zurück ins Allerheiligste und riss die Verpackung auseinander. Thasun hatte es geschafft! Vielleicht war der Junge noch zu retten? Beinahe verlor er einen Teil des Inhalts bevor er vor den Bettstätten angekommen war. Ein Brief flog zwischen den silbernen Ketten eines Artefakts hervor. Mit einem kurzen Blick erkannte er Irinas Handschrift. Das konnte warten.

Hastig tat er das einzige, das ihm einfiel. Er band das Nepheniel an sich selbst. Karthan war bereits außer Gefahr, doch die zusätzliche Belastung konnte durchaus gefährlich werden. Er legte Ollowyn das zweite Band an. Nichts. Kein Austausch von Energie, wie er es vermutet hatte. Erkannte das Nepheniel Ollowyn nicht weil er keinen Puls mehr hatte?

Plötzlich fiel dem großen Meister eine Lektion seines alten Lehrers ein… “Während eines Gewitters tauschen die Götter ihre Energien mit unserer Welt. Doch sei nicht so naiv zu glauben du könntest diese Energien für dich beanspruchen. Oder den Göttern die ihre nehmen. Die Energie wird von den Göttern direkt durch dich in die Welt fahren und du wirst ihre ganze Macht zu spüren bekommen.”

Iordai verglich das Nepheniel mit einem Blitz. Wenn er Ollowyn direkt zwischen die beiden Enden band, würde er die Energie genauso empfangen? Schnell entschied er, dass es besser war als nichts zu tun. Kaum hatte er das Nepheniel um den leblosen Körper des Jungen gelegt, und das andere Ende um Karthan’s Handgelenk gebunden, spürte er bereits den konstanten Zug von Energie, die seinen Körper verließ.

Schnell verlor er jegliche Kontrolle. Er sackte auf die Seite und das Artefakt entnahm seine Lebensenergie bis er ohnmächtig wurde. Beinahe entspannt driftete er ins Dunkel…

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In den vergangenen zehn Tagen hatte Marun den groben Grundstein für die Verteidigungsanlage am Pass Dunéin gelegt. Die dafür benötigten Steine wurden von den Schülern aus den Berghängen herangeschafft und bereitgelegt. Natürlich war es nicht genug für eine steinerne Verteidigungsanlage nur Steine zu stapeln. Es bedurfte auch dem richtigen Mörtel.

Glücklicherweise gab es im Tal von Ending einen Kalksteinbruch, den die Siedler hier früher benutzt hatten. Vom herausgebrochenen Kalkgestein war noch einiges übrig und Marun gedachte davon Gebrauch zu machen. Die Herstellung eines guten Mörtels dauerte geschätzte zwei Jahre. Zuerst musste das Kalkgestein zerkleinert werden. Dann wurde es unter einem großen Feuer gebrannt und zu Kalksteinpulver zerstoßen. Doch dieser Aufwand allein war nicht genug. Das Pulver wurde mit Wasser vermischt und über lange Zeit hinweg wieder und wieder gerührt und gemischt. Sobald ein guter Kalkbrei entstanden war, konnte Sand hinzu gegeben werden und der Mörtel band die Mauern fest.

Tierhaare und Stroh wurden hinzugegeben um das Bilden von Rissen zu verhindern. Solch eine Mauer war wesentlich robuster und standfester als eine wild zusammengewürfelte Steinmauer und Marun wollte so sorgfältig wie möglich arbeiten um den großen Meister nicht weiter zu enttäuschen. Endlich zahlte es sich auch aus, dass er als Kind bei der Profession seines Vaters gut zugesehen hatte.

Nun da die Planung beendet war und er Meister Zartha eingewiesen hatte wie das hölzerne Grundkonstrukt zu errichten war konnte er endlich seine Strafe antreten: das Abschleifen der Mauern, die die Schule umgaben. Er würde arbeiten, bis seine Finger bluten und seine Beine unter ihm nachgaben. Er hatte es zugelassen, dass Ollowyn stirbt. Der Junge hatte bereits gestern so tod ausgesehen, dass sich Marun nun sicher war. Er hatte ihn getötet. Durch Unaufmerksamkeit. Nachlässigkeit. Dummheit.

Eine Träne rann ihm über die Wange. Der Junge hatte so viel Talent gezeigt… Er hatte sich darauf gefreut gegen ihn zu kämpfen und ihm neues beizubringen.

Schweren Herzens machte er sich an den Abstieg. In der Ferne drang ein helles silbernes Licht aus dem Allerheiligsten.

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Thasun konnte es nicht fassen. Er hätte so etwas nie für möglich gehalten. Diese verdammten Albae! Sie hatten einfach den neu gewählten Lahn der Kórren Lahn vor den Augen aller getötet. Daraufhin hatten sie die Krone zweifellos wahllos einem der anderen Reiterlords zugeworfen, der nun Befehle gab. Es war unglaublich. Sie standen zu zweit in einer Armee von Tausenden. Töteten ihren Anführer und noch immer waren sie so sehr gefürchtet, dass sie niemand angriff.

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Während der neue Anführer die Truppen versammelte und sie um den großen, hölzernen Turm in ihre jeweiligen Gruppen aufteilen ließ, schritten die Albae auf und ab und suchten nach eventuellen Widerständlern. Neun Männer wurden ohne zu zögern getötet. Dann begann die Verbrennungszeremonie und eine gute Stunde später schlugen die Flammen gut zwölf Meter hoch.

Das Feuer, das die Leiche des Fürsten Thalor Mey vor den Toren der Stadt verbrannt hatte wurde nun offenbar für den zweiten Teil ihrer Strategie verwendet. Tausende grüne Zweige und frische Blätter wurden mit Karren in das Feuer geschmissen und die heftige Rauchentwicklung trieb eine Rauchwolke in die Richtung des östlichen Toren, der man nicht entgehen konnte. Schnell lief die Besatzung des Walls Gefahr zu ersticken, da der Smog selbst durch die kleinen Schießscharten der Bogenschützen drang und alle Innenräume verpestete. Glücklicherweise traf dies nicht auf den zweiten Wall zu, der knapp außerhalb der Reichweite dieser Rauchwolke lag.

Die Soldaten evakuierten die Mauer während einige Soldaten noch todesmutig Öl vom Festungstor kipten und es entzündeten. Sie hofften damit genug Zeit für die Verteidigung herauszuschlagen. Thasun selbst verstand dieses Manöver nicht. Die Rauchwolke blockte auch jeglichen Angriff der Kórren Lahn. Sollte sie zumindest. Doch die Reiter stürzten sich ohne zu zögern in den dichten schwarzen Rauch.

Todesmutig, auf ihre Pferde einschlagend gaben sie offenbar nichts auf ihr eigenes Leben. Dann dreht einer der Reiter ab und floh aus dem todesmutigen Angriff. Sofort spickten zwei lange schwarze Pfeile den Reiter. Die Albae hatten offenbar nur einen Ausweg gelassen. Thasun rannte auf der Mauer in Richtung Rauchwolke. Mit schweren Äxten bewaffnet kämpften sich die Männer durch den Smog und an dem Feuer, das durch das Öl vor den Toren loderte. Am Tor angekommen, erwartete sie ein kleiner Bereich der nicht brannte. Zu hunderten drückten sie auf das Tor zu, Dutzende wurden von ihren Pferden geschleudert, verbrannten in den Flammen oder wurden einfach niedergetrampelt. Thasun hatte noch nie solch einen Todesverachtenden Angriff gesehen.

Schnell fiel das schwere Holztor unter den schweren Kampfäxten. Als sich der Rauch legte stolperten nur einige wenige in die Stadt. Die meisten von ihnen schwer verwundet oder verbrannt und nur wenige mit ihren Rössern. Doch sie stoppten nicht. Sie formierten sich zu einem groben Haufen und rückten vor. Doch Thasun war schnell unter ihnen. Mit gezielten Stichen zerstörte er das jämmerliche Häufchen Elend, dass von dem wahnsinnigen Angriff übrig geblieben waren. Sofort war die Moral der Stadtgarde erneut erhöht. Nun hing alles von der zweiten Mauer ab.

“Zweite Verteidigungslinie! Legt Hinterhalte! Alle auf ihre Posten!”, schrie Zaldor Treiin, der General Kommandant. Der erste Wall war nie ein Teil der Verteidigungsstrategie gewesen. Er diente lediglich dazu so viel Zeit wie möglich zu erkaufen.

Der zweite Wall würde einem Angriff wesentlich länger standhalten, da die Tore wesentlich stärker waren. Hier würden Äxte mit großer Sicherheit Stunden brauchen um etwas anzurichten. Es dauerte einige Stunden bis sich die Rauchwolke legte und das Festungstor sichtbar wurde. Es dämmerte bereits und der Tag würde wohl bald zu Ende sein. Thasun hatte die Hoffnung, dass das Festungstor in der Nacht noch zu reparieren oder notdürftig zu flicken wäre.

Doch erneut unterschätzte er die Kriegskunst der Albae. Ein einzelner Alb hatte auf der Mauer etwas südlich Stellung bezogen und schoss erbarmungslos auf alles, das sich auf das Tor zubewegte.

Thasun wollte bereits selbst versuchen ihn zu vertreiben, doch der General hielt ihn zurück. Der Aufenthaltsort des zweiten Albs war noch unklar, und die Garnison war nicht bereit Thasun so einfach aufs Spiel zu setzen. Als die Sonne unterging, entfaltete sich der nächste Teil des Plans. Ein Pferdegespann von zehn Pferden ritt durch das Festungstor ein. Zwischen ihnen war ein massiver, gespitzter Baumstamm gespannt. Den Pferden hatte man die Augen verbunden. Auf jedem der Tiere stand jeweils ein Kämpfer, der mit einer Peitsche darauf einhieb. Von Panik getrieben, liefen sie in Todesangst direkt auf das Festungstor zu. Die Bogenschützen, die den Angriff erwidern hätten können, waren hilflos. Albische Pfeile töteten einen nach dem anderen und der Rammbock krachte wenig später mit hoher Geschwindigkeit in das Festungstor.

Pferde überschlugen sich, an den Baumstamm gespannt und schlitterten halbtot durch das halb aufgebrochene Festungstor. Drei Männer schafften es nicht rechtzeitig abzuspringen und wurden in dem Aufprall zerquetscht oder überrollt. Thasun gab sofort Befehl an alle Bereitschaftssoldaten, die Tiere zu töten und aus dem Weg zu schaffen.

Doch der nächste Teil des Angriffs folgte sogleich. Tausende Reiter ritten in die Stadt ein und deckten die Wälle mit Pfeilen ein. Der Stadtteil hinter der zweiten Festungsmauer wurde ebenso bombardiert, dort fanden sie jedoch wenig Opfer. Schnell stand fest, dass der Rammbock lediglich ein Ablenkungsmanöver gewesen war. Hunderte Belagerungsleiter, grob zusammengezimmert wurden an den Wall gestellt und jeder Reiter der über keinen Bogen verfügte, erklomm den Wall. Die, die zurück sahen oder zögerten wurden mit einem schwarzen Pfeil bestraft.

Wie von Dämonen getrieben erklommen die Kämpfer den Wall und warfen sich gegen die Verteidiger. Thasun eilte zwischen den Leitern hin und her und verteidigte einen größeren Bereich alleine um den anderen Verteidigern mehr Zeitn zu verschaffen. Er eilte im Laufschritt zwischen drei Belagerungsleitern hin und her und machte mit den Kriegern kurzen Prozess. Der gewaltige Vorteil nicht klettern zu müssen und darauf vorbereitet zu sein einen Mann von oben zu erschlagen, gepaart mit seiner eigenen Erfahrung, machte es unmöglich für die Reiter, in dem ungewohnten Gelände siegreich zu sein.

Thasun verlor sich in einem Blutrausch, in dem er seine Kräfte einteilte und stetig seinen Teil der Mauer verteidigte. Etwa eine halbe Stunde später taten sich Lücken in der Linie der Verteidiger auf und einige Stellen entwickelten sich zu einem Problem. Thasun befahl einige ausgeruhte Soldaten zu sich um seine Position zu sichern, bevor er dazu überging die kritischen Stellen zu säubern. Doch das stellte sich als schwierig heraus. Schwarze Pfeile zielten immer wieder auf ihn, offenbar hatten die Albae bemerkt, dass der Schwertmeister einer der wichtigsten Verteidiger war. Thasun wandte seine Konzentration zum Großteil an um nicht von den perfekt gezielten Pfeilen getroffen zu werden. Mehr als einmal musste er sich fallen lassen oder nach vorne tauchen. Doch die Verteidiger waren in der lage die beinahe verlorenen Stellungen zu halten, wenn Thasun durch die Angreifer brach.

Doch auch die zweite Mauer fiel nur eine Stunde später. Das Tor hatte in dem chaotischen Angriff auf die Mauern nicht rechtzeitig repariert werden können, der einsatz eines weiteren Rammbocks hatte die Stellung hier gebrochen und hunderte Reiter strömten in den nächsten Stadtteil. Kaum angekommen, fingen diese an alle Häuser in Brand zu setzen und die Sandrei den Flammen zu übergeben. Die Verteidiger zogen sich über den Wall zurück zum westlichen Teil der Stadt, von dem aus man sich durch die unvorbereiteten einzelnen Brandstifter schlug und durch das Festungstor in die Innere Stadt gelassen wurden. Hier wurde die Verteidigung Sandreis bereits zu einem größeren Problem. Die Festungsmauern waren hier wesentlich niedriger und boten weniger Schutz vor Bogenschützen.

Thasun jedoch zog sich nicht zurück. Er war in dem Chaos in die äußere Stadt hinab gestiegen und bereitete sich darauf vor den Alb zu stellen, der seit Stunden mit dem Bogen auf die Verteidiger schoss. Je länger dieser am Leben blieb, desto schlechter stand es um die Verteidigung von Sandrei. Thasun hielt sich so unauffällig wie möglich und lief im Schatten von Häusern wo er konnte. Das allgemeine Chaos, dass die unzähligen Brände anrichteten, arbeitete für ihn. Der Schwertmeister begegnete lediglich einem Fackelträger, den er schnell und gnadenlos tötete.

Dann stand er endlich vor ihm. In glänzend schwarzer Rüstung und einem dunklen Langbogen in der Hand, saß der Alb auf seinem Nachtmahr. Das mutierte Einhorn drehte sich in Thasuns richtung und leuchtend rote Augen starrten ihn an. Leichter Rauch trat aus seinen Nüstern. Das Spitzohr nahm seinen Durássiumhelm ab und betrachtete ihn aus schwarzen Augenhöhlen. Thasun musste blinzeln. Er war schön für einen Mann, beinahe unnatürlich. Makellose helle Haut und wären die dunklen tiefschwarzen Augenhöhlen nicht gewesen würde er mit Sicherheit nicht so abschreckend wirken.

“Ah. Der Schwertkämpfer. Bereit zu sterben? Du kämpfst gut… für einen minderen... Menschen.” Der Alb saß von seinem Ross ab und zog eine lange und dünne, schwarze Klinge. “Doch du solltest nicht hier sein, sondern dort.” Er wies zum Bollwerk, das die Thalor Familie ihr Eigen nannte.

Flammen schlugen bereits aus den Fenstern. “Nun ist es zu spät.” Eine neue Stimme ertönte hinter ihm. Der zweite Alb, eine Frau, schritt seelenruhig an ihm vorbei. In ihren Händen hielt sie drei Köpfe. Irina and Harlen Thalor. And the commanding general Zaldor Treiin.