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17| Clifordly

Kurz bevor die Welt um Adelaide, Erin und Mir ins Chaos stürzte wurde Zellis Stillwasser vom Kitzeln der Sonne geweckt. Sie wachte wie gewohnt auf und bereitete sich auf den Besuch der Medizinfrau vor, die sie seit mittlerweile fünf Tagen behandelte. Jeden Morgen, direkt nach Sonnenaufgang.

Zellis entfernte die Bandage über ihrem Brustkorb und sah an sich herunter, ihre Schuppen entlang. Die Rottöne waren so prächtig wie immer, aber nun an mehreren Stellen von tiefen Narben durchzogen. Pinkes, weiches Fleisch strahlte durch die harten Panzerschuppen und zeugten von ihrem kleinen Abenteuer. Mit einer Kralle folgte sie den größten Rissen, direkt über ihrer Brust. Sie war froh nicht sehen zu können, wie ihr Rücken aussah, allein der Gedanke fehlende Stacheln vorzufinden, sorgte für ein Gefühl der Übelkeit. Stacheln wuchsen nicht nach, wie Schuppen, selbst Panzerschuppen, und waren für gewöhnlich nur bei Veteranen zu sehen.

Genau genommen war sie Veteranin, aber das zählte nicht. In ihrer gesamten Zeit in der Monstereinheit hatte sie sich stets von ihren Verletzungen erholen können, mit nur schwachen Narben. Das hier...

Zellis seufzte und setzte sich. Wem machte sie etwas vor. Mit ihren 47 Namenstagen war sie ohnehin nicht mehr in ihren besten Jahren. Da machten diese tiefen Risse und die kaputten Stacheln auf ihren Rücken auch nichts mehr aus. Zumindest hatte sie noch ihre Hörner, auf die würde sie immer Stolz sein. Nicht nur weil sie lange Hörner, wie bei den Drachen, hatte und sie damit als altes Blut kennzeichnete, sondern auch weil sie von dickem Fell umgeben waren. Den Ahnen am nächsten. Das Fell zog sich ihren Kopf entlang und bildete ein Äquivalent zu Haaren bei anderen Spezies. Selbst unter altem Blut war das Fell etwas sehr Seltenes, in etwa so besonders wie Flügel. Wenn auch weniger nützlich.

Mit trüben Gedanken, die ihren Kopf überschwemmten, begann Zellis das Fell an ihrem Hinterkopf mit ihren Krallen zu kämmen und wünschte sich, sie hätte ein Lederband dabei um sich eine der Menschen Frisuren zu machen, die sie so mochte.

Viel Zeit um ihrem Selbstmitleid zu baden blieb ihr jedoch nicht, denn mit einem Krachen flog die alte Holztür auf und verstreute, wie jeden Tag, kleine Splitter im Raum. Vor dem Leuchtenden Rot der Sonne bewegte sich ein kleiner Schatten auf Zellis zu und schwang die Tür hinter sich mit gleicher Gewalt wieder zu. Zellis fragte sich wie lange diese Tür wohl noch stehen würde und ob die rostigen Scharniere oder das splitternde Holz zuerst in die Knie gehen würde. Fragend sprach sie die Heilerin an: “Perilla, was glaubst du, bricht erst das Holz, oder brechen die Scharniere vorher ab?” Diese drehte sich kurz, starrte die Tür an und meinte dann mit sanfter, aber strenger Stimme, wie die einer Lehrerin: “Diese Tür ist hier, seit ich das Haus gekauft habe. Und seit dem ist sie bereits in diesem Zustand. Ich glaube, das Haus zerfällt lange bevor diese verdammte Tür endlich den Geist aufgibt.” Kopfschüttelnd kniete sie sich vor die auf dem Bett sitzende Zellis und begann routinemäßig die Bandagen zu entfernen. Sie fuhr fort und ihre Stimme wurde ein wenig angespannter: “Ich warte seit Ewigkeiten darauf, dass das Ding endlich vollends kaputtgeht, damit ich mir eine Neue bestellen kann.” “Warum musst du dafür warten? Man kann Türen recht einfach abbauen”, kicherte Zellis, “man muss sie nicht erst zu Staub verkommen lassen.” Perilla gab ihr einen leeren Blick, mit ihren Aquamarin farbenen Augen. “Zellis, sag mal für wie dumm hältst du mich eigentlich?” Zellis meidete Augenkontakt und stammelte vor sich hin, auf der Suche nach einer Antwort, die nicht nach hinten losgehen könnte. Aber die Medizinfrau schien nur rhetorisch gefragt zu haben, denn sie sagte kurz darauf ganz sachlich: ”Wenn etwas durch Zeit und Abnutzung kaputt geht bezahlt das Dorf den Ersatz für wichtige Gegenstände zuhause. Ich habe schon zwei neue Tische bekommen, weil zu viele Leute, die hier behandelt werden, wild um sich schlagen, wenn sie unter unsäglichen Schmerzen leiden. Aber diese verdammte Tür weigert sich seit Jahrzehnten endlich kaputt zu gehen. Ich habe schon öfters darüber nachgedacht, mitten in der Nacht nach unten zu kommen und der Tür einen ordentlichen Tritt zu verpassen, damit sich der Prozess beschleundigt.” “Und? Hast du dich denn irgendwann mal dazu verleiten lassen?” “Natürlich, schon vor Jahren. Aber das verdammte Ding hat es einfach ignoriert. Rate mal warum ich die Tür hier immer so öffne und schließe.” “Also ich bin davon ausgegangen, dass du einfach so bist und Türen grundsätzlich hasst,” Zellis sah sich das miserable Bauelement an. Sie muss vor Ewigkeiten einmal eine beeindruckende Tür gewesen sein, die dicken Eisenstreben, die alle der einzelnen Holzplanken beisammenhielt, war ein deutlicher Hinweis, “Aber warum hält sie noch? Nach allen Regeln der Logik müsste deine Gewalt doch früher oder später einen Effekt haben.”

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Perilla entfernte die letzte der Bandagen, die zum Glück kaum noch Blut zeigten und öffnete ihren kleinen Medizin Sack. Statt den üblichen Salben und seltsamen Sekreten, holte sie heute jedoch nur einzelne Kräuter hervor: “Ich muss erst neue Medizin herstellen, also musst du dich hiermit zufrieden geben Zellis. Tut mir leid.” Sofort hob die Drakken ihre Arme entschuldigend: “Keine Sorge, du hast doch schon so viel für mich getan, du musst dich nicht entschuldigen Perilla.” Die Kräuter waren deutlich angenehmer, und brannten weniger bei Kontakt mit den pinken Stellen ihres Körpers. “Sag mal, was brauchst du denn für deine Medizin?” “Alles mögliche, das meiste davon wirst du vermutlich noch nie gesehen haben. Ich kann mit meiner Nichte Sara ein paar der Zutaten in den hiesigen Wäldern finden, aber den Rest muss ich kaufen, wenn der Händler auf seinem wöchentlichen Trip durch Clifordly kommt.”

Mit geschickten Griffen entfaltete Perilla Bandagen, die sich kurz zuvor abgekocht hatte und verband Zellis wieder. Die Hitze war ein wunderbares Gefühl. Es hielt nur kurz, aber dieser Moment der Wärme gab Zellis das Gefühl wieder am Leben zu sein. Sobald ihr Feuersack sich wieder gefüllt hatte, würde sie sich nur auf diese Art warm fühlen befürchtete sie.

“Sind die Zutaten denn teuer? Weil ich habe meinen Laden in Stonewall, ich habe Geld das ich dir geben werde! Zum einen, dass du mich behandelst und dann noch etwas für neue Materialien.” “Stonewall? Du hattest erwähnt, dass du Schmiedin seist, aber einen eigenen Laden in der Hauptstadt zu haben ist beeindruckend, dann fühle ich mich auch nicht mehr ganz so schlecht, wenn ich dich irgendwann um Geld für alles bitten muss.”

Sie redete mit einer solchen Sachlichkeit, dass sich Zellis vorkam, als würde sie gerade eine neue Lieferung Stahl bestellen. Aber sie hatte schon vermutet, dass Perilla die Sache mit dem Geld vermeiden würde, wenn sie den Eindruck hätte, ich sei zu arm dafür. Wie oft haben Leute ihre Güte wohl schon ausgenutzt, fragte Zellis sich, während sie den letzten Hitzeschub der Bandagen genoss.

“Also, wie viel?” , fragte sie und Perilla begann kurz mit ihren Fingern zu rehnen. Es sah seltsam aus und Zellis hatte so eine Technik noch nie gesehen. Es schien, als würde sie für jeden Finger an einer Hand eine Zahl haben, die sie mit der Zahl an ihrer anderen Hand verrechnete und dann... ‘Äh... Ok ich habe keine Ahnung was sie da macht...’ “Insgesamt 88 Groschen” “Nicht einmal eine Silbermark? Komm schon Perilla, du musst dich doch nicht unter Wert verkaufen. In der Stadt wäre ich mindestens drei Silbermark losgeworden, mit Glück.” “Zellis Schätzchen, ich bin die Medizinerin eines kleinen Dorfes. Meine Raten sind an die finanziellen Mittel der Dorfbewohner angepasst. Und leider ist Clifordly kein besonders wohlhabendes Dorf. Selbst Torrn, der Vogt, ist nicht sonderlich reich.” “Ich verstehe das schon, aber ich habe doch gesagt, dass ich aus der Stadt bin, passt du deine Preise etwa nicht an?” “Nein.” Die Antwort kam schnell, nüchtern und mit einem festen Blick in den schönen blauen Augen. “Aber ich kann mehr bezahlen, du solltest also grundsätzlich etwas obendrauf setzen. So wird es überall sonst gemacht.” Perilla wollte gerade etwas einwerfen, aber Zellis war schneller, “Ah ah ah, Nichts da. Du und das Dorf haben das Geld scheinbar echt nötig.” “Medizin ist dazu da Leute zu retten, nicht um Geld zu machen.” Leise murrte Zellis: “Da bist du aber die einzige mit der Meinung” und hob dann ihre Stimme auf die übliche Lautstärke und verkündigte: “Ich werde dir und dem Dorf Geld geben. Ihr habt mich gerettet und das, obwohl ich keine Münzen oder Wertsachen bei mir hatte. Vor allem in der Stadt, hätten mich die Heiler und Doktoren einfach auch der Straße liegen lassen.

Was sagst du? Ich werde mir einen Schuldschein von eurem Vogt ausstellen lassen und wenn ich zurückkomme bringe ich euch ein paar Silbermark mit.” “Silbermark? Bist du denn des Wahnsinns? Mag sein, dass du aus der Stadt bist, aber das ist zu viel!” protestierte die Heilerin, die gerade fertig wurde ihr Equipment zusammen zu packen. Die Sonne war mittlerweile genug gestiegen um vollständig durch die Fenster zu strahlen und der Raum wurde von Rot und Orange geflutet. In diesem Meer aus Licht fand Zellis sich auf einem Bett wieder, gegenüber einer Menschenfrau, die alles für sie gegeben hatte und kaum eine Gegenleistung erwartete. Ihre bittere Seele wurde durch Gefühle geflutet, die ihr seit Jahren gefehlt hatte. Aufrichtige Dankbarkeit und Sympathie.

Stonewall hatte sie in eine Zynikerin verwandelt ohne dass sie es gemerkt hatte, erst jetzt wurde ihr das klar. Es traf sie wie der Hammer eines Schmiedes und machte es schwer sich zu bewegen, oder zu sprechen. Sie sah nur wie Perilla ihre Hände auf die Knie stemmte um aufzustehen und mit ihrem Sack in der Hand und einem kleinen Eimerchen mit den alten Bandagen zur Tür ging, durch die hundertere feine Lichtstrahlen durchbrachen. Ein Krachen, Schritte, ein weiteres Krachen und Stille.