Ein leises Rascheln ertönt aus den Gebüschen einige Ellen vor der kleinen Gruppe, die sich um den Hufabdruck im Waldboden versammelt hat.
Das plötzlich Geräusch reißt Rhiscea aus ihren Gedanken über den unerwarteten Fund und sie blickt auf. Nach ihrem Schwert greifend, sucht sie das Dickicht nach dem Eindringling ab, doch das niedrige Gewächs ist zu dicht, um irgendetwas zwischen den Blättern und verworrenen Zweigen erkennen zu können.
Sie hat nur einen Moment um sich umzusehen, denn der Angreifer lässt nicht lange auf sich warten.
Wie aus dem Nichts hüpft ein kleines weißes Zicklein aus dem Gestrüpp vor die Füße der Gruppe und lässt ein lautes “Määh” hören.
Einen Atemzug lang stehen alle wie versteinert da, zu überrascht und angewidert über die Erscheinung, um zu reagieren.
Was auf den ersten Blick wie ein weißes, kaum stiefelgroßes Zicklein wirken mag, erscheint bei näherer Betrachtung wie ein grotesker Witz.
Auf dem Körper des Tieres sitzt anstelle eines Ziegenkopfes ein gehörnter, gänzlich von weißem Fell bedeckter und mit Bärtchen vervollständigter menschlicher Kopf.
Aus dem Mund des Wesens dringt ein weiteres “Määh”. Es hört sich weniger nach dem Tier und mehr nach einer Menschlichen Nachahmung des Lautes an. Eine Nachahmung von jemandem, der in seinem Leben noch nie eine Ziege gehört hat.
Die gesamte Situation ist so absonderlich, dass niemand auch nur daran denken kann, seine Waffen zu ziehen, bevor das kleine Tier einen letzten Kriegsschrei loslässt und sich auf die kleine Gruppe stürzt.
Niemand bis auf Sith.
Ein Knall ertönt und als das Wesen wieder auf dem Boden landet, ist es nur noch ein lebloser Körper. Aus einer kugelförmigen Wunde an seiner Stirn fließt im dünnen Bächlein Blut herunter.
“Hühnerdreck, war das Ding hässlich.”, Malo ist der erste, der das Schweigen durchbricht.
“Danke, Sith.” Die Fürstin nickt wertschätzend in die Richtung des Schützen.
Er und Viktor sind so verschieden. Manchmal kann sie kaum glauben, dass Sith nur einige Jahre älter ist als sein Bruder.
Sith ist der Einzige aus der Gruppe, der sich nicht nur mit Schusswaffen auskennt, sondern sie auch bevorzugt. Es ist noch eine relativ neue, nicht fertig ausgeklügelte Technik, aber der Schütze kann mit seinen Waffen perfekt umgehen. Mit seinen scharfen Augen und schnellen Reflexen hat er die Ritter schon öfter vor unnötigen Schäden bewahrt. Leider ist ein großes Problem der Waffen das Nachladen. Es ist ein langwieriger und komplizierter Prozess, weswegen er immer mindestens zwei, manchmal drei Pistolen bei sich trägt.
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“Immer wieder gern, Lady Rhiscea”, antwortet der Schütze höflich.
Jetzt, wo der erste Schreck abgeklungen ist, widmet sich die Fürstin wieder dem Tierwesen auf dem Boden. Es ist wirklich eine Ziege mit menschlichem Kopf. In ihren paar Jahren als Fürstin des Krakovschen Gebietes hat sie so einiges furchterregendes und widerliches an Hybridmonstern gesehen, aber eine derartige Verunstaltung von etwas so Unschuldigem wie einem kleinen Zicklein gibt dem Schreck noch eine zusätzliche, bittere Note.
Die Elfen in der Stadt brauchen sich nicht über ihr Ansehen in der Gesellschaft zu wundern, wenn ihr unsittliches Treiben diese Art von Wesen in die Welt setzt.
“Das kann unmöglich das gewesen sein, was der Farmer gesehen hat.”, bemerkt Viktor verunsichert, während er seine Armbrust fester umgreift.
Damit spricht er genau das aus, was die Fürstin schon befürchtet hat. Das kleine Halbzicklein könnte nicht einmal für einen Blinden nach dem gesuchten Hybriden aussehen.
“Es muss also immer noch hier in der Nähe sein.”, stellt Ruby nüchtern fest.
Der Gedanke, dass ein Wesen, welches bereits etliche Ritter und Wachen getötet hat und welchem sogar eine Fürstin nur um Haaresbreite entkommen ist, in ihrer unmittelbaren Nähe sein könnte, scheint sie nicht allzu sehr zu besorgen.
“Nicht unbedingt”, merkt die Fürstin an, “Es mag stark sein aber gegen vier Bewaffnete wird es sich wohl kaum allein durchsetzen können. Den Mustern in den Angriffen nach zu urteilen, muss es intelligent genug sein, um das einzusehen.”
“Die meisten Übergriffe fanden an Einzelpersonen statt. Sobald Verstärkung eintraf, floh das Wesen”, bestätigt Viktor.
“Also haben wir es wahrscheinlich mittlerweile verjagt”, schlussfolgert Malo enttäuscht.
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Mit ein wenig Schwung gibt das Fleisch und der Knochen nach und das angespitzte Holz gräbt sich tief in den abgehackten Schädel.
Die Fürstin tritt einen Schritt zurück und schüttelt das Blut von ihren behandschuhten Händen.
Aufgereiht wie verurteilte Soldaten stehen die Pfähle mit den Köpfen ihrer ehemaligen Feinde vor ihr. Vampire, Wolfsmenschen, Halbwesen in variierenden Graden des Zerfalls. Und nun hat sich ein weiterer zu ihnen gesellt.
Der Schädel der Ziegenkreatur steht mit seinem Pfahl ganz am Ende der Reihe. Das frische Blut fließt noch in Strömen über das Holz und sammelt sich in einer kleinen Lache am Boden.
Den Körper haben die Ritter bereits auf einer kleinen Lichtung verbrannt, nur den Kopf hatten sie zum Fürstensitz mitgenommen, um ihn vor der Mauer des Grundstückes zu pfählen.
Diese schreckliche Reihe soll nicht nur den Respekt der Untertanen gegenüber der Fürstin bekräftigen, sondern vor allem weitere Schandtäter verschrecken. Diese beinahe barbarische Tradition wurde bereits von Rhisceas Vorgänger eingeführt und sie hatte sich vorgenommen diese weiterzuführen.
Sie hatte schnell eingesehen, dass es nicht ratsam war den gefährlichsten Teil des Reiches mit losen Zügeln zu regieren.