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Kapitel 6

Karthan Cr’Axsun, der vierte Meister des Iordai Clans, stand auf der Mauer, die sein Zuhause umschloss. Er blickte in Richtung Dorf und rätselte darüber, wie oft die Meister noch Wache stehen mussten, bevor der große Meister zufrieden war. Neunzehn Nächte hintereinander hatten sie Wache gehalten. Ohne besondere Vorkommnisse.

Das schlimmste das passiert war, waren zwei Füchse die sich in einen Hühnerstall des Dorfes eingeschlichen hatten. Doch die Meister hatten zwei Schüler geschickt um das Problem zu beseitigen und seither war nichts mehr geschehen. Karthan sehnte sich danach sich Abends ins Dorf zu schleichen um Alissa zu sehen. Die junge Frau liebte ihn und er liebte sie.

In einigen Tagen würde er den großen Meister darum bitten aus seinen Diensten entlassen zu werden. Dann könnte er endlich um ihre Hand anhalten. Für sie da sein. Doch dieser endlose Wachdienst schien dem alten Meister sehr wichtig zu sein und Karthan würde seine Kameraden nicht einfach im Stich lassen. Immerhin würde es noch genug Gelegenheiten dazu geben sie zu sehen.

Verträumte dachte er an den Abend vor wenigen Tagen, als Alissa ihn besucht hatte. Unter dem Vorwand etwas wegen der Plaketten für die Schüler zu besprechen, hatten sie sich im Waffenraum geliebt. Umgeben von den schönen Schwertern und anderen Waffen des großen Meisters hatte sich Karthan ihr hingegeben. Und er würde es wieder und wieder tun. Ein Wort seiner Geliebten würde genügen und er würde seine Waffe für immer ablegen. Als er noch jünger gewesen war, hätte er nie gedacht, dass ihm jemals etwas wichtiger sein könnte als der Weg des Schwerts.

Tag für Tag war er hin und hergerissen zwischen dem Gedanken alles stehen und liegen zu lassen, zu desertieren und zu ihr zu gehen, und seiner Pflicht, Ehre und dem Umstand, dass er seine Schüler beschützen wollte. Nervös spielte er mit dem Griff seines Schwertes. Die dunklen Umrissen des längst schlafenden Dorfes lagen vor ihm. Und damit auch die Umrisse des Handwerkshauses. Er spielte mit dem Gedanken, Marun und Zartha darum zu bitte einen “Rundgang” machen zu dürfen.

Eine Stunde würde reichen um sie zu sehen. Sie zu spüren. Ihre Lippen auf den seinen zu fühlen. Sein Körper verlangte danach. Angespannt zog er seine Klinge und vollführte einige Schwertbewegungen um auf andere Gedanken zu kommen. Nach einiger Zeit reflektierte seine Klinge etwas. Verwirrt suchte er nach dem Ursprung. Ein Licht brannte im Dorf. Um diese Zeit? Karthan verstaute sein Katana und versuchte genaueres zu erkennen. Seine Augen waren nicht die Besten. Auf große Distanz konnte er nicht immer alles erkennen.

Karthan beschloss um Hilfe zu rufen. “Marun!” Der zweite Meister des Iordai Clans, der vorhin im Halbschlaf ein einer Hausmauer gelehnt und Ollowyn im Auge behalten hatte, war schnell hellwach. Ein kurzer Sprint und ein eleganter Sprung, gefolgt von einem kurzen Klettergriff und er stand neben Karthan auf der Mauer. “Was ist los?” Karthan wies Richtung Dorf.

“Schleicht dort jemand rum? Ich habe vorhin ein Licht gesehen.” Karthan kratzte sich an seinem Bartansatz, bevor er fortfuhr. “Denkst du es sind wieder Banditen und Räuber im Tal?” Marun starrte ins Dorf. “Nein, die würden nicht einfach einbrechen. Meist stehlen Banditen Vieh. Aber im Dorf war bisher immer alles ruhig. Das Licht sieht auch nicht aus wie eine Fackel.”

Karthan runzelte die Stirn. “Was könnte es sonst sein?” Im selben Moment brachen Flammen aus dem Dach des Gebäudes. Das Haus des Handwerkers brannte. “Oh, Scheiße. Es brennt, Karthan! Ich melde es Meister Iordai. Warte hier auf mich!” Karthan wollte noch etwas erwidern, doch schon war Marun von der Mauer gesprungen und auf dem Weg ins Allerheiligste. Verzweifelt starrte Karthan in Richtung Dorf. Alissa.

Alissa war noch dort! Was, wenn sie sich im Haus aufhielt? Wenn ihr etwas zustieß? Karthan wollte keine Sekunde warten. Er rief Mephian zu sich und erteilte ihm den Auftrag zwanzig der Schüler zu nehmen und ins Dort zu laufen um mit dem Löschen zu helfen. Der Rest sollte antreten und auf die Befehle von Marun hören. Dann rannte er los, ohne auf Mephian zu warten. Es war zu wichtig. Er konnte Alissa nicht im Stich lassen!

Er lief den Pfad entlang, dem Dorf entgegen und schnell war er am ersten Haus. “Feuer! Es brennt! Es brennt!”, schrie er aus voller Lunge. Die Bewohner begannen zu erwachen und zur Hilfe zu eilen. Kurz darauf stand er vor dem lichterloh brennenden Gebäude. Die Flammen schlugen bereits aus dem ersten Stock! Dort schlief Alissa und ihr Vater! Ohne zu zögern riss Karthan einen Eimer zu sich und übergoss sich mit Wasser. Dann trat er die Tür des brennenden Hauses ein und lief nach innen.

Eine schwarze Rauchwolke schlug ihm entgegen. Sofort hielt er instinktiv seinen Atem an und schloss die Augen. Einen Moment später öffnete er sie erneut und war endlich in der Lage das Esszimmer zu sehen. Dort lag Alissas Vater auf dem Boden. Bewusstlos. Schnell griff er ihn und rannte aus dem Haus. Dort angekommen, überreichte er den leblosen Körper einem Helfer und übergoss sich erneut mit Wasser.

Seine Haut wusste die erneute Kühlung zu schätzen, die Hitze hatte ihm bereits zugesetzt. Erneut sprang er wagemutig ins Feuer, schlug sich durch das halb brennende Esszimmer zur Treppe durch. Dort angekommen war das kühle Nass auf seinem Körper bereits erneut verdampft und die Hitze stach auf der Haut. Nichts desto trotz rannte er nach oben und trat die Tür zu Alissas Zimmer auf. Flammen schlugen ihm entgegen. Das Zimmer würde in kürze Asche sein. Ein leeres Bett.

Sofort trat er wieder nach draußen, schützte sein Gesicht hilflos mit dem Arm vor den Flammen und trat die Tür zum Arbeitszimmer auf. Seine Kleidung fing an zu brennen als ihm erneut Flammen entgegen schlugen. Hinter ihm stürzte ein Teil des Daches ein. Der noch immer brennende Dachbalken versperrte den Weg zurück. Todesmutig stürzte sich Karthan ins Arbeitszimmer, blickte sich kurz um und riss sich den brennenden Umhang vom Leib. Das schwere Kettenhemd darunter war wie ein Kochtopf!

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Ihm lief die Zeit davon. Er konnte Alissa nirgends erkennen. Verdammt. In einem verzweifelten Versuch dem Feuer zu entgehen sprang er aus dem Fenster, das komplett in Flammen stand. Einen kurzen Fall später schlug er hart vor dem Haus auf. Sofort wurde er mit Wasser übergossen. Der Schmerz bedeutete ihm zu ruhen. Doch er rang ihn nieder. Alissa. Wo war sie? Er musste sie finden. Er kämpfte sich ächzend hoch, sein Bein und mindestens eine Rippe fühlten sich gebrochen an.

Seine Haut prickelte unangenehm. Dann öffnete er die Augen. Vor ihm stand Alissa. Erleichterung überkam ihn. Sie war sicher! Nichts hätte Karthan in diesem Moment glücklicher gemacht. Sofort wich die Anspannung aus seinem Körper und er hörte nicht mehr ihre Worte, als er nach vorne kippte und in Dunkelheit versank.

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Arryn wartete die Reaktion des Schwertschule ab. Wie zu erwarten war, war der Schwertkampfmeister, der eine Frau im Dorf hatte sofort zu dem Brand gelaufen und hatte versucht ihr beizustehen. Es hatte sich gelohnt auf diese Vermutung zu setzen. Doch zu seiner Begeisterung kam es noch besser. Gut fünfzehn bis zwanzig Schüler verließen ebenfalls die Sicherheit ihres Zuhauses und liefen Richtung Dorf.

Soweit lief alles bereits besser als geplant. Arryn wartete noch kurz, bis die letzten Schüler im Dorf waren, dann aktivierte er die Fallen indem er die Sicherungsdrähte zog. Würden der Schwertmeister oder seine Schüler kurzfristig zurückkehren wollen, würden diese das Ganze zumindest etwas verlangsamen und Arryn Zeit kaufen. Ein letzten Mal prüfte der Assassine den Sitz seiner Waffen und zog eine kleine, weiße Kugel hervor. Karrik-Nam, eine explosive Perle, die sich durch Ausübung von Druck aktivierte.

Doch sie war keineswegs tödlich. Arryn streckte seine Beine erneut und dehnte sich, das lange Warten hatte ihn steif werden lassen. Dann lief er im Schutz der Dunkelheit zur Mauer. Seine tiefschwarze Kleidung und die dunkle Gesichts- und Körperbemalung ließ ihn eins werden mit der Nacht. Schnell war er an der Mauer und kletterte geschickt nach oben. Innerhalb der Schwertkampfschule herrschte rege Ordnung.

Schüler liefen aufgeregt zu einem Sammelplatz an dem ein Meister Befehle rief. Doch sein Ziel verharrte mit einem der Meister im Garten. Es war zu einfach. Er musste beinahe lachen. Arryn hatte geplant den Jungen in der Aufregung, die durch den Brand im Dorf entstanden war zu finden und zu töten. Der Assassine zuckte mit den Achseln. So isoliert wie er nun war, könnte es einfacher nicht sein. Er warf das Karrik-Nam den beiden entgegen und sprang hinterher. Kopf voraus tauchte er hinab und rollte sich geschickt ab. Genau in diesem Moment explodierte die kleine Kugel.

Das grelle, weiße Licht blendete alles in der unmittelbaren Umgebung. Arryn war sich dessen besser bewusst als seine Opfer und hatte sich so abgerollt, dass das blendende Licht genau seinen Rücken traf. Dann zog er in fließender Bewegung seine beiden vergifteten Klingen und richtete sich auf. Die Kurzschwerter waren äußerst dünn und leicht.

Bestrichen mit einem Gift, bei dem ein einzelner Tropfen reichte um einen Menschen innerhalb von Stunden zu töten, wurde jeder Kratzer zu einem absoluten Todesurteil. Aus seiner schwungvollen Bewegung heraus tauchte Arryn unter einem Schlag des Schwertmeisters hindurch, der scheinbar blind auf ihn gezielt hatte und attackierte das Kind mit zwei Stichen.

Doch Ollowyn sprang instinktiv zurück und riss sein Trainingsschwert hoch. Hätte er eine Holzschwert oder eine echte Klinge gehabt, hätte er auch erfolgreich geblockt. Doch eines der dünnen Schwerter stach direkt durch das weiche Bambus und ritzte in die Schulter von Ollowyn. Arryn war erstaunt über die schnelle und nahezu blinde Reaktion und setzte sofort nach. Ein weiterer Schnitt zog sich über die Wange des Jungen, während das Bambusschwert dem Assassinen schwer ins Gesicht schlug.

Schnell wandte Arryn sich um und rannte auf die Mauer zu um das Weite zu suchen, doch die Klinge des Schwertmeisters hieb schwer gegen seine Schulter. Ein tiefer Schnitt entstand und mit einem kaum hörbaren Fluch kletterte er über den Rand der Mauer. Oben angekommen riss ihn etwas schmerzhaft über die Mauer. Sich erneut geschickt abrollend begann er so schnell es geht zu rennen, den Pfeil in seiner Schulter ignorierte er dabei.

Noch fühlte er den Schmerz kaum, das Adrenalin tat Wunder. Er musste sich jedoch beeilen. Mit solchen Wunden würde er eine Blutspur hinterlassen und wenn er nicht vor seinen Verfolgern am Pass Dunéin ankam, war er so gut wie tot, denn es gab keinen anderen Weg aus dem Tal von Ending. Zum Glück war nur seine Schulter verletzt worden und seine Beine trugen ihn mit gewohnter Leichtigkeit.

Ein Blick in Richtung Dorf offenbarte etwas erfreuliches. Die Fallen hatten ausgelöst und einige Schüler waren in hunderten feinen Drähten gefangen. Es würde noch mindestens eine Stunde dauern bis sie sich aus diesem Labyrinth aus Stahlfäden befreit hatten. Arryn beschleunigte sein Tempo und hielt auch nicht an um zu sehen wer ihn verfolgte.

Von diesem Zeitpunkt an war sein Auftrag praktisch erfüllt. Das Kind würde sterben, dessen war er sich sicher. Die Reaktionszeit des Kindes zeigte erneut, wie wichtig es war diesen Auftrag auszuführen. Es war so jung und dennoch schon so geschickt! Doch nun ging es nur noch darum sein eigenes Leben zu retten um Valuan noch öfter dienen zu können. Arryn Nachtklinge hatte es bereits dutzende Male geschafft und ihm Laufe seines Lebens mehr und mehr Wert darauf gelegt vorbereitet und gut trainiert zu sein.

Die Wunden waren außerhalb seines Plans, doch unvermeidbar gewesen. Diese Schwertmeister besaßen wahrlich erstaunliches Talent. Doch die Verfolgung würden sie nicht aufnehmen können. Arryn war ein sehr ausdauernder und schneller Läufer. Er würde eher an seinem Blutverlust sterben, als dass er aufhören würde zu laufen. Der Pass kam schnell näher und die Flucht verlief ohne Zwischenfälle.

Er konnte es kaum erwarte die Falle am Pass zu aktivieren und sich endlich den verhassten Pfeil aus der Wunde zu ziehen, die nun höllisch schmerzte. Dann könnte Arryn sich endlich in die Wälder schlagen und damit unsichtbar werden. Am Pass angekommen verharrte er kurz, sah sich um und zog dann den Pfeil aus der Wunde. Niemand verfolgte ihn. Er lächelte zufrieden. Ein voller Erfolg.

Der Assassine schnitt ein langes Stoffband von seinem Umhang und verband die Wunde provisorisch mit einem Druckverband. Der Schmerz ließ ihn leicht stöhnen, doch er biss die Zähne zusammen und zwang sich weiterzumachen. Dann trat er zu der Falle um sie zu aktivieren.

Doch als er näher trat, passierte das undenkbare. Ein leises Klicken ertönte und die Falle wandte sich gegen ihn. Der Mechanismus ließ einen dünnen Baumstamm aus der Halterung schießen die er selbst gebaut hatte und warf ihn mit einem äußerst schmerzhaften Aufprall gegen eine der Steinstatuen. Wie war das möglich? Er hatte die Falle doch nie aktiviert? Was war geschehen?

Dann bemerkte er die Schritte die sich vom Eingang des Passes her näherten. Natürlich! Jemand hatte das bereits an seiner Stelle getan und auch die Richtung in der die Falle auslöste verändert. Mit mehreren gebrochenen Rippen und einem Arm, der einen offenen Bruch vorwies, kniete sich Arryn auf und zog eines seiner dünnen Kurzschwerter. Ein vergeblicher Versuch Widerstand zu leisten.

“Dritter Iordai Stil. Dämonenjagd.” Sein Gegner schnellte nach vorne, an ihm vorbei und die dunkle Klinge eines Katanas beendete das Leben von Arryn Nachtklinge. Enthauptet fiel sein Kopf zu Boden.

Thasun Torreí seufzte. Konnte er sein Zuhause wirklich nie verlassen, ohne dass es niederbrannte???!