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Kapitel 4

Marun Kíreii, zweiter Meister des Iordai Clans, musterte den schriftlichen Befehl des großen Meisters kritisch. “Er meint das ernst?” Meister Zartha nickte. “Es wird... interessant werden.” Marun rieb sich die Stirn. “Du meinst, es wird interessant für dich zuzusehen?” Ein breites Grinsen machte sich auf Zartha’s Gesicht breit. “Natürlich. Sie werden sich alle die Köpfe einschlagen. Über Monate hinweg. Nur lässt mich der Grund für das Ganze nicht los. Meister Iordai traut dem Jungen viel zu.”

Marun zog sein Schwert aus der Scheide und betrachtete die schöne Waffe versonnen. Dann begann er, sie mit einem Tuch zu polieren. Sein langer, blonder Zopf bewegte sich dabei sanft hinter seinem Rücken. “Er wird seine Gründe haben. Das Kind besiegt mit sieben Jahren ohne Ausbildung einen unserer Schüler, der sechs Jahre älter ist und zwei Jahre Unterricht hatte. Wer weiß, wir werden sehen.” Zartha blickte zum dritten Meister des Iordai Clans. “Was sagst du dazu?”

Karthan Cr’Axsun blickte ihn aus tiefblauen Augen an und strich sich nachdenklich über seinen braunen Vollbart. “Ja.” Marun verdrehte seine Augen. “Natürlich. Wie dem auch sei, ich habe dem Handwerker im Dorf den Auftrag erteilt. Wir sollten die Abzeichen bis morgen früh bekommen.” Karthan blickte auf. “Es ist wichtig. Ich hab ihnen gesagt, dass es schnell gehen soll.”

Marun seufzte. “Wieder mal mit seiner Tochter geliebäugelt, meinst du?” Karthan schweifte mit einem verträumten Blick an die Decke. “Hat er.” Sprachen Marun und Zartha resigniert. “Dann beginnen wir morgen früh damit, alle einzuteilen und erklären Ollowyn seine Aufgabe. Wir müssen ihm vermutlich einiges beibringen, damit er das alles versteht. Speziell Zahlen. Wir werden alle Hände voll zu tun haben….” Marun verstaute sein frisch poliertes Schwert und sank zurück auf die Holzplanken der Trainingshalle. “Übrigens.... Sollen wir die Kämpfe draußen stattfinden lassen? Wetter könnte das Ganze interessanter gestallten?”

“Klar. Haha, stell dir vor es stürmt und schneit und unsere Schüler müssen kämpfen weil der Junge sie herausfordert. Ooooh, sie werden so angepisst sein.” Zartha runzelte die Stirn. “Bis er dann uns herausfordert. Urgh.” Karthan kam aus seiner Traumwelt und trug auch etwas zur Unterhaltung bei. “Ach ja, der große Meister hat mir noch den Auftrag gegeben, dass wir abwechselnd nachts Wache schieben. Etwas beunruhigt ihn.” Marun seufzte. “Schon wieder? Will er uns bestrafen?”

Karthan zuckte mit den Schultern. “Thasun wurde ja auch ständig dazu gezwungen, weil er sich immer zu viel getrunken hatte. Hat einer von euch was ausgefressen?” Die drei sahen sich rätselnd an. “Das letzte Mal als wir Wache gestanden haben, hatten wir Schüler dabei erwischt wie sie sich nachts in Dorf zu den Mädchen geschlichen hatten. Der Meister wird seine Gründe haben. Wie dem auch sei. Lasst uns den Schülern die Nachricht überbringen.”

Als sich alle Schüler vier Stunden später, nach den täglichen Hausarbeiten und Erledigungen in der Trainingshalle einfanden hielt Marun eine Ansprache.

“Verbeugt euch.” Die Schüler taten wie ihnen befohlen wurde. “Grüßen und setzen.” Knapp vierzig Schüler schlugen sich mit der Faust auf die Brust und setzten sich in einheitlicher Bewegung. “Ihr habt alle mindestens für zwei Jahre das Training der Iordai Schwertkampfschule genossen. Unser großer Meister hat befohlen, dass euch ein spezielles Training zuteil werden wird. Morgen früh werdet ihr alle ein hölzernes Abzeichen erhalten. Darauf ist euer Rang innerhalb des Clans eingraviert.” Aufgeregtes Flüstern machte sich unter den Schülern breit.

“Ruhe!”, rief Karthan bestimmt. “Hört zu.” Dann fuhr Marun fort: “Ihr alle könnt für einen höheren Rang kämpfen und andere herausfordern. Eine Herausforderung darf jedoch nur von einem Rangniedrigeren ausgesprochen werden und muss draußen auf dem Duellierplatz ausgetragen werden.” Erneut aufgeregtes Gemurmel.

“Es ist mit den Gao-ni-dai Regeln zu kämpfen. Wer den Ring verlässt, gibt den Kampf auf. Deutliche Treffer, die mit echtem Schwert zum Tod geführt hätten werden von einer dritten neutralen Person beurteilt. Nach Treffern die unter normalen Umständen zum Verlust von Körperteilen geführt hätten ist ein solches nicht mehr zu verwenden.” Marun ermahnte die Schüler erneut, leise zu sein, bevor er fortfuhr.

“Ihr kennt die Regeln. Wir werden jeden sechsten Tag feststellen wer sich verbessert hat und wer nicht. Wenn sich jemand nicht verbessert oder verschlechtert wird zusätzliches Training angesetzt!” Aufregung machte sich nun breit. “Selbststudium ab heute. Morgen beginnen die Kämpfe, nachdem ihr die Abzeichen erhalten habt. Beginnt!” Die Schüler taten wie geheißen und bereiteten sich auf Selbststudium vor.

Diese Art des Lernens war nicht oft zu sehen, da der Iordai Clan meist sehr strikt mit seinem Nachwuchs vorging. Immerhin würden diese Kämpfer in verschiedensten Adelshäusern der Zenshin Dynastie vertreten sein. Sei es als Soldaten, Leibwächter oder Lehrmeister. Daher wurde der Iordai Style in ihre Köpfe eingehämmert so viel und so gut es ging, um zu verhindern, dass die Schüler einen eigenen, schwächeren Stil entwickelten.

Die Meister hinterfragen die Entscheidung ihres Herren nicht, es war für sie das absolute Gesetz, kein König oder Kaiser könnte es jemals brechen, geschweige denn dagegen befehlen. “Irto!” Marun rief seinen besten Schüler herbei und gab ihm spezielle Anweisungen. Er würde am nächsten Tag dafür Sorgen, dass Ollowyn an seine Grenzen stieß. Es durfte keinen zweiten Mephian Fall geben. Auch wenn Ollowyn unter den Gao-ni-dai Regeln vermutlich nicht gegen ihn gewinnen würde. Marun würde das Ganze nicht dem Zufall überlassen.

Der junge Ollowyn musste lernen, dass es auch junge Schwertkämpfer gab, die ihm überlegen waren und er sie zu respektieren hatte. Hochmut war ein schlechter Lehrmeister. Und der große Meister hatte diese Trainingsmethode nur zu dem einen Zweck ausgewählt. Er wollte Ollowyn formen und zu etwas machen, dass die Nachfolge des Clans antreten würde. Zumindest vermutete Marun das. Der große Meister teilte nicht gerne seine Gedanken.

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Am nächsten Tag erwachte Ollowyn in leichtem Schmerz. Sein Gesicht war noch immer leicht geschwollen, doch er hatte weder bleibende, noch gravierende Verletzungen erlitten. Er war es gewohnt Schmerz zu fühlen, sich darüber hinwegzusetzen und trotzdem alles zu geben. Noch bevor die Sonne aufging, war er bereits in den Wald gelaufen und hatte gejagt. Ein junger Hase, der im morgendlichen Zwielicht nicht schnell genug reagiert hatte, wurde zu seinem Frühstück.

Gestärkt und hochmotiviert, kehrte er zu seinem Schlafplatz zurück, nahm das Bambusschwert und suchte die Trainingshalle auf. Zu seiner Begeisterung übten bereits viele Schüler miteinander und immer wieder traten einige Schüler nach draußen in einen steinernen Kreis um zu kämpfen. Es dauerte nicht lange, bis einer der Meister vor Ollowyn auftauchte. “Kämpfen!”, rief er begeistert. Doch Karthan Cr’Axsun teilte seinen Enthusiasmus nicht.

Er zwang ihn einige Stunden in einem anderen Raum zu verbringen und Zeichen auswendig zu lernen die man “Zahlen” nannte. Glücklicherweise war das ganze Lernen nicht umsonst. Er bekam ein kleines Stück Holz mit der Ziffer 42 von den Meistern und sie erklärten ihm, dass er sich in den Rängen nach oben kämpfen musste. Und Ollowyn hätte am Tag zuvor kein Wort verstanden.

Fest entschlosse neue Kampftechniken zu lernen, begeistert kämpfen zu dürfen und aufgeregt seine Kraft unter Beweis zu stellen forderte er den älteren Schüler heraus, der das Abzeichen mit der “41” trug. Zuerst wunderte sich Ollowyn warum dieser Junge namens Irto der schwächste im Rudel war. Dann stellte er fest, dass dem nicht so war. Er war schneller und präziser als Mephian und schlug wesentlich härter zu.

Glücklicherweise war es immer nur ein einzelner Schlag. Gao-ni-dai war etwas, das Ollowyn schnell zu schätzen gelernt hatte und noch schneller lernte er diese Art des Kämpfens zu respektieren. Mephian hatte ihn ohne zu zögern mit dutzenden Schlägen eingedeckt. Hier konnte Ollowyn sich auf seine Fehler konzentrieren und wieder und wieder versuchen zu gewinnen.

Doch keiner seiner Angriff trag Irto auch nur im geringsten. Jeder Ausfallschritt zur Seite wurde mit einem Stich oder Hieb vergolten, den Ollowyn nicht hatte kommen sehen. Jede Verteidigungshaltung wurde umgangen, jede Finte durchschaut. Doch egal wie oft Ollowyn getroffen wurde und zu Boden ging, er stand wieder und wieder auf. Selbst als er dazu überging die Angriffe seines Gegners abzublocken, statt gewinnen zu wollen, folgte auf sie stets ein zweiter Folgeschlag, dem er unmöglich ausweichen konnte.

Irto schlug ihm das Bambusschwert ein weiteres Mal hart in die Seite, während Ollowyn’s Schwert harmlos an seinem Körper vorbei schwang. Ächzend ging er in die Knie und schnappte nach Luft. “Einhundert und drei Mal. Gib endlich auf. Ich bin es Leid, dich in den Staub zu treten.” Doch Ollowyn dachte nicht daran. “Ich fordere dich heraus, einundvierzig!”, brachte er heraus, bevor er erneut seine Grundstellung einnahm. Ein schwacher Schritt vorwärts, das Schwert wachsam erhoben, schlug ihn ein harter Treffer gegen den linken Oberarm.

Ollowyn ließ den linken Arm hängen und versuchte mit seiner Rechten anzugreifen. Zwei harte Hiebe gegen die linke Seite seines Kopfes beförderten ihn erneut auf den Steinboden des Duell-Kreises. Er wollte sich erheben doch seine Arme und Beine gehorchten nicht länger. “Endlich genug, huh?” Irto rieb sich den Schweiß von der Stirn, bevor er zwei schaulustigen Schülern befahl den Jungen zu Bett zu bringen.

Irto rieb sich die schmerzenden Hände. Er war nun siebzehn Jahre alt, hatte sechs Jahre lang trainiert und dennoch hatte es 104 Kämpfe gebraucht um diesen Jungen zur Aufgabe zu bewegen! Die Kraft die von dem Jungen ausging war immens, wann immer er einen seiner Angriffe pariert hatte, hatte es sich angefühlt als würde Irto mit seinem Schwert auf einen Amboss schlagen. Der Schmerz war ihm bis in die Schultern gefahren.

Auch war dieser eiserne, alles verachtende Wille für einen Siebenjährigen so abnormal, dass es ihm wieder und wieder einen Schauer über den Rücken jagte. Es war gut, dass er nun auch nach oben hin herausfordern durfte. Er würde sich eine Pause verschaffen von diesem Kind. Sollten sich doch die anderen kampfverliebten Narren, wie Wardun und Grish, damit herumschlagen.

Währenddessen wurde Ollowyn in sein kleines Zuhause gelegt. Die weichen Decken des Schuppens versprachen Linderung. Doch nie zuvor war der Junge so glücklich gewesen. Er hatte kein einziges Mal getroffen! Wie es wohl war so stark zu sein, wie diese Schüler? Die Anspannung wuchs mit jeder Minute und Ollowyn fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Der Gedanke weniger zu trainieren als die anderen ließ ihn nicht los.

Also rannte er in Gedanken. Er rannte mit seinem Übungsschwert, vollführte Schwertübungen in vollem Lauf und rief sich die Bewegungen seines Gegners in den Kopf. Nächstes Mal würde er einen Treffer landen!

Doch zu Ollowyn’s Enttäuschung war es am nächsten Morgen nicht Irto der ihn erwartete. Es gab eine neue “41”. An diesem Tag errang er seinen ersten Sieg im Clan von Iordai. Nur um festzustellen, dass er in seiner neu gewonnenen Position wieder und wieder von der neuen Nummer “42” herausgefordert wurde.

Es würde nicht nur schwer sein einen höheren Rang zu erreichen. Jeder den er bereits besiegt hatte würde zurückkommen und versuchen ihm zu nehmen was er erkämpft hatte. Je weiter er aufstieg, desto mehr Schüler musste er täglich besiegen um überhaupt weiter nach oben herausfordern zu dürfen.

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Meister Zartha musterte die Trainingskämpfe eingehend. “Der Junge ist wahrhaft erstaunlich. Er zweifelt nicht an seinem Weg, versucht es wieder und wieder, egal wie oft er besiegt wird. Zu Boden geschlagen steht er immer wieder auf.” Marun nickte. “Es ist Wahnsinn. Ich habe ihn beobachtet. Er testet ständig neue Taktiken und verbessert sich nach jeder Niederlage. Nach den Kämpfen und früh am Morgen trainiert er im Garten. Unermüdlich.”

Karthan schnaubte. “Sieben Jahre alt. Es ist unheimlich, wirklich. Thasun hat wahrlich ein Monster mit nach Hause gebracht. Hat er euch erzählt wo er das Kind aufgelesen hat?” Die beiden anderen Meister verneinten. “Und Meister Iordai will uns auch nicht sagen was es damit auf sich hat, dass wir einen Angriff erwarten. Es kann doch nur mit dem Kind zu tun haben oder?”

Marun schnaubte. “Naja, vielleicht wird der große Meister wirklich langsam alt… Er hat das Allerheiligste seit Wochen nicht verlassen. Meint ihr er trainiert wieder? Das letzte Mal hat er das halbe Gebäude zerstört als er fertig war…” Zartha winke ab. “Ihr macht euch beide zu viel Sorgen. Wir haben den Auftrag Wache zu stehen und wir vermuten, dass es wegen dem Jungen ist. Wir stellen sechs der Schüler auf, die Wache stehen während wir alles kontrollieren und einer von uns Ollowyn überwacht?”

Marun gab es auf sich aus dem Wachdienst winden zu wollen. Zartha und Karthan waren beide zu pflichtbewusst und würden ihn ohnehin dazu zwingen. Seufzend machte er sich auf den Weg seine Rüstung anzulegen. Er würde die gemütlichen Trainingsroben für die nächsten Stunden vermissen.

Die Rüstung des Iordai Clans war besonders. Sie bestand im Gegensatz zu anderen Rüstungen lediglich aus einer schwarzen, helmartigen Maske die aus Durakstahl gefertigt war. Dazu kamen noch schwarze Stoffroben, die den weißen Trainingsroben sehr ähnlich waren. Der einzige nennenswerte Unterschied war das geschwärzte Kettenhemd, das darunter in den Stoff eingearbeitet worden war und die Kapuze die stets getragen wurde.

Das Kettenhemd passte sich dem Körper an und reichte bis zu den Knien. Darunter wurden elegante Schienbeinschützer aus geschwärztem Stahl getragen. Als die drei Meister in das Dunkel der Nacht traten, war es bereits beinahe unmöglich sie zu erkennen.

Leider war Marun kein angenehmer ruhiger Abend vergönnt. Ollowyn war nämlich gerade dabei seinen Schlafplatz zum nächtlichen Training zu verlassen…