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Kapitel 1

Das Kind starrte ermüdet in die Ferne. Hätte er diese fette Eidechse vor einer Stunde doch bloß erwischt! Seit Tagen plagte ihn der Hunger, denn die ihm fremde Umgebung hatte es wesentlich erschwert Beute zu machen. Als er Teil des Rudels war, hatte er an schlechten Tagen an der Beute seiner Familie teilgehabt. Nun blieb er hungrig. Schwach.

Doch am Horizont erkannte er Lichter. Sie würden Antworten geben. Vielleicht konnte er dort auch Beute machen? Einem anderen Rudel das Futter abjagen? Diebstahl war ihm nicht fremd. Wer sich im Rudel nicht durchsetzt, fraß als letzter. Oder blieb hungrig.

Mit knurrendem Magen und eisernem Willen kämpfte er sich einige tausend Meter weiter, bevor ihm schwarz vor Augen wurde. Er sackte auf die Knie und wurde ohnmächtig. Er bemerkte nicht mehr wie sein Kopf auf der staubigen Straße aufschlug.

Auch den wandernden Schwertkämpfer bemerkte er nicht als dieser ihn von der Straße auflas und Richtung Dorf trug. Als das Kind Stunden später im ersten Stock eines Gasthofs erwachte, eingemummt in warme Decken, wusste er zuerst nicht wo er sich befand. Doch Verwirrung wich nur zu schnell um seinen Instinkten Platz zu schaffen. Fremde Menschen standen rechts von seinem Bett und redeten miteinander. Als ihre Blicke auf ihn fielen sprang das Kind aus dem Bett und flüchtete in eine Ecke.

Knurrend und sich instinktiv auf allen Vieren bewegend, warf er ihnen einen wütenden und zugleich ängstlichen Blick zu. Doch die erwartete Angriffslust seitens der Menschen blieb aus. Verwirrte Blicke und nachdenkliche Gesichter blicken zu ihm, bevor sich ein großer, stämmiger Mann aus den Menge schälte. Definitiv ein Rudelführer. Die anderen wichen vor ihm zurück und wirkten durch und durch respektvoll. Das Kind knurrte lauter, fletschte die Zähne und buckelte sich auf. Doch die Einschüchterungen zeigten keine Wirkung.

Der Mann beugte sich hinab und tat etwas, dass das Kind am wenigstens erwartet hätte. Er knurrte zurück. Erschrocken ließ der Junge seine Hand, zu einer Klaue geformt, nach vorn schnellen. Sofort war sein Handgelenk vom eisernen Griff des Erwachsenen Mannes umschlungen. Mit einer hochgezogenen Augenbraue und überlegenen Grinsen sah er auf das Kind herab. Der Junge reagierte mit schnellen Schlägen und Tritten, lautem Knurren und sogar Bissen. Keine einzige dieser Attacken fand jedoch sein Ziel.

Aus der Gruppe die bisher wortlos zugesehen hatte drang ein entsetzter Ausruf: „Ollowyn! Ollowyn! Recirí dereu! Parante. Ollowyn!“ Das Grinsen auf dem Gesicht des Mannes erstarb und er versetzte dem Jungen einen Stoß, der es zurück in die Ecke verfrachtete. Dann erhob er sich und wandte sich von dem knurrenden Wolfsjungen ab. Er streifte sich eine lange und dichte Haarsträhne aus dem Gesicht und band diese zu seinem Zopf. „Was war das? Südländer?“ Sein Blick war keineswegs freundlich.

Ein Händler in orange rotem Umhang trat aus der Gruppe. Sein Blick furchtvoll auf den Jungen gerichtet. „Ollowyn… Ollowyn…“, wiederholte er immer wieder. Der Blick des Schwertkämpfers, der zuvor den Jungen angeknurrt hatte, wurde finster und er legte seine Hand auf seinen Schwertgriff. Eine Aura ging von dem Mann aus, der im gesamten Raum zu spüren war.

Das Kind fing an zu wimmern und zog sich weiter in die Ecke zurück. Dieser Mann mit den Glanzklauen, die er an seiner Seite trug, war gefährlich. „Ich frage nur noch einmal, Südländer. Sprich in meiner Zunge, oder ich bringe dich persönlich zum Schweigen. Das ist ein Versprechen.“ Kreidebleich wich der Händler einen Schritt zurück. „Ver-Verzeiht. Das Kind. Dämon. Wolfsdämon! Seht, sein Haar ist verdreckt und verfilzt. Darunter ist es weiß. Er ist ein Dämon! Ein Ollowyn!“

Der Schwertkämpfer, der seine Waffe bereits einige Zentimeter aus ihrer Scheide gezogen hatte, stieß diese zurück in ihre Hülle. Ein teuflisches Lachen legte sich auf sein Gesicht. „Hahaha. Abergläubischer Südländer… Geh mir aus den Augen, bevor ich mich vergesse!“ Der Händler machte jedoch keinerlei Anstalten gehen zu wollen. Offenbar fest in seinem Glauben, dass dieser Dämon zur Strecke gebracht werden musste.

Noch bevor dieser Gläubige jedoch zu einer erneuten Hasstirade anschlagen konnte, drückte der Schwertkämpfer sich bereits in fließender Bewegung von Boden ab, überbrückte die Distanz zu dem südländischen Händler in einem Wimpernschlag. Dann zog er aus geduckter Haltung sein Schwert und stieß ihm den Griff tief in den Brustkorb, noch bevor die Klinge ihre Hülle verlassen hatte. Rippen brachen hörbar wie trockenes Holz und die Klinge verschwand mit einem Klicken in der Scheide noch bevor der Händler am Boden aufschlug.

„Geh. Wenn du mich nochmals zwingst mein Schwert zu ziehen wirst du sterben.“ Dann wandte sich der Schwertkämpfer dem zitternden Kind zu. „Haha, ja. Jetzt hast du Respekt vor mir. Braver Junge. Von nun an heißt du Ollowyn. Verstanden?“ Da das Kind kein Wort des Menschen verstehen konnte, und das Verhalten des Rudelführers verwirrend war, brauchte es einige Tage um dem Kind notwendige Grundkenntnisse der Sprache beizubringen und ihm den neuen Namen zu verdeutlichen.

In dieser Zeit gab es ausreichend wohltuende Mahlzeiten, und diese neuartige Kommunikation begeisterte Ollowyn. Nun konnte er fragen, und sich erkundigen wie etwas funktionierte. Das war etwas, dass ihm in seinem früheren Rudel nie möglich gewesen war. So viel er versucht hatte seine Ideen für seine Familie zu beschreiben, die schief gelegten Köpfe der Wölfe hatten klar gemacht, dass es nicht möglich war über simples Verhalten hinaus zu kommunizieren.

Doch nicht alles war neu und gut. Genauer gesagt, es war weitaus schlimmer. Nie hätte er seine Familie verlassen, wenn er gewusst hätte, dass ihm solch ein Horror zu Teil wurde. „Noo! Nien! Ney!“, versuchte Ollowyn das Wort „Nein“ hervor zu bekommen. Natürlich verstand der Schwertkämpfer sofort, was der Junge gemeint hatte. Im selben Zug war es ihm jedoch vollkommen gleichgültig. -Platsch- Schon tauchte er den Jungen erneut in das lauwarme Seifenwasser. Es war bereits der zweite Waschzuber, den man als Bad bereitet hatte, doch der durchdringende Schmutz war schwer zu beseitigen.

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Dem Schwertkämpfer, Thasun Torréi, bereitete das ganze Unternehmen jedoch großes Vergnügen. Der Junge hatte Kraft für sein Alter. Er war geschickt, schnell und wendig und die scharfen Nägel schafften es mehrmals sich beinahe in seiner Haut zu versenken. Für Thasun ein berauschendes Erlebnis, da er ein kämpferische Potential des Kindes beobachten konnte. Wenn jemand diese Kraft und Wildheit bändigen könnte, würde Ollowyn mit Sicherheit zu einem interessanten Krieger heranwachsen.

Nach zweieinhalb Stunden intensiven Badens war Thasun endlich zufrieden. Erschöpft ließ er den sich noch immer windenden Jungen los. Es dauerte im Anschluss beinahe einen ganzen Tag bis sich Ollowyn beruhigt hatte. Seine Haut fühlte sich wund an, offengelegt und seine Haare rochen nach dem verhassten Wasser. Bei nächster Gelegenheit beschloss er sich in ein schlammiges Bachbett zu stürzen.

Nach alle den Strapazen, kleidete der Schwertkämpfer den Jungen in eine weiche Robe aus kratziger Wolle. Natürlich war das Kind weitaus weniger begeistert über den Umstand Kleidung zu tragen, als Thasun. Entnervt über den ständigen Widerstand und die Energie des Jungen, die er anfangs so faszinierend gefunden hatte, kaufte er ein leichtes Leinenhemd. Dieses war weitaus weniger kratzig und er prügelte Ollowyn wann immer er versuchte das Hemd abzustreifen.

Zwar hatte das Kind nun noch immer keine Hose oder Schuhe, doch Thasun konnte es mittlerweile kaum erwarten das Kind in seinem Heimatdorf abzugeben. Er mochte die Einsamkeit und das Reisen und Menschen waren ihm stets zuwider gewesen. Er konnte sich nicht um ein Kind kümmern. Es würde nur all seine negativen Eigenschaften übernehmen und genauso werden wie er! Seufzend schüttelte er den Kopf. Ausgerechnet er  hatte ein Kind aufgelesen. Am nächsten Morgen machten sich die Beiden auf den Weg.

Ollowyn war begeistert endlich das Gasthaus verlassen zu können in dem sie geschlafen hatten. Zwar zwang der starke Rudelführer ihn ständig Dinge zu tun die er verabscheute, doch sprechen zu lernen war etwas das er sehr gerne tat. „Wasch heizt dasch?“, fragte er zum wiederholten Male, diesmal auf einen Frosch deutend. „Das ist ein Frosch“, seufzte Thasun. „Lecker. Jagen?“, versuchte es Ollowyn erneut. Aus irgendeinem Grund war der Rudelführer überaus faul. Und wollte auch nicht, dass für ihn Beute geschlagen wurde.

„Wir haben noch genug zu essen.“, kam die übliche Antwort. „Warum jagen nicht?“, fragte der verwirrte Ollowyn erneut. „Ollowyn gutes Jäger.“ Thasun nickte. „Nicht notwendig. Wir haben genug zu essen.“ Der Junge legte den Kopf schief. „Kein Hunger?“ – „Kein Hunger.“ Um den fortlaufenden Fragen etwas Einhalt zu gebieten, beschloss der Schwertkämpfer, einen Teil des Weges zu Laufen. Er würde keine Fragen mehr erdulden müssen, wenn der Junge erst Schwierigkeiten damit hatte das Tempo zu halten.

„Ollowyn, wir laufen.“ Der Junge legte den Kopf erneut schief und ließ sein weißes Haar im Wind wehen. „Jagen?“ Thasun nickte. „Beute in dieser Richtung.“ Das war zwar gelogen, doch es würde nicht schaden dem Jungen eine Laufmotivation zu geben. Dann begann Thasun aus seinen Schritten langsam in den Laufschritt überzugehen, und schnallte die Schwerter an seiner Hüfte auf den Rücken damit sie ihn so wenig wie möglich behinderten. Es tat gut seine Muskeln erneut zu benutzen und sich zu verausgaben.

Seit er den Jungen gefunden hatte, war seine Trainingsroutine wesentlich gesenkt. Er hatte zwar am Abend und früh am Morgens ein bis zwei Stunden trainiert, doch es war bei weitem nicht genug um seinen Körper wirklich zu verausgaben. Üblicherweise lief er mehrere Stunden am Tag und vollbrachte Schwertübungen, wann immer er pausierte. Der gemütliche Laufschritt wurde schneller und schneller. Weit ausholende Schritte trugen ihn stetig näher an ihr Ziel. Das Tal von Ending. Thasun’s Meister hatte sich dort vor Jahren niedergelassen um ein Dojo zu gründen.

Er würde sich mit Sicherheit dem Jungen annehmen. Doch es waren noch gut 65 Kilometer Marsch bevor der Pass Dunéin zum Tal von Ending vor ihnen liegen würde. Glücklicherweise war der Weg hauptsächlich flach und nicht steil aufsteigend, so war es dem Jungen leicht möglich dem Tempo auf den ersten Kilometern zu folgen. Nach gut einer Stunde, hielt Thasun inne und zog sein Schwert. Ohne es aus dessen Hülle zu ziehen, vollführte er die üblichen Schwertübungen um sich weiter zu verausgaben.

Ollowyn jedoch, war erneut verwundert über das Verhalten seines neuen Rudelführers. Er lief so langsam, nur um dann stehen zu bleiben und wild mit seinen versteckten Krallen herum zu wirbeln? Es sah beeindruckend aus, doch der Junge sah keinen Sinn dahinter. War es ein Paarungsritual? Es wäre weitaus einfacher einem Weibchen Beute zu bringen. Eine Praktik die in seiner Familie ganz normal gewesen war. Gelangweilt setzte er sich ins Gras neben der Straße und sah weiter zu.

Doch es dauerte eine Ewigkeit! Als Ollowyn endlich begann sich hinzulegen und versuchte zu schlafen, ging es weiter. Diesmal hatte es der Schwertkämpfer offenbar eiliger. Das Tempo wurde sehr zu Ollowyn’s Begeisterung verdoppelt und er konnte gerade noch Schritt halten. Üblicherweise fiel er hinter sein Rudel zurück und es dauerte einige Zeit um die Distanz wieder gut zu machen. Hier jedoch konnte er dicht an Thasun’s Rücken bleiben und erst als tiefe Nacht hereingebrochen war und Thasun erneut das Tempo erhöht hatte, fiel er leicht zurück.

Dann gab es wieder eine Pause. Während der Rudelführer erneut mit seinen Krallen hantierte, fiel der Junge erschöpft ins Gras und schlief beinahe sofort ein. Thasun jedoch war überaus beeindruckt. Das Kind, dessen Alter nicht einmal zehn Jahre betrug, lief über dreißig Kilometer in einem Tempo, das für viele Erwachsene schwierig gewesen wäre. Gepaart mit seinem silbrig weißen Haar kam dem Schwertkämpfer der Gedanke, dass dieses Kind vielleicht doch ein Wolfsdämon war. Der Gedanke amüsierte ihn.

Am nächsten Tag, weckte ihn der Junge früh. „Hase. Essen. Du essen zuerst.“ Thasun blinzelte als er die beiden frisch getöteten Hasen sah. Ihr Genick war gebrochen. Offenbar war der Junge wesentlich geschickter darin sich selbst zu versorgen als Thasun zuerst angenommen hatte. „Gut gemacht. Wir kochen sie.“ Ollowyn legte den Kopf schief. „Kochen?“ – „Sieh genau zu und lerne.“ Thasun zog ein Messer und entnahm die Gedärme des Hasen, bevor er das Fell abzog. Was offenbar das Interessanteste war, dass der Junge je gesehen hatte.

Aufgeregt klatschte er in die Hände, als er das komplett Fellfreie Kaninchen sah. „Hahah! Kochen gut. Kochen gut!“ Thasun schüttelte den Kopf. „Nicht kochen. Fell abziehen. Kochen werden wir nun.“ Ollowyn legte den Kopf erneut schief und beobachtete weiter. Als der Schwertkämpfer ein Feuer entfachte war der Junge jedoch etwas panisch. Feuer war unnatürlich für ihn. Es dauerte einige Minuten bevor er sich beruhigt hatte und dabei zusah wie man gegrillten Hasen zubereitete.

Der zweite Hase wurde zum Marschgepäck gepackt und die Beiden brachen erneut auf. In leichtem, gemütlichen Lauf änderte sich die weite Graslandschaft langsam zu einem dicht bewachsenen Mischwald. Der Weg war zwar noch immer dieselbe staubige Landstraße, nun wurde er jedoch hier und da von tiefen Wurzeln aufgewühlt. Ein großer Wagen würde seine Mühe haben hier zu passieren.

Bevor die staubige Straße jedoch Richtung Pass Dunéi ansteigen konnte, erschienen an einer Kurve zwei Männer. Beide trugen Schwerter in derselben Aufmachung wie Thasun. Dieser verlangsamte seinen Lauf zu einem langsamen Gang und schnallte die beiden Klingen von seinem Rück und band sie erneut an seine rechte Hüfte. Ollowyn fühlte eine Veränderung in seinem neuen Rudelführer. Er wirkte angespannt und bereit zu kämpfen.

Die Männer stoppten etwa zehn Meter entfernt auf der Straße und auch Thasun hielt inne. „Wohin des Weges, Schwertkämpfer?“ Thasun legte seine rechte Hand auf dem Schwertgriff ab und musterte die Beiden. „An euch vorbei. In die Schwertschule des großen Ritto Iordai.“ Die Männer lachten. „Ha! Großer Schwertmeister? Dass ich nicht lache. Welche wahrlich große Schule lehnt Herausforderer schlichtweg ab? Ich verstehe nicht, wie der Lord diesen Iordai überhaupt in seinen Diensten toleriert. Lachhaft.“

Thasun lächelte böse. Niemand beleidigte seinen Meister und lebte um die Geschichte zu erzählen. „Ihr bekommt eure Herausforderung.“ Dann schob er den Griff seiner Waffe mit einem deutlichen Klicken aus der Scheide.

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