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Kapitel 7

Marun Kíreii, zweiter Meister des Iordai Clans, kniete demütig vor dem Heiligtum. Seine Stirn auf dem kühlen Holzboden ruhend wartete er auf das Urteil des großen Meisters. Sein langer blonder Zopf lag bereits abgetrennt neben ihm, ein Zeichen dafür, dass er seine eigene Schande erkannt hatte. Es tat jedoch wenig um seine Verfehlungen wiedergutzumachen und Marun hatte wenig Hoffnung ohne Bestrafung davonzukommen.

Auch sein Leben stand auf dem Spiel. Es wäre nicht ungewöhnlich, dass der große Meister die Geschehnisse persönlich nahm und er von Marun aufforderte sich zu opfern. Der Stolz eines Schwertmeisters war sein Ein und Alles. Der Assassine der seinen Schützling trotz seiner direkten Bewachung getötet hatte, war zu seiner größten Schande geworden. Unaufmerksamkeit. Nachlässigkeit. Faulheit. All diese Schwächen hatten seine Ehre zerstört.

Auch hätte er mehr Acht auf den vierten Meister, Karthan Cr’Axsun, geben müssen. Der Narr hatte sich alles verachtend in den Tod gestürzt, um seine Geliebte zu retten. Marun hatte immer den Verdacht gehabt, dass zwischen den Beiden mehr geschehen war. Er hätte es sehen müssen. Verhindern müssen, dass der Narr sich einfach in ein brennendes Haus stürzte. Eine Träne der Scham lief Marun aus den Augenwinkeln und tropfte auf den kühlen Holzboden.

Zartha Vanosh, der dritte Meister des Iordai Clans, fühlte sich ebenso schuldig. Zwar hatte er richtig gehandelt, doch er wünschte sich einfach mehr getan zu haben. Ihm war es zugefallen den großen Meister und die Schüler zu verteidigen. Eine Aufgabe, die er ohne zu zweifeln erfüllt hatte. Doch es hatte sich angefühlt, als würde er vor dem Angriff davonlaufen. Sich hinter seinen Schülern verstecken.

Auch er verneigte sein Haupt vor dem Allerheiligsten. In Demut vor dem Urteil, wartete auch er darauf bestraft zu werden. Er hatte kein langes Haar, dass er in Demut abschneiden und als Zeichen der Scham entfernen konnte. Doch seine Waffe lag griffbereit vor ihm. Wie Marun’s Waffe, griffbereit zum Suizid. Doch an diesem Tag warteten nicht alle Meister des Iordai Clans darauf zu sterben.

Thasun Torreí saß auf seinen Knien, Haupt erhoben und Stolz. Er hatte den Übeltäter am Pass gestellt und seinen Kopf mitgebracht. Eine Geste die dem ganzen Dorf und auch dem Iordai Clan einen Stein vom Herzen nahm. Er wartete auf die Anweisungen seines großen Meisters. Darauf hoffend, dass seine Kameraden nicht das Todesurteil erwartete, starrte er ins Dunkel des Heiligtums.

An der Wand waren vier Bettstätten errichtet worden, einfache Decken ohne Matratzen, jedoch dicht genug um den Schlafenden Komfort zu bieten. Yielrhin, die alte Frau die gewöhnlich für die Schwertkampfschule kochte, kniete neben den vier Verletzten und kümmerte sich um ihre Wunden. Zwei Schüler, mit tiefen Einschnitten, waren beinahe verblutet. Eine Falle hatte dünne Stahldrähte in ihr Fleisch getrieben und bei dem Versuch sich zu befreien hatten sie sich nahezu umgebracht.

Nun waren die Wunden verbunden und die alte Dame flößte ihnen lauwarmes Wasser ein um sie aus dem Reich der Toten zurückzuholen. Ein langsamer Prozess, doch sie würden es überleben. Fraglich war das Schicksal von Karthan Cr’Axsun. Er hatte schwere Verbrennungen davongetragen, die nun etwa dreißig Prozent seiner Körperoberfläche bedeckten. Das Kettenhemd hatte sich ebenfalls in die Haut eingebrannt, doch glücklicherweise waren diese Verbrennungen weniger schwer.

Hätte er nur Sekunden länger im Haus verbracht, wäre er mit Sicherheit tot. Es war ein Kampf den man vielleicht gewinnen konnte, doch wie lange es dauern würde bis er sich erholte war fraglich. Das vierte Bett galt Ollowyn. Der Junge hatte Glück im Unglück gehabt. Ein Stich in seine Schulter hatte ihn nicht vergiftet, da das Bambusschwert das Gift regelrecht von der Klinge gestreift hatte. Seine Wange jedoch war vergiftet worden.

Dunkle Striemen zogen sich bereits über einen Teil seines Gesichtes und sie breiteten sich weiter und weiter aus. Yielrhin hatte heilende Blätter des Korak Baumes aufgetragen und Ollowyn auch mit Wasser eingeflößt. Die Vergiftung ließ sich jedoch nur verlangsamen. Sie würde den Jungen ohne Zweifel töten. Die Frage war nur wie lange sie es mit diesen Heilmitteln aufhalten könnte.

Plötzlich öffnete sich die Tür zum Allerheiligsten. Thasun senkte den Kopf um zu verhindern, dass sein Blick den großen Meister verärgerte. Er würde ohnehin nicht gut gelaunt sein. Ein alter Mann trat aus dem dunklen Raum. Duft von Sandelholz begleitete seine Ankunft. Dann setzte er sich in leichtem Schneidersitz vor die anwesenden Meister. Er war von kleiner Statur, vom Alter gezeichnet war er geschrumpft. Nur vereinzelt zierten weiße Haare seinen Kopf. Ansonsten war er rasiert. Mit einem Meter und zwanzig Zentimeter, tausende kleine und große Falten die sein Gesicht zeichneten und einem entspannten Lächeln grüßte er die drei Meister.

“Guten Morgen.” Sprach er mit leicht zitternder und müder Stimme. Sie passte zu seinem Aussehen. Thasun verbeugte sich ebenfalls kurz bevor er zurück grüßte: “Morgen, Gramps.” Blitzschnell schoss der alte Mann seine Sandale nach Thasun, dem der Schuh aus solidem Holz heftig ins Gesicht klatschte. “Sei respektvoll. Knirps.” Marun und Zartha mussten sich zusammenreißen um nicht zu lachen.

Thasun erhob sich geduldig und brachte dem alten Mann seine Sandale. Dann setzte er sich geduldig erneut. “Verzeihung.” Sprach er, bevor er murmelnd hinzufügte: “Alter Sack.” Der große Meister verdrehte die Augen. “Ach, bei dir ist wirklich alles verloren. Keine Manieren.” Dann wandte er sich den beiden anderen Meistern zu. “Zartha. Erhebe dich. Du hast keinen Grund hier zu knien und um Vergebung zu bitten.”

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Zartha erhob sich mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck. “Großer Meister, ich bitte darum bestraft zu werden, ich hätte mehr tun können.” Dann warf Meister Iordai ein weiteres Mal seine Sandale. Diesmal nach Marun. “Was schneidest du dir deinen Zopf ab?? Was macht das denn für ein Bild? Soll jeder denken wir sind hier ehrlose Schwertkämpfer?” Der Meister richtete sich verwirrt auf.

“Ich bin bereit mein Leben hier und jetzt aufzugeben, um die Schande vom Ehre vom Clan Iordai wiederherzustellen. Großer Meister, richtet über mich.” Marun verbeugte sich erneut, in Erwartung bestraft zu werden. “Ach, papperlapapp. Was soll ich mit deiner Leiche anfangen können. Was weiß ich, schere dir als Strafe den Kopf.” Marun wirkte nicht so als würde er die Strafe akzeptieren. Der große Meister warf seine zweite Sandale, die ihn direkt an der Stirn traf. “Ich befehle dir deinen Kopf zu rasieren und das Ganze ruhen zu lassen.”

Marun nickte. “Jawohl, großer Meister!” Der alte Mann seufzte. “Und du hattest so schönes Haar. Ach was für eine Verschwendung.” Thasun räusperte sich. “Was ist mit dem Jungen? Wird er sterben?” Meister Iordai nickte. “Ja. Dieses Gift ist Nachtschatten Narodit. Es gibt kein Heilmittel dagegen. Ich kenne nur eine Möglichkeit, doch die hilft uns nichts.” Marun runzelte die Stirn. “Welche Möglichkeit?”

Der alte Mann grummelte. “Ach, Lord Thalor Mey hat ein Mittel dagegen. Doch er lebt in Sandrei, ganz im Osten von Zenshin. Es dauert Wochen, selbst mit dem Pferd. Nicht zu vergessen, dass er mir niemals helfen würde. Er hasst mich.” Den letzten Satz sprach der große Meister mit einem kichern. Es war nostalgisch als würde er an längst vergessene Zeiten zurückdenken. Thasun runzelte die Stirn. “Warum hasst er euch?”

Mit einem kindischen Grinsen lächelte Meister Iordai seine Schüler an. “Ich habe mit seiner Frau geschlafen Kurz nachdem sie geheiratet hatten.” Er kratzte sich an seiner Stirn bevor er fortfuhr. “Ziemlich oft sogar. Ach, das waren noch Zeiten…” Thasun grinste. “Die muss jetzt hundert Jahre alt sein. Sind die überhaupt noch am Leben?”

Der alte Meister wollte erneut seine Sandale werfen, doch ihm war die Munition ausgegangen. “Nein, sie war nur wesentlich jünger als ich damals. Ist kaum vierzig Jahre her. Wie dem auch sei. Nur er besitzt noch ein Nepheniel und es würde sich zeitlich ohnehin nicht ausgehen.” Zartha warf eine Frage ein: “Was ist ein Nepheniel?”

Der alte Mann seufzte. “Eine Seelenkette. Sie verbindet zwei Leben, dadurch kann sich ein anderer Körper wesentlich besser erholen. Angekommen wir verbinden Karthan mit dem Jungen, würden sich beide regenerieren.” Thasun warf etwas sein. “Wie groß ist diese Kette?” Verwirrt zuckte der große Meister mit den Achseln. “Sie ist sehr dünn und lang, alles in Allem vielleicht zwei Fäuste voll Metall? Warum fragst du?”

Thasun kramte eine goldene Münze mit einem Wappen aus seinem Mantel. “Lord Enguràll aus dem Haus Irtó hat mir die geschenkt, weil ich seine Wachen ausgebildet habe. Ich darf damit einen Gefallen erbitten wann immer ich diesen wünsche. Ich könnte fragen ob er mich mit dem Kriegsportal nach Sandrei reisen lässt?” Der große Meister runzelte die Stirn. “Und dann willst du sie mit einem Falken zu uns schicken? Lord Thalor Mey wird dir das Nepheniel nicht geben…”

Thasun nickte. “Es ist die einzige Möglichkeit, nicht wahr? Du weißt selbst, was der Junge ist. Er ist zu wichtig. Ich will ihn nicht sterben lassen.” Marun und Zartha starrten sich an. Sie wusste beide nicht über was Thasun redete. Meister Iordai wirkte unzufrieden. “Wenn du gehst, wie planst du an das Artefakt zu kommen?” Thasun zuckte mit den Schultern. “Ich werd schon eine Lösung finden.”

Der alte Meister blickte böse. “Also fängst du wirklich einen Konflikt an nur um den Jungen zu retten? Dir ist klar, dass Zenshin jederzeit das Tal von Ending an sich reißen könnte? Wir sind kein eigenes Land.” Thasun blickte zurück. Unnachgiebig. “Hmm. Du wirkst wirklich entschlossen. Dann kann ich armer, alter Mann wohl nichts gegen deinen Ungehorsam tun.” Er zwinkerte Thasun zu. “Geh. Meinetwegen versuche deinen Plan. Ich gebe mein Bestes das Kind nicht sterben zu lassen.”

Marun und Zartha blickten noch immer verwirrt. “Meister, was geht vor sich? Könnt ihr uns erklären-” Doch der alte Mann winkte ab. “Ich bin nun einhundert und vier Jahre alt. Ich habe keine Zeit euch Kindchen alles zu erklären. Zartha, nimm die Schüler und errichtet am Pass Dunéin einen Wall mit Tor. Mindestens drei Meter hoch und ebenso dick. So positioniert, dass der Pass leicht zu verteidigen ist.” Dann wandte er sich Marun zu.

“Marun, deine Strafe wird es sein mit zwei Schülern die Wälle rund um unser Zuhause ab zu schleifen. Sie müssen glatt sein und niemand soll die Wälle einfach erklimmen können. Danach bau Treppen im Garten damit sie einfach zu verteidigen sind. Nimm Holz dafür. Dasselbe gilt für den Bergpass. Verstanden ihr Beiden?” - “Jawohl, Meister!”

Marun wusste, dass er an diesem Tag sehr einfach davongekommen war. Der alte Meister war offenbar sehr gut gelaunt. Er verneigte sich tief und voller Dankbarkeit. Zartha tat es ihm gleich. Dann brachen sie auf. Draußen angekommen fing Zartha aufgeregt an zu reden. “Wir werden Kämpfe haben nicht wahr? Thasun wird den Lord angreifen, von ihm stehlen… ihn vielleicht sogar töten! Deswegen errichten wir Verteidigungswälle! Denkst du der Alte wird langsam senil? Er sollte ihn besser kontrollieren verdammt!”

Marun schüttelte den Kopf. Der große Meister machte ihm Angst. Vermutlich waren sie trotz ihres Versagens nur mit dem Leben davongekommen weil sie so nützlich waren. Die freundliche und heitere Fassade täuschte ihn nicht. “Sei kein Narr. Wir fangen einen Krieg an. Es ist offensichtlich. Ich weiß nur nicht warum dieser Junge so verdammt wichtig sein soll… Der große Meister ist definitiv bei klarem Verstand. So viel steht fest.”

In der Zwischenzeit besprach Thasun noch die Details seiner Reise mit Meister Iordai. Nachdem er den ganzen Plan des alten Mannes gehört hatte musste er grinsen. Der alte Sack war wahnsinnig geworden. Und nicht die gute Art von Wahnsinn, die man ignorieren konnte. Seine Befehle werden mit Sicherheit über Kurz oder Lang dazu führen, dass eine Menge Menschen sterben wird. “Verstanden? Ich hoffe ich kann mich auf dich verlassen?”

Thasun nickte. “Natürlich. Aber willst du wirklich das Kind dafür nehmen? Als großer Meister könntet ihr doch genauso gut selbst-” Ritto Iordai unterbrach Thasun mit einer scharfen Geste. “Nein. Ich bin zu alt. Aber du kannst ihn leiten. Wir werden sehen ob wir erfolgreich sind. Und wenn nicht… Nun ja. Zumindest werde ich ein letztes Mal Spaß gehabt haben. Ahahaha!”

Thasun verneigte sich demütig bevor er das Allerheiligste verließ. Er warf einen letzten Blick auf den jungen Ollowyn. Die schwarzen Linien zierten bereits seine ganze Wange. Es würde ohnehin knapp werden. Jede Sekunde zählte. Gierig rieb er sich die Hände. Oh, es wird so viel Spaß machen! So viel Spaß hatte er das letzte Mal gehabt, als er einen ganzen Clan auslöschen durfte, weil sie seinen Meister beleidigt hatten.

Einfach herrlich!