Ein Knall schallt durch den Wald.

Eigentlich hat sie auf seinen Kopf gezielt aber mit Feuerwaffen hatte sie bis jetzt noch nicht viel Erfahrung sammeln können. Teilweise war das ihre eigene Schuld, denn jedes Mal, wenn Sith angeboten hatte, ihr seine Pistolen genauer zu zeigen, hatte sie lächelnd abgelehnt. Sie hatte bei Auseinandersetzungen immer ihn bei sich und mehr Ritter brauchten sich mit diesem neumodischen Quatsch nicht auseinander zu setzen.

Außerdem war es in der Theorie ja eh ziemlich einfach. Sie brauchte nur das Ziel durch das Visier anzusehen und den Abzug zu drücken. Nur leider verträgt sich die Theorie nicht immer mit der Praxis.

Als sie abdrückt, rechnet sie bei der etwa unterarmgroßen Waffe nicht mit einem so gewaltigen Rückstoß, wodurch das Geschoss sein Ziel um ein gutes Stück verfehlt.

Im selben Moment schreit das Untier auf und taumelt, als sich die Kugel in seinen Hals bohrt. Doch anstatt auf der Stelle tot umzufallen, wie es Rhea insgeheim gehofft hatte, bleibt es nur stehen.

Mitansehend wie sein Ziel zwischen den Ästen der Bäume verschwindet, knurrt es und dreht sich mit einem hasserfüllten Blick in den Augen wieder zu ihr.

Sie sieht auf die rauchende Waffe in ihrer Hand.

Ein Schuss.

Jede dieser Waffen hat nur einen Schuss. Ein weiterer Grund auf der langen Liste an Nachteilen dieses verfluchten Dinges.

Schnell lässt sie die Pistole zu Boden fallen, kniet neben Sith nieder und greift erneut in seinen Mantel. Er muss noch eine dabei haben. Er ist nie mit nur einer Pistole auf Jagd gegangen. Und vor allem nicht, wenn sie einen so gefährlichen Hybriden verfolgten.

“Bitte Sith”, bringt sie zwischen zusammengekniffenen Zähnen hervor, “du kriegst sie beide zurück, versprochen.”

Schnell wirft sie einen Blick hinter sich.

Der Vampir hat eine Hand auf die Wunde an seinem Hals gelegt. Unnatürlich dunkles Blut fließt in einem kleinen Bach zwischen seinen Fingern hervor, verteilt sich über die grünblaue Haut und versickert im zerrissenen Stoff des Hemdes.

“Das tut weh”, knurrt er und macht einen Schritt in Rhisceas Richtung.

Erneut steigt Panik in ihr auf und sie sucht hektisch Siths Mantel weiter nach einer zweiten Waffe ab. Aber mit jeder Sekunde, die verstreicht, kommt das Halbwesen in gemächlichen Tempo näher.

Als sie erneut einen Blick zurück riskiert, ist Es bereits auf halbem Weg zu ihr. Die immer noch blutende Wunde scheint ihm rein gar nichts auszumachen.

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Sie könnte die Suche nach der Pistole aufgeben und stattdessen ihr Schwert ziehen, aber noch ist es in einer Distanz, für die eine Fernkampfwaffen am sinnvollsten wäre. Und je länger sie es auf Abstand halten kann, umso besser.

Endlich schließt sich ihre Hand um kühles Metall und mit einem Ruck befreit sie die Waffe aus ihrer Halterung.

“Noch eine?”, knurrt der Elf, als er in den Lauf der auf ihn gerichteten Waffe sieht.

Rhiscea verschwendet keine Zeit. Sie entsichert die Pistole, zielt und drückt ab.

Doch Anstellen eines lauten Knalls wie gerade eben, ertönt nur ein leises Klicken.

Kurz stehen beide nur verwirrt da. Rhiscea drückt erneut ab, doch wieder ertönt nur dasselbe Klicken.

Dann beginnt der Vampir zu lachen. Seine Stimme schallt durch die Stille des Waldes wie Axtschläge auf einem Hackklotz und reißt sich in Rhisceas Bewusstsein wie ein Messer.

Die Pistole ist leer.

Es war immer Viktors Aufgabe, Siths Pistolen zu laden. Ihm diese Funktion zu überlassen, war unter anderem einer von Siths Versuchen, seinen jüngeren Bruder zur Verantwortung zu erziehen. Allem Anschein nach, hatte das nur mittelmäßig gut funktioniert, denn Viktor musste vergessen haben, sie neu zu laden, nachdem Sith das kleine Halbwesen in der Früh erschossen hatte.

“Ich habe dir gesagt, dass du dich nicht so sehr auf deine kleine Waffe verlassen sollst”, raunt der Elf und Rhiscea läuft ein kalter Schauer über den Rücken.

Sie greift nach ihrem Schwert, doch es erscheint ihr mickrig in ihren Händen gegen das Monster vor ihr.

Das Blut aus seiner Wunde hat mittlerweile aufgehört zu laufen.

Was vermag ein Stück scharfes Metall gegen ein Wesen ausrichten, dass kaum zusammenzuckt, wenn es angeschossen wird?

Zweifelnd blickt sie die Waffe in ihren Händen an und dabei fällt ihr Blick auf ihre behandschuhten Hände.

Ein Ass im Ärmel hat sie noch.

Schnell zieht sie die Handschuhe aus und greift wieder das Schwert. Der Elf scheint es nicht einmal bemerkt zu haben.

“War nett, dich kennengelernt zu haben”, säuselt der Vampir, bevor er zum Sprung ansetzt.

Gerade noch rechtzeitig schafft sie es auszuweichen. Der Angriff geschieht blitzartig und obwohl sie fast so wendig ist wie Ruby, verfehlen die beiden Klingen ihren Bauch nur um Haaresbreite.

Alle ihre Sinne und Muskeln arbeiten auf Hochtouren, als sie wieder ihr Gleichgewicht fängt, nur um erneut ausweichen zu müssen. Ihr ist bewusst, dass sie diese Reaktionsgeschwindigkeit nicht lange aufrechterhalten kann.

Sie duckt sich unter einem weiteren Schlag weg und setzt selbst zu einem an, doch der Elf weicht ohne Aufwand aus und kommt mit wenigen Schritten in ihren Rücken.

Die schwere Rüstung und das Schwert verlangsamen sie deutlich, aber sie ist auf ihren Schutz angewiesen.

Ein grausiges Kratzen ertönt, als er mit seinen beiden Messern tiefe Spuren im Metall ihrer Rückenpanzerung hinterlässt.

Doch sie achtet gar nicht darauf und schlägt sofort wieder nach ihm. Diesmal hat er es nicht erwartet und schafft es gerade noch genug Abstand zwischen sich und die Fürstin zu bringen, um nicht in zwei Hälften geteilt zu werden.

Dennoch ist er nicht schnell genug gewesen und die Schwertspitze hinterlässt eine dünne dunkelrote Linie an seiner Brust.

Das Biest schreit auf und weicht weiter nach hinten aus.

Jetzt ist ihre Chance.

Sie nimmt alle Kraft und allen Schwung, den sie mit nur einer Hand aufbringen kann und lässt das Schwert herunterrasen.

Es ist nicht einmal im Ansatz ein sauberer oder kontrollierter Schlag und umso einfacher fällt es dem Elfen auszuweichen. Aber das kümmert sie nicht, schließlich war es auch nicht ihre Absicht ihn zu treffen, denn als er einen Schritt zur Seite macht und die Schwertklinge ihn um mehrere Zentimeter verfehlt, läuft er ihr wortwörtlich direkt in die Arme. Sobald die kühle, blasse Haut ihre Finger berührt, greift sie zu.

Nächstes Kapitel: "Ein Ass im Handschuh"