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Kapitel 18

Ollowyn erwachte wie immer früh. Die Sonne kündigte sich gerade erst am Horizont an, als der junge Schwertkämpfer sich erhob. Er trat aus dem Schuppen in dem er sein Lager aufgeschlagen hatte und betrachtete seine Umgebung. Die ersten Sonnenstrahlen fielen allmählich auf den Trainingsplatz zwischen den Gebäuden des Iordai Clans und man konnte die Tautropfen in dem großen Garten rundherum glitzern sehen.

Ollowyn trat barfuß in das kühle Gras und zog seine Klinge. Er genoss das Gefühl wie seine Füße durch das Gras glitten und ließ Silberschwalbe langsam schwingen, während er in Zeitlupe verschiedene Angriffshaltungen und Verteidigungsstellungen durchging.

Schneller und schneller wurden seine Routineübungen und schon kurz darauf ging Ollowyn dazu über die 128 Mondblüten zu üben.

Bisher hatte er es nicht geschafft auch nur einen einzigen Schlag durchzuführen. Es gelang ihm zwar Korduí und Zenzen hintereinander auszuführen, doch der Übergang fühlte sich falsch an und Ollowyn wusste, dass er viel zu langsam war.

Doch er fühlte eine leichte Verbesserung mit jedem Tag und er konnte es kaum erwarten diese Technik zu beherrschen.

Als sich die Türen des größten Hauses eine Stunde später öffneten, in dem der Großteil der Schüler residierte, beendete Ollowyn sein Training. Er war bereits zu spät dran, denn der große Meister hatte ihm ausdrücklich befohlen beim ersten Tageslicht zu erscheinen.

Ollowyn beeilte sich zum Allerheiligsten und stellte sicher dass keine Schweißperlen auf seinem Gesicht sichtbar waren, bevor er eintrat.

Glücklicherweise war der alte Mann tief in Meditation versunken. Leise schlich sich Ollowyn in den Raum und ließ sich im Schneidersitz nieder. Sofort begann er damit zu meditieren. Mit etwas Glück würde es kla-

“Hast du verschlafen?” Ertönte die entspannte Stimme des großen Meisters.

Ollowyn verneinte sofort: “Nein, Meister. Ich bin schon einige Zeit hier und meditiere.”

Er ignorierte die Sandale die ihn hart an der Schulter traf und führte seine Meditation fort.

“Wie dem auch sei.” Grummelte der alte Mann. “Lord Enguràl aus dem Hause Irtó hat uns einen Brief geschrieben. Er wünscht von mir, dass ich mit meinem Nachfolger nach Rukbrick reise und wir unsere Treue gegenüber Zenshin schwören.”

Ollowyn öffnete seine Augen und betrachtete den großen Meister, der diesmal offenbar gar nicht dazu aufgelegt war, Späße zu treiben. Es schien wichtig zu sein.

“Meister… Ihr wollt nicht dorthin?” Ollowyn verstand nicht, wovor sich Ritto Iordai fürchten sollte. Er war der mächtigste Krieger den er je gesehen hatte und von den Geschichten die er bisher gehört hatte gab es wenige die ihm ebenbürtig waren.

“Nein.In der Vergangenheit habe ich diesen Besuch stets aufgeschoben indem darauf verwiesen hatte, dass ich nur einem König von Zenshin folgen würde. Doch Lord Enguràl macht es ziemlich klar, dass er sich demnächst zum Herrscher erklären würde. Offenbar hat er seine Position unter den Fürsten nun genügend gestärkt.”

Ollowyn verstand wenig von Politik. Doch es war unverständlich für ihn wie man sich jemandem unterwerfen konnte der schwächer war als man selbst. Er überlegte kurz bevor er sprach. “Wenn wir ihn nicht mögen, müssen wir ihm ja keine Treue schwören? Wir können auch wieder gehen? Er könnte euch nicht aufhalten Meister.”

Der alte Mann betrachtete ihn lange aus müden Augen. Dann nickte er. “Wir werden sehen. Alles hängt davon ab, wie warm man dich als Valurén empfängt. Es könnte sehr gut sein, dass wir uns an diesem Tag mehr Feinde machen als wir ohnehin bereits haben.”

Ollowyn nickte. “Okay. Was machen wir heute?” Der große Meister hatte ihn in den vergangen Tagen Atemübungen gelehrt und Ollowyn konnte es kaum erwarten etwas neues zu lernen das nicht vollkommen langweilig war.

“Nichts, für heute. Zumindest kein Training. Du wirst mein Nachfolger werden, Ollowyn. Was denkst du beinhaltet das?” Der alte Mann betrachtete ihn ruhig.

Ollowyn überlegte kurz. “Wir trainieren Schüler damit sie für uns kämpfen? Ich würde den Clan leiten und viele Schüler ausbilden um den Iordai Clan in jede Ecke der Welt zu verbreiten!”

Iordai schüttelte den Kopf. “Du verstehst nicht, Ollowyn. Es ging mir nie darum. Als ich mich hier im Tal niedergelassen hatte, haben sich einige Bauern angeschlossen, die ein besseres Zuhause gesucht haben. Ich konnte sie verteidigen, wenn ihnen Gefahr drohte und im Gegenzug gaben sie mir zu essen und zu trinken. Mir ging es nur um einen ruhigen Platz um meine Schwertkampfkunst zu verbessern.”

Ollowyn lauschte der Geschichte ruhig. Es war interessant zu hören was früher gewesen war, in einer Zeit lange bevor er in seinem Rudel aufgewachsen war.

“Die Schüler kamen mit der Zeit. Thasun war einer der ersten. Er war wild. Beinahe so wild wie du.” Der alte Mann lachte leise. “Obwohl du bisher der klügere von euch Beiden bist. Du verursachst mir auch keine unnötigen Schwierigkeiten. Ich habe alle Schüler aufgenommen die gekommen sind. Natürlich habe ich auch einige Schüler rausgeworfen, die sich nicht gefügt hatten. Einige der ersten Schüler haben nach einigen Jahren ihr Glück in Zenshin versucht und ich habe noch regelmäßigen Kontakt zu ihnen. Aber Ollowyn, das ist nicht das worauf du dich in Zukunft konzentrieren solltest. Dazu habe ich Marun und Karthan. Auch ohne Thasun wird unser Clan lange fortbestehen.”

Ollowyn unterbrach ihn. “Aber wenn nicht das, was dann? Ich bin nur gut darin zu kämpfen?”

Der Junge sah besorgt aus und Ritto Iordai verstand dieses Gefühl nur zu gut. Er war ein wildes Biest. Wie Thasun Torréi. Wie der alte Meister selbst. Seufzend versuchte er ihn zu beruhigen.

“Ollowyn, ich bin noch am Leben. Du wirst nicht sofort damit anfangen müssen meine Stelle einzunehmen. Zuerst wirst du lernen müssen.”

Ollowyn sah mit einem Schlag weniger besorgt aus. “Lernen?”

“Die Menschen in diesem Tal verlassen sich auf den Iordai Clan. Wir verteidigen sie und das ist stets das Wichtigste. Wir beschützen die Frauen und Kinder, die Alten und Schwachen. Das ist unsere Aufgabe. Doch die meiste Zeit ist es nicht Krieg oder eine Räuberbande, die unsere Bewohner bedrohen. Meist ist es der Winter.”

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Ollowyn nickte. Es war ein Konzept, das er sofort verstand. Es war nicht selten, dass ein Mitglied eines Wolfsrudels hungerte. Und die Winter waren hart und kalt. “Ich weiß. Es hat einen Winter gegeben, in dem unser Rudel beinahe verhungert wäre.”

Iordai blinzelte. Er hatte für einen Moment vergessen wie der Junge aufgewachsen war. Offenbar war es nicht notwendig diesen Punkt fest in seinen Gedanken zu verankern. Er war bereits vorhanden. Festgenagelt von Jahren des Überlebens.

“Du verstehst diese Gefahr vermutlich besser, als die meisten Menschen in diesem Tal. Wir haben gerade einen milden Winter hinter uns und die Flüchtlinge, die wir aus Zenshin aufgenommen haben, wurden mit Nahrungslieferungen durch den Winter gefüttert. Zenshin hat diese Verantwortung übernommen. Doch nun liegt diese Aufgabe bei uns.”

Ollowyn runzelte die Stirn. “Wir müssen eine Möglichkeit finden alle zu ernähren? Wie sollen wir das machen? Es leben nun fast doppelt so viele Menschen hier.”

Ritto Iordai nickte. “Richtig. Bisher haben die Menschen im Tal von Ending von Nutzvieh gelebt und Gemüse angebaut. Das Tal ist fruchtbar, doch nur wenig Land ist wirklich nutzbar. Der Wald ist groß, ich bin mir sicher du hast ihn bereits erkundet. Wir können kein Getreide anbauen, ohne neues Land zu schaffen.”

Ollowyn wirkte unzufrieden. “Können wir nicht einfach jagen? Es gibt genug Wild. Ich jage nur kleinere Tiere, doch ich habe oft größere gesehen.”

Ritto Iordai schüttelte den Kopf. “Auf Dauer ist die Jagd nicht zuverlässig genug. Fleisch hält nicht ewig und wir können nicht sicher sein immer etwas zu erlegen. Es wird unsere Notlösung wenn der Winter hereinbricht, doch jetzt müssen wir alles daran setzen das Land zu vergrößern um Getreide anzubauen. Getreide kann man lange lagern ohne dass es verdirbt, Ollowyn.”

“Aber es wird eine lange Zeit dauern, bis wir genügend Land geschaffen haben. Wie können wir alle ernähren, wenn die Pflanzen im Winter sterben?” Ollowyn legte den Kopf schief. “Wie lange dauert es überhaupt bis Getreide geerntet werden kann?”

Iordai lächelte. Der Junge war nicht blöd. Doch was Iordai im Sinn hatte, konnte er nicht wissen. Der Junge hatte noch keine Ahnung wie die Welt funktionierte. “Ich weiß leider nicht wie lange es dauert bis Getreide fertig gewachsen ist. Das ist etwas, womit ich mich mein ganzes Leben lang nie beschäftigen musste. Doch selbst wenn wir nichts anbauen können, werden wir es trotzdem schaffen alle zu ernähren. Und der Hauptgrund dafür ist… Handel.”

“Handel?” Ollowyn hob eine Braue. Er mochte keine Händler. Als er von Thasun gerettet worden war, hatte ein Händler versucht ihn auszuliefern. Zu töten.

“Wir schaffen neues Land indem wir den Wald roden. Das Holz, dass wir davon bekommen werden wir verkaufen können. Es wird uns genug Gold einbringen um das nötige Getreide zu kaufen, wenn es sein muss.Es wird mit Leichtigkeit reichen und wir werden genügend Holz übrig haben um neue Häuser und Gebäude zu errichten.”

Ollowyn überlegte. “Ich habe einmal einen Baum gefällt. Kann ich helfen?”

Der alte Meister lächelte, bevor er eine Axt hervor holte. Sie war aus Durakstahl geschmiedet. “Natürlich. Was denkst du wer alle Bäume fällen wird?”

Als Ollowyn begeistert den Stil aus Eichenholz ergriff, ließ der alte Meister nicht los.

“Doch zuvor werde ich dir eine neue Technik beibringen. Es ist eine Technik die Karthan entwickelt hat.” Der alte Meister hatte einen stolzen Gesichtsausdruck. Es war klar ersichtlich wie stolz es ihn machte, wenn seine Schüler etwas entdeckten, woran er nie gedacht hatte. “Es ist nicht die beste Technik, da sie ein Schwert sehr oft unbrauchbar macht, doch für eine Axt oder eine stumpfe Waffe wie einen Streitkolben ist die Technik äußerst brauchbar.”

Ollowyn nahm die Axt entgegen, und folgte dem alten Meister nach draußen. Es entwickelte sich sofort aufgeregtes Geflüster, als Ritto Iordai zum ersten Mal seit Jahren das Freie betrat und von den Schülern des Clans gesehen wurde. Ollowyn grinste Mephian zu und winkte mit seiner Axt.

Dann sprach der alte Meister mit einem einzigen Satz auf die Mauer des Anwesens. Ollowyn schluckte. Es war nicht mehr so einfach die Mauer zu erklimmen wie früher. Sie war nun glatt und knapp drei Meter hoch. Er spannte seine Muskeln an und bewegte sich mit Korduí auf die Mauer zu, sprang so hoch er konnte und stieß sich mit einem Fuß an der viel zu schlüpfrigen Mauer ab, bevor er die Axt an der Mauerkante einharkte und sich mühsam hochzog.

Er bewunderte den alten Meister, der es mit Leichtigkeit geschafft hatte. Er war viel kleiner als Ollowyn und schaffte diesen Sprung mit spielerischer Leichtigkeit. Dann folgte er dem Sprung von Iordai auf die Straße dahinter, und die beiden spazierten in die nahegelegenen Wälder.

“Was ist die neue Technik?” Fragte Ollowyn ungeduldig. “Wie funktioniert sie?”

Der alte Meister stoppte an einem kleinen Baum und nahm sich einen soliden Stock der an Waldboden lag. “Gib genau Acht. Ich erkläre es später.”

Der Körper von Ritto Iordai spannte sich an. Ollowyn konnte die Muskeln erkennen die an seinem Arm arbeiteten. Er schien seine ganze Kraft auf nur eine Körperhälfte, nein einen Arm zu fokussieren. Es war ganz anders als die üblichen Techniken, die der Iordai Stil lehrte. Es waren für gewöhnlich Techniken, die ihre Kraft aus Schnelligkeit und Geschick zogen.

Diese Technik wirkte… brutal. Die Aura des alten Mannes, die sich für gewöhnlich überwältigend anfühlte, war nun ein Biest. Unberechenbar. zerstörerisch. Ollowyn trat unterbewusst einen Schritt zurück. Es fühlte sich an als würde der alte Meister zubeißen wollen.

Dann schlug der große Meister weit ausholend zu. Der Ast in seiner Hand splitterte als er auf den Baumstamm traf, doch dem Baumstamm ging es nicht besser. Das Holz drückte stark ein und Rinde splitterte ab. Es sah weniger beeindruckend aus, als Ollowyn erwartet hatte. Der alte Meister hätte genauso zehnmal normal zuschlagen können um den gleichen Effekt zu erzielen.

Er runzelte die Stirn. “Das ist alles?”

Der alte Meister knurrte ihn an und Ollowyn wich erneut einen Schritt zurück. “Die Möglichkeit in einem Kampf überwältigende Kraft auszuspielen kann oft entscheidend sein. Besonders, wenn man nicht mit einem Katana kämpft sondern mit einem Streitkolben oder einer Axt. Mit dieser Technik könntest du den Arm eines Mannes durch den Schild brechen.”

Ollowyn nickte. “Entschuldigt, Meister. Wie funktioniert diese Technik? Hat sie einen Namen?”

Ritto Iordai nickte und streckte die Hand nach Ollowyns Axt aus. “Sie heißt Arrágatâ.”

Ollowyn prägte sich den Namen ein und übergab dem alten Meister die Axt. Er würde Karthan danach fragen, wenn er das nächste Mal ins Dorf ging. Und es gab immer gutes Essen bei Alissa. Noch ein Grund vorbeizuschauen.

“Bei Zenzen benutzt du deine Beine um die Kraft deines Schlages weiterzuleiten. Dabei hilft dir Geschwindigkeit. Hier benutzt du deinen gesamten Körper. Du sammelst so viel Kraft du kannst und lässt diese nach einem Moment blitzartig los. Es ist nicht so einfach, aber du wirst genügend Zeit haben zu üben.”

Ollowyn beobachtete den nächsten Schlag seines Meisters, der die Axt klar durch den gesamten Baumstamm zog und den Baum fallen ließ. Es war nicht der größte Baum, doch ihn mit nur einem Schlag zu fällen war dennoch beeindruckend. Dann überreichte Ritto Iordai ihm erneut die Durakstahl Axt.

“Wie du siehst ist die Axt nicht beschädigt. Eine normale Stahlaxt würde mit Sicherheit einige Scharten aufweisen. Gib acht auf den Stiel. Es kann sein, dass dieser über kurz oder Lang abnutzt und der Axtkopf eines Tages davonfliegt. Wenn du das Gefühl hast, dass die Axt locker wird, benutz die neue Technik nicht und lass deine Axt reparieren.”

Ritto Iordai drehte sich von dem gefällten Baum weg und ging den Weg zur Straße zurück. “Komm Ollowyn. Wir machen einen Spaziergang. Es tut gut mal wieder nach draußen zu gehen.”

Ollowyn tat wie ihm befohlen wurde und folgte seinem Meister. Doch bevor die beiden das erste Haus des Dorfes erreichten blieb der alte Mann stehen. Er gab Ollowyn einen Brief mit einem Namen bei den er sich melden sollte und kehrte zurück zum Anwesen.

Ollowyn sah dem alten Mann nachdenklich nach. Aus irgendeinem Grund mochte er es nicht draußen zu sein oder gesehen zu werden. Was wohl der Grund dafür war? Er blieb mehrere Minuten nachdenklich stehen und machte sich dann auf den Weg ins Dorf. Mit etwas Glück könnte er noch ein Frühstück bei Alissa und Karthan bekommen.